Eine Respektsperson namens Mausi

3,50 Stern(e) 2 Bewertungen

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Eine Respektsperson namens Mausi

Ihre ersten Sommerferien durfte Kathrin bei Tante Charlotte und Onkel Alfons auf dem Lande verbringen. Tante und Onkel hatten drei Kinder, Sabrina, Annica und Florian. Sie führten Kathrin auf dem Hof herum und zeigten ihr alles, den Kuhstall, den Schweinekoben, die Kaninchen und die Hühner.
Da hatte Kathrin ihre erste Begegnung mit Mausi die bis dahin im Hühnergatter eingesperrt war. Die Gans kam mit Riesensprüngen auf die Kinder zu, begrüßte sie mit schrillem „Gigaka!“ und setzte sich dann vor Annica auf den Boden. Mit schiefgelegtem Kopf beäugte sie das fremde Mädchen, schien aber bald festzustellen, dass das Kind zur Familie gehörte. So wackelte sie mit dem Bürzel und ging ihrer Wege.
„Das ist Mausi“, erklärte Florian. „Sie ist unsere Beschützerin.“
Kathrin erfuhr nun, dass eine Gans mitunter ein besserer Wachhund ist als der treueste Schäferhund, und vor allem unbestechlich. Einen Hund kann man leicht mit einer Wurst verlocken, eine Gans aber verlockt man mit gar nichts.
Nachdem Kathrin auch die Hauskatze und den Hund unbestimmbarer Rasse begrüßt hatte, kannte sie alle Tiere des Hofes und beneidete die Verwandten um ihren Reichtum. Sie wusste ja nicht, wie viel Arbeit man mit all den Tieren hat!
Nach dem Mittagessen sollte Kathrin auch das Dorf kennen lernen, besonders den schönen kleinen Park. Kaum traten die Kinder auf die Straße, stolzierte Mausi schon vor ihnen her. Obwohl sie nicht wusste, wohin die Kinder wollten, führte sie die Schar an, wie es eine gute Gänsemutti nun mal tut.
Die Kinder erzählten, dass sie Mausi einst als ganz kleines, hilfloses Küken auf der Wiese gefunden hatten. Sie wollten dem Bauern, dem die Gänseschar gehörte, das Tier zurückgeben, aber der sagte: „Das Krepierl könnt ihr behalten.“
Mausi wurde von allen geliebt, gehegt und gepflegt und wurde bald ein Prachtexemplar von Gans. Und aus Dankbarkeit hütet sie nun den Hof und die Kinder, als wären es ihre eigenen.
Unter diesem Erzählen waren die Kinder bei dem Park angelangt, dessen Mittelpunkt einige hundertjährige Eichen bildeten. Für die Kinder aber war das Planschbecken der Mittelpunkt. Im Nu waren sie im Wasser, planschten und spritzten, dass es eine Lust war und tollten mit anderen Kindern herum. Mausi stolzierte am Ufer entlang – sie wusste, dass sie nicht in das Becken durfte. Ein Stück weiter auf der Wiese knabberte eine Gänseschar am Gras und Mausi gesellte sich zu ihnen.
Kathrin bemerkte das und rief: „Auweia, die sehen ja alle gleich aus! Wie wollt ihr denn Mausi da wiederfinden?“ – „Keine Sorge“, tröstete Sabrina, „Mausi hört auf ihren Namen. Wenn wir nach Hause gehen, brauchen wir sie nur zu rufen.“
Irgendwann hatten die Kinder genug getollt und rüsteten zum Heimweg. Florian sagte: „Wir machen einen kleinen Umweg, denn etwas müssen wir dir noch zeigen, was ganz Schönes!“
Sie gingen eine kleine Steintreppe hinab, die von einem Spalier umgeben war. Durch das dichte Blattwerk drang nur wenig Licht und es duftete stark. Außerdem hörte Kathrin neben sich ein Rauschen. Am Ende der Treppe klärte sich alles auf: sie standen vor einem Wasserfall, der aus dem Planschbecken gespeist wurde. Das Wasser fiel in ein halbrundes Becken. In der Mitte schoss eine vierstrahlige Fontäne in die Höhe. Die Strahlen endeten in vier kleinen, halbrunden Becken, wo ebenfalls kleine Fontänen sprudelten. Und das Ganze war eingefasst von prächtig blühenden Rosensträuchern. Kathrin seufzte: „Ach, ist das schön!“ und faltete unwillkürlich die Hände vor der Brust.
Sabrina, Annica und Florian schmunzelten. Nach einer Weile sagte Sabrina: „Ja, und weil wir hier diesen schönen Brunnen haben, ist das alte Gutsherrenhaus in ein Hotel umgebaut worden. Die Leute hinter uns auf den Bänken sind alle Urlauber.“
Endlich hatte Kathrin sich sattgesehen an der Pracht und sie wollte nach oben gehen, wo Mausi ja noch auf der Wiese war. Florian hielt sie zurück: „Wir können sie von hier aus rufen. Gänse haben ein feines Gehör.“
Als sie an den Urlaubern vorüber kamen, grüßten die Kinder höflich. Kaum jemand erwiderte den Gruß. „Jaja, die Städter!“, klagte Annica, „Nicht die Spur von Benehmen!“
Kathrin prustete. „Warum lachst du?“, fragte Florian. „In der Schule habe ich gehört, dass Bauern kein Benehmen haben!“ Nun lachten alle.
„Wir müssen Mausi rufen!“, erinnerte Annica. Die drei Geschwister riefen nacheinander: „Mausi!“, jeder in einer anderen Tonlage. Danach alle zusammen: „Wir gehen nach Hausi!“
Dann setzten sie ihren Weg fort. Schon nach wenigen Schritten wurden sie von der Gans flatternd überholt. „Toll, was Mausi alles kann!“, sprach Kathrin bewundernd.
„Hach, die kann noch viel mehr! Soll ich dir mal erzählen, was sie gemacht hat, als wir den Hund und die Katze bekamen? Die beiden waren noch ganz kleine Babys, Mausi aber war schon erwachsen. Sie hat tatsächlich versucht, den Hund und die Katze zu füttern! Sie brachte ihnen Würmer und Schnecken, und der Hund hat das auch gefressen! Wenn wir es nicht selber gesehen hätten, wir würden es nicht glauben.“, sprudelte Annica hervor.
Kathrin hatte keine Ahnung, dass das etwas Besonderes ist, aber sie nickte anerkennend.
Beim Verspeisen des köstlichen Pflaumenkuchens, den Tante Charlotte in der Zwischenzeit gebacken hatte, wollte Kathrin wissen, wie Mausi zu ihrem Namen gekommen war? Die Tante erzählte, dass man bei so kleinen Küken noch nicht erkennen kann, ob man einen Jungen oder ein Mädchen vor sich hat. Darum wurde ein Kosename ausgewählt. Und eine Gans Mausi zu nennen, ist doch lustig, oder?
Kathrins schönste Ferienerinnerung blieben für alle Zeit der von Rosen umgebene Wasserfall und die Respektsperson namens Mausi.
 

Magnolia

Mitglied
gefällt mir sehr!

Eine wunderschöne Geschichte, so lebendig und frisch erzählt. Wie eigentlich alle deine Texte, sie bereiten immer wieder besonderen Genuss, sie zu lesen, denn dein Stil ist unnachahmlich gut. Du besitzt eine besondere Gabe des Schreibens, und verstehst es auch, diese gekonnt einzusetzen. Viel Erfolg und Spaß am Schreiben weiterhin -

wünscht mit lieben Grüßen-
Magnolia
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
oh,

vielen dank fürs lesen und loben.
ja, schreiben soll spaß machen und das lesen noch mehr.
ganz lieb grüßt
 



 
Oben Unten