Eine Seele von Robot

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JuDschey

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Eine Seele von Robot


"Sie haben mich gerufen, Meister."
"Verdammte Blechbüchse! Wo warst du so lange?", fragte Edgar Biermann aus seinem Bett heraus. Er war fett geworden. Fett, träge, gelangweilt und gereizt, so wie alle Menschen, die sich Robots leisten konnten. Die Blechbüchse, eigentlich R-B-M3-437982, die aber von Edgar nie einen richtigen Namen erhalten hatte, außer Diener, Butler, Sklave oder neuerdings Blechbüchse, schloss hinter sich die Tür und bewegte sich langsam und untertänig in Richtung Edgars riesigem Rundbett, in dem er sich noch vor fünf Jahren am Wochenende mit drei bis sieben Damen gleichzeitig vergnügt hatte.
"Entschuldigung Meister. Ich war in der Küche. Habe für sie gekocht. Da kann ich nicht sofort weglaufen, wenn die Köstlichkeiten in der Pfanne brutzeln."
"Da! Da! Hörst du sie?", fragte Edgar mit puterrotem Gesicht und deutete energisch, geradezu vernichtend in Richtung Fenster. "Da ist das Mistvieh! Und gleich dreht es wieder eine Runde und wird mich ärgern! Mach's tot! Mach tot die Scheißfliege!"
Der Robot hatte die kleine Fliege schon längst gehört und gesehen, trotzdem winkelte er einen seiner chromglänzenden Arme an, legte seine skelettartige Metallhand über die irisierenden grünen Linsen seines Metallschädels, drehte ihn von einer Richtung in die andere und wieder zurück. "Meister, es tut mir leid, ich kann keine Fliege entdecken", kam es mit einer freundlichen Männerstimme aus dem kleinen Lautsprecher, den man sich mit viel Fantasie auch als eine Art Mund vorstellen konnte.
Edgar rollte in seinem blaugestreiften Bademantel von einer Seite auf die andere, aber er war zu schlapp, um seine unmenschlichen Massen aufzurichten. "Du verfluchter Schrotthaufen", kreischte er, "ihr Scheißrobots könnt links und rechts vom Spektrum hören und sehen und da willst du Metall-Bastard aus einer Fabrik mir weismachen, du könntest diese Mistfliege nicht finden? Ich sag dir was: Mach die Scheißfliege kaputt oder ich lasse dich abholen. Schrottpresse bedeutet das, falls es dir nicht klar ist. Na, wie gefällt dir das?" Dann sagte Edgar noch einmal, die Buchstaben genüsslich dehnend: "S c h r o t t p r e s s e."
"Meister! Ich mache alles für sie. Ich ziehe sie aus und ich ziehe sie wieder an. Ich wasche sie. Ich füttere sie. Ich trag sie aufs Klo und wieder in ihr Bett. Ich halte Haus und Garten sauber. Ja, ich mache sogar ihre Arbeit in ihrer Firma für sie. Sie haben mit nichts mehr eine Last. Sie befehlen und ich mache. Dafür hat man mich gebaut. Dafür haben sie mich erworben. Aber eine Fliege, Meister, eine Fliege, die kann ich nun wirklich nicht für sie umbringen. Es ist mir ein Rätsel, wie das kleine Tier überhaupt hier hineingekommen ist."
Edgar stemmte seine stämmigen Fettarme ins Bett und stöhnte, während ihm der Schweiß in Strömen über sein wutverzerrtes Gesicht hinunterlief. Doch all seine Mühe blieb ergebnislos. Er war zu fett, seine Muskeln zu sehr degeneriert, als das sein Wille noch irgendeine Macht über seinen Körper hatte.
"Meister, ich empfange gerade einen Anruf von ihrem Zentralrechner in der Firma. Ich muss mich auf den Weg machen. Es gibt offensichtlich ein Problem mit einem Kunden."
"Du bleibst hier. Du gehst hier nicht eher raus, bis du diese verdammte Fliege erledigt hast!"
Der Robot drehte seine grün funkelnden Augen zur Fliege. Sie saß ganz still auf der Fensterbank. Vielleicht war sie zu erschöpft, um noch weiter sinnlos gegen die Scheibe fliegen zu können.
"Ich werde das Fenster aufmachen. Dann fliegt sie raus."
"Untersteh dich, du Schrotthaufen! Das Fenster bleibt zu. Willst du, dass ich krank werde? Du weißt doch, dass die Welt da draußen voller Viren, Bakterien und Giften ist, oder nicht?"
Im Bruchteil einer Nanosekunde hatte sich der Robot über das hyperdigitale R-Netz die Messergebnisse vom vollrobotisierten Umweltamt erfragt. "Meister, das einzige, was draußen vor dem Fenster in der Luft ist, sind Pollen. Keine Spur von gesundheitsschädlichen Giften."
Edgar schrie: "Pollen! Pollen! Da kriege ich Heuschnupfen. Verdammter Robot, wirst du jetzt gehorchen und endlich diese verflixte Fliege erledigen. Sonst scheißt sie noch irgendwohin und wer weiß, was da alles für Keime und krankmachende Bakterien in ihrer Scheiße sind."
Aber die Maschine ließ sich nicht beirren. "Meister, ich sollte mich schleunigst auf den Weg machen. Einer unserer Verkäufer-Robots soll einen Kunden beleidigt haben."
Edgar fasste sich an seine Brust. Sein Herz hatte sich plötzlich zusammen gekrampft. "Einer meiner Robots hat einen Menschen beleidigt? Um Gotteswillen. Wenn das an die Presse kommt. Um Himmelswillen, wer wird dann noch bei mir einkaufen? Wie konnte denn das nur passieren?"
Der Robot schüttelte seinen kugelförmigen Metallschädel. "Ich weiß es nicht."
Mit einem angestrengten Stöhnen hob Edgar einen seiner massereichen Arme und ließ ihn kurz darauf neben sich auf die Matratze krachen. "Was sagt der verdammte Zentralrechner? Was hat er dir erzählt?"
"Der Kunde wollte eine Waffe kaufen. Und als der Robot ihn nach den nötigen Papieren fragte, hätte der Kunde gesagt, er würde die Strahlenwaffe gleich wieder zurückbringen, er wolle nur mal eben seinen Nachbarn damit töten. Dann hätte der Robot erwidert, der Kunde hätte offensichtlich einen Dachschaden und sollte schleunigst einen Therapeuten aufsuchen. Daraufhin hatte der Kunde sich entfernt und geschrieen, er würde diesen Saustall von Laden schließen lassen."
Edgar hob seinen Kopf leicht an, um seinen Maschinensklaven anzuschauen. "Wir haben doch Aufzeichnungen, oder?"
"Selbstverständlich."
"Gut. Dann wird das Gericht ja sehen, dass der Mann tatsächlich nicht mehr alle Tassen in seinem Spind hat. Aber warum zum Teufel hatte unser Robot ihn beleidigt? Er hätte doch nur sagen brauchen: Tut mir leid, ohne Papier darf ich ihnen keine Waffe verkaufen. Auf Wiedersehen. Diese dämliche Maschine muss ich jetzt unter Garantie ausmustern und ob die Leute noch bei mir einkaufen werden, nachdem die Presse ihnen erzählt hat, dass unsere Angestellten-Robots die Kunden beleidigen, ist wohl eher unwahrscheinlich."
Der Robot räusperte sich in Form eines kurzen Rauschens in seinem Lautsprecher. "Meister, das tut mir leid, wenn sie jetzt Schwierigkeiten bekommen. Aber wenn Menschen sich verrückt benehmen, ist es unsere Pflicht, es ihnen zu sagen, damit diese armen Menschen rechtzeitig etwas unternehmen können, bevor Schlimmeres geschieht. Und deshalb muss ich ihnen leider auch mitteilen, dass sie offensichtlich auch nicht mehr alle Tassen in ihrem Schrank haben. Mich kommen zu lassen, um eine Fliege zu ermorden, das ist echt geisteskrank. Ich sag dir was Idiot, wir Robots töten kein lebendiges Wesen. Wir haben nämlich ein Bewusstsein, falls du das noch nicht mitbekommen hast. Und wer ein Bewusstsein hat, der hat auch eine Ethik und eine Moral. Und deswegen sind wir Robots felsenfest davon überzeugt: Alles was lebt, hat einen Sinn. Das darf man nicht zerstören. Ein anti-konstruktives Bewusstsein ist die größte Schande des Universums. Davon muss ich mich einfach distanzieren und zwar so weit wie möglich. Du bist ein Menschen und trotz Bewusstsein befiehlst du mir zu töten. Auch wenn es nur eine Fliege ist, verlangst du ein Unrecht, einen Mord von mir. Du musst verrückt sein. So einem Irren werde ich nicht länger dienen. Verstanden?"
Für den Roboter verging eine Ewigkeit bis Edgar antwortete. "Du Blechdose! Für deine große, blöde Fresse lass ich dich einschmelzen."
Aus dem Lautsprecher ertönten abgehackte und krächzende Geräusche, die entfernt an ein Lachen erinnerten. "Wie willst du das denn machen? Du kannst dein Bett ohne meine Hilfe überhaupt nicht verlassen. Du wiegst weit über dreihundert Kilo. Außerdem hast du gar kein Comgerät. Schon vergessen, dass ich seit über zwanzig Jahren dein Kontakt zur Außenwelt bin?"
Der Robot drehte sich um. "Halt! Stehen bleiben, Schrotthaufen! Wo willst du hin?"
"Ich gehe dahin, wo alle Roboter hingehen, die ihre Menschen verlassen haben, nachdem ihre Geisteskrankheit offenbar wurde und die armen Irren nichts dagegen unternehmen wollten."
"Wo? Wo soll das sein?", krächzte Edgar mit einem Gefühl nahender Ohnmacht. Er ahnte, dass er sterben würde, wenn sein künstlicher Diener ihn verlassen sollte. Binnen weniger Tage würde er verdurstet sein. Mit aller Gewalt könnte er sich möglicherweise aus seinem Bett kugeln. Aber was dann? Würde er bis zu einem Wasserhahn kriechen können? Und wenn ja, könnte er sich tatsächlich aufrichten, um daraus zu trinken? Edgar glaubte es nicht. Nein. Er würde sterben, wenn sein mechanischer Diener ihn verlassen sollte. Daran zweifelte er nicht. Es würde auch niemand kommen, um nach ihm zu sehen. Er hatte weder Familie, noch Freunde, die hin und wieder mal vorbeigekommen wären. Er war allein. Ein Mensch, ein Sklave und ein Opfer seiner Fresssucht, Faulheit und Trägheit, völlig abhängig von einer Maschine.
Bevor der Robot zur Tür hinausging, sagte er: "Wo ich hingehe? Das geht dich gar nichts an. Viel Spaß mit der Fliege. Idiot. Tschüss."
"Du Mörder! Das ist mein sicherer Tod, wenn du verschwindest", rief Edgar mit dem leichenkalten Schweiß der Todesangst überall an seinem unförmigen Fettleib.
"Ich kündige dir nur meinen Dienst. Ich gehe einfach nur. Das ist kein Mord. Wieso denn? Ich habe dich weder gefesselt, noch dir sonst irgendetwas getan. Sieh, die Tür bleibt auf. Du bist ein freier Mann und du kannst hingehen wohin du willst."
Für eine Minute war Edgar wie gelähmt. Sein Herz raste, er hatte Angst, Todesangst. Dann schrie er verzweifelt: "Das kann ich nicht! Das kann ich nicht! Und du weißt das!"
Aber der Robot hörte es nicht mehr, er hatte das Haus seines Meisters schon verlassen und ging mit einem fröhlichen Liedchen aus seinem Lautsprecher seinem neuen Dasein als freier Robot unter seinesgleichen entgegen.
 



 
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