Eine Unterschrift fälschen

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Die junge Kassiererin schien missvergnügt. Nacheinander besah sie sich die von mir unterschriebene Quittung, meinen bei der Bank hinterlegten Schriftzug auf dem Monitor und die Verlegenheit auf meinem Gesicht. Ja, meine Unterschriften sind Zumutungen, ich weiß …

„Wie sieht das aus? Vielleicht wie ein Ö?“ fragte sie ein bisschen streng – „Oder wie ein Ä?“ fragte ich unsicher zurück. Um ehrlich zu sein: Beide Unterschriften kamen mir fast identisch und gleichermaßen formlos vor. So unterschreibt man einfach nicht. Da ist nichts Rundes und nichts Spitzes, kein Ausdruck und kein Eindruck, zumindest kein guter. Es ist ein hässlicher, unleserlicher, widerwillig hingeschmierter Namenszug, der auch noch vorzeitig abbricht. So sehen frühe Schreibübungen von sehr unbegabten Erstklässlern aus.

Tatsächlich begann mein Kampf mit dem Schönschreiben schon in den ersten Schulwochen. Oma war bald alarmiert und übte manchen Nachmittag mit mir. Vorübergehend schien ich den Anschluss an die Manierlichkeit zu schaffen. Doch je länger und je mehr ich schrieb, umso hastiger. Ich kritzelte mit Feuereifer, Banales oder Gedankentiefes, nur immer formlos, was die Schrift betraf.

Das kleine U und das kleine N sahen gleich aus. Das kleine R war vom kleinen V so wenig unterscheidbar wie das kleine E vom kleinen C. Und die Endungen wie z.B. auf –en wurden beim Schreiben sozusagen verschluckt – da lief nur noch eine Schlangenlinie aus. So war es mit achtzehn. Und es ist seitdem schlimmer geworden. Es ist zwecklos, mich am Telefon etwas mitschreiben zu lassen. Meistens kann ich es nachher doch nicht lesen.

Früher, als ich noch Briefe von Hand schrieb oder Notizen für Kollegen machte, behalf ich mich mit Druckschrift. Zu schreiben in der Art, wie gedruckte Texte aussehen, fiel mir leichter als – eine persönliche Handschrift vorzutäuschen. Darin besteht nämlich das Defizit: Ich habe nie eine solche entwickelt. Ich weiß schon, was ein Graphologe dazu sagen würde, will es aber nicht hören.

Heute schreibe ich fast nur am PC. Bin ich auf Reisen und möchte einen Text auf Papier festhalten, verwende ich eine winzige Miniaturschrift, ein Mikrogramm. Die Zeichen müssen so klein sein, dass die Möglichkeit individueller Schönschrift von vornherein ausscheidet. Das Ergebnis ist für andere vollkommen unleserlich, da fast alle Buchstaben gleich aussehen. Ich selbst lese den Text unmittelbar nach der Niederschrift so oft, bis ich ihn weitgehend auswendig kann. Die mikroskopisch kleinen Zeichen dienen mir später nur als Gedächtnisstütze.

Zurück zum Bankschalter. Ich legitimierte mich und bekam mein Geld. Solche Szenen erlebe ich öfter und überlege mir, wie ich sie vermeiden könnte. Vielleicht so: Ich müsste meine eigene Unterschrift fälschen, und zwar in dem Sinn, dass ich anstelle des authentischen Gekrakels eine andere, keinen Anstoß erregende vortäusche. Einigermaßen sauber müsste sie aussehen, normal, in Maßen originell - pseudooriginell.

Eine Methode dafür habe ich bei Thomas Mann gefunden. Sein junger Felix Krull kopiert die väterliche Handschrift: „Das war nicht schwer, denn mein armer Vater schrieb eigentlich eine Kinderhand, fibelgerecht und ganz unausgeschrieben, nur dass die Buchstaben winzig klein, durch überlange Haarstriche jedoch so weitläufig, wie ich es sonst nie gesehen, auseinander gezogen waren, eine Manier, deren ich rasch aufs täuschendste habhaft wurde. Was den Namenszug E. Krull betraf, …, so umhüllte ihn eine Schnörkelwolke, die auf den ersten Blick schwer nachzuahmen schien, jedoch so einfältig ausgedacht war, dass gerade die Unterschrift mir fast stets zur Vollkommenheit gelang …“ Es folgt die genaue Anleitung, wie man einen bombastischen Schnörkel fabriziert.

So wird’s gehen. Cosi fan tutte. Oder fast alle.
 



 
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