Eine Weihnachtsgeschichte, überarbeitet

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Eine Weihnachtsgeschichte

Am Dorfrand, in einem Häuschen, wohnte ein furchtbar armes kleines Mädchen. Sie lebte ganz allein dort seit ihre Eltern gestorben waren.
Das Mädchen war verzweifelt. Mit viel Schnee hatte der Winter seinen eisigen Einzug gehalten. Das Brennholz war aufgebraucht und sie fror erbärmlich in der zugigen Kate. Auch die letzten Lebensmittel gingen zur Neige. Was sollte sie nur tun?
In ihrer Not lief sie ins Dorf zu den anderen Kindern. Vielleicht konnten die ihr helfen, denn sie alle hatten Eltern die dafür sorgten, dass es ihnen gut ging. Die Dorfkinder jedoch waren ohne Mitleid. Sie dachten nur an ihr eigenes Wohlergehen. Von dem Elend und der Not ihrer Mitmenschen mochten sie nichts hören. Mit der armen Familie am Dorfrand wollten sie noch nie etwas zu tun haben. Es war ihnen einfach lästig.

„Bald ist doch Weihnachten“, bettelte die Kleine. „Kann ich denn nicht am heiligen Abend zu einem von euch kommen? In meinem alten Haus ist es so kalt. Ich habe kein Holz mehr, um den Ofen zu heizen. Schon lange habe ich auch nichts Warmes mehr essen können.“
„So wie du aussiehst, so heruntergekommen?“, fragten die Kinder empört. „Sieh dich doch mal an. Diese zerlöcherten Stiefel, die alte Jacke hat sicher auch mal bessere Zeiten gesehen. Wir machen uns am Heiligen Abend alle fein und es geht sehr festlich zu.“
„Ihr wisst doch, ich habe keine Eltern mehr“, sagte das Mädchen traurig. Mühsam schluckte es die aufsteigenden Tränen hinunter. „Zu Weihnachten wünsche ich mir vom Christkind nichts sehnlicher als ein neues Zuhause.“
Höhnisch erwiderten die hartherzigen Kinder: „Darauf kannst du lange warten, es gibt ja gar kein Christkind. Die Eltern kaufen unsere Geschenke. Aber da du ja keine Eltern hast, gehst du wohl leer aus.“
„Doch, ich glaube ganz fest daran, dass es das Christkind gibt“, flüsterte das arme Kind kaum hörbar und ging leise weinend davon.

Ach, es war schrecklich niemanden zu haben. Keiner der für Wärme und Essen sorgte, der sie liebevoll in den Arm nahm, sich um sie kümmerte. Sie war doch noch so klein. Wie sollte sie nur für sich selbst sorgen? Sie setzte sich auf den Rand ihres Bettchens und sah sich in dem schäbigen Raum um. Ja, damals als ihre Eltern lebten, da war alles anders. Trotz ihrer Armut waren sie eine glückliche Familie, bis eine schreckliche Krankheit Vater und Mutter dahinraffte. Nun lebte sie ganz allein auf dieser Welt. Wie sehnte sich das kleine Mädchen nach Wärme und Geborgenheit, nach Liebe und Zärtlichkeit. Still weinte es vor sich hin. Sie schaute aus dem Fenster. Durch tanzende Schneeflocken hindurch sah sie die Sterne funkeln. Einer von ihnen war besonders groß und hell. „Ob das wohl der Stern von Bethlehem ist“, dachte die Kleine bei sich. Als sie an das Fest dachte, faltete sie ihre Hände und heiße Tränen rannen ihr über die bleichen Wangen. Beim letzten Weihnachtsfest waren sie noch eine Familie. Der Vater holte einen hübschen Weihnachtsbaum aus dem Wald, den er in die warme Stube stellte. Unterdessen half sie ihrer Mutter beim Plätzchenbacken. Der Duft von Kerzen und Gebackenem erfüllte das kleine Haus. Nachdem der Vater die Geschichte der heiligen Familie vorgelesen hatte, nahmen sie ihr bescheidenes Mahl ein. Ruhe und Frieden kehrten bei ihnen ein. Warum nur musste bald darauf diese schreckliche Krankheit über sie kommen? Sie seufzte tief. Energisch trocknete sie ihre Tränen und sagte laut zu sich selbst: „Schluss jetzt, es ist, wie es ist. Vom Jammern wird meine Lage auch nicht besser. Ich muss etwas tun. Gleich Morgen gehe ich in die Fremde. Vielleicht gibt es irgendwo einen guten Menschen, der mir ein neues Zuhause gibt. Bleibe ich hier, so werde ich entweder erfrieren oder verhungern.

Im ersten Morgengrauen stand sie auf. In der Speisekammer packte sie die kargen Reste ihrer Lebensmittel in einen Korb. Etwas Speck und Käse, ein Stückchen Brot und einen Apfel. Darüber legte sie ein wollenes Tuch. Nun zog sie sich ihre Jacke über den viel zu großen Pullover. Das Mädelchen griff zu Stiefel, Mütze und Handschuhe. Jetzt war also der Augenblick gekommen. Sie verließ ihr Elternhaus, indem sie einst so glücklich war. Es zerriss ihr fast das kleine Herz.
„Nein, nein, nur nicht wieder weinen“, dachte das Kind, als es sich ein letztes Mal umdrehte, „ich muss stark sein.“ Kräftig schritt es aus. Der bitterkalte Wind schnitt ihr brennend ins Gesicht.

Nachdem das Mädchen einige Zeit gelaufen war, setzte es sich auf einen Baumstumpf der am Wegesrand stand. Ihre kleinen Füße schmerzten und sie hatte Hunger. Als sie das Tuch von ihrem Korb zog und das Brot hervorholte, wurde sie sofort von einer Schar Mäusen umringt. „Ach bitte, gib uns etwas von deinem Brot ab, nur ein paar Krumen. Wir haben solchen Hunger“ , bettelten sie. „Ihr Armen“, sagte das Mädchen voller Mitleid. Sie gab ihnen ein Stückchen ab.
Dann ging sie weiter, immer weiter. Wo sie auch hinkam, niemand wollte dieses arme Wesen aufnehmen. Überall wurde sie von der Tür gewiesen. Sie sagten: „Was willst du hier? Wie siehst du überhaupt aus? Du störst uns bei den Vorbereitungen für unser Weihnachtsfest.“ Andere verhöhnten sie: „Was, du hast keine Eltern mehr? Dafür können wir auch nichts. Geh doch in ein Kinderheim.“ Die Lieblosigkeit schnitt tief in ihr kleines Herz. Heißt es nicht, Weihnachten ist das Fest der Liebe?

Der Wind hatte zugenommen. Tapfer kämpfte sie sich vorwärts. Die Schneeflocken fielen immer dichter. Nach einer Weile begegnete ihr ein Bettler.
„Gutes Kind“, sprach er sie zitternd vor Kälte an, „hast du ein wenig zu essen für mich? Schon seit Tagen habe ich nichts mehr im Magen.“
Sofort griff sie in ihren Korb und gab ihm den Speck. „Hier nimm“, sprach die Kleine. „Es tut mir weh, dich so hungrig zu sehen.“ Voller Mitleid gab sie ihm auch ihr wollenes Tuch als sie sah wie zerlumpt er war. Ein stilles Leuchten legte sich über das faltige Gesicht des alten Mannes. Nachdem er sich bedankt hatte, ging er wieder seiner Wege.

Als es anfing zu dämmern, kam das Mädchen in einen Wald. „Wenigstens weht es hier nicht so arg“, dachte sie bei sich, und schüttelte den Schnee von ihrem Mützchen. Ein altes Weiblein, beladen mit einem großen Bündel Reisig, kam ächzend auf sie zu. Sofort eilte das Kind ihr entgegen. „Aber Mütterchen, das ist doch viel zu schwer für dich. Komm, lass mich dir helfen!“ , rief sie.
Voller Dankbarkeit sagte die alte Frau: „Mein liebes Kind. Es ehrt dich, dass du mir helfen willst, doch diese Last kann ich dir nicht aufbürden. Du bist ja noch viel zu klein.“
„Das geht schon“, erwiderte das Mädchen bestimmt, „zusammen schaffen wir das. Meinem Vater habe ich auch immer beim Reisig holen geholfen.“
„Dein Vater?“, fragte die alte Frau. „Wo sind denn deine Eltern, warum läufst du hier allein im Wald herum?“

Die aufsteigenden Tränen immer wieder herunterschluckend, erzählte sie ihre traurige Geschichte. Sacht strich die Greisin ihr übers Haar. Dann sagte sie: „Nun gut, wenn du es wirklich möchtest, kannst du mir beim Tragen helfen. Ich wohne dort drüben am Rande der Lichtung.“
Nachdem beide das Bündel in die Hütte geschafft hatten, meinte die Alte bedauernd: „Ich würde dir gerne etwas zu essen anbieten für deine Hilfe, doch ich habe selbst nichts mehr.“ Da griff das Kind in den Korb, holte das letzte Stückchen Brot und den Käse heraus und gab ihr beides. Warm sagte sie: „Das ist für dich. Du sollst nicht hungern müssen, heute ist doch Heiligabend.“
„Ja, ja, Heiligabend“, murmelte die alte Frau. Jetzt sah sie die Kleine mit brennenden Augen an: „Sag du Armes, was wünschest du dir denn vom Christkind? Reichtum und Macht? Möchtest du in einem Schloss wohnen und ganz viel Spielzeug besitzen?“
„Nein, nein“, wehrte das Mädchen bescheiden ab, „ich wünsche mir nichts sehnlicher als ein neues Zuhause mit Eltern die mich lieb haben. Ein warmes Bettchen und immer genug zu essen. Das wäre das größte Glück. Aber“, sagte sie leise und zögerte, „da wäre noch etwas. Ich hätte so gerne einen Teddybär. Meinst du das sind zu viele Wünsche?“ Sie senkte ihr Köpfchen. „Die Kinder im Dorf sagen es gibt kein Christkind.“
„So, so. Woher wollen sie das wissen?“ ,fragte die Alte. Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen. „Glaubst du daran? Nun geh mein Kleines, es ist bald dunkel. Verliere nicht den Mut. Ich bin sicher, du findest liebe Menschen die dich aufnehmen.

Mittlerweile hatte es aufgehört zu schneien. Der Mond schien so hell, als wollte er ihr den Weg leuchten. Müde sah sie zu ihm auf. Ach wenn sie doch nur ein Plätzchen zum Schlafen hätte. Mühsam stapfte sie durch den hohen Schnee. Plötzlich hörte sie ein leises Wimmern. Erschrocken hielt sie inne und sah sich um. Ein Kind, nicht viel älter als sie selbst, kam halbnackt, in zerrissenen Kleidern auf sie zu.
„Du meine Güte!“, rief das Mädchen entsetzt. „Du Armes holst dir ja den Tod bei dieser Kälte. Hier, mein Schal und die Mütze werden dich ein wenig wärmen. Hast du Hunger? Leider habe ich nur noch einen Apfel, aber den gebe ich dir gerne.“
„Du bist sehr gut zu mir“, sagte das fremde Kind. „Doch nun wirst du selber frieren.“
„Mach dir keine Sorgen“, entgegnete das Mädchen, „ich ziehe meine Kapuze über den Kopf, das geht schon. Ich könnte es nicht ertragen wenn du in dieser heiligen Nacht umkämst.“
„Schau“, ,flüsterte das Kind und zeigte zum Firmament, „der Stern, der einst über dem Stall in Bethlehem stand.“
Versunken starrte das Mädchen den großen, glitzernden Stern an. Als es sich wieder dem fremden Kind zuwenden wollte, war dies jedoch verschwunden. „Seltsam“, dachte sie,„eben war es noch da. Ich hoffe, das arme Geschöpf ist bald Zuhause.“

„Nun habe ich nichts mehr.“, seufzte sie. Ihre Füßchen mochten nicht mehr laufen. Das kleine Gesicht unter der Kapuze war vor Kälte gerötet. Sie stolperte über Baumwurzeln, fiel in den Schnee und rappelte sich tapfer wieder auf. Erschöpft ließ sie sich unter einer mächtigen Tanne nieder. Um diese Zeit saßen jetzt die anderen Menschen unter dem Weihnachtsbaum, während sie hier, wie ein verlassenes Häufchen Elend, im dunklen Wald hockte. Heiß stiegen die Tränen in ihr auf. Sie schlug ihre klammen Händchen vors Gesicht und weinte bitterlich. Leise flüsterte sie: „Liebes Christkind, siehst du meine Not? Siehst du wie meine Seele weint? Bitte hilf mir, ich bin doch noch so klein.“
Todmüde schlief sie schließlich ein.

Plötzlich traten Rehe aus dem Unterholz. Voller Mitleid sagten sie: „Dieses arme Menschenkind, wir wollen es wärmen, damit es nicht erfriert.“ Sie legten sich vorsichtig um das schlafende Kind herum. Ihnen folgten ein paar Häschen und eine Fuchsfamilie. Selbst ein Dachs gesellte sich zu ihnen. Über allem thronte eine alte Eule, die es sich in der Tanne gemütlich machte. Keines der Tiere rührte sich, um das Kindlein nur ja nicht zu stören. Es begann wieder zu schneien. Ganz sacht fielen die Flocken auf die kleine Gruppe und deckten sie zu.

Mitten in dieser Nacht ereignete sich Wundersames. Helles Glöckchenklingeln schallte durch den Wald. Das Mädchen wurde wach. Staunend sah es auf die Tiere ringsum. Wunderschön war die ganze Umgebung. Mond und Sterne schienen vom Firmament herabgestiegen zu sein. Sie schwebten dicht über den Tannenspitzen. Wie mit Edelsteinen übersät, glitzerte der schneebedeckte Waldboden. Goldene Lichter flackerten wie Kerzen in den Bäumen. Ein zartes Singen klang durch die Nacht. Das Mädchen rieb sich ungläubig die Augen. Träumte sie? Mit einem Mal wurde es taghell. In einem wunderbaren Strahlenkranz stand eine Lichtgestalt vor ihr, umgeben von drei Engeln.
„Fürchte dich nicht mein liebes Kind.“ ,sprach diese. „Weißt du wer ich bin?“
„Nein“, antwortete die Kleine ehrlich, „aber so habe ich mir immer das Christkind vorgestellt.“
Die Lichtgestalt lachte silberhell auf. „Ich bin es, auch wenn mich viele Menschen verleugnen. Ich weiß um deine Not und will dir helfen. Du bist ein gutes Kind mit einem großen Herzen. Selbst bitterarm, hilfst du denen, die noch weniger haben. Du teilst mit ihnen dein letztes Brot, gibst deine Kleidung Frierenden und hilfst einer alten Frau ihr schweres Bündel tragen. Ja, auch zu den Tieren bist du gut. Mit deinen Brotkrumen hast du die kleinen Mäuse glücklich gemacht. Sieh hier, meine Engel. Sie waren es, die dir in Menschengestalt begegneten. Heute, in dieser heiligen Nacht, werde ich dich belohnen. Nie mehr sollst du in solchem Elend leben, allein und verlassen. Niemals mehr soll deine kleine geschundene Seele so weinen, dass ich es bis in den Himmel höre. Bleibe weiterhin ein braves Kind, ich habe viel Freude an dir.“

Ganz langsam entschwand die Herrlichkeit. Der Mond und die Sterne nahmen wieder ihren Platz hoch oben am nächtlichen Himmel ein. Stille senkte sich herab. Das Mädchen konnte das gerade erlebte immer noch nicht fassen. Ehe sie jedoch darüber nachdenken konnte, übermannte sie eine seltsame Schläfrigkeit. Sie lehnte ihr Köpfchen an eines der Rehe und schlief auf der Stelle tief und fest ein.

Am nächsten Morgen wurde sie durch Stimmen geweckt. „Schau mal Frau, dort liegt ja ein Mädelchen unter der Tanne.“
„Mein Gott“, antwortete die Frau ihrem Mann, „die arme Kleine. Wie ist das nur möglich? Es ist ein Wunder, dass sie nicht erfroren ist.“ Sie eilten zu dem Baum.
Das Mädchen sah ihnen neugierig entgegen. Was diese Leute wohl von ihr wollten? Dann fiel ihr Blick auf einen Teddybär den sie im Arm hielt. Wo kam denn der her? Sie hatte doch nie einen besessen. Lieb drückte sie ihn an sich, er war so schön weich. Dann hörte sie die Frau sagen: „Kind, du musst einen Schutzengel gehabt haben. Willst du uns nicht erzählen wer du bist und wie du hierher kommst?“

„Ach, ich bin ganz allein auf der Welt, niemand will mich haben“, sagte sie, und erzählte ihnen von ihrem traurigen Leben. Nachdem sie geendet hatte, sahen sich die beiden Leute lange an. Mit Tränen in den Augen fragten sie: „Sag, willst du nicht mit uns kommen? Schon lange wünschen wir uns ein Kind, doch dieses Glück blieb uns bisher versagt. Wir möchten dir ein Zuhause geben und dich lieb haben. Wir glauben, der Himmel hat dich uns geschickt. Ein größeres Weihnachtsgeschenk konnte er uns nicht machen.“
„Ihr wollt mich wirklich aufnehmen?“, fragte das Mädchen ungläubig. „Bekomme ich auch ein warmes Bettchen und darf ich meinen Teddybären mitnehmen?“
„Aber ja“, lachten sie, „komm nur, es freut sich da noch jemand auf dich.“
Als sie sich ihrem neuen Zuhause näherten, kam ihnen schon von weitem ein kleiner Hund bellend entgegengelaufen. „Das ist Benni,“ sagten ihre neuen Eltern, er wird dir ein lieber Spielkamerad sein.“


Es war ein herrlicher Weihnachtstag. Die Sonne strahlte vom blauen Himmel. Übermütig tobte das kleine Mädchen mit dem Hund durch den Schnee. Das erste Mal nach langer Zeit war sie wieder glücklich. Was war nur geschehen? Mit einem Schlag kam ihr die Erinnerung an die letzte Nacht wieder. Ja, das Christkind, das gab es tatsächlich, und auf wunderbare Weise hat es ihr geholfen. Sie schaute lächelnd zum Himmel empor und sagte: „Danke Christkind, danke.“
 



 
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