Eine Zigarettenlänge

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zanzara

Mitglied
Erst jüngst hab ich vor deinem Haus gestanden,
wo du einst wohntest, wohnt heut keiner mehr,
die Scheiben blind, die Zimmer kalt und leer
und kahl der Hof, dort wo sich Rosen wanden.

Hast du den Schal noch, den ich für dich strickte
und magst du noch so gern Orangeneis,
ist deine Schwester noch so naseweis,
sag, hast du noch die Briefe, die ich schickte.

Ich starre auf die Glut der Zigarette
und wünschte mir du dächtest jetzt an mich.
Ist man allein, dann lernt man sich bescheiden.

Mir wär es Trost, du würdest auch mal leiden
und fühltest dich , wie ich heut, fürchterlich.
Denk nur nicht, dass ich dich gern wieder hätte.
 
H

HFleiss

Gast
Zanzara, das ist dir wunderbar gelungen. Aus jeder Zeile lese ich dich heraus, und das ist etwas sehr Rares. Ich habe rein gar nichts zu meckern, und nun laufe ich Gefahr, ausgeblendet zu werden - wegen Plauderei.

Gruß
Hanna
 

zanzara

Mitglied
@ Hanna,
ich schreibe gern Sonette. Die strenge Form verhindert, dass man ins Schwafeln kommt. Freut mich, wenn es gefällt. Kritik ist aber ebenso willkommen.
Gruß
Brigitte
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo zanzara,

mir gefällt es nicht. Dir gelingt es in meinen Augen nicht eine altbekannte Szene neu oder lebendig zu erzählen.
Das verlasse Haus der Liebsten, Rosen!, die kecke Schwester, alte Liebesbriefe, der Typ mit der Kippe, alles zu bekannt,

zumindest für
lap
 

zanzara

Mitglied
@ lap,
vielleicht sind es immer wieder die Gleichen Orte, die Gedanken an Vergangenes heraufbeschwören. Der Part mit den Rosen ist vielleicht kitschig und abgenutzt, da gebe ich dir Recht, die Begebenheiten, an die man sich erinnert, für meinen Geschmack nicht. Was macht dich so sicher, dass die Person mit der Zigarette männlich ist?
Gruß
Brigitte
 

guelle

Mitglied
Hallo zanzara,

ich finde dein Sonett gelungen, aber inhaltlich verstehe ich es nicht.
Was will sie wirklich?
Warum soll er an sie denken?

"und wünschte mir du dächtest jetzt an mich."


Hasst sie ihn oder liebt sie ihn noch immer oder ist sie einfach nur eine beleidigte Ex mit Rachegefühlen?


"Mir wär es Trost, du würdest auch mal leiden
und fühltest dich , wie ich heut, fürchterlich.
Denk nur nicht, dass ich dich gern wieder hätte."

Gruß
guelle
 

zanzara

Mitglied
@ guelle,
Das Leben ist nicht nur schwarz oder weiß und diese Gedanken sind keine Rachegefühle. Ich finde es normal einer "alten Liebe" nachzutrauern. Man erinnert sich und wünscht sich, dass auch dem Anderen die Beziehung noch etwas bedeuten möge. So ist auch das Leiden gedacht, als kleiner Schmerz, der sich beim Anderen einstellen soll, wenn er an das Schöne gemeinsamer Zeiten denkt.
Ein leises Bedauern, ohne den Wunsch einer Fortsetzung ist für mich auch durchaus logisch.
Eigentlich kann man das alles aus dem Text herauslesen.
Gruß
Brigitte
 
H

HFleiss

Gast
Lapismont, vielleicht bist du ein bisschen zu streng. Zugegeben, es hätten vielleicht auch wilde Glockenblumen sein können, die sich winden statt der Rosen. Mir scheint aber, du hast die Situation in dem Gedicht nicht ganz verstanden, wenn du in dem Raucher einen Herrn vermutest. Jede Trennung hinterlässt etwas, ein bisschen Wehmut, und bei der Wiederbegegnung lebt der Schmerz wieder auf. Und ich finde, das ist der Autorin wirklich gut gelungen, das darzustellen in diesem auch handwerklich gut gemachten Sonett.

Gruß
Hanna
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo,

ich bin ja der Leser, das Gedicht steht in "Ich"-form. Insofern visualisiere ich mich darin. Daher der Mann.
:)

Wenn die Weiblichkeit von Ich relevant ist, sollte Sie da stehen.
Offensichtlich ändert sich die Bedeutung mit dem Geschlecht. Für mich ist es die verpasste Gelegenheit, ein alter Mann der seiner Jugendliebe nachtrauert, als er ihr altes Elternhaus wiedersieht.
Mhm. Der Schal passt da nicht ganz, der fiel mir vorher gar nicht auf.

Wenn Ich weiblich wäre, könnte man sogar an eine Mutter denken, die ihrer verlorenen Tochter hinterhertrauert. Da passt dann allerdings die Schwester nicht.

Schwierig wird es mit der letzten Strophe. Da fällt mir wenig anderes zu ein, als Bitterkeit und Trauer um die verpasste Chance.

Wie auch immer, ich finde das Gedicht immer noch nicht schlüssig, selbst wenn die Klischees keine sein sollten.

cu
lap
 
H

HFleiss

Gast
Die homosexuelle Beziehung wäre auch eine Möglichkeit, es gibt aber keinen Hinweis darauf.
Ich finde die Situation eindeutig. Keine große Liebe stirbt auf immer.

Gruß
Hanna
 
L

Law

Gast
@ zanzara,

interessant, das jemand sogar in Frage stellt ob eine Frau oder ein Mann der Zigarrettenraucher ist. Für mich ist der Hinweis (neben der Tatsache das eine Frau laut Profil in ICH-Form schreibt)mit dem gestricktem Schal der Signifikante auf einen Mann. Gut der Hinweis es könne ein evt. homosexueller Mann sein ist nicht ausgeschlossen bei der Phantasie mancher Menschen könnte es sogar ein homosexueller, einbeiniger Liliputaner sein, der nun sein Haus verliess um mit einem kleinem Wandercircus von Ost nach West zu reisen.
Diese Zeile:
Mir wär es Trost, du würdest auch mal leiden
und fühltest dich , wie ich heut, fürchterlich.
Denk nur nicht, dass ich dich gern wieder hätte.
ist für mich der Hinweis auf weibliche Rache im Gesamtext passt das also gut zum Thema, Wehmut inkl. Rachegelüste und sich zurückgesetzt fühlen.

Ernsthaft:
Ich finde es interessant und gut geschrieben, nur die Reimform ist dafür evt. nicht gut geeignet oder nicht gut umgesetzt, weil es liest sich als Reim nicht gut. Weil dieser umgekehrte Rhytmus der letzten beiden Abschnitte (ABC, CBA) gefällt mir persönlich nicht. Dieses würde ich persönlich als Empfehlung ändern.
Ich werde aber keine Wertung abgeben weil ja geballter lyrischer Sachverstand (also hier Mitglieder die sich diesbezgl.etabliert haben)bereits hohe Wertungen abgaben. Ich denke evt. liegts an meinem pers. Geschmack, das ich da nicht mehr als eine sieben geben würde.

lieber Gruß
Law
 
H

HFleiss

Gast
Wie kommst du auf geballten Sachverstand? Wenn einer lange schreibt, kann er auch lange Mist schreiben, oder? Ich würde nicht ganz so formal herangehen. Die Autorin hat ein echtes Anliegen, und meiner Ansicht nach bringt sie das auch schnörkellos herüber, für mich besticht das Gedicht gegenüber so vielen anderen (auch wegen des Formalen), die ich hier in der Lupe lese (oder auch nicht). Wobei die Lupe selbstverständlich nicht der Maßstab ist.

Gruß
Hanna
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo

Ich weiss auch nicht, was es zu mäkeln gibt.
Das Sonett ist gelungen; gerade die recht moderne Sprache in Einklang mit der klassischen Form zu bringen ist nicht einfach. Auch an den Rosen störe ich mich nicht, da die Metapher zwar abgedroschen ist, hier aber passt und unverkrampft vorgetragen wird, genau wie die anderen bekannten Bilder. Ein altes Süppchen, frisch aufgekocht und gut gewürzt. Ein bewährtes und gutes Rezept. Schmackhaft.

Gruss

Jürgen
 

gareth

Mitglied
Vielleicht können wir uns darauf verständigen,

dass die Zigarette einfach deshalb geraucht werden muss, damit die Schlusszeile mit wieder hätte enden kann.

Inhaltlich scheint mir klar zu sein, dass das lyrische Ich eine Raucherin ist (weil sie doch halt den Schal gestrickt hat :eek:)) und ob sie einem Mann oder einer Frau nachtrauert ist nicht wesentlich. Auf jeden Fall tut sie das und drückt es aus in einer ironischen Weise, die ihr hilft, es zu ertragen.

Ansonsten bin ich der Meinung, dass lapismont einerseits natürlich Recht hat und, vermutlich ungewollt, viele altbekannten Bilder in den Text eingeflossen sind. Das stört mich allerdings nicht sehr. Dagegen finde ich es schade, dass die letzten drei Zeilen so deutlich abfallen:

auch mal leiden finde ich schon ziemlich schwach,
fürchterlich scheint mir in diesem Zusammenhang auch ein zu schlichtes Wort und
wieder hätte wär an sich in Ordnung, wenn nicht die arge Verbindung mit der Zigarette wäre :eek:)


Grüße
gareth
 



 
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