Eine merkwürdige Begegnung

leselupe

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Dieser Text ist eine Fortsetzungsgeschichte und wurde in der „Schreibaufgabe November 2002“ von folgenden Autorinnen und Autoren verfasst:
Aceta, Bilbo, Frieda, Intonia, Renee Hawk, Stella, sternchen700, Zeder.


Eine merkwürdige Begegnung

Wie jeden Donnerstag holte ich meine Tochter von ihrem nachmittäglichen Malunterricht in der "Kindermalschule Janssen" ab. Die Malschule war leider recht verkehrsungünstig situiert; weder per Bus noch Straßenbahn erreichte man sie auch nur annähernd.
So stand ich also draußen an mein Auto gelehnt und wartete. Mit mir warteten noch andere Eltern und auch ein älterer Mann (wohl auf seine Enkelkinder).
Nach etwa zehnminütiger Wartezeit kamen einige Kinder heraus; meine Tochter war immer noch nicht dabei. Der ältere Mann sah sich die Kinder an, schüttelte mit dem Kopf und kam auf mich zu.
"Entschuldigen Sie, können Sie mir vielleicht sagen, wo ich bin? Ich kenne mich hier nicht aus und habe mich verlaufen."
Ich fragte ihn, woher er denn gekommen sei. Er wusste es nicht. Er wusste auch nicht, ob er alleine oder in Gesellschaft hierher gekommen war. Er wusste allerdings, dass er in dieser Stadt wohnte. Aber nicht, WO er wohnte.
Als ich ihn fragte, wie er denn hieße, sagte er:
"Das habe ich vergessen. Ich weiß es nicht. Entschuldigen Sie, aber ich muss mich an diese Situation erst gewöhnen."
Entgeistert schaute ich ihn an. Sammelte mich einen Moment und griff behände unter seinen Arm.
»Sie haben doch bestimmt Ihre Brieftasche dabei?«
»Ich weiß es nicht.« Seine rechte Hand tastete in Brusthöhe über seinen Mantel, dann schüttelte er den Kopf.
»Ein Portemonai vielleicht?«
Seine Hand klopfte an seiner Gesäßtasche, dann schüttelte er wieder den Kopf. »Tut mir leid«, fügte er verwirrt hinzu.
»Macht nichts, wir werden Sie schon finden«, sagte ich schmunzelnd und überspielte so meine Unsicherheit. Meine Augen flogen über die Köpfe der herausströmenden Kinder, meine Tochter konnte ich noch immer nicht entdecken. Nervös blickte ich auf meine Armbanduhr. Es wurde höchste Zeit.
»Ich muss nach oben, schauen wo meine Tochter bleibt. Sie hätte schon längst hier sein müssen. Bitte warten Sie solange auf uns.«
»Das werde ich gerne machen«, sagte er und lehnte sich an meinen Wagen, während ich in Richtung Gebäude ging und schnellen Schrittes die vierzehn Treppenstufen hinauflief.

Unterwegs dachte ich an meine Schwester Christiane. Sie war Krankenschwester und wusste sicher, was man in einer solchen Situation machen musste. Vielleicht wusste sie auch, was mit dem Mann los war. War es ein vorübergehender Anfall geistiger Verwirrtheit oder chronische Alzheimer? Ich blieb vor der Tür zur Malschule stehen und fummelte mein Handy aus der Manteltasche, drückte die Kurzwahltaste und wartete. Nachdem das Rufzeichen eine Weile alarmiert hatte, meldete sich die Automatenstimme. So ein Mist, immer wenn man dringend jemand braucht, ist er nicht erreichbar. Ich hinterließ eine Nachricht in ihrer Mailbox und überlegte fieberhaft, was zu tun sei. Sollte ich einfach die Polizei alarmieren? Es war schließlich ihre Aufgabe, hilflose Personen einzusammeln und ihren Angehörigen zuzustellen. So hilflos schien mir der Mann aber nicht. Er war nur nicht im Bilde, wer und wo er war. Aber wie war er hierher gekommen? Offensichtlich zu Fuß. Also konnte er auch nicht allzu weit entfernt wohnen. Meine Neugier ließ mich die Idee mit der Polizei erstmal vergessen.
"Mami, schau mal, was ich heute gemalt habe!" Die Stimme meiner Tochter unterbrach meine Gedanken. Sie hielt mir ihren Zeichenblock unter die Nase und ich musste laut losprusten.
“Sag mal, Annabelle, hast Du das Bild etwa auch Frau Janssen gezeigt?“ fragte ich sie grinsend.
„Na klar! Wir sollten jemanden malen, der komisch oder lustig aussieht. Sie meinte wohl einen Clown oder so was. Ich finde aber, dass Frau Janssen komisch aussieht. Sie hat so eine lange Nase und immer so altmodische Sachen an und so…“
„Verstehe. Und Du dachtest beim Zeichnen an Harry Potter und die Professorin Sprout. Deshalb hat sie auch lauter Grünzeug anstelle von Haaren auf dem Kopf, oder? Was hat Frau Janssen denn dazu gesagt?“
„Sie fand es gut, glaube ich. Sie hat ein bisschen gelacht.“
Während unseres Gesprächs waren wir die Treppe wieder hinuntergegangen. Ich öffnete die Tür, die aus der Malschule herausführte. Draußen wurde der alte Mann gerade freudig von einem kleinen Mädchen begrüßt. Er nahm es an die Hand und ging mit ihm gemeinsam zu einem roten Wagen, der ganz in der Nähe von meinem abgestellt war. Er öffnete die Autotür, das Mädchen kletterte auf den Rücksitz und wurde von ihm angeschnallt. Als Annabelle und ich uns unserem Auto näherten, meinte ich, dass das Mädchen Annabelle kurz zuwinkte, bevor der rote Wagen davonfuhr.
"Das war doch Christine!" rief ich erschrocken.
"Ja, warum?"
"Sie sitzt bei dem alten Mann im Auto!" erwiderte ich mit vor Überraschung weit aufgerissenen Augen.
"Klar, ist doch ihr Opa!" kopfschüttelnd blickte mich meine kleine Tochter an. "Heute holt er sie eben ab, na und?"
"Hat er das schon öfters getan?"
"Ja, letzte Woche. Er hat ein tolles Auto, gell! Christine hat erzählt, dass es ganz schnell fahren würde! Sie haben einen ganz tollen Ausflug gemacht!"
"Aha......Ausflug.....schnell fahren...Hilfe" murmelte ich vor mich hin während wir ins Auto einstiegen. Ich fand es unfassbar, dass ein so alter Mann, der anscheinend nicht im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten war, Auto fuhr und dies auch noch in Begleitung seines Enkelkindes. Mir war vor Angst und Sorge ganz bang. Es war nicht Auszudenken, was passieren könnte, wenn er während der Fahrt wieder einen solchen Gedächtnisverlust erleiden würde.
Ich wusste, diese eigenartige Begegnung wurde mir keine Ruhe lassen und so beschloss ich, zu Hause angekommen, sofort Christines Eltern anzurufen.
Zum Glück hatten wir eine Telefonliste daheim, auf der alle Mitschüler Annabelles aufgelistet waren und so war es nicht schwer Christines Eltern zu erreichen.
"Arnegger" meldete sich eine leise Stimme am Telefon.
"Guten Tag, ich bin Frau Schröder, die Mutter von Annabelle. Ihre Tochter Christine geht zusammen mit meiner Tochter in die Malschule für Kinder" meldete ich mich ein wenig unsicher.
"Was ist mit Christine, wissen sie wo sie ist?"
Mir blieb das Herz fast stehen. Die Stimme klang so unendlich verzweifelt und in Sorge, dass es mir durch Mark und Bein fuhr.
"Sie wurde von einem älteren Herren an der Malschule abgeholt", erklärte ich, versuchte, jetzt nicht zu dramatisieren, war aber zugleicht tief beunruhigt, die Mutter des anderen Mädchens so verzweifelt zu finden.
Seit das rote Auto weggefahren war mochten inzwischen vielleicht zwanzig Minuten vergangen sein. Solange hatten wir gebraucht, heim zu kommen.
"Wir wohnen beinahe gegenüber der Schule", sagte Christines Mutter, "sie müsste längst daheim sein!"
"Ihre Tochter wurde von einem älteren Herrn mit einem roten Auto abgeholt. Sie kannte den Mann offensichtlich gut" - ich erinnerte mich, dass sie den Mann freudig begrüßt hatte.
Am anderen Ende der Leitung glaubte ich ein Aufatmen zu hören.
"Das - das war wahrscheinlich mein Schwiegervater", erklärte Frau Schröder mit deutlich gefestigter Stimme.
"Wußten Sie denn nicht, dass er Ihre Tochter abholten wollte?"
"Nein, aber er hat das früher oft getan, im gleichen Gebäude ist ja auch Christines Kindergarten."
Früher - sie hatte das Wort irgendwie eigenartig betont.
"Früher?" fragte ich deshalb intuitiv.
"Er - er ist krank", sagte die Frau leise.
"Ohh!" entfuhr es mir.

Ich dachte daran, wie unsicher und verwirrt der Mann mir erschienen war, liebenswert freundlich - aber doch völlig desorientiert!
"Darf er denn noch mit dem Auto fahren?"
Die Frau am anderen Ende der Leitung schluckte hörbar.
"Ich glaube nicht", sagte sie leise. "aber er ist ein Autonarr und war viele Jahre lang Testfahrer bei-" mehr verstand ich nicht, weil meine Tochter uns lautstark unterbrach.
"Mama - Mama!" rief Anabelle.
"Pssst - ich telefoniere doch!" flüsterte ich etwas ungehalten.
"Aber Mama!"
Verärgert versuchte ich mit einem strengen Blick meine Tochter zum Schweigen zu bringen, die aufgeregt auf dem Sofa hüpfte. Mit dem Finger wies ich sie an, sofort mit den Schuhen vom Sofa zu steigen.
"Mama - da draußen ist Christine!"
"Frau Arnegger, bleiben Sie bitte kurz am Apparat!"
Ich legte den Hörer neben das Telefon und lief vors Haus. Am Gehsteig stand Christine mit tränenüberströmtem Gesicht. Ich hob sie hoch, versuchte sie zu beruhigen und ging mit ihr zurück ins Wohnzimmer. Dort nahm ich - die Kleine immer noch im Arm - den Hörer wieder auf.
"Hier bin ich wieder, Frau Arnegger. Können Sie vielleicht vorbeikommen? Christine ist hier. Sie wirkt ziemlich verstört."
Ich hörte ein erleichtertes Aufatmen. "Ich bin schon unterwegs, Frau Schröder. Die Adresse habe ich."
Damit legte sie auf.
Ich setzte Christine auf dem Sofa ab und wischte ihr mit dem Handrücken die Tränen ab.
Annabelle saß mit großen Augen daneben.
"Wo ist denn Dein Opa? Hat er Dir was getan? Bitte weine doch nicht mehr!" Damit umarmte sie ihre Schulfreundin.
Ich nahm meine Tochter an der Hand und bat sie, nun ihre Hausaufgaben zu machen, damit Christine sich etwas ausruhen konnte und war erstaunt, dass sie nicht protestierte. Scheinbar erkannte sie den Ernst der Lage. Christine hatte sich inzwischen etwas beruhigt. Sie wirkte erschöpft.
"Leg Dich ein bisschen hin, Kleines. Hier hast Du eine Decke. Deine Mutter wird gleich hier sein, aber wir werden uns noch etwas unterhalten. Du kannst es Dir also ruhig gemütlich machen."
Sie blickte mich unsicher an. "Danke, Frau Schröder, aber der Opa..."
"Ja, was ist denn mit ihm? Wo ist er denn?"
"Ich weiß nicht. Er fuhr wieder so schnell - schneller als sonst. Da bekam ich Angst und musste weinen. Ich sagte ihm, dass ich zu meiner Mama will. Das hat ihn wohl traurig gemacht, denn er tat auf einmal so, als ob er mich nicht mehr kennen würde."
Ich strich ihr beruhigend über die Stirn. Wahrscheinlich hatte er sie plötzlich tatsächlich nicht mehr erkannt. Ich hatte ihn ja erlebt.
"Versuch doch, etwas zu schlafen! Wir reden nachher weiter."
Ich ließ sie auf dem Sofa liegen und ging in die Küche, um Kaffee aufzustellen. Um Christine nachher nicht zu stören, deckte ich den Küchentisch.
Ich war schon neugierig, was Frau Arnegger mir über ihren Schwiegervater erzählen würde. Ob er wohl alleine lebte oder in einer Anstalt? Das Läuten der Türglocke schreckte mich aus meinen Gedanken. Schnell lief ich zur Tür, damit Christine nicht aufwachte, sofern sie schon eingeschlafen war. Im Vorbeigehen sah ich, dass sie tatsächlich friedlich schlief.
"Hallo Frau Arnegger!" begrüßte ich sie leise. "Ihre Tochter schläft, und ich habe uns Kaffee gekocht."
Auf dem Weg in die Küche blieb sie vorm Sofa stehen und strich Christine zärtlich eine Strähne aus der Stirn.
"Ich hoffe, Sie mögen Kaffee? Ich habe leider kein Gebäck dazu."
"Danke, gerne. Und der Hunger ist mir auch vergangen. Sie sagten, sie hätten meinen Schwiegervater gesehen? Welchen Eindruck machte er auf Sie? Ich meine, wirkte er schwach und müde?
"Nein, überhaupt nicht. Er war nur ziemlich verwirrt - wusste nicht mal, wer er war! Deshalb war ich auch so erschrocken, als ich Ihre Tochter in sein Auto einsteigen sah. Was ist denn mit ihm?"
Frau Arnegger seufzte. "Er hat die Alzheimer, und es wird immer schlimmer. Eigentlich hat er eine Pflegerin, doch allem Anschein nach ist sie mehr mit sich selbst beschäftigt als mit ihm. In letzter Zeit ist er immer öfter ausgebüchst. Und egal, wo wir den Autoschlüssel verstecken, er findet ihn immer wieder! Christine weiß eigentlich, dass sie nicht mit ihm mitfahren darf, doch sie liebt ihn heiß und innig..."
"Wir müssen ihn suchen. Christine sagte, er tat plötzlich so, als ob er sie nicht mehr kennt. Ich nehme an, dass er sie in dem Moment tatsächlich nicht mehr kannte."
Plötzlich läutete das Telefon. Ich entschuldigte mich kurz und nahm den Hörer auf. Es war meine Schwester Christiane.
"Du, stell Dir vor. Bei uns wurde gerade ein total verwirrter Mann eingeliefert, und als Adresse gab er die Malschule von Annabelle an! Ist das nicht seltsam?"

"Mensch Chrissi, das gibt's doch nicht", vor Überraschung musste ich mich erstmal setzen. "Ich glaube, das ist er."
"Das ist wer? Jetzt sag mir doch mal, worum es eigentlich geht. Ich hatte vorhin so eine seltsame Nachricht von dir auf der Mailbox, irgendwas von einem verwirrten Mann. Und dieser Mann, der bei uns eingeliefert wurde, kennst du ihn? Und was hat Annabelles Malschule mit der Sache zu tun? Es geht ihr doch gut, Annabelle meine ich?"
"Jaja, Annabelle ist in Ordnung", unterbrach ich den Redeschwall meiner Schwester. "Wir suchen Christines Opa, er ist anscheinend zeitweise verwirrt und weiß nicht, wer er ist. Heute hat er Christine von der Malschule abgeholt. Christine ist hier, sie ist vollkommen verstört, wir konnten sie noch nichts fragen."
"Was ist denn? Haben sie ihn gefunden?", Frau Arnegger war aufgesprungen und versuchte nach dem Hörer zu greifen. Gleichzeitig redete meine Schwester am Telefon auf mich ein: "Wer ist Christine? Sag mal, was ist denn eigentlich bei euch los? Und was ist das für ein Geschrei im Hintergrund?" Jetzt hörte ich es auch, aus dem Wohnzimmer tönte ein verzweifeltes Weinen: "Muttiiiiii, ich will heim, ich hab so Aaaangst ..."
Ich überließ es Frau Arnegger nach ihrer Tochter zu sehen. "Hör zu Chrissi, zum Erklären ist jetzt keine Zeit. Ich komme sofort und bringe Frau Arnegger mit. Wenn wir Glück haben, ist der Mann ihr Schwiegervater."

Inzwischen war es im Wohnzimmer still geworden, vorsichtig lugte ich durch die Tür. Christine war im Arm ihrer Mutter wieder eingeschlafen. Sie schien Fieber zu haben, einige schweißnasse Strähnen klebten an ihrem hochroten Gesichtchen. "Wie geht es ihr?", flüsterte ich. "Ich glaube, ich bringe sie besser nach Hause, sie fantasiert irgendetwas von einem Monster", antwortete Frau Arnegger. Man sah ihr an, dass sie sich große Sorgen machte, nicht nur um ihre Tochter. "Dann fahre ich allein in die Klinik, es kann sein, dass wir Ihren Schwiegervater gefunden haben. Keine Sorge, es wird bestimmt alles wieder gut", versuchte ich sie zu trösten. "Mama, ich komme mit", Annabelle war unbemerkt wieder ins Zimmer getreten. "Nein Bella, du bleibst besser hier, außerdem kommt Papa gleich." Ich hätte sie zwar lieber mitgenommen, aber ein leichter Druck in der Schläfengegend ließ mich böses ahnen. Oh nein, nicht auch das noch! Eine Migräne konnte ich mir jetzt auf keinen Fall leisten.

So schnell es der dichte Feierabendverkehr erlaubte, fuhr ich zum Krankenhaus, während ich versuchte, den pochenden Schmerz in meinen Schläfen zu ignorieren.
„Na endlich! Wo warst du denn so lange? Zwei unserer Pfleger versuchen mit allen Kräften, den Mann davon abzuhalten, wegzulaufen. Aber er lässt sich einfach nicht beruhigen. Komm mit!“ brach Chrissies Redeschwall auf mich ein, kaum dass ich das Krankenhaus betreten hatte. Ich eilte ihr durch den Flur und in ein momentan unbelegtes Zimmer hinein nach. Chrissie hatte nicht zuviel versprochen: In der Tat schien der Mann, der eindeutig der vermisste Großvater war, für sein Alter ungewöhnlich kräftig zu sein, so dass die beiden Pfleger große Mühe hatten, ihn zu bändigen.
„Bitte bringen Sie ihn zu meinem Wagen, ja?“ bat die sie, was den Ausdruck großer Erleichterung auf ihren Gesichtern hervorrief. Der Alte leistete erstaunlicherweise kaum Widerstand, und ich fragte mich, ob er mich wohl erkannt haben mochte. Doch weder die Antwort auf diese Frage noch irgendetwas anderes war aus ihm herauszubekommen. Während der Fahrt zum Haus der Arneggers saß er steif und scheinbar geistig vollkommen abwesend neben mir. Nach einiger Zeit gab ich es auf, weitere Fragen zu stellen, und beschloss, das seiner Familie zu überlassen.

Als wir schließlich das Haus erreichten, erwartete uns eine dankbare Frau Arnegger, der sichtlich ein Stein vom Herzen fiel, nun, da sie der Sorge um ihren Schwiegervater ledig war.
„Ich weiß gar nicht, wie ich ihnen danken soll...“, sagte sie unter immer neuem Händeschütteln, nachdem der Alte in sein Bett gebracht worden war. Er musste von seinem kleinen Ausflug sicher erschöpft sein. Genau wie ich.
„Kann ich irgendetwas für sie tun? Sagen Sie es mir ruhig!“ fragte Frau Arnegger mich schon wieder.
„Wenn Sie vielleicht eine Aspirin hätten?“ brachte ich unter schmerzhaftem Lächeln hervor.
Meine Kopfschmerzen waren mittlerweile wirklich nahezu unerträglich.
„Aber sicher doch, kommen Sie nur mit!“ forderte sie mich auf. Ich folgte ihr in die Küche, wo sie nach der Packung Aspirin suchte.
„Wissen Sie, ich habe ständig versucht, die Pflegerin meines Schwiegervaters zu erreichen, aber sie geht einfach nicht ans Telefon. Es wird ihr doch hoffentlich nichts passiert sein...“ teilte sie mir unterdessen ihre Gedanken mit.
Ich versuchte sie zu beschwichtigen. „Aber nein, bestimmt nicht. Oder meinen Sie etwa, Ihr Schwiegervater hätte sie erdrosselt und dann im Kofferraum ihres Wagens versteckt?“ Ich lachte gequält auf und schluckte dann das Glas Wasser mit der Aspirin, das Frau Arnegger mir soeben gereicht hatte. Als ich wieder aufschaute, blickte ich einer leichenblassen Frau Arnegger ins Gesicht.
„Der Wagen...“ stammelte sie. „Oh, mein Gott, der Wagen...“
„Was ist mit dem Wagen?“ fragte ich ahnungslos.
„Nichts... – Wo ist er? Wo ist der Wagen?“ Schon war sie aufgestanden und lief in das Zimmer ihres Schwiegervaters. Ratlos blieb ich allein in der Küche zurück. Ich ließ den Blick über die Schränke schweifen, am Kühlschrank vorbei, über das Messerbord, dann zur Spüle... – aber da war doch etwas an dem Messerbord. Eines der Messer war komplett rot gefärbt. Das war doch Blut!? Frisches Blut!

Es ist mir im Nachhinein unglaublich, wie ich auf das blutgetränkte Messer in der Spüle reagierte. Lag es an meinen dröhnenden Kopfschmerzen oder an der Hektik des Tages, ich verspürte keine Angst. Gleich Sherlock Holmes, oder irgendeiner anderer mutigen Kriminalfigur folgte ich Frau Arnegger auf leisen Sohlen um an der Zimmertür ihres Schwiegervaters zu lauschen.
"Vater, sag, wo ist das Auto?"
"Du warst sehr böse, Kind!"
"Ich weiß Papa, aber es war ein Unfall, ich wollte ihn nicht töten. Sie auch nicht. Aber es ist passiert. Du weißt, dass ich das nicht wollte. Was hast du mit dem Auto gemacht?"
"Es ist weg. Keiner wird es finden. Ich habe es im See versenkt. Es wird alles gut werden, Kleines. Er wird weder dir noch Christine noch mir je wieder etwas anhaben können."
Das war genug gehört. So leise wie ich konnte, schlich ich zurück in die Küche, riss ein Küchenpapier von der Rolle, nahm damit den Griff des Messers und packte es schnell in eine leere Plastiktüte, die auf dem Küchentisch lag.
Danach verließ ich so schnell ich konnte das Haus und fuhr zum Polizeirevier.
Onkel Franz, ja der konnte mir helfen. Selbst wenn es sich hier um einen Irrtum handeln sollte, ihm konnte ich mich anvertrauen.
Zunächst erschien ihm meine Geschichte natürlich sehr sonderbar. Schließlich war bis jetzt weder eine Vermisstenanzeige eingegangen, noch sonstiges über Familie Arnegger bekannt. Der Name der Pflegerin des Großvaters konnte ermittelt werden. Aber auch sie hatte ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis.
Ich kam mir fast vor wie eine Verrückte und nahm schon an, ich hätte überreagiert, als plötzlich das Telefon in Onkel Franz Dienstzimmer klingelte. Schon an seinem Gesicht konnte ich erkennen, dass irgend etwas passiert sein musste. Als ich dann dem Gespräch entnehmen konnte " Auto...Stadtsee...zwei Tote" war mir alles klar.

Frau Arnegger ist inzwischen wegen zweifachen Mordes angeklagt. Es kam heraus, dass ihr Mann ein Verhältnis mit der Pflegerin ihres Schwiegervaters hatte. Frau Arnegger muss die beiden so zu sagen "in Flagranti" erwischt haben. Danach muss es zu einem handgreiflichen Streit gekommen sein, bei dem ihr Mann und seine Geliebte mit mehreren Messerstichen ums leben kamen. Auch wurde bekannt, dass der Mann Frau Arneggers ein starker Alkoholiker war, der seine Familie ständig tyrannisierte, was erklären könnte, warum der Schwiegervater zu ihr, anstatt zu seinem Sohn hielt. Es wird inzwischen vermutet, dass ihr Schwiegervater sogar an diesem Streit beteiligt gewesen sein muss, da Frau Arnegger allein kräftemäßig kaum in der Lage zu sein scheint, zwei Menschen zu töten. Aber momentan nimmt sie noch die gesamte Schuld auf sich. Sie gibt nur an, dass ihr Schwiegervater ihr geholfen habe die Leichen in den Kofferraum des Autos getragen zu haben.

Egal aber, wie der Fall Frau Arnegger`s und ihres Schwiegervaters ausgeht, eines weiß ich gewiss: Das Leben der kleinen Christine wird wohl nie wieder das Selbe sein, wie es vor diesem Tage war.
 
Der Anfang liest sich zäh, da könnte man ein wenig mehr Fluss und Esprit reinbringen.
Ab und an schweift die Geschichte sehr vom eigentlichen Thema ab, gerade wo es anfängt spannend zui werden, ist dies störend.
Und Meister Zufall hat ziemlich oft Pate gestanden, oder?
 



 
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