Eine zweite Chance

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gerian

Mitglied
"Kennen wir uns?"
"Gewiss, seit fünfzig Jahren..."
"Aber ich nicht dich."
"Das mag daran liegen, dass du mich aus den Augen, pardon, aus dem Bewusstsein verloren hast."
"So soll es auch bleiben, lass mich in Ruh."
"Wolltest immer mit dem Kopf durch die Wand."
"So ist das Leben."
"Nein, so bist du."
"Hast nicht auf mich hören wollen, steckst jetzt mittendrin."
"Wo rin?"
"Im Schlamassel."
"Was weißt du schon davon?"
"Alles! Alles weiß ich über dich."
"Wie kann das sein? Gefeuert, jeden Dritten von uns, auch mich."
"Such dir einen neuen Job."
"Zu alt."
"Wer sagt das?"
"Ich."
"Nein, so bist du."

Schweigen.

"Sabrina ist auf und davon, mit einem anderen Kerl."
"Sei froh drüber, Eure Ehe taugte ohnehin nichts. Sie war doch ständig auf der Pirsch nach Affären, während du dich abrackertest, auch Ihretwegen."

Schweigen.

"Ich kann die Raten für das Haus nicht mehr bezahlen."
"Pfeif auf dein großes Haus, zieh in eine Wohnung."
"Bist du meschugge, ich zieh doch nicht in eine enge Behausung."

"Sieh, so bist du."
"Blödsinn."

Martin hatte aufgehört, um den Tisch herumzulaufen, so als fühlte er sich verfolgt. Erschöpft ließ er sich in den Sessel fallen und stierte vor sich hin.
Dann sprang er auf, hastete zum Sideboard und schenkte nach.
Er nahm einen kräftigen Schluck.
Er eilte zur Terrassentür und öffnete.
Sonnenlicht flutete herein.
Martin holte tief Luft.
Blinzelte zum Sommerflieder hinüber.
Der Wind verschwendete Blütenduft.
Eine Amsel stimmte ihren Abendgesang an.
Eine andere, weiter weg, erwiderte zaghaft.
Martin nahm das alles nicht wahr.
Sein Leben wir ihm sinnlos geworden.
Er wollte nicht mehr.
Hatte verloren.

"Sieh, so bist du."
"Blödsinn."

Er wollte raus hier. Es zog ihn zum nahen Fluss.

Als er den Marktplatz überquerte, begegnete er zwei nadelgestreiften Anzügen. Die Männer darinnen erkannte er sofort wieder.
Einer dieser Banker hatte ihn gefeuert.
Die Beiden schauten zu ihm hinüber.
Es war ihm, als zögerten sie.
Dann gingen sie grußlos weiter.

Endlich hatte er den Promenadenweg am Fluss erreicht. Er setzte sich auf eine Bank und schaute gedankenverloren zum Ufer hinüber. Dort jagte ein blonder Junge ferngesteuert sein Motorboot über das Wasser.
Paare flanierten vorüber. Hand in Hand.
Er dachte an Sabrina.

Ein zerlumpter Mann schob einen Einkaufswagen mit Plastiktüten beladen vorbei.
Martin erschauerte.
"Hallo, Sie da, warten Sie..."
"Meinen Sie mich?", fragte der Obdachlose erschrocken. Martin näherte sich ihm und steckte dem Bärtigen einen Geldschein zu.
"Oh danke der Herr, je später der Abend, desto spendabler..., leben Sie wohl."

Martin versuchte zu lächeln.
Es misslang ihm, die schweren Mundwinkel zu bewegen.
Er nahm den Weg zur Brücke.
Blickte vom Geländer hinab.
Purpurrot schlängelte sich der Fluss zwischen die Brückenpfeiler.
"Wie eine Hölle", schüttelte er sich.
Er sehnte sich danach, endlich den Rest seines Lebens zu verlieren.
"Dieses verkorkste Leben."
"Nein, so bist du."
"Du schon wieder?"
"Mach das nicht!"
"Wovon redest du?"
"Von deinem Sprung in die Tiefe, aus der du nicht mehr zurückkehren kannst."
"Woher willst du das so sicher wissen?"
"Alles, alles weiß ich über dich."
"Und ich sage dir, du übertreibst maßlos."
"Der Sprung ist meine Erlösung."

Dann erblickte er ihn, den blonden Kopf im Wasserstrudel.
Martin erstarrte.
Rief jemand zu ihm hinauf?
Der Junge!
Der Junge mit dem Boot.
Martin schwang sich auf das Brückengeländer.
Er sprang, ohne zu zögern.
Fiel, fiel wie ein Stein.
In den Ohren donnerte Gewitter.
Das Herz raste im Halse.
Als er aufschlug, teilten sich die Fluten, die ihn runter zogen.
"Meine Erlösung?"
Die Luft, die Luft zum Atmen blieb ihm weg.
Nein, er wollte nicht.
Er wollte weiterleben.
`Raus hier.`
Er schwamm nach oben, wo der Feuerball brannte.

Der Junge!
Er umfasste dessen Kinn.
Schwamm rücklings, endlos lang, zum rettenden Ufer.
Dort standen Leute und glotzten.
In der Ferne ein Martinshorn heulte.
Martin presste dem Jungen Atem ein.
Er drückte dessen Brustkorb.
Der Junge erbrach.
Er lebte.
Martin auch.
Ìch hörte eine Glocke in mir klingen.

Der Noffallarzt beugte sich über den Jungen, wendete sich dann Martin zu.
"Sie haben ihm das Leben gerettet, wie ist Ihr Name?"
"Spielt keine Geige, nehmen Sie den Jungen in Ihre Obhut, guten Tag."
 

Haremsdame

Mitglied
Hallo Gerian,

die Idee, die hinter Deiner Geschichte steht, gefällt mir sehr. Die Ausarbeitung dagegen (noch) nicht so ganz.

Das Selbstgespräch, das das Ego des Protagonisten führt, ist sehr deutlich - auch wenn es mich beim ersten Lesen gestört hat, dass es nur durch Schweigen unterbrochen wird. Doch das löst sich auf, als Martin beschrieben wird. Die Umsetzung, in der jeder Satz mit einer neuen Zeile beginnt, finde ich allerdings weniger gelungen.

Warum schreibst Du am Ende plötzlich: "Ìch hörte eine Glocke in mir klingen." Ist dieses "Ich" Absicht? In meinen Augen passt es nicht. Oder wolltest Du damit ausdrücken, dass Martins gespaltene Persönlichkeit nun wieder vereint ist?

Du solltest aus dem Noffallarzt noch einen Notfallarzt machen ...

Mit ein wenig Überarbeitung könnte daraus richtig was werden!
Weiter so!

meint die Haremsdame
 

gerian

Mitglied
Hallo Petra,
Danke!
Ich freue mich, dass dir der Text gefallen hat und auch über deine Zustimmung, dass es ein "ungelöstes" Geheimnis bleiben darf.

Mag sein, dass "purpurrot" so nicht ganz in die Landschaft passt (zum sonst eher "unprätentiösen Stil").

Ich sehe allerdings keine "Geige" (du meintest wohl die "Glocke").
Es stimmt. Da ist ein Stilbruch drin.

Viele Grüße
Gerian.
 

gerian

Mitglied
Hallo, liebe Haremsdame,

"Mit ein wenig Überarbeitung könnte daraus richtig was werden...," das beflügelt mich, liebe Haremsdame, daran zu arbeiten.
Wiederum eine konstruktive Kritik. Danke!

Ich werde es mir abgewöhnen, jeden Satz mit einer neuen Zeile zu beginnen.

"Ich hörte eine Glocke in mir klingen."
Das war so keine Absicht, eher Stilbruch.

Ich sollte beim auktorialen Erzählstil bleiben.

Der Notfallarzt war ein "Unglück".

Danke nochmals.

LG
Gerian
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Gerian,

habe auch hier alles in einem Rutsch gelesen.
Auch hier das Zwiegespräch gelungen.
Die Geschichte ist spannend und ich denke
der Plot funktioniert.

Ein Vorschlag von mir wäre, die Wörtliche Rede
besser in die Geschichte zu binden,

Zeig dem Leser am Anfang wo er mit seinen Lyrich
ist, das federt ein wenig den Lauf der Geschehnisse ab.

Chapeau und weiter so

lg
ralf
 

gerian

Mitglied
Hallo Ralf,

danke dir!
Ich werde darüber nachdenken, wie ich die "wörtliche Rede" besser in den Text hinein arbeiten kann.

Es freut mich, dass du die Geschichte fließend gelesen hast.
So wünsche ich es mir.

LG
Gerd
 

gerian

Mitglied
Es war nicht zum Aushalten. Seit Tagen ging das nun schon so. Unaufhaltsam redete die Stimme auf Martin ein, seit dem er sich hier im Haus verbarrikadiert hatte.
"Kennen wir uns?" "Klar doch, Martin, seit fünfzig Jahren..."
"Ach nee?" "Hast in all den Jahren nicht auf mich hören wollen." So soll es auch bleiben, lass mir meine Ruh!" "Wer ruht, der rostet, wolltest immer mit dem Kopf durch die Wand."
"Kann allein auf mich aufpassen." "Siehst ja, was du jetzt davon hast. Steckst mittendrin im Schlamassel." "Was weißt du schon von meinem Leben?" "Eine ganze Menge, um genau zu sein, seit fünfzig Jahren."
Martin hatte aufgehört, um den Tisch herumzulaufen, so als verfolgte ihn jemand. Erschöpft ließ er sich in den Sessel fallen.
"Sie haben mich gefeuert. Jeden Dritten von uns, auch mich, weil ich fünfzig bin." "Such dir einen neue Job."
"Zu alt." "Wer sagt das?" "Ich!" "Nein Martin, du lässt dich hängen..."
Martin sprang auf, hastete zum Sideboard und schenkte nach. Er nahm einen kräftigen Schluck. Die Pendeluhr tickte in die Stille.
"Sabrina ist auf und davon, mit einem anderen..." "Sei es drum, du weißt um ihre Affären.. nichts getaugt, Eure Ehe."
Schweigen.
"Ich kann nicht mehr..., auch die Raten für das Haus nicht..." Pfeif drauf, zieh in eine Wohnung." Nicht mit mir, zieh doch nicht in so eine enge Behausung."
Martin floh wieder um den Tisch herum, dann zur Terrassentür. Als er öffnete, flutete Sonnenlicht herein. Er holte tief Luft, blinzelte zum Sommerflieder hinüber. Der Wind verschwendete Blütenduft. Eine Amsel lockte. Eine andere erwiderte. Er nahm das alles nicht wahr. Sein Leben war ihm sinnlos geworden. Er wollte nicht mehr, hatte alles verloren.
"So bist du Martin." "Blödsinn." Es zog ihn nach draußen, zum nahen Fluss. Als er den Marktplatz überquerte, begegnete er zwei nadelgestreifte Anzüge. Die beiden Banker darinnen erkannten ihn sofort wieder. Einer dieser Beiden hatte ihn wegrationalisiert. Sie schauten zu ihm, zögerten, und eilten grußlos weiter.
Endlich hatt er den Promenadenweg am Fluss erreicht. Er setzte sich auf eine Bank und schaute gedankenverloren zum Ufer hinüber. Ein blonder Junge jagte ein ferngesteuertes Boot über das Wasser. Paare flanierten vorbei. Hand in Hand. Er dachte an Sabrina.
Ein zerlumpter Mann schob einen Einkaufswagen mit Plastiktüten beladen vorbei. Martin erschauerte: Dünkte sich in dem Obdachlosen zu sehen. "Hallo, Sie da..., warten Sie..." Der alte Mann blieb erschrocken stehen: "Meinen Sie mich?" Er näherte sich ihm und steckte dem Bärtigen einen Geldschein. Martin versuchte zu lächeln. Es gelang ihm nicht, die schweren Mundwinkel zu bewegen. Er nahm die Brücke über den Fluss, blickte vom Geländer herab. Der Fluss lockte zwischen den Pfeilern feuerrot. "Wie eine Hölle," schüttelte er sich. Er sehnte sich danach, den Rest seines Lebens zu abzugeben.
"Verkorkstes Leben." "Nein, du bist so..." "Du schon wieder, lass mir meine Ruh." "Der Sprung hier in die Tiefe wird dir dein Leben kosten." "Ist mir egal." "Martin, du weißt nicht mehr, was du tust." "Lass mir meinen Frieden."
Martin stieg auf die Brückenbrüstung, guckte nach unten und sah ihn, den blonden Kopf, im Strudel unter der Brücke.
´Rief da jemand um Hilfe?´ Er sprang, fiel wie ein Stein. In den Ohren donnerte ein Gewitter. Das Herz raste im Halse. Als er aufschlug, teilten sich die Fluten, die ihn herunterzogen bis in die Abgründe. ´Endlich..., Erlösung.´
Die Luft zum Atmen blieb ihm weg. Nein, er wollte nicht. Er wollte weiterleben. ´Raus hier!´
Er schwamm nach oben, wo der Feuerball brannte. Der Junge!
Er umfasste dessen Kinn, schwamm rücklings, endlos lange, hin zum rettenden Ufer. Dort standen Leute und glotzten. Ein Martinshorn tönte in der Ferne. Martin presste dem Jungen Atem ein. Er drückte dessen Brustkorb. Der Junge erbrach.
Leben!
Beider Leben gerettet.
Der Notfallarzt beugte sich über den Jungen.
Martin folgte seiner inneren Stimme.
 

gerian

Mitglied
Es war nicht zum Aushalten. Seit Tagen ging das nun schon so. Unaufhaltsam redete die Stimme auf Martin ein, seit er sich hier im Hause von der Außenwelt abgeschottet hatte.
"Kennen wir uns?" " Gewiss doch..., seit fünfzig Jahren." "Ach nee?" "Hast nicht auf mich hören wollen..." "So soll es auch bleiben, lass mir meine Ruh!" "Wer ruht, der..., du Eigenbrödler." "Kann allein auf mich aufpassen." "Siehst ja, was du davon hast. Steckst mittendrin im Schlamassel." "Was weißt du schon von meinem Leben?" "Mehr als dir lieb ist..."
Martin hatte aufgehört, um den Tisch herumzulaufen, so als verfolgte ihn jemand. Erschöpft ließ er sich in den Sessel fallen.
"Sie haben mich gefeuert. Jeden Dritten von uns, auch mich, weil ich fünfzig bin." "Such dir einen neuen Job."
"Zu alt." "Wer sagt das?" "Ich!" "Nein Martin, du lässt dich hängen..."
Er sprang auf, hastete zum Sideboard und schenkte nach, nahm einen kräftigen Schluck.
Die Pendeluhr tickte in die Stille hinein.
"Sabrina ist auf und davon, mit einem anderen..." "Sei es drum, du weißt um ihre Affären..., nichts getaugt..., Eure Ehe."
"Ich kann nicht mehr..., auch nicht die Raten für das Haus..." "Pfeif drauf, zieh in eine Wohnung." "Nicht mit mir, ich zieh doch nicht in so eine enge Behausung."

Martin floh wieder um den Tisch herum, dann zur Terrassentür. Als er öffnete, flutete Sonnenlicht herein. Er holte tief Luft, blinzelte zum Sommerflieder hinüber. Der Wind verschwendete Blütenduft. Eine Amsel lockte. Eine andere erwiderte. Er nahm das alles nicht mehr wahr. Sein Leben schien ihm sinnlos geworden zu sein. Er wollte nicht mehr, hatte alles verloren.
"So bist du Martin." "Blödsinn."
Es zog ihn nach draußen, zum nahen Fluss. Als er den Marktplatz überquerte, begegnete er zwei nadelgestreiften Anzügen. Die beiden Banker darinnen erkannten ihn sofort wieder. Einer der Beiden hatte ihn wegrationalisiert. Sie schauten zu ihm, zögerten, eilten dann grußlos weiter.

Endlich hatte er den Promenadenweg am Fluss erreicht. Er setzte sich auf eine Bank und schaute gedankenverloren zum Ufer hinüber. Ein blonder Junge jagte ein ferngesteuertes Boot über das Wasser. Paare flanierten vorbei. Er dachte an Sabrina.
Ein zerlumpter Mann schob einen Einkaufswagen mit Plastiktüten beladen vor sich her. Martin erschauerte: Dünkte sich in dem Obdachlosen wiederzuerkennen. "Hallo, Sie da..., warten Sie..." Der alte Mann blieb erschrocken stehen: "Meinen Sie mich?" Er näherte sich ihm und streckte dem Bärtigen einen Geldschein zu. Martin versuchte zu lächeln. Es gelang ihm nicht, die schweren Mundwinkel zu bewegen.
Er nahm die Brücke über den Fluss, blickte vom Geländer hinab. Feuerrot lockte der Fluss zwischen den Brückenpfeilern. "Wie eine Hölle," schüttelte er sich. Er sehnte sich danach, den Rest seines Lebens zu verlieren.
"Verkorkstes Leben." "Nein, du bist so..." "Du schon wieder, lass mir meine Ruh." "Der Sprung hier in die Tiefe wird dir das Leben kosten." "Ist mir egal." "Martin, du weißt nicht mehr, was du tust." "Lass mir meinen Frieden."
Martin stieg auf die Brückenbrüstung, guckte nach unten und sah ihn, den blonden Kopf, im Strudel unter der Brücke treiben. ´Rief da jemand um Hilfe?´
Er sprang, fiel wie ein Stein. In den Ohren donnerte ein Gewitter. Das Herz raste zum Halse. Als er aufschlug, teilten sich die Fluten, die ihn herunterzogen bis in die Abgründe. ´Endlich..., Erlösung.´
Die Luft zum Atmen blieb ihm weg. Nein, er wollte nicht. Er wollte weiterleben. Wollte sich und den Jungen retten. ´Raus hier!´
Er schwamm nach oben, wo der Feuerball brannte. Der Junge!
Er umfasste dessen Kinn, schwamm rücklings, endlos lange, hin zum rettenden Ufer. Dort standen Leute herum und glotzten. Ein Martinshorn tönte in der Ferne. Martin presste dem Jungen Atem ein, drückte dessen Brustkorb. Der Junge erbrach.
Leben!
Beider Leben gerettet.
Der Notfallarzt beugte sich über den Jungen.
Martin folgte seiner inneren Stimme.
 



 
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