Einen gesüßten Kaffee, bittschön

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Anonym

Gast
Ich sitze in einem fremden Büro. Es ist, als würde ich in einem fremden Café sitzen. Um mich herum schlürfen fremde Menschen ihren Kaffee und schauen auf ihre Bildschirme, als würden sie in den neuesten Feuilleton blicken. Unberührt von meiner Anwesenheit lassen sie sich faszinieren von dem, was außerhalb ihrer selbst geschieht. Bewegungslos hocken sie in ihren Sesseln. Manchmal huscht ein Lächeln über die erhitzten Gesichter. Es ist das ewig gleiche Lächeln. Es ist das Lächeln, welches sich ausbreitet, wenn man meint, einen Fund gemacht zu haben. Einen Fund über die Dinge des Lebens, die einem verschlossen bleiben, solange man sich ihnen verschließt.

Doch solch ein Kaffee lenkt ab. Und auch die neueste Buchrezension lenkt ab. Ebenso wie es ablenkt, dass ich auf den Gedanken komme, mich nicht wie in einem Café zu fühlen. Denn ich sitze in keinem Café. Der Duft dunkler Bohnen täuscht mich. Er weiß mich, für Momente in eine andere Welt zu ziehen. In eine Welt, die mir angenehmer wäre als diese fremde Umgebung, die mich ängstigt, weil sie nichts von der Vertrautheit hat, die ich spüre, wäre ich in einem Café. Ein Café ist offen. Ein fremdes Büro ist nicht jedem zugänglich. Mir ist es lediglich zugänglich geworden aufgrund einer schriftlichen Werbung. Werbung für mich und meine Talente. Talente, von denen ich nichts weiß. In jener Nacht, als ich die Nase voll hatte von diesem anderen Büro, das ich zur Genüge kannte, verspürte ich die Lust auf etwas Fremdes. Dass es mich letztlich lediglich in ein fremdes, wiederum anderes Büro führen würde, war nicht beabsichtigt. Doch meine Talente, die ich in durchdachten Worten auf das Papier bannte, kamen an anderer Stelle siegessicher an. All meine weisgesagten Talente habe ich nun vergessen. Sie schweben im Raum.

Ich sitze in einem fremden Büro. Der Sieg wartet an anderer Stelle.
 
D

Denschie

Gast
Hallo A,
ein bisschen geheimnisvoll kommt dein Text für mich
daher. Es wird nicht ganz klar, was für eine Person
der Erzähler (oder die Erzählerin, aber ich bleibe mal
bei der männlichen Form, weil es mir vorkommt, als
ginge es um einen Mann.) ist. Das lenkt die Aufmerksam-
keit sehr stark auf das, was im inneren seines Kopfes
abläuft. Ich finde, es ist dir gut gelungen, auf dieser
inneren Ebene zu bleiben.
Besonders interessant finde ich den redundanten Gebrauch
der Worte fremd, Büro und Kaffee/Café. Es hat etwas, wie
sie immer wieder auftauchen und miteinander in Beziehung
gesetzt werden. Das Büro ist etwas vertrautes, das man
verließ und nun wieder betrat. Es ist fremd und doch
nur allzu vertraut.

Etwas störend empfinde ich den Schlussteil:

Doch meine Talente, die ich in durchdachten Worten auf das Papier bannte, kamen an anderer Stelle siegessicher an. All meine weisgesagten Talente habe ich nun vergessen. Sie schweben im Raum.

Ich sitze in einem fremden Büro. Der Sieg wartet an anderer Stelle.


Da schwebe ich mit meinem Verständnis im Raum, wie die
Talente. Es klingt so, als sei der Erzähler noch nicht
da, wo er landen wollte, was ja auch durch den Satz
deutlich wird, in dem du schreibst, dass es wieder bloß
ein Büro ist, aber eben ein anderes. Für meinen Geschmack
könntest du da etwas deutlicher werden.

Eine weitere Stelle finde ich unglücklich formuliert.

Es ist das Lächeln, welches sich ausbreitet, wenn man meint, einen Fund gemacht zu haben. Einen Fund über die Dinge des Lebens, die einem verschlossen bleiben, solange man sich ihnen verschließt.

Das klingt sehr allgemein, denn auch wenn es um "das Leben
an sich" geht, darf die Wortwahl ruhig etwas origineller
sein, denke ich. Was ist der Fund für diese Leute, an
diesem Ort?

Ein paar Kleinigkeiten sind, z.B. die "erhitzten"
Gesichter. Das ist mir ein Adjektiv zu viel. Auch den
Ausdruck "dunkle Bohnen" für Kaffee finde ich nicht ganz
glücklich. Es wäre im Gegenteil an dieser Stelle schön,
noch einmal das Wort "Kaffee" aufzugreifen.

Dass es mich letztlich lediglich in ein fremdes, wiederum anderes Büro führen würde, war nicht beabsichtigt.

Hier bin ich mir nicht sicher, ob der Bezug stimmt.
In meinen Ohren würde es runder klingen, wenn es hieße:
"Dass es mich letztlich lediglich in ein fremdes,
doch anderes Büro..."

Dein Text beschäftigt mich. Er hat etwas schönes, klares -
gerade wegen seiner Rätselhaftigkeit. Gut wäre es, wenn
diese Rätselhaftikeit noch ein wenig mehr herausgestellt
würde.

Liebe Grüße,
Denschie
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo A.,

ich schließe mich Denschie weitestgehend an: ein interessanter Text in kafkaesker Grundstimmung, an dem man noch ein bißchen arbeiten könnte - es lohnt sich. Der Erzähler/die Erzählerin reflektiert sehr genau und beinahe kalt-objektiv. Trotzdem baut sich eine unerklärlich geheimnisvolle Atmosphäre auf...

Zu den Anmerkungen von Denschie nur noch das Folgende: All meine weisgesagten Talente habe ich nun vergessen. Sie schweben im Raum.
Sollte man nicht besser von "geweissagten Talenten" sprechen? Und ist es nicht ein Widerspruch, diese einerseits vergessen zu haben, sie andererseits aber als im Raume schwebend wahrzunehmen?

LG

P.
 

Anonym

Gast
Danke Euch beiden. Ich werde Eure Kommentare intensiver studieren und bin mir sicher, dass Einiges dabei ist, was auf mein Interesse stößt.
 



 
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