Einer dieser Tage

Alex Knov

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Ich atmete einmal tief durch, bevor ich den Schlüssel ins Schloss steckte und ihn umdrehte. Das klicken des Schlosses und knarren der Tür verriet meiner Familie, dass ich da war. Gespräche verstummten und als ich die Treppe hinauf stieg spürte ich ihre Blicke auf mir. Sie fingen an zu singen: „Happy Birthday to you...“. Ich wusste noch nie wie ich auf so etwas reagieren sollte, also setzte ich mich angespannt lächelnd hin und wartete.
„Nur 23 Minuten zu spät“, sagte mein Onkel lachend.
„Und das auf deiner eigenen Party!“, sagte mein Tante nicht so sehr lachend wie mein Onkel.
Ich schwitzte und fühlte mich generell sehr unwohl, was unter anderem mit meinem leichten Kater zu tun hatte. Einige Geschenke stapelten sich auf meinem Teller, was mich für einen kurzen Moment mit der Aufregung meines 6 jährigen Ichs erfüllte. Doch die Erinnerung an meine Kindheit und Jugend ließ die Aufregung schwinden und erfüllte mich mit Trauer. Nicht etwa, weil ich keine schöne Kindheit gehabt hatte, sondern gerade weil ich eine hatte. Damals war alles noch einfach, keine Sorgen, keine Depressionen oder Schizophrenie oder Sozialphobien. Keine Hirntumore, Burnout Syndrome, sterbende Menschen oder gebrochene Herzen. Nur ich, mit liebevollen Eltern, welche mir jeden Wunsch so gut es ging erfüllten.
Mir fiel auf, dass drei kleine Teelichter um meinen Teller standen, nur um meinen. Die schmerzhaften Erinnerungen paarten sich mit den schönen und ich war gerührt von der Fürsorge meiner Mutter, welche zweifellos die Teelichter dort platziert hatte. Ich versuchte mit all meiner Kraft meine Tränen zu unterdrücken und nicht so auszusehen, als würde ich meine Tränen unterdrücken. Ich öffnete das erste Geschenk von meiner Schwester unter den freundlichen Blicken meiner Familie und hielt einen Turnbeutel in der Hand. Er war gefüllt mit lauter Sachen für mein kommendes Studium. Einen Collegeblock, ein paar Textmarker, Kugelschreiber und so weiter. Das zweite Paket enthielt eine Packung Feigen und ein Maßband, gepaart mit einer Karte, welche 50€ beherbergte. Die Feigen und das Maßband freuten mich tausend mal mehr als das Geld, denn es war etwas Persönliches. Es war von meiner Oma und zeigte, dass sie mich wirklich kannte, dass sie auf die kleinen Details achtete. Ein sehr schönes Geschenk. Das letzte Päckchen enthielt ein kleines, veganes Kochbuch. Wenn man sich vor Augen hält, dass meine Mum mir zusätzlich einen ganzen Urlaub schenkte, fand ich es schon sehr großzügig von ihr mehr als nur eine Karte zu bekommen. Von meiner Tante und meinem Onkel bekam ich wie gewohnt eine Karte mit Geld. Trotz einiger Ansichten von ihnen, die ich überhaupt nicht akzeptieren konnte, mochte ich sie sehr und war einfach nur dankbar über ihre Anwesenheit. Das Geld war mir völlig gleichgültig.
Das Frühstück verlief größtenteils mit entspanntem Smalltalk und einigen sarkastischen Bemerkungen meinerseits über die fehlende Menschlichkeit in unserer Gesellschaft. Die wenigsten wussten über den Schmerz hinter der Fassade aus Ironie, mit der ich versuchte nicht jede Stimmung in unangenehmes Schweigen zu verwandeln. Als sich nach zwei Stunden alle wieder verabschiedeten und ich auf dem Heimweg war, bekam ich eine Tonaufnahme von meinem besten Freund John zugeschickt. Mit Kopfhörern im Ohr spielte ich sie ab und war zu tiefst berührt, als Klaviermusik und Gesang meine Ohren erreichten. Es war ein ruhiges Lied, welches er für mich spielte. Die Sonne schien mir ins Gesicht, während ich mit dem Fahrrad auf einer kleinen Allee fuhr, neben der sich auf beiden Seiten ewig lange Felder erstreckten. So fühlte sich für mich Glück an.
Doch als ich Zuhause ankam wurde ich schnell daran erinnert, wie sich Einsamkeit anfühlte. Das Haus war bis auf meine zwei Hunde leer und ich fand nur schwer Motivation Sauberkeit zu halten. Eine erdrückende Schwere lastete plötzlich auf meinen Schultern und alles, was ich zu dem Zeitpunkt noch in der Lage war zu tun, war schlafen. Nach ein paar Stunden Schlaf fing ich erst mal an mich auszuruhen und einen Film zu schauen. Leider den falschen, denn bei klischeehaften Romanzen bekomme ich immer fürchterlichen Liebeskummer. Der Griff zur ersten Flasche Rotwein war schnell getan und ehe ich mich versah, saß ich alleine, weinend und Wein trinkend, mit zwei Hunden auf meinem Sofa und guckte einen Film über die gescheiterte Liebe eines jungen Mannes und einer älteren Frau. Eine unangenehm bekannte Situation für mich. Das Ende des Films bestand darin, dass das Paar sich trennte und fünf Jahre später wieder zueinander fand. Kein sehr befriedigendes Ende für meine derzeitige Situation.
Ich ließ die romantischen Filme also sein, öffnete eine neue Flasche Wein und hörte romantische Musik. Ich fühlte mich fast schon wohl in meinem Leiden, als ich bemerkte, dass es zwei Minuten nach Mitternacht war. Mit einem Blick auf mein Handy kam eine ernüchternde Erkenntnis, welche mich so sehr traf, dass es mir die Luft abzuschneiden schien. Keine neue Nachricht, sie hatte mir nicht gratuliert. Sie hatte es bestimmt vergessen...
 



 
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