Eines Fremden Würde

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A... ist ein Wintersportort in den Alpen, recht elegant, traditionsbewusst und - nicht ganz billig. Im Sommer sind die Unterkünfte preiswerter und die Berge gratis. Nur essen gehen ist genauso teuer wie in der winterlichen Hochsaison. Abendschön, der etwas knickrig ist, sucht lange nach einem Esslokal, das er sich leisten will. Endlich findet er im alten Dorfkern eine Wirtschaft aus früheren Zeiten mit landestypischen Gerichten. Er geht hinein.

Drinnen ist bis auf die Speisekarte und das einfache Inventar alles orientalisch. Der Wirt ist ein Araber, der Koch ist arabisch, die Bedienung ist arabisch. Die Speisekarte fasst sich kurz. Sie machen Kaasnockerln, doch mit dem Salat hapert es. Dann noch ein, zwei Fleischgerichte, Gulasch oder Schnitzel Wiener Art. Alles ist essbar, für A... ist es billig. Sie haben nicht viel anzubieten, doch vielleicht kommt es von Herzen?

Meistens bedient ein junger Araber, ein großer, schlanker Mann Ende zwanzig. Er sieht aus wie ein Mittelschichtsohn, der zum Studium nach Europa gegangen ist - sagen wir Maschinenbau - und dann hat es mit dem Studium nicht geklappt. Er ist freundlich und vor allem würdevoll. Er bedient rasch und zuverlässig und zugleich mit sehr gemessenen Bewegungen. Er hat eine Doppelnatur und führt sie eindrucksvoll vor: Er ist ein durchschnittlicher Kellner, an dem es weder etwas zu tadeln noch viel zu loben gibt - und er ist jenseits der Arbeit ein Mensch mit Intelligenz und Seele.

Abendschön schaut durch das Fenster auf die Berge, von denen er einige bestiegen hat. Sie sind auf eine erhabene Weise schön. Dann sieht er zu dem arabischen Kellner hinüber. Es ist unwichtig, ob er auch ihn schön finden könnte. Angenehm ist dieser freundliche, offene und dabei seiner Würde sehr bewusste Charakter, der ihm aus den Augen schaut. Er wirkt denkbar uneuropäisch. Da ist wieder dieser Eindruck einer größeren Nähe zu Transzendenz, wie ihn nur Orientalen oder Inder vermitteln können.

Gast und Kellner sind sich sympathisch. Der Gast kommt fast jeden Abend und der Araber freut sich sichtlich über sein Erscheinen. Sie reden jeweils einige Worte miteinander. Das Wetter ist selbst für A..., wo es oft regnet, sehr schlecht geworden. Dennoch reist der Gast noch nicht ab, erst in drei Tagen, sagt er.

Er geht heute zum letzten Mal ins Gasthaus. Er bestellt sein Essen, sein Bier. Da wird er gefragt, ob er heute, am letzten Abend, einen Extra-Schnaps auf Kosten des Hauses trinken wolle. Und jetzt macht der Gast einen Fehler - er überlegt. Er sagt sich, er müsse noch packen und alle Unterlagen für die Reise ordnen. Er will einen klaren Kopf behalten. Also lehnt er den Schnaps ab. Sogleich erkennt er staunend Größe und Tragweite seines Fehlers. Der Kellner hat sich verfärbt, er wirkt tief verunsichert, er ist mehr als gekränkt, durchaus beleidigt. Stumm notiert er die Bestellung und entfernt sich rasch.

Er kommt nicht mehr zum Tisch zurück. Das Essen bringt der Koch aus der Küche und stellt es dem Gast hin. Der Kellner macht sich weiter entfernt zu schaffen, traurig, verdüstert. Die meiste Zeit meidet er den Gastraum. Als der Gast seine Mahlzeit beendet hat, räumt der Wirt schnell ab und stellt erstmals selbst die Rechnung aus.

Nur einen Schnaps abgelehnt! Es ist nicht mehr gutzumachen.
 

Mäuschen

Mitglied
Grüß dich!

Selbst erlebt? Ist alles sehr genau beschrieben. Für meinen Geschmack etwas zu detailliert. Für mich waren eigentlich größtenteils die letzten zwei Absätze von Bedeutung.

Das Gefühl hast du dabei allerdings sehr gut getroffen. Sowas ist wirklich nicht mehr gutzumachen.

Liebe Grüße,
Christine
 

MarenS

Mitglied
Hallo Arno,

der Inhalt gefällt, die Einfühlsamkeit. Für Kurzprosa würde ich es, wie Mäuschen schon schrieb, etwas kürzen. Da sind Längen drin, die nicht notwendig sind.
Solcherart Texte dürfen durchaus recht knapp herüberkommen.

Es grüßt die Maren
 



 
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