Eingemauert

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TaugeniX

Mitglied
Eingemauert

Lina ist mit ihrem Kind allein. Nicht zu zweit! – Allein. Eine doppelt versiegelte Einsamkeit ist es. Denn sie liebt das Kind nicht. Auch nicht mit dieser ambivalenten Liebe, von der sie gelesen hat. Mit gar keiner Liebe liebt sie es. Wie soll sie es auch lieben? Da draußen ist das schöne Leben, die Freiheit. ES, - das Kind, - wacht an der Tür ihrer Einzelzelle. Ihre Jugend vergeht. Ihre Kräfte gehen im Hass und schlaflosen Nächten auf. ES wächst, - das Kind. Sie schwindet…

Schwanger war sie noch guter Hoffnung: auf das Wunder der Hormone, die bei der Geburt einschießen sollen wie Muttermilch. Auf das Geschenk der Liebe wartete sie durch all die Kreuzschmerzen und quälende Übelkeit. Doch es gab kein Geschenk am Ende der Geburtsfolter. Ihre Vagina platzte und wurde genäht. Lina war unsagbar froh, dass endlich ein Lokalanästhetikum gespritzt wurde, noch lieber hätte sie die Vollnarkose bekommen. ES, - das Kind, - war ihr egal; sie spürte nichts, sie dachte gar nicht daran.

Die Hebamme schob ihr ES ins Gesicht und erwartete Mutterglück. Lina hatte keines zu bieten und erschrak, als hätte man sie bei einem Verbrechen ertappt. Die Angst begleitete sie seitdem unablässig. Sie zog den Spitalsaufenthalt so weit aus, wie es nur irgendwie möglich war. Lina hatte panische Angst, mit IHM allein in der Wohnung zu sein. Als es doch soweit war, wurde aus dieser Angst ein Hass. „Eingemauert“, dachte sie, „jetzt bin ich eingemauert.“

Lina hasst es, Mutter zu sein. Nicht wegen der vielen Arbeit, - nein, - sie weiß gar nicht, warum. ES schränkt sie ein, doch noch mehr schränkt sie sich selber ein, noch viel mehr als das Kind. Denn auch was sie für sich tun könnte, würde sie als Mutter tun müssen. „Muttersein ist wie Aussatz, man kann es nicht ablegen.“ Also tut sie nichts, nichts außer sich zu quälen. Ach, sie würde auch alle anderen Mütter quälen, wenn sie könnte. Lina hasst sie dafür, dass sie Mütter sind; die Weiber, ja, die Weiber hasst sie eigentlich alle. Vor zwei Tagen ist sie einer Hochschwangeren begegnet, die vor sich hin und in sich hinein lächelte. „Bald hast du auch nichts mehr zu lachen, Hure!“, - brüllte Lina und lief davon. Sie lief und schob den verhassten Kinderwagen vor sich.

Lina liegt im Bett und schläft nicht. ES ist ganz still. Aber ES ist schuld. Schuld, dass sie nicht schlafen kann, - bald brüllt ES wieder, - das weiß sie ganz genau. „Wäre ich doch in Iran geboren“, denkt sie, „dort hätten sie mich gesteinigt fürs verdammte Ficken und ich hätte meinen Frieden. Hätte mir dieser Mann doch lieber AIDS verpasst, als DAS! Wäre mir ein Krebstumor im Leib gewachsen, statt DIESEM!“ Sie schläft nicht.

Lina fehlen wohl irgendwelche Hormone… Da ist nichts zu machen.
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Tauge,

Nchdem lesen des Textes war ich tief beeindruckt, wie gekonnt Du diese Wut, diesen grenzenlosen Hass beschrieben hast. Lina hat ein Kind bekommen, sie lebt mit dem Kind und kämpft mit ihrem inneren Hass, da sie keinerlei Gefühle, gar Liebe für dieses Kind aufbringen kann.
Aber so ganz hab ich den Text, glaube ich, nicht verstanden – und vielleicht kannst Du mir ja helfen: Am Anfang des Textes wacht das Kind an der Tür ihrer Einzelzelle? (Draussen ist das schöne Leben, die Freiheit) Warum Einzelzelle? Später ist sie mit dem Kind in ihrer Wohnung.
Was möchtest Du denn mit diesem Text aussagen? Das es Mütter gibt, die rein garnichts für ihr Baby empfinden? Und wenn es so ist, ist ihr Hass dann wirklich so brutal? Das würde mich jetzt mal interessieren.
Mit Gruss!
Ji
 

TaugeniX

Mitglied
Ich wollte sagen, dass ein Mensch, der seine Lebensaufgabe, seine "Rolle" hasst, auch sich selbst als "Ganzes" nur hassen kann. Er kapselt sich ab, mauert sich ein und quält sich auf eine Art, die jeden eingefleischten Masochisten zum Erblassen bringen würde.

Das Kind hat sie zur "Mutter" gemacht und wacht an der Tür dieser Einzelzelle. Als "Mutter" will sie weder einen ruhigen Spaziergang am See noch einen leckeren Kuchen. Als "Mutter" will sie weder mit Freunden plaudern noch ein Buch lesen. Als "Mutter" gönnt sie sich nicht mal einen Schlaf, den sie so sehr braucht.

Das Schlimmste an der Sache ist, dass so ein Mensch sich - als "Mutter" eben - erst recht keine Hilfe und keine Psychotherapie gönnt. Sie machen es nach dem Mao-Prinzip "je schlimmer umso besser" bis zum totalen Zusammenbruch oder Amoklauf.
 

Ji Rina

Mitglied
Schwer fuer mich zu verstehen; mich dort reinzudenken, da ich keine solche Menschen kenne; jedenfalls keine, die so extrem destruktiv denken und fuehlen.
Aber danke fuer die Erklaerung!
 
R

Rehcambrok

Gast
Hallo TaugeniX,
leider ist dein Profil, ich hätte versucht Ableitungen zu konstruieren, so leer wie der Weg zu Lina. Es wirkt ähnlich einer geöffneten Schublade in die fast alles hinein passt.
Deine eigene Analyse zieht eine straffe Linie die ich so nicht in der Story sehe.
Die Alexithymie setzt mit der Geburt vollständig ein. Zuvor war da noch Hoffnung auf Gefühle.
Hoffnung ist aber auch ein Gefühlszustand, mir fehlt die Sozialisation des Weges. Es gibt eine Menge Andeutungen, nichts wird konkretisiert. War es nymphomanes Verhalten oder eine Vergewaltigung, beide Richtungen sind in dem gezeichneten Bild auch möglich.
Ich würde von der Klinikseite einen Fragebogen der Psychiatrie reichen. Das Verhalten fällt ja auf. Da gibt es so viele wenn`s und aber, der anlehnende Spielraum ist mir dazu groß um ein klares Bild zu erhalten.
Das Thema ist brisant. Daher würde mehr Ausleuchtung den Wert der Story deutlich nach oben katapultieren.

LG Rehcambrok
 

TaugeniX

Mitglied
Ich würde mich über die fachmännische Hilfe riesig freuen, Rehcambrok.

Sie hoffte auf das Geschenk der Liebe, auf das Oxytocin-Geschenk, das jeder Frau zuteil wird, wenn sie ein Kind gebiert. Aber sie bekommt es eben nicht. So habe ich es mir vorgestellt.

Wenn es aus psychiatrischer Sicht nicht haltbar ist, freue ich mich wirklich auf jeden Hinweis. Es ist ja nicht mein Fach. Welchen Statusbogen meinst Du?

Das Zustandekommen der Schwangerschaft... Ich habe an liebloses Ficken, nymphomanisch oder einfach stumpf gedacht. - Sicher keine Vergewaltigung, aber auch kein Liebeskummer. Mir kam dann vor, diese Vorgeschichte würde vom Wesentlichen nur ablenken. Aber ich könnte sie noch einarbeiten.

Danke für Deine Hinweise!
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Tauge,
Demnach verstehe ich, Lina bekommt ein Kind und kann es aber nicht lieben - auch wenn sie darauf gehofft hatte.
Ich find Lina in der Geschichte fremd beschrieben. Was ist mit dem Vater? Beginnt nicht auch da die Liebe? Und der letzte Satz im Text hat mich verwirrt: "verdammtes Ficken" lässt nicht gerade auf eine gefühlsvolle Liebesaffaire mit dem Kindsvater schliessen. Der nächste Satz: "Hätte dieser Mann mir lieber Aids verpasst" auch nicht. Demnach
scheint es bei Lina eine sehr lange unglückliche Vorgeschichte zu geben - die der Leser aber nicht kennt und somit, kann der Leser auch keine Schlüsse ziehen.
 

Wipfel

Mitglied
Taugi, du wagst dich an Themen ran, dass es mir den Atem nimmt. Neben dem handwerklichen - gelungene Spurensuche! Du nimmst mit dem Text Witterung auf in die Tiefen einer Seele, in Abgründe. Und holst sie ans Licht. Das kann nicht jeder - daher meinen großen Respekt.

Grüße von wipfel
 
R

Rehcambrok

Gast
Hallo TaugeniX,
wenn sich eine Frau Gedanken um die Hormone zur 'leichten Geburt' macht, gibt es meist schon erhebliche Störungen im Vorfeld. Ob physisch, z.B. nicht in der Lage einen vaginalen Orgasmus zu bekommen, oder psychisch, eine Blockade aufgrund voran gegangener Ereignisse. Beides kann gleichermaßen Einfluss nehmen, daher wäre ein tiefer gehendes Persönlichkeitsbild in der Entwicklung wichtig. (Nachvollziehbarkeit)
Von der Art wie du es geschrieben hast, die Emotionen einer Frau im Vorfeld nur unterschwellig anzudeuten, gehe ich davon aus das du selbst eine Frau bist. Nur brauchen Männer wie ich mehr Details, da wir meist etwas grobschlächtiger sind.

LG Rehcambrok

PS: Ich habe mal etwas im Zusammenhang mit den Wechseljahren geschrieben – man, in dem Fall Frau, nahm es persönlich weil ich so dreist war eine mögliche Störung mit einzubinden. Da hatte ich dann wohl ein Tabu für ältere Forenredakteurinnen gebrochen. Der Balken wurde rot.
 

TaugeniX

Mitglied
Mir hat ehrlich gesagt das Fachwissen gefehlt beim Schreiben. Ich würde die Frau am liebsten in den schizoiden Persönlichkeitsstörungskreis verorten, - ohne explizites traumatisches Erlebnis und Minimum am physiologischen Exkurs.

Also zuerst quasi das "Holz und Eis" der emotionalen Abflachung und dann die herausbrechende Wut.

Aus diesem Wissensmangel bin ich in die wage Form der "Kurzprosa" geflüchtet und gedacht, es sei mit dem momentanen "Status-Bild" getan. :) Offensichtlich ist es aber nicht. Also muss doch eine Geschichte daraus werden.
 

HelenaSofie

Mitglied
Hallo TaugeniX,

wieder ein guter, ausdrucksstarker Text von dir.

Was mich etwas irritiert, ist der letzte Satz.
"Lina fehlen wohl irgendwelche Hormone... Da ist nichts zu machen."
Er passt für mich in dieser Ausdrucksweise nicht zum Schreibstil des Textes. Ich denke bei den beschriebenen Symtomen an eine schwere Form der postpartalen Depression, bei der nicht nur fehlende Hormone eine Rolle spielen.
Eine Behandlungsmöglichkeit gibt es in jedem Fall. Sie ist zum Schutz für Mutter und Kind angezeigt.

Liebe Grüße
HelenaSofie
 

Ofterdingen

Mitglied
Hallo,

Nachdem die anderen sich überwiegend inhaltlich mit deinem Text auseinandergesetzt haben, möchte ich ein wenig auf die Sprache eingehen. Rot markiert sind die Stellen, die ich ändern oder ganz streichen würde, blau Hinzufügungen oder - in Klammern - Kommentare:

"ES, - das Kind, - wacht an der Tür ihrer Einzelzelle. [red](Ihre Jugend vergeht.)[/red] [blue](ist ein Klischee)[/blue] Ihre Kräfte gehen im Hass und [blue]in[/blue] schlaflosen Nächten auf. [red](ES wächst, - das Kind. Sie schwindet…) [/red] [blue] (besser streichen, wirkt geschwätzig und bringt nichts Neues) [/blue]

Schwanger war sie noch [red](guter)[/red] [blue]voller[/blue] Hoffnung: [blue](`Sie war guter Hoffnung´ ist eine feste Redensart und bedeutet: Sie war schwanger, der Ausdruck wirkt in diesem Satz unfreiwillig komisch)[/blue] auf das Wunder der Hormone, die bei der Geburt einschießen sollen wie Muttermilch. Auf das Geschenk der Liebe wartete sie [blue] vergebens.[/blue][red](durch all die)[/red] [blue] Es gab nur [/blue] Kreuzschmerzen, [red] (und)[/red] quälende Übelkeit[red](. Doch es gab kein Geschenk am Ende der) [/red] [blue]und die[/blue] Geburtsfolter.[blue] (Kürzen!)[/blue] Ihre Vagina platzte und wurde genäht. Lina war [red](unsagbar)[/red] [blue] (streichen, wirkt pathetisch) [/blue] froh, dass endlich ein Lokalanästhetikum gespritzt wurde, noch lieber hätte sie die Vollnarkose bekommen. ES, - das Kind, - war ihr egal; sie spürte nichts [red](, sie dachte gar nicht daran)[/red]. [blue](streichen!)[/blue]

Die Hebamme schob [red](ihr ES)[/red] [blue]Es ihr [/blue] ins Gesicht und erwartete Mutterglück. Lina [red](hatte)[/red] [blue]empfand [/blue]keines [red](zu bieten)[/red] und erschrak, als hätte man sie bei einem Verbrechen ertappt. Die Angst begleitete sie seitdem unablässig. Sie zog den [red](Spitalsaufenthalt)[/red] [blue]Spitalaufenthalt[/blue] so weit [red](aus)[/red] [blue]in die Länge[/blue], wie es nur irgendwie möglich war. Lina hatte panische Angst, mit IHM allein in der Wohnung zu sein. [...]

Denn auch was sie für sich tun könnte, würde sie als Mutter tun müssen. „Muttersein ist wie Aussatz, man kann es nicht ablegen.“ [...] die Weiber, ja, die Weiber hasst sie eigentlich alle. [...] Sie lief und schob den verhassten Kinderwagen vor sich [blue] her [/blue].

[...]

Lina fehlen wohl irgendwelche Hormone… Da ist nichts zu machen." [blue](der Schlusssatz ist nicht sehr überzeugend, kannst ja nochmal darüber nachdenken)[/blue]
 

TaugeniX

Mitglied
Eingemauert

Lina ist mit ihrem Kind allein. Nicht zu zweit! – Allein. Eine doppelt versiegelte Einsamkeit ist es. Denn sie liebt das Kind nicht. Auch nicht mit dieser ambivalenten Liebe, von der sie gelesen hat. Mit gar keiner Liebe liebt sie es. Wie soll sie es auch lieben? Da draußen ist das schöne Leben, die Freiheit. ES, - das Kind, - wacht an der Tür ihrer Einzelzelle. Ihre Kräfte gehen im Hass und schlaflosen Nächten auf. ES wächst, - das Kind. Sie schwindet…

Schwanger war sie noch voller Hoffnung: auf das Wunder der Hormone, die bei der Geburt einschießen sollen wie Muttermilch. Auf das Geschenk der Liebe wartete sie vergebens: es gab nichts am Ende der Geburtsfolter. Ihre Vagina platzte und wurde genäht. Lina war unsagbar froh, dass endlich ein Lokalanästhetikum gespritzt wurde, noch lieber hätte sie die Vollnarkose bekommen. ES, - das Kind, - war ihr egal; sie spürte nichts.

Die Hebamme schob Es ihr ins Gesicht und erwartete Mutterglück. Lina hatte keines zu bieten und erschrak, als hätte man sie bei einem Verbrechen ertappt. Die Angst begleitete sie seitdem unablässig. Sie zog den Spitalaufenthalt so weit in die Länge, wie es nur irgendwie möglich war. Lina hatte panische Angst, mit IHM allein in der Wohnung zu sein. Als es doch soweit war, wurde aus dieser Angst ein Hass. „Eingemauert“, dachte sie, „jetzt bin ich eingemauert.“

Lina hasst es, Mutter zu sein. Nicht wegen der vielen Arbeit, - nein, - sie weiß gar nicht, warum. ES schränkt sie ein, doch noch mehr schränkt sie sich selber ein, noch viel mehr als das Kind. Denn auch was sie für sich tun könnte, würde sie als Mutter tun müssen. „Muttersein ist wie Aussatz, man kann es nicht ablegen.“ Also tut sie nichts, nichts außer sich zu quälen. Ach, sie würde auch alle anderen Mütter quälen, wenn sie könnte. Lina hasst sie dafür, dass sie Mütter sind; die Weiber, ja, die Weiber hasst sie eigentlich alle. Vor zwei Tagen ist sie einer Hochschwangeren begegnet, die vor sich hin und in sich hinein lächelte. „Bald hast du auch nichts mehr zu lachen, Hure!“, - brüllte Lina und lief davon. Sie lief und schob den verhassten Kinderwagen vor sich her.

Lina liegt im Bett und schläft nicht. ES ist ganz still. Aber ES ist schuld. Schuld, dass sie nicht schlafen kann, - bald brüllt ES wieder, - das weiß sie ganz genau. „Wäre ich doch in Iran geboren“, denkt sie, „dort hätten sie mich gesteinigt fürs verdammte Ficken und ich hätte meinen Frieden. Hätte mir dieser Mann doch lieber AIDS verpasst, als DAS! Wäre mir ein Krebstumor im Leib gewachsen, statt DIESEM!“ Sie schläft nicht.

Lina fehlen wohl irgendwelche Hormone… Da ist nichts zu machen.
 

TaugeniX

Mitglied
Lieber Kollege Ofeterdingen, danke herzlich für die Korrekturen und Vorschläge. Ich habe fast alles übernommen. Danke ganz besonders für den Hinweis auf diese fürchterliche Peinlichkeit mit "schwanger war sie guter Hoffnung"!

Bei "Es wächst, - das Kind. Sie schwindet" konnte ich mich nicht überwinden den Satz wegzulassen: mein katholisches Hirn hängt zu fest am verdeckten Zitat. :) (Er muss wachsen, ich aber abnehmen. Joh. 3:30)

Ebenso das pathetische "unsagbar". Ein bisschen Pathos muss sein, wenn ich mir treu bleiben will.

Über den letzten Satz habe ich schon sehr oft nachgedacht. - Ich weiß auch, dass er unzulänglich und eben wie Du schreibst nicht überzeugend ist. Aber mir fällt nichts besseres ein. :(
 

HelenaSofie

Mitglied
Hallo TaugeniX,

ja, der Schlusssatz passt einfach nicht zum Text. Dazu hatte ich dir bereits vor fünf Tagen etwas geschrieben.
Mit "Symtome" meine ich natürlich "Symptome" (wie peinlich).

Liebe Grüße
HelenaSofie
 

TaugeniX

Mitglied
Eingemauert

Lina ist mit ihrem Kind allein. Nicht zu zweit! – Allein. Eine doppelt versiegelte Einsamkeit ist es. Denn sie liebt das Kind nicht. Auch nicht mit dieser ambivalenten Liebe, von der sie gelesen hat. Mit gar keiner Liebe liebt sie es. Wie soll sie es auch lieben? Da draußen ist das schöne Leben, die Freiheit. ES, - das Kind, - wacht an der Tür ihrer Einzelzelle. Ihre Kräfte gehen im Hass und schlaflosen Nächten auf. ES wächst, - das Kind. Sie schwindet…

Schwanger war sie noch voller Hoffnung: auf das Wunder der Hormone, die bei der Geburt einschießen sollen wie Muttermilch. Auf das Geschenk der Liebe wartete sie vergebens: es gab nichts am Ende der Geburtsfolter. Ihre Vagina platzte und wurde genäht. Lina war unsagbar froh, dass endlich ein Lokalanästhetikum gespritzt wurde, noch lieber hätte sie die Vollnarkose bekommen. ES, - das Kind, - war ihr egal; sie spürte nichts.

Die Hebamme schob Es ihr ins Gesicht und erwartete Mutterglück. Lina hatte keines zu bieten und erschrak, als hätte man sie bei einem Verbrechen ertappt. Die Angst begleitete sie seitdem unablässig. Sie zog den Spitalaufenthalt so weit in die Länge, wie es nur irgendwie möglich war. Lina hatte panische Angst, mit IHM allein in der Wohnung zu sein. Als es doch soweit war, wurde aus dieser Angst ein Hass. „Eingemauert“, dachte sie, „jetzt bin ich eingemauert.“

Lina hasst es, Mutter zu sein. Nicht wegen der vielen Arbeit, - nein, - sie weiß gar nicht, warum. ES schränkt sie ein, doch noch mehr schränkt sie sich selber ein, noch viel mehr als das Kind. Denn auch was sie für sich tun könnte, würde sie als Mutter tun müssen. „Muttersein ist wie Aussatz, man kann es nicht ablegen.“ Also tut sie nichts, nichts außer sich zu quälen. Ach, sie würde auch alle anderen Mütter quälen, wenn sie könnte. Lina hasst sie dafür, dass sie Mütter sind; die Weiber, ja, die Weiber hasst sie eigentlich alle. Vor zwei Tagen ist sie einer Hochschwangeren begegnet, die vor sich hin und in sich hinein lächelte. „Bald hast du auch nichts mehr zu lachen, Hure!“, - brüllte Lina und lief davon. Sie lief und schob den verhassten Kinderwagen vor sich her.

Lina liegt im Bett und schläft nicht. ES ist ganz still. Aber ES ist schuld. Schuld, dass sie nicht schlafen kann, - bald brüllt ES wieder, - das weiß sie ganz genau. „Wäre ich doch in Iran geboren“, denkt sie, „dort hätten sie mich gesteinigt fürs verdammte Ficken und ich hätte meinen Frieden. Hätte mir dieser Mann doch lieber AIDS verpasst, als DAS! Wäre mir ein Krebstumor im Leib gewachsen, statt DIESEM!“ Sie schläft nicht.

Linas Seele ist sehr krank, doch sie gönnt sich die Heilung nicht. Voluntas aegroti ultima lex.
 
O

orlando

Gast
Liebe TaugeniX,
mich überzeugt deine Prosa zunächst einmal inhaltlich.
Es gibt auf der einen Seite den Muttermythos mit klarer Rollenzuweisung, und auf der anderen Seite nicht eben wenige (meist junge) Mütter, die sich dem nicht gewachsen zeigen.
In deren eigener Kindheit gab es meist Gewalterfahrungen, im Laufe ihrer Beziehungen Wiederholungen dieser Erfahrungen.
Hinzu kommt, dass eine alleinstehende junge Frau, vielleicht 15 - 19 Jahre alt, während ihrer Schwangerhaft (und später) von allem abgeschnitten ist, was anderen jungen Menschen Freude macht: um die Häuser ziehen, Clubs besuchen, tanzen, flirten, halt einfach nur Spaß haben. Daneben oft auch von beruflichen Chancen, einer schnuckligen Wohnung etc.
So können sich dem Kind gegenüber negative Gefühle entwickeln oder eben gar keine, was natürlich mit großen Schuldgefühlen beladen ist.
Nicht zu den "guten" Müttern zu gehören, sondern zu den sog. Rabenmüttern, erfordert Verschwiegenheit, Kontrolle u. v. a. mehr.
Gerade diesen Komplex (über die Schuld) hast du sehr einfühlsam beschrieben.

Es gab vor vielen Jahren in einer Frauenzeitschrift- ich glaube in der Emma (oder gar Brigitte?) - eine Serie über sog. Rabenmütter. Die fand ich sehr gut, weil sie Betroffenen die Möglichkeit bot, sich aus ihrer Isolation herauszubegeben.
Fühllosigkeit dem eigenen Kind gegenüber zeigt sich natürlich auch in abgeschwächterer Form und aus den verschiedensten Gründen.
Häufiger gibt es nur eine unbegründete Angst davor. - Was meinst du, wie viele Frauen sich schuldig fühlen, weil sie ganztags erwerbstätig sind?
Das alles ist ein sehr sensibles Thema, das (auch und immer noch) an die klassische Rollenzuweisung in unserer Gesellschaftsordnung gebunden ist - deshalb bin ich selber mit Schuldzuweisungen sehr, sehr vorsichtig.
Ich finde, du hast dieses Problem sehr gut bearbeitet, vor allem, weil du das Leiden des Kindes - und es leidet ja auch - herausgelassen und dich ganz auf die Mutter beschränkt hast. ---

M.E. könntest du das unliebsame Ende einfach weglassen: Es gilt ja nichts zu erklären ... also einfach: Absatz und

Sie schläft nicht.
 

TaugeniX

Mitglied
Danke für das Einfühlen in meine Geschichte! Und für den guten Rat. Ich nehme den letzten Absatz weg. Meine Landsleute sagen: "das Bessere ist der Feind des Guten". :)
 

TaugeniX

Mitglied
Eingemauert

Lina ist mit ihrem Kind allein. Nicht zu zweit! – Allein. Eine doppelt versiegelte Einsamkeit ist es. Denn sie liebt das Kind nicht. Auch nicht mit dieser ambivalenten Liebe, von der sie gelesen hat. Mit gar keiner Liebe liebt sie es. Wie soll sie es auch lieben? Da draußen ist das schöne Leben, die Freiheit. ES, - das Kind, - wacht an der Tür ihrer Einzelzelle. Ihre Kräfte gehen im Hass und schlaflosen Nächten auf. ES wächst, - das Kind. Sie schwindet…

Schwanger war sie noch voller Hoffnung: auf das Wunder der Hormone, die bei der Geburt einschießen sollen wie Muttermilch. Auf das Geschenk der Liebe wartete sie vergebens: es gab nichts am Ende der Geburtsfolter. Ihre Vagina platzte und wurde genäht. Lina war unsagbar froh, dass endlich ein Lokalanästhetikum gespritzt wurde, noch lieber hätte sie die Vollnarkose bekommen. ES, - das Kind, - war ihr egal; sie spürte nichts.

Die Hebamme schob Es ihr ins Gesicht und erwartete Mutterglück. Lina hatte keines zu bieten und erschrak, als hätte man sie bei einem Verbrechen ertappt. Die Angst begleitete sie seitdem unablässig. Sie zog den Spitalaufenthalt so weit in die Länge, wie es nur irgendwie möglich war. Lina hatte panische Angst, mit IHM allein in der Wohnung zu sein. Als es doch soweit war, wurde aus dieser Angst ein Hass. „Eingemauert“, dachte sie, „jetzt bin ich eingemauert.“

Lina hasst es, Mutter zu sein. Nicht wegen der vielen Arbeit, - nein, - sie weiß gar nicht, warum. ES schränkt sie ein, doch noch mehr schränkt sie sich selber ein, noch viel mehr als das Kind. Denn auch was sie für sich tun könnte, würde sie als Mutter tun müssen. „Muttersein ist wie Aussatz, man kann es nicht ablegen.“ Also tut sie nichts, nichts außer sich zu quälen. Ach, sie würde auch alle anderen Mütter quälen, wenn sie könnte. Lina hasst sie dafür, dass sie Mütter sind; die Weiber, ja, die Weiber hasst sie eigentlich alle. Vor zwei Tagen ist sie einer Hochschwangeren begegnet, die vor sich hin und in sich hinein lächelte. „Bald hast du auch nichts mehr zu lachen, Hure!“, - brüllte Lina und lief davon. Sie lief und schob den verhassten Kinderwagen vor sich her.

Lina liegt im Bett und schläft nicht. ES ist ganz still. Aber ES ist schuld. Schuld, dass sie nicht schlafen kann, - bald brüllt ES wieder, - das weiß sie ganz genau. „Wäre ich doch in Iran geboren“, denkt sie, „dort hätten sie mich gesteinigt fürs verdammte Ficken und ich hätte meinen Frieden. Hätte mir dieser Mann doch lieber AIDS verpasst, als DAS! Wäre mir ein Krebstumor im Leib gewachsen, statt DIESEM!“

Sie schläft nicht.
 



 
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