Einkaufen mit Mini

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Homosapiens

Mitglied
Ich bin erfahren in der Sozialarbeit und in der Lebensberatung. Etliche Jahre in der Schwerbehindertenpflege haben der Rückseite des menschlichen Daseins die letzten Schrecken genommen. Wir sind ein Weilchen auf der Welt, ihren Turbulenzen ausgeliefert, aber auch ausgestattet mit dem Werkzeug unserer Erfahrungen. Je älter wir werden, je länger wir also überlebt haben, desto reichhaltiger ist unsere Werkzeugkiste bestückt. Alles kann passieren!

So eine Aufgabe wie gestern war allerdings neu für mich. Meine Tochter und ihr Mann, beide berufstätig, fortgebildet und verantwortungsbewußt, haben alles getan für Sheila, ihre große, meine liebste, ein verständiges, aufgewecktes Kind, ganz ähnlich, wie ich selbst vor langer Zeit eines war. Sie hat allerdings den Vorteil, geliebt zu werden, und das hat ihr mit zwölf Jahren schon eine ungewöhnliche Reife beschert. Ihr Wissensdurst fragt mich aus, ich darf ihr die Welt erklären, so, wie ich sie verstehe. Sheilas großes Herz liest zwischen den Zeilen, sie schaut prüfend hin, und ich genieße ihr Vertrauen. Vor zwei Jahren kam das Nesthäkchen dazu, passend mit dem Kosenamen "Mini" bedacht. Ein ungestümes Schreikind, das sich in dem Haushalt der drei Erwachsenen in einer Welt von Bediensteten wiederfand. Ich selbst war noch nie mit Mini allein gewesen, doch das würde sich nun gleich ändern. Ausfall des Babysitters in dem ewig auf Kante genähten Zeitplan dieses Haushaltes! Und Sheila, deren Theaterkarten für die ersehnte "Mittagsaufführung, nur mit Mama" verfallen würden! Das verständige Mädchen hätte es hingenommen und ihre Tränen geschluckt, sie kannte sich aus mit Sachzwängen. "Nein," beschloß ich, "ich weiß selbst, was Enttäuschung heißt. Sheila bekommt ihr ersehntes Stück!"

Kurz entschlossen übernahm ich mitten im Einkaufszentrum der Großstadt für zwei völlig ungewisse Stunden Minis Kinderkarre, nach außen hin zuversichtlich, innerlich jedoch verzagt. In der Jackentasche Schokodrops zum Verkorken der Heulsirene, ein wenig Geld dabei für den Bäcker und den Weihnachtsmarkt, schob ich einfach los. "Wir gehen jetzt mal kurz einkaufen", das war für Mini immerhin ein Begriff. Der kleine Lockenkopf vor mir drehte sich interessiert in alle Richtungen, vermutlich, bis es zu langweilig würde. Oder zu kalt? Wie sollte ich sie bei Laune halten? Ich sah mich einen Moment lang zwei endlose Stunden mit meinem brüllenden Zwerg überall hinauskomplimentiert und ständig auf der Flucht. Wie bekäme ich sie ruhig? Schlimmstenfalls gar nicht. Wie machen andere Großeltern das nur? Ich hatte die Verantwortung für ein Kleinkind, dem nie Grenzen gesetzt worden waren. Meine Hände wurden klamm. Wie es Mini wohl ging, da zwischen den Kissen, stetig geschaukelt, aber ohne Schal unter dem Stehkragen? Die typischen Schal-Verweigerer können ein ganzes Einkaufszentrum zusammenschreien, bis der arme Hals wieder nackt ist. Wir mußten erstmal ins Warme! Das fünfstöckige Modehaus mochte eine Rettung sein.

Langsam, aber stetig schob ich die Karre durch die Reihen der Kleiderständer und bemerkte, daß Mini von unten fasziniert in einen Wald von Ärmeln schaute. Die Berieselung mit Popmusik mochte ihr aus dem Zimmer der großen Schwester vertraut sein, die Stimmen der Kinder im Hintergrund kannte sie sicherlich von der Tagesmutter her. In der Kinderabteilung war es angenehm warm, auch für mich. "Wir sitzen in einem Boot, Mini", murmelte ich, "hier haben wir zunächst mal Asyl."

Ein gedehntes "ja" war das letzte, was ich von ihr hörte, ehe ihr Lockenkopf zur Seite sank und ich mit der Karre in einen langsamen, unentwegten Schaukelschritt verfiel. Fünf Etagen, vier sanft klingelnde Fahrstühle, ein paar Lächeln im Vorübergehen. "Ach, da schläft ja jemand....." Wenn ihr wüßtet, was sonst los wäre..... Die Kaufhausdetektive an der Videoüberwachung mögen sich gewundert haben. Da lief jemand unablässig mit einer Kinderkarre durch die Gänge eines Kaufhauses, über fünf Etagen, 'rauf, 'runter und nochmal zurück. Hatte er gar das Kind entführt? Ich hätte gern alles erklärt, aber niemand fragte etwas.

Ich drehte eine Runde nach der anderen, wagte nicht, stehen zu bleiben, um irgendetwas näher zu betrachten. Ich sah nur den kleinen Kopf und den bloßen Hals. Mini schlief, dem langsamen Schaukeln und den Hintergrundgeräuschen eines nachweihnachtlichen Kaufhauses hingegeben. Wohl dem, der mitten im Gewühle seine eigene Mitte findet! Ich erinnerte mich plötzlich an die alljährlichen Tierarztbesuche mit meiner Katze, mein stummes Flehen, sie möge ruhig bleiben. Es geht gerade nicht anders, ich kann Ihr nichts erklären, und bitte keine Panik!

Als Mini die Wimpern hob und sich umsah, bot ich ihr rasch einen der Schokotaler an. Sie wickelte ihn langsam aus und hielt ihn ein Weilchen sinnend in der kleinen Hand, bis er fiel und unter einen Verkaufsständer rollte. Sie sah ruhig hinterher, sie hatte ja gar nichts verlangt. Ich war überrascht. Warum einem Menschen etwas aufdrängen, der weiter nichts will, als sich, geschaukelt und getragen, etwas umschauen? Vermutlich kannte Mini diese Gemütlichkeit beim Einkaufen überhaupt nicht, zu Hause mußte immer alles schnell gehen.

"Wir waren gut, Mini, richtig klasse!" Am liebsten hätte ich ihr "Five gegeben". An der Ausgangstür nahm ich meinen Schal ab. " Fühl' mal, wie weich der ist! Und ganz warm von meinem Hals. Ich leg' ihn dir um, ja?" Der penetrante Schal-Verweigerer ließ es zu mit abermaligem, gedehntem "ja". Das Stimmchen begann in der Höhe und plumpste dann mit Bestimmtheit in die Kissen.

"Sie war ganz ruhig, hat gar nichts gewollt," berichtete ich meiner Tochter, die mit einer begeisterten Sheila aus dem Theater kam. Ich war mit meiner kleinen Enkelin derweil auf ungewisser Abenteuerreise gewesen, wir hatten Asyl gesucht und gefunden, und das Kind hatte mehrmals deutlich "ja" zu mir gesagt. Was es für Mini bedeutet hat, kann ich sie leider nicht fragen. Sie würde wohl antworten, daß wir zum Einkaufen waren. Und vielleicht noch, daß es Spaß gemacht hat.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Homosapiens,

ich habe die ganze Zeit auf einen Knaller gewartet, dass es richtig lustig oder/und satirisch wird. Kam aber nichts. So blieb es beim langweiligen Kinderwagenschieben im Kaufhaus.

Den ersten Absatz finde ich nicht sehr gelungen. Arbeit in der Schwerbehindertenbetreuung als Beispiel für Lebenserfahrung, die den 'letzten Schrecken' genommen hat, ist nun wirklich kein gelungener Satz in einer Satire.

Warum hat Mini ihren Großvater, der ja so lebenserfahren ist, nicht im Kaufhaus fertig gemacht? DAS wäre doch ein Ansatz gewesen.

Viele Grüße,
DS
 

Homosapiens

Mitglied
Hallo Doc Schneider, eigentlich sollte es gar kein "Kracher" werden, es geht um eine leise Geschichte. Mit einem schlafenden Kind immerhin. Der Witz und die Absurdität liegen in dem Gegensatz zwischen großer Erfahrung auf sozialen Berufsfeldern und der Angst vor einem kleinen Schreihals. Warum hätte Mini jemanden fertigmachen sollen? Sie ist ganz friedlich, nur der studierte Großvater zeigt sich im "Ernstfall" als gutwilliger Trottel. Vielleicht war das Forum etwas unglücklich gewählt, Sheila hat jedenfalls Tränen gelacht. Grüße von Homosapiens
 

Mistralgitter

Mitglied
Es ist eine unaufgeregte aber liebenswerte Geschichte, die ich wiederholt gerne gelesen habe. Der vom Verfasser angestrebte Gegensatz von im Berufsleben erfolgreicher Kompetenz und dem im praktischen Alltäglichen geforderten Können kommt gut heraus. Mit einer ordentlichen Portion Humor und augenzwinkernder Selbstbeobachtung meistert der Protagonist seine Aufgabe.
LG
Mistralgitter
 

Homosapiens

Mitglied
Hallo Mistralgitter, danke für Deinen Gruß. So, wie Du die Geschichte gelesen hast, war sie eigentlich auch gemeint. Sicherlich nicht spektakulär, aber selbst im Kaufhaus gab es etliche Lächeln..... . Grüße von Homosapiens
 

Blumenberg

Mitglied
Hallo Homosapiens,

mir gefällt die kleine Geschichte, die, da muss ich Mistralgitter recht geben, leise daherkommt.
Die Komik liegt finde ich im Auseinanderbrechen von Anspruch und Erwartung sowohl bei deinem Protagonisten als auch bei mir als Leser. Ich habe ähnlich wie Doc Schneider auf einen Knaller gewartet und musste schmunzeln als mir klar wurde, dass es mir da eigentlich genau wie dem auf die bestimmt kommende Katastrophe wartenden Großvater ging. Ich würde das aber gar nicht so sehr am Aufeinanderprallen einer beruflichen und sozialen Lebensweisheit festmachen, sondern vielmehr an der selbsteingestandenen Unerfahrenheit mit Kleinkindern, wobei mir der Großvater da ein typisches Kind seiner Zeit zu sein scheint in der Kindererziehung nun mal Frauensache war.

Ich habe deinen Text sehr gerne gelesen.

Eine kleine Anmerkung habe ich noch. Du könntest im zweiten Abschnitt ein "allerdings" streichen.

Beste Grüße

Blumenberg
 

Homosapiens

Mitglied
Ich bin erfahren in der Sozialarbeit und in der Lebensberatung. Etliche Jahre in der Schwerbehindertenpflege haben der Rückseite des menschlichen Daseins die letzten Schrecken genommen. Wir sind ein Weilchen auf der Welt, ihren Turbulenzen ausgeliefert, aber auch ausgestattet mit dem Werkzeug unserer Erfahrungen. Je älter wir werden, je länger wir also überlebt haben, desto reichhaltiger ist unsere Werkzeugkiste bestückt. Alles kann passieren!

So eine Aufgabe wie gestern war allerdings neu für mich. Meine Tochter und ihr Mann, beide berufstätig, fortgebildet und verantwortungsbewußt, haben alles getan für Sheila, ihre große, meine liebste, ein verständiges, aufgewecktes Kind, ganz ähnlich, wie ich selbst vor langer Zeit eines war. Sie hat den Vorteil, geliebt zu werden, und das hat ihr mit zwölf Jahren schon eine ungewöhnliche Reife beschert. Ihr Wissensdurst fragt mich aus, ich darf ihr die Welt erklären, so, wie ich sie verstehe. Sheilas großes Herz liest zwischen den Zeilen, sie schaut prüfend hin, und ich genieße ihr Vertrauen. Vor zwei Jahren kam das Nesthäkchen dazu, passend mit dem Kosenamen "Mini" bedacht. Ein ungestümes Schreikind, das sich in dem Haushalt der drei Erwachsenen in einer Welt von Bediensteten wiederfand. Ich selbst war noch nie mit Mini allein gewesen, doch das würde sich nun gleich ändern. Ausfall des Babysitters in dem ewig auf Kante genähten Zeitplan dieses Haushaltes! Und Sheila, deren Theaterkarten für die ersehnte "Mittagsaufführung, nur mit Mama" verfallen würden! Das verständige Mädchen hätte es hingenommen und ihre Tränen geschluckt, sie kannte sich aus mit Sachzwängen. "Nein," beschloß ich, "ich weiß selbst, was Enttäuschung heißt. Sheila bekommt ihr ersehntes Stück!"

Kurz entschlossen übernahm ich mitten im Einkaufszentrum der Großstadt für zwei völlig ungewisse Stunden Minis Kinderkarre, nach außen hin zuversichtlich, innerlich jedoch verzagt. In der Jackentasche Schokodrops zum Verkorken der Heulsirene, ein wenig Geld dabei für den Bäcker und den Weihnachtsmarkt, schob ich einfach los. "Wir gehen jetzt mal kurz einkaufen", das war für Mini immerhin ein Begriff. Der kleine Lockenkopf vor mir drehte sich interessiert in alle Richtungen, vermutlich, bis es zu langweilig würde. Oder zu kalt? Wie sollte ich sie bei Laune halten? Ich sah mich einen Moment lang zwei endlose Stunden mit meinem brüllenden Zwerg überall hinauskomplimentiert und ständig auf der Flucht. Wie bekäme ich sie ruhig? Schlimmstenfalls gar nicht. Wie machen andere Großeltern das nur? Ich hatte die Verantwortung für ein Kleinkind, dem nie Grenzen gesetzt worden waren. Meine Hände wurden klamm. Wie es Mini wohl ging, da zwischen den Kissen, stetig geschaukelt, aber ohne Schal unter dem Stehkragen? Die typischen Schal-Verweigerer können ein ganzes Einkaufszentrum zusammenschreien, bis der arme Hals wieder nackt ist. Wir mußten erstmal ins Warme! Das fünfstöckige Modehaus mochte eine Rettung sein.

Langsam, aber stetig schob ich die Karre durch die Reihen der Kleiderständer und bemerkte, daß Mini von unten fasziniert in einen Wald von Ärmeln schaute. Die Berieselung mit Popmusik mochte ihr aus dem Zimmer der großen Schwester vertraut sein, die Stimmen der Kinder im Hintergrund kannte sie sicherlich von der Tagesmutter her. In der Kinderabteilung war es angenehm warm, auch für mich. "Wir sitzen in einem Boot, Mini", murmelte ich, "hier haben wir zunächst mal Asyl."

Ein gedehntes "ja" war das letzte, was ich von ihr hörte, ehe ihr Lockenkopf zur Seite sank und ich mit der Karre in einen langsamen, unentwegten Schaukelschritt verfiel. Fünf Etagen, vier sanft klingelnde Fahrstühle, ein paar Lächeln im Vorübergehen. "Ach, da schläft ja jemand....." Wenn ihr wüßtet, was sonst los wäre..... Die Kaufhausdetektive an der Videoüberwachung mögen sich gewundert haben. Da lief jemand unablässig mit einer Kinderkarre durch die Gänge eines Kaufhauses, über fünf Etagen, 'rauf, 'runter und nochmal zurück. Hatte er gar das Kind entführt? Ich hätte gern alles erklärt, aber niemand fragte etwas.

Ich drehte eine Runde nach der anderen, wagte nicht, stehen zu bleiben, um irgendetwas näher zu betrachten. Ich sah nur den kleinen Kopf und den bloßen Hals. Mini schlief, dem langsamen Schaukeln und den Hintergrundgeräuschen eines nachweihnachtlichen Kaufhauses hingegeben. Wohl dem, der mitten im Gewühle seine eigene Mitte findet! Ich erinnerte mich plötzlich an die alljährlichen Tierarztbesuche mit meiner Katze, mein stummes Flehen, sie möge ruhig bleiben. Es geht gerade nicht anders, ich kann Ihr nichts erklären, und bitte keine Panik!

Als Mini die Wimpern hob und sich umsah, bot ich ihr rasch einen der Schokotaler an. Sie wickelte ihn langsam aus und hielt ihn ein Weilchen sinnend in der kleinen Hand, bis er fiel und unter einen Verkaufsständer rollte. Sie sah ruhig hinterher, sie hatte ja gar nichts verlangt. Ich war überrascht. Warum einem Menschen etwas aufdrängen, der weiter nichts will, als sich, geschaukelt und getragen, etwas umschauen? Vermutlich kannte Mini diese Gemütlichkeit beim Einkaufen überhaupt nicht, zu Hause mußte immer alles schnell gehen.

"Wir waren gut, Mini, richtig klasse!" Am liebsten hätte ich ihr "Five gegeben". An der Ausgangstür nahm ich meinen Schal ab. " Fühl' mal, wie weich der ist! Und ganz warm von meinem Hals. Ich leg' ihn dir um, ja?" Der penetrante Schal-Verweigerer ließ es zu mit abermaligem, gedehntem "ja". Das Stimmchen begann in der Höhe und plumpste dann mit Bestimmtheit in die Kissen.

"Sie war ganz ruhig, hat gar nichts gewollt," berichtete ich meiner Tochter, die mit einer begeisterten Sheila aus dem Theater kam. Ich war mit meiner kleinen Enkelin derweil auf ungewisser Abenteuerreise gewesen, wir hatten Asyl gesucht und gefunden, und das Kind hatte mehrmals deutlich "ja" zu mir gesagt. Was es für Mini bedeutet hat, kann ich sie leider nicht fragen. Sie würde wohl antworten, daß wir zum Einkaufen waren. Und vielleicht noch, daß es Spaß gemacht hat.
 

Homosapiens

Mitglied
Hallo Blumenberg, danke für Deine Nachricht. Die Wortwiederholung habe ich gleich aus dem Text genommen. Du hast recht, die Rollenverteilung ist eine Generationenfrage. Jede Zeit prägt ihre Kinder,
erlernte Erwartungen können zählebig sein, bis irgendwann, manchmal erst spät, die eigene Reflektion einsetzt, lebenslanges Lernen. Der Knaller bleibt aus, der Großvater war darüber sehr erleichtert. Vielleicht hätte ich besser ein anderes Forum für meinen Text gewählt, für große Effekte ist das Geschehen zu klein, und Satire ist natürlich etwas anderes. Grüße von Homosapiens
 



 
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