Einmal Hölle und zurück

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Smartina

Mitglied
Stell Dir vor, Du bist nochmal 11 Jahre alt und gehst in die 6. Klasse. Neben Dir sitzt ein Mädchen. Still, unauffällig und anders. Sie ist schüchtern, meldet sich selten und liest gerne. Du nicht. Du bist anders als sie. Laut, rebellierend, vorlaut und Du meldest dich oft. In Deiner Klasse sind noch sieben weitere Mitschüler, die mit dem Mädchen in einer Klasse gewesen sind von der Grundschule an. Du weißt nicht, was diese acht Kinder in der alten Schule erlebt haben, doch Du bekommst am Rande mit, wie das Verhältnis zwischen der ganzen Klasse und diesem Mädchen ist.
Sie heißt Klara, ist blond, ein bisschen pummelig und nicht sehr modern angezogen. Ihre Kleidung stammt aus zweiter Hand, ist schon sehr alt und wirken wie aus den 70ern. Ihre zu große Brille stört euch. Ihr nehmt sie ihr weg.
Sie sagt nichts dazu. Sie ist es gewohnt. Als ihr Klara ihr Buch wegnehmt, sieht sie euch an. Mit ihren Augen fragt sie nach dem Warum. Doch ihr seid zu blind das zu erkennen. Eure Augen sind geblendet von Marken, vom Dazugehören.
Daraus macht Klara sich nichts.
Erst als es zum Unterricht klingelt bekommt Klara ihre Brille wieder. Doch zwischendurch nimmst Du ihr das Mäppchen weg, reichst es unter den Bänken hindurch auf die andere Seite, wo dein Kumpel Peter sitzt. In dem Moment, als die Lehrerin nicht aufpasst, springt er auf und legt das Mäppchen auf das Regal. Ihr beide wisst, dass Klara zu klein ist, um daran zu kommen. „Fruchtzwerg“ ruft ihr sie. In ihren Heften sind Beleidigungen, die ihr hineingeschrieben habt. Ihre Aufsätze habt ihr zerrissen. Ihr kennt ihre Naivität, weil sie noch immer hofft, irgendwann von euch akzeptiert zu werden. Sie würde euch glauben, wenn ihr sagen würdet: „Klara, da oben fliegen rosa Elefanten.“
Und so lachen Du und Deine Klasse sie aus und ihr erniedrigt sie. Sie hat schon daran gedacht, die Klasse oder gar die Schule zu wechseln. Dann sagt ihr, scheinbar wohlwollend: „Klara, mit deinen Klamotten bekommst Du nie einen Job!“
Sie sieht euch an. In ihren Augen liegt Misstrauen, sie ist skeptisch. Doch dann fragt sie: „Wirklich?“
Und ihr lacht sie aus. Schamlos nutzt ihr es aus, andere Menschen zu verletzen und ihnen zu zeigen, was ihr von ihnen haltet.
Und dann verspricht sie sich selbst, euch niemals diesen Triumph zu schenken, dass ihr sie gebrochen habt, dass ihr sie rausgeekelt habt, dass ihr euch an ihr Scherze erlaubt habt, die verachtungswürdig sind.
Sie wird noch fünf Jahre bleiben. Sie wird es ertragen, wenn ihr ihren Glauben verspottet, wenn ihr sie auf ihre körperliche Entwicklung ansprecht, wenn ihr ihre Bücher lest und sie deswegen auslacht.
Klara wird weiter leben. Sie wird an eurem Mobbing nicht zerbrechen und sich nicht umbringen. Aber diese Zeit wird sie prägen. Später wird sie es nicht leicht haben. Denn das, was sie durch euch verloren hat, ihr Selbstbewusstsein, ihre Ehre und ihren Mut, muss sie sich erst neu erarbeiten. Sie wird kritikunfähig und sensibel. Sie wird weinen, wenn ein Lehrer sie forsch anredet und nur schwer Vertrauen zu jemandem fassen können.
Und jetzt frage ich Dich: Wärst Du damit glücklich? Wärst Du zufrieden, wenn andere Deinetwegen es schwerer hätten? Wäre es Dein Wunsch, zuzusehen, wie andere unter deinen Handlungen zerbrechen?
Kinder können gemein sein, aber musst Du dazugehören?

Das ist eine Geschichte, die wirklich passiert ist. Dieses Mädchen gibt es noch heute und ich will mit dieser Geschichte allen Mut machen, die ein Opfer von Mobbing sind oder waren.
 
L

Law

Gast
@ Smartina,

solche Widerlichkeiten gibts auch bei Erwachsenen, hier war auch mal in der Lupe son Mobbingclub mit nem Rädelsführer am Werk. Aber wie in den Schulklassen auch, man trifft sich mehrmals im Leben und entweder tritt diese Typen das Leben mit Volldampf in den A..schllerwertesten oder man übernimmt das höchstpersönlich.
Ich hatte immer ein Problem mit gehässigen Menschen, aber es scheint ein menschlicher Zug oder Wesenszug zu sein, tief verborgen, wie die Mordlust oder andere Triebe und klar bei manchen in der Gemeinschaft unter gleichen, fallen die Hemmungen. Meine Kinder habe ich immer zu schützen versucht, bzw. schützten die sich selbst und ich wehre mich sofort wenn ich mich ungerecht behandelt fühle.
Wie sagte Muhammad Ali bezüglich seiner Einberufung zum Vietnamkrieg, die er boykottierte. Ich muss nicht so sein wie ihr wollt, dass ich sein muss, und diese Zivilcourage sollte jeder Mensch haben. Glaubt Ihr die Frau Merkel würde ihren Sohn oder Mann
zur Friedenssicherung schicken. Oder der Ex-Kanzler Schröder oder der Kohl hätte fürn einen Euro irgendwo die Suppe verteilt, oder nicht schwarz gearbeitet.
Arsch hoch -Zähne auseinander gegen Mobbing und Ungerechtigkeit.

LAW
 
N

no-name

Gast
Hallo Smartina,

nach der Überschrift hatte ich zugegebenermaßen einen völlig anderen Textinhalt erwartet, trotzdem haben mich Deine Zeilen so gefangen genommen, dass den Text zuende lesen musste.

Raffiniert finde ich Deinen Stil. Dein Kustgriff, den Leser direkt anzusprechen, hat bei mir wunderbar funktioniert.
Ich war zwar weder Teil der Gruppe derer, die Klara gehänselt haben, noch Klara selbst, aber das tut der Identifikation keinen Abbruch, da Du realitätsnah und lebendig schreibst. Außerdem kennt sicher jeder von uns eine Klara. Es ist traurig, wie grausam Kinder sein können!

Ein paar Kleinigkeiten sind mir aufgefallen, hier meine Änderungsvorschläge:

Kleidung stammt aus zweiter Hand, [strike]sind [/strike] [red]ist [/red]schon sehr alt und [strike]wirken [/strike] [red]wirkt [/red]wie aus den 70ern.
In dem Moment, [strike]wo [/strike] [red]als [/red]die Lehrerin nicht aufpasst,...

Und so [strike]lachst [/strike] [red]lachen [/red]Du und Deine Klasse sie aus und [red]Ihr [/red]erniedrigst sie.
Schamlos nutzt ihr es aus, andere Menschen zu verletz[strike]t[/strike]en und ihnen zu zeigen, was ihr von ihnen haltet.
Smartina, ich finde, Du hast einen - nicht nur für Dich -wichtigen Text geschrieben, der mich an Zwischenfälle aus meiner eigenen Kindheit erinnert hat. Die Klara in meiner Grundschulklasse hieß Bettina. Ich war mit ihr befreundet und sie war wirklich anders. Leider habe ich schon seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr. Heute hast Du dafür gesorgt, dass ich mich an sie erinnert habe. Danke.

Ein herzliches Willkommen in der Leselupe von mir an Dich. Ich freue mich auf weitere Texte von Dir.

Liebe Grüße von no-name.
 

Smartina

Mitglied
Danke für diese netten Kommentare und für die Verbesserungsvorschläge. Ich hoffe, jetzt ist es ein bisschen besser als vorher.
 



 
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