Eins mit der Welle (Bali/Lombok 2002, Episode 10)

Zerok

Mitglied
Wenn die Welle kommt, dann musst Du nicht vorbereitet sein. Wenn die Welle kommt, dann musst Du nicht mal schwimmen können. Ich meine, wenn DIE Welle kommt, dann musst Du nur eines sein: Du musst eins mit der Welle sein! Du musst die Welle in Dich aufnehmen. Du musst denken wie die Welle, fühlen, sehen, schlagen und umreißen. Du musst DIE Welle so annehmen, wie sie ist, und Dich vertrauensvoll auf sie einlassen. Wenn Du das schaffst, dann wird die Welle Dein bester Freund, Dein Segen und Dein Glück. Und die Wellen des indischen Ozeans haben genügend Kraft zum segensreichen Glück!

Wenn die Welle kommt und über Dich zusammenschlägt, Dich mit ihr mitreißt, Du Dich überschlägst, nach Luft ringst und das Salz des Meeres zu schmecken bekommst, bis Du schon fast auf dem Strand liegst und Dich immer noch die Kraft des Wassers weiter über den Sand treibt, dass Du denkst, Deine Haut wird in Streifen geschnitten, wenn das alles geschieht, dann hast Du nichts verstanden! Dann hat die Welle Dich besiegt.

Du liegst keuchend am Strand - für einen kurzen Moment - denn dann zieht Dich das Meer mit erstaunlich unbarmherziger Macht zurück. Zurück in seine Hände, geformt aus tausenden Fingern aus Schaum, um Dir erneut seine Macht zu demonstrieren und Dich erneut zu besiegen. Siehe dies als Chance, dieses Mal eins mit DER WELLE zu werden, denn allzu oft wirst Du dazu nicht mehr die Gelegenheit bekommen, bevor Dich die Welle endgültig vernichtet.

Während Du beim wiederholten Zurückschleudern über im Sand verborgene Felsen geschleift wirst, und die Haut Deiner Beine in Fetzen gerissen wird, während der aufgewirbelte Sand in alle Deine Körperöffnungen eindringt, dass selbst das Entweichen eines Darmwindes knirscht, dann kannst Du Dir sicher sein, dass das Opfer Deines Blutes Dir auch nicht mehr weiterhelfen wird und Du noch ein paar genesungsreiche Tage warten musst, bis Du es wieder wagen kannst, eins mit der Welle zu werden.

(Padangbai, 15.09.2002)
 

Renee Hawk

Mitglied
Hallo Zerok,

wie oft musstest du mit der Welle eins werden, um sie zu verstehen?
Schöne Beschreibung von einer natürlichen Symbiose. Da ich das Meeresrauschen hören konnte, bedanke ich mich fürs Lesevergnüge und behalte deine Episoden im Auge.

liebe Grüße
Reneè


PS.: "Wenn die Welle kommt und über Dich zusammenschlägt, Dich [red][strike]mit ihr[/red][/strike] mitreißt," <-- unnötige Verdoppelung
 

Zerok

Mitglied
Danke Renee, es freut mich, dass Dir diese Episode gefallen hat.

Ich habe es insgesamt dreimal versucht, "eins mit der Welle" zu werden. Insgesamt war ich an dem Tag vielleicht viereinhalb Stunden im Wasser.
Da sage noch mal einer, Strandurlaub sei was für faule Menschen. Eine Woche in den Wellen von Padangbai baden und man ist durchtrainiert, wie es einem in keinem Fitnessstudio besser widerfahren kann. Nur leider braucht man danach wahrscheinlich zwei Holzbeine. :)

Die Geschichte des Wellenbades geht auch noch ein wenig weiter.
Und zwar so:


Eine besonders gute Eigenschaft von salzigem Meerwasser ist seine desinfizierende Wirkung. Es beruhigt mich etwas, dass sich die roten Striemen auf meinem rechten Knie wohl nicht entzünden werden, als ich vom Meer weg über den Strand humpele.
Der Strand liegt in einer kleiner Bucht, östlich von der Ortschaft Padangbai selbst. Wir mussten einen kleinen Hügel überwinden und inmitten eines ausgedorrten Wäldchens den richtigen Weg raten, bis wir dieses kleine Badeparadies erreicht hatten. Eingeschlossen von einer Hügelkette und zwischen felsigen Steinen vulkanischen Ursprungs bietet der weiße und feine Sand Platz für ein paar Warungs*, die Handtücher und Sarongs einiger Touristengrüppchen und einer Ameisenkolonie, die ihren angestammten Platz uns gegenüber ebenso wehr- und schmerzhaft wie erfolgreich verteidigt hatten.
Während ich mich unserem Lagerplatz entgegenschleppe, bemerke ich, dass ein paar aus unserer Gruppe auf eine der Felsformationen geklettert sind, die unseren Strand einrahmen. Neugierig schlage ich einen Umweg ein und stehe auch bald schnaufend auf dem Gestein. Barfuß leider, denn die Steine sind auch hier recht scharf, und halbwegs angenehm kann man eigentlich nur in einer der vielen Pfützen stehen. „Halbwegs“ deshalb, weil in diesen Pfützen die Sonne das Meerwasser zu kochen scheint. Jedenfalls brennt es ziemlich an den Füßen, wenn auch nicht am ganzen Fuß. Merkwürdig! Ich blicke erstaunt zu meinen Füßen hinab, was meine Überraschung nicht sonderlich mildert. Aus meinem linken dicken Zeh steigt friedlich eine rote Blutsäule empor.
Die Felsen sind eigentlich doch langweilig. Ich hinke zu unserem Platz und setze mich an den Rand eines Warung, um etwas gegen die Verwundungen zu unternehmen, die ich mir beim brutalen Bad in den Wellen zugezogen habe: Ich beginne hingebungsvoll zu ächzen, was jedoch keiner der Anwesenden mit auch nur irgendeiner (bevorzugt mitfühlenden) Regung quittiert. Ich zähle an meinen Füßen drei mitunter recht tiefe Einschnitte, aus denen nur deswegen kein Tropfen Blut mehr sickert, weil sie mit Sand verklebt sind.
Die Wellen toben immer noch herausfordernd und verlockend auf der anderen Seite des Strands. Allerdings sollte ich mich besser aus dem wilden Bad heraushalten, will ich keine weiteren Schmisse an meinen Beinen und Füßen riskieren, die möglicherweise den Ausflug an den Kraterrand des Rinjani-Vulkans in einer knappen Woche gefährden können. So schwer es mir fällt, es ist ein Gebot der Vernunft, den Wellen fern zu bleiben.
Meine Gedanken klingen recht kummervoll, derweil ich sie mit einem leise klagenden Stöhnen untermale. Bemerkenswerterweise bilde ich mir erfolgreich ein, dass mir dies Linderung verschafft. Ich beginne, die Tonlagen meines Jammerns zu variieren und experimentiere mit dem Klang. Es überrascht mich etwas, wie gut das tut. Ich fühle mich immer besser.
Da sehe ich, wie sich Uli erhebt, um ins Meer zu gehen. Ich glaube, ich passe einfach ein bisschen mehr auf und begleite ihn...**

*Ein Warung ist so etwas wie das Missing Link zwischen Kiosk und Imbiss Bude und auf Indonesien sehr weit verbreitet.
**So sehr ich auch versuchte auf mich acht zu geben, mit der Entscheidung, ein zweites Mal eins mit der Welle zu werden, war das Los meiner Fußgesundheit zu ihren Ungunsten gefallen und das Schicksal meines letzten halben Meters Heftpflaster entschieden. Er reicht nicht mal mehr bis zum Rinjani-Treck, von dem mich allerdings ein paar weitere Wellenbad-Wunden und ein halb abgerissener Fußnagel nicht abhalten konnten.
 



 
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