Einsam sterben ist tragisch

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Betzebub

Mitglied
Horst saß wie jeden Tag hinter dem Tresen seines kleinen Elektro-Ladens. Seine Augen fixierten den winzigen Bildschirm seines in die Jahre gekommenen Computers. Ab und an blickte er durch die schon speckige und stumpfe Glasscheibe, die sich „Schaufenster“ schimpfte. Viele Leute liefen an seinem Laden vorbei, manchmal blieb einer stehen, sah sich die spärlichen Auslagen an, und ging dann weiter.
Er hatte oft gedacht, er könnte den Laden mal sauber machen oder die Scheibe reinigen lassen. Selbst dazu fehlte ihm die Motivation. Und irgendwelche Rechnungen konnte er auch nicht bezahlen. Bei der Ladenmiete war er schon drei Monate im Rückstand und die kleine Frührente reichte gerade so für die winzige Wohnung und das, was er für Nebenkosten und Nahrung ausgab. Früher oder später müsste er die Wohnung kündigen und sein Bett in dem kleinen und ohnehin leeren Lager aufstellen und dort wohnen.
Fast schon automatisch griff er zu der kleinen Schublade im Tresen und zog sie heraus. Es war mal wieder soweit. Sein Körper verlangte nach dem, was er als „Muntermacher“ bezeichnete. Der Billigfusel aus dem Discounter schmeckte ihm gar nicht. Aber mehr ließ sein Geldbeutel nicht zu. Immer wieder schwor er sich, dass diese Flasche die letzte sein wird, die er anrührte – seit drei Jahren.
Mit einem Klick auf „Senden“ schickte er nicht nur zwölf Reihen plus „Super 6“ und „Spiel 77“ ab. Auch die nächsten dreißig Euro fanden einen neuen Besitzer. Irgendeinen „Glücklichen“, der mit der Sucht anderer ein Heidengeld machte.
Horst wusste, dass er früher oder später „hopsgehen“ wird. Nur woran, konnte er nicht vorhersagen. Ihm war es im Grunde auch egal. Ob ihn jetzt sein dritter Herzinfarkt oder die Leber zugrunde richten würde, spielte für ihn keine Rolle mehr.
Irgendjemand hatte sich zu ihm an den Tresen geschlichen. Vorbei an dem Glöckchen über der Tür und vorbei an den Luftbefeuchtern, die mitten im Verkaufsraum wie eine Armee nebeneinander standen. „Ich bin gleich für Sie da“, brummelte er. Sein Blick fand seit mehreren Stunden kaum etwas anderes als den Computermonitor.
„Wir müssen reden, Horst!“, sagte sein Vermieter mit ernster Stimme. „Du bist drei Mieten zurück, Horst. Und so, wie es hier aussieht, sind’s nächste Woche sogar vier. Ich müsste dich rausschmeißen. Das weißt du. Und das dürfte ich auch. Ich kenn dich schon lange, Horst. Ich hab dir den Laden sogar mietfrei gelassen als du im Krankenhaus lagst und nicht arbeiten konntest. Aber du musst mich auch verstehen. Ich bin auf die Miete angewiesen. Ich geb dir jetzt noch bis zum Ende des Monats, die Miete zu bezahlen. Ansonsten muss ich dich hier wirklich rauswerfen“, argumentierte sein Vermieter.
„Montag, Horst. Hörst du? Montag hab ich zumindest einen Teil der Miete auf der Theke hier liegen. Hast du das verstanden, Horst?“, fragte Dieter Müller, während er mit seinem Zeigefinger seiner Drohung Nachdruck verlieh.
„Ja, Dieter. Verstanden“, antwortete Horst.
„Wir sehen uns Montag wieder, Horst. Tschüss“, verabschiedete sich Dieter und verließ den Laden.
Er ließ sich nichts von dem stechenden Schmerz in der Brust anmerken. Dieser Schmerz, der immer öfter und immer heftiger seinen Körper durchzucken ließ. Unwillkürlich fasste er an seine Brust. So, als würde er den Griff eines Dolches packen und versuchen, diesen Dolch aus dem Herzen zu ziehen, damit der Schmerz endlich aufhört.
Er versuchte, tief ein und aus zu atmen. Seine rechte Hand, zur Faust geballt, hämmerte auf seinen Brustkorb herum. Ein krächzendes, fast mechanisches Husten verließ seinen Mund. Er schloss seine Augen, in der Hoffnung, dass der Schmerz schwächer wird. Nach ein paar vorsichtigen, ruhigen Atemzügen öffnete er sie wieder. Mit zittrigen Händen tastete er seine Halsschlagader ab. Sein Herz raste. Das spürte er auch ohne, seinen Puls zu fühlen. Horst krallte sich mit den Nägeln an der Tischplatte fest. Der Bildschirm verschwamm immer mehr vor seinen Augen. Obwohl seine Heizung seit Wochen nicht mehr läuft, tritt ihm kalter, eisiger Schweiß auf die Stirn. Mit beiden Händen stemmte er sich mühsam auf der Holzplatte in die Höhe und taumelte wie ein Betrunkener in Richtung seines kleinen, leeren Lagers. Während er sich mit der linken Hand an der dreckigen Wand abstützte, schraubte er angestrengt das Ventil des Wasserhahns auf.
Mit dem verkrusteten, seit Ewigkeiten nicht mehr gewaschenem, Handtuch fing er den Strahl auf und wischte sich mit dem kalten Tuch den Schweiß von seiner Stirn. Sein Oberkörper schmerzte und sein Brustkorb fühlte sich an, als würde ihn jemand in ein Korsett schnüren und brutal und rücksichtslos die Schnüre zuziehen. Horst versuchte, zu atmen. Aber mit jedem Atemzug fiel es ihm schwerer, Luft in sich zu saugen. Die Kraft seiner rechten Hand ließ von einer Sekunde auf die nächste nach und der Stofflappen glitt aus seiner Hand. Keinen Wimpernschlag später verlor der linke Arm seine Halt und glitt nach unten. Alles um ihn herum schien sich in Zeitlupe zu bewegen. Einen festen Punkt zu fixieren wurde immer schwieriger. Letztendlich verloren beide Beine fast gleichzeitig ihre Kraft und Horst wurde auf die Knie gezwungen. Seine kraftlose Hand versuchte vergeblich, ein Loch in seinen Brustkorb zu reißen, um dem alten, geschundenen Herzen mehr Platz zum Arbeiten zu schaffen. Er spürte den sauren, fast schon giftigen Geschmack seiner Magensäure nicht mehr auf seiner Zunge. Nach einem letzten, anstrengenden Atemzug schloss Horst mit einem kaum erkennbaren Lächeln die Augen.

Erst als sich Dieter Müller wunderte, dass um 22 Uhr abends noch das Licht in Horsts Laden brannte, betrat er den Laden vorsichtig.
„Horst! Wo bist du? Hallo?!“, rief er. Dieter lief durch den Laden und suchte in jedem der wenigen Gänge nach seinem Freund. Erst im Lagerraum fand er Horst lächelnd auf dem Boden liegen.
Der Notarzt konnte nur noch seinen Tod feststellen.
 
K

Karn Hardt

Gast
Hallo Betzebub,

du hast unverkennbar ein plastisches Vorstellungsvermögen oder - wie man so schön schreibt: Fantasie - und somit Talent zum Schreiben.
Deshalb bin ich deinem Plot gefolgt, der (für mich) fast alle Bestandteile einer guten Geschichte beinhaltet: Mann in auswegloser Situation sucht Rettungsanker - und findet ihn im tagtäglichen Billigsuff, bis Prot. begreift, dass das nicht die Lösung sein kann. Der Vermieter steht auf der Matte, eigentlich ein Freund, der aber die Miete braucht.
Dann kommt´s: Die Rettung ist ein finaler Infarkt, dem schon mehrere voraus gegangen sind …

Sorry, da hast du deine Geschichte zu sehr auf Abschluss getrimmt und dich vor einer glaubwürdigen Pointe gedrückt. Hier streike ich als Leser. Warum das ganze Muschibubu vorneweg? Der Leser bekommt Input, das schlussendlich verpufft!?!

Gehen wir doch mal tiefer hinein in deinen Plot.
Ideen = [red]rot[/red]
Anmerkungen = [blue]blau[/blue]


Horst saß wie jeden Tag hinter dem Tresen seines kleinen Elektro-Ladens. Seine Augen fixierten den winzigen Bildschirm [strike]seines[/strike][blue]das es seiner ist, ergibt sich aus dem Text[/blue] [red]des[/red] in die Jahre gekommenen Computers. Ab und an blickte er durch die [strike]schon[/strike] speckige und stumpfe Glasscheibe, die sich „Schaufenster“ schimpfte. Viele Leute liefen an seinem Laden vorbei, manchmal blieb einer stehen, sah sich die spärlichen Auslagen an, und ging [strike]dann[/strike] weiter.

Er hatte oft [red]daran[/red] gedacht, [strike]er könnte [/strike]den Laden mal sauber [red]zu[/red] machen oder die Scheibe [red]zu[/red] [red]putzen[/red] [strike]reinigen lassen[/strike].

[blue]"Show, don´t tell", schreie ich dir hier zu - und streiche Füllwörter![/blue]


Selbst dazu fehlte ihm die Motivation. Und irgendwelche Rechnungen konnte er auch nicht bezahlen. Bei der Ladenmiete war er schon drei Monate im Rückstand und die kleine Frührente reichte gerade so für die winzige Wohnung und das, was er für Nebenkosten und Nahrung ausgab.
[blue]Diese Hinweise sind für das Charakterverständnis wichtig, aber IMHO schlampig umgesetzt (sorry für Vulgärsprache, aber du musst mal richtig durchgeschüttelt werden) :)
"Selbst" benötigt eine Erläuterung, die es in deinem Text "noch" nicht gibt. Sie impliziert etwas, was du noch nicht beschrieben hast. Deshalb ist das "Selbst" hier unangebracht. Entweder du bringst mehr Pech des Prots in Spiel, womöglich Scheidung, Kinder wollen nichts mit ihm zu tun haben, er war schon mal im Knast - oder sonst was ...

... irgendwelche Rechnungen ... Ich bitte dich: Entweder sind Rechnungen da oder nicht. "Irgendwelche" ... gibt es nicht. [/blue]

[red]Idee:
Auf so einen Scheiß wie Saubermachen hatte er keinen Bock, genauso wenig wie auf die blöden Rechnungen, die sich vor ihm türmten - und schon gar nicht auf die Ladenmiete. Drei Monate Rückstand und das bei einem Freund! Es war zum Kotzen, aber seine Einnahmen reichten gerade mal für seine Bude und notwendigstes Fressen. [/red]

An dieser Stelle höre ich erstmal auf, weil ich nicht weiß, ob dir derartiges Input genehm ist. Ich will weder in deinen Text eingreifen, noch dich irgendwohin lenken. Es sind auch lediglich Anmerkungen, wie ICH es als Leser empfinde und keine omnipräsenten Gesetze :)

Soll ich hier weitermachen oder liege ich falsch?

Grüße und - man liest sich ...
 
G

Gelöschtes Mitglied 18005

Gast
Hallo Betzebub,

ich bereue keine Sekunde, die ich mit dem Lesen deines Textes verbracht habe. Gefällt mir gut. Ich konnte intensiv eintauchen in diese Welt. Die verbitterte, ausweglose Krisensituation des Protagonisten hast du meiner Meinung nach lebendig dargestellt.

Das Lächeln von Horst kam unerwartet, davon hatte ich Gänsehaut. Eine wahre Erlösung, zur rechten Zeit. Vielleicht hätte ich auch gelächelt in dieser Situation, das kann ich mir vorstellen.

Ob danach der letzte Absatz nötig ist, weiß ich nicht: Ich wäre jedenfalls auch ohne zufrieden gewesen, denn danach konnte für mich die Wirkung kaum noch gesteigert weden (Das ist aber wirklich eine Kleinigkeit, womöglich liegt es nur am allerletzten Satz. Vielleicht willst du ja die Sache mit dem Notarzt auslassen und stattdessen das Aussehen von Horst aus Dieter seiner Perspektive beschreiben, wie er tot am Boden liegt, falls du nicht unmittelbar mit dem Lächeln des Horst aufhören willst; entscheide selbst, ich schildere nur meinen Blickwinkel).

Ich beneide dich, dass du diese Atmosphäre so schön aufbauen konntest. Ich werde mir den Text noch einige Male durchlesen und tiefer analysieren, falls es dir nichts ausmacht.

Freundschaftlich,
Etma
 

Betzebub

Mitglied
Danke für euer Feedback!

Die Geschichte hatte ich zuvor mit einem anderen Ende geschrieben. Dabei wurde Horst von Dieter halbtot aber kurz vorm Sterben gefunden und ins Krankenhaus gebracht, um dort zu sterben. Der Tod von Horst stand also schon von vornherein fest.

Allerdings hat mir dieses Ende nicht gefallen. Auch wenns sich jetzt hart anhört, aber eine solche Person hat es einfach nicht verdient, im Krankenhaus zu sterben.
Ein einsamer und mitunter schmerzvoller Tod passte einfach besser. Er hatte ja quasi nur noch Dieter, den Alkohol und das Lotto-Spielen.
Daher "musste" Horst auf diese Art sterben.

Das Lächeln auf Horsts Gesicht soll gerade makaber sein. Zum einen ist es das Letzte, an das man bei einem Toten denkt und zum anderen soll das die "Freude" von Horst darüber sein, dass er es hinter sich hat.
 

Betzebub

Mitglied
Nachtrag:


Idee:
Auf so einen Scheiß wie Saubermachen hatte er keinen Bock, genauso wenig wie auf die blöden Rechnungen, die sich vor ihm türmten - und schon gar nicht auf die Ladenmiete. Drei Monate Rückstand und das bei einem Freund! Es war zum Kotzen, aber seine Einnahmen reichten gerade mal für seine Bude und notwendigstes Fressen.

Warum sollte ich eine gute Geschichte mit einem solchen vulgären "Schreibdurchfall" füllen?

Die Figur des Horst wird plastisch dargestellt. Solch primitive und vulgäre Aussagen beschreiben die Situation von Horst nicht annähernd so gut, wie der bestehende Text.
 



 
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