Elftes Märchen: Von der Krankheit des alten Königs

VikSo

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Elftes Märchen: Von der Krankheit des alten Königs

An einem Sommermorgen führte der Prinz seinen schwarzen Hengst in den Hof der väterlichen Burg. Es war bereits in der Mitte des August; dennoch verdeckten schwarze Regenwolken den Himmel. Schwül und heiß drückte die Luft auf die Menschen. Unter diesen Umständen brachte der Prinz die unbekannte Braut in sein Haus. Und hier sollte die Geschichte enden. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Doch auch ein Märchen muss sich an die Wahrheit halten und die ist anders, als wir sie uns wünschen. Denn sobald die junge Frau einen Fuß auf den Burghof gesetzt hatte, spürte sie hundert Blicke auf sich gerichtet. Blicke des Misstrauens, des Zweifels und des Hasses.
„Wer ist diese Fremde, die uns der Königssohn als künftige Königin bringt?“
„Auf der Jagd soll er sie getroffen haben. Ein seltsames Wild!“
„Im Wald hat er sie aufgegabelt. In einer Höhle, so sagt man. So lebt kein Mensch, der ein reines Gewissen hat und sich unter seinesgleichen wagen kann.“
„Das schwarze Haar, das schwarze Kleid, die schwarzen Augen! Ein Hofnarr will ich sein, wenn das mit rechten Dingen zugeht!“
So gingen die Gerüchte hin und her und einer versuchte den anderen zu überbieten. Auch der König betrachtete das Waldmädchen mit scheelen Augen. Er war zwar nicht abergläubig, aber eitel und hatte sich für seinen Sohn eine Frau von edlem Geblüt, mit mächtigen und vermögenden Eltern gewünscht. Einzig des Prinzen Kumpan, der Hauptmann und der verliebte Bräutigam selbst begegneten der schüchternen Braut freundlich. Und das wollte der jungen Frau fürs erste auch genügen. Die Ehe wurde in aller Stille geschlossen und in Stille lebte das Paar die ersten Jahre dahin. Der Prinz richtete seiner Frau eine prächtige Kemenate ein. Doch lebte sie allein darin. Keine Hofdame und keine Freundin besuchte sie je. Auch hatten die beiden kein Kind, um das sich die Prinzengattin hätte kümmern können. Trotzdem war sie zufrieden. Sie umarmte die Einsamkeit, solange ihr Gemahl sie oft besuchte.
Es gingen aber auch weiter Gerüchte über die stille Fremde um. In mancher Nacht, so hieß es, verlasse sie heimlich ihre Kammer, besonders, wenn der Vollmond nahte. Dann spazierte sie auf und ab im Schlossgarten, wo der Prinz auf ihre Bitte hin einige Waldpflanzen und seltene Kräuter aus fernen Ländern hatte anpflanzen lassen. Am folgenden Morgen, so wussten schlaue Zuträger, röche es in der prinzlichen Kemenate stets wie in der Burgküche oder beim Apotheker.
„Ich will von unserer Prinzessin nichts behauptet haben.“, ging die Rede von Mund zu Mund, „denn unser Prinz liebt sie über alles. Doch bedenkt: Wenn sie eine Zauberin ist, dann vermag sie auch das Herz zu beeinflussen. Schon vorsichtigere Männer als unser Thronfolger sind auf die schwarzen Frauen herein gefallen“
Solch böses Geschwätz wisperten sie eine Zeit lang. Da begab es sich eines Tages, dass der König des Landes erkrankte. Niemand wusste, was ihm fehlte: Weder die Ärzte, die eilig aus allen Teilen des Landes herbei gerufen wurden, noch die Gelehrten, die im Thronsaal ihre grauen Häupter zusammen steckten, noch die Apotheker, die aus allen großen Städten in ihren schweren Gewändern und den goldenen Ehrenketten herbei kamen. Eine Kur nach der anderen erprobten sie an dem Kranken, doch vergebens: Statt besser wurde es nur immer schlimmer mit ihm. Da begann ein neues Gerücht durch die Gänge des Schlosses zu geistern: Gewiss sei der König vergiftet worden oder, schlimmer gar, verflucht. Ein Vertrauter müsse seinen Körper und das Herz besprochen haben, dass beide todkrank geworden seien. Und wer sei ihm so nahe, dass er dies ausführen könne? Wer habe am meisten davon zu gewinnen? Doch wohl sein Sohn, der den Thron erbte. Doch niemand wollte dem Prinzen des Reiches so etwas unterstellen. Von seiner Frau allerdings, die beim Tode des alten Herrschers zur neuen Königin aufstiege...
Je länger das Siechtum des Königs dauerte, desto lauter und unverschämter wurde dieses Gerede. „Entfernt die Hexe aus der Gegenwart des Königs, dann wird er schnell gesunden!“, forderten die mutigsten Stimmen. „Packt sie und schleppt sie über die Grenze des Reiches und er weilt bald wieder unter den Lebenden.“ Einzig die Prinzessin, die Tag und Nacht am Lager ihres Schwiegervaters wachte, wusste, dass diese Maßnahmen nichts nützen würden, denn der König lag auf den Tod.
Doch plötzlich, eines Tages – ein Wintertag, an dem die Tau auf dem nackten Boden gefroren war – schlug der Kranke die Augen auf. Er blinzelte. Er ließ den Blick schweifen. Er hob den Kopf. Die Ärzte eilten herzu. Die Gelehrten staunten. Die Apotheker ließen erschrocken ihre Stößel fallen. „Ein Wunder! Unvergleichlich!“ Sie zogen und zerrten an dem König herum, nahmen Blut, hörten das Herz ab, lauschten dem Atem. „Gepriesen seien alle Mächte – der König ist geheilt!“ Der ganze Hof erschien, die Genesung zu bestaunen. Doch woher kam der überraschende Wandel? Nachdem die Männer der Wissenschaft sich nächtelang umsonst den Kopf zerbrochen und das Volk viele Wochen erfolglos geweint und gebetet hatte? Das ging nicht mit rechten Dingen zu!
Da gab es einige, die wollten gesehen haben, wie die Prinzessin eines Nachts auf leisen Sohlen ihr Gemach verlassen hatte. In der mondlosen Finsternis, als selbst die Sterne sich furchtsam hinter düsteren Wolken versteckten, hatte sie sich durch ein Tor geschlichen, das sonst nur die Knechte und Diener benutzten. Wozu die Heimlichkeit? Wohin war sie gegangen? In den Wald, aus dem sie gekommen war? Was hatte sie dort gesucht? Hatte sie sich mit jemandem getroffen? Welche dunklen Gestalten konnte sie dort aufsuchen? Gar den Teufel persönlich? Vielleicht hatte die Hexe jetzt nicht nur den Prinzen, sondern auch dessen Vater in ihren Bann gezogen.
Dies waren die Gedanken, welche Knechte und Mägde, Ritter und Damen sich machten. Was wirklich geschehen war, war indessen dies: Die junge Zauberin hatte nacheinander alle Heilmittel an dem todkranken Herrscher versucht, die sie kannte. Zuletzt, ganz verzweifelt, sah sie ein, dass die eigene Weisheit ihr nicht weiter half. Darum beschloss sie, ihre einzigen Freunde um Hilfe zu bitten. In der Nacht, als sie am dunkelsten war, warf sie sich einen schwarzen Umhang über ihr Gewand, schlich sich still und heimlich aus der Burg und rannte den ganzen Weg bis zu dem geheimen Stollen. Dort traf sie an der Pforte des Bergwerks bereits die sieben Zwerge an. Diese hatten die betrübliche Kunde schon vernommen, denn ihre Spione, das Gewürm der Erde, kam überall hin, selbst durch die dicksten Mauern der königlichen Burg. Nun warteten sie, dass ihr Schützling sie aufsuche.
„Wir wissen, was du uns fragen willst.“, begrüßte sie Omega. „Die Antwort lautet: Ja. Wir wissen, welche Krankheit den Landesherrn befallen hat und dass diese Krankheit gewöhnlich zum Tode führt. Wir kennen auch ein Heilmittel dagegen; das einzige, das bis jetzt gewirkt hat. Es erfordert aber ein hohes Opfer von dir. Ein Leben kann man nicht einfach so retten, es sei denn durch ein anderes Leben. Bist du bereit dazu? So höre!“
Die junge Frau lauschte gebannt, nickte nur hin und wieder. Am Ende dankte sie den Zwergen, verabschiedete sich und kehrte zum Schloss zurück. In dieser Nacht schlief sie nicht, aber am nächsten Morgen war der Schatten von dem Schloss gewichen und der König wieder zum Leben erwacht.
Doch wie die Zwergin schon festgestellt hatte: Kein Glück wird ohne Preis erkauft. Der Prinz war über die Maßen froh über die Rettung seines Vaters. Doch selbst ein vertrauensvolles Gemüt wie seines musste sich über die seltsamen Umstände wundern, die dazu geführt hatten. Wie konnte einer am einen Tag halb tot und am nächsten quicklebendig sein? Auch verhielt sich seine Ehefrau seit der wundersamen Heilung sehr seltsam, sprach kaum und aß nicht und zog sich noch mehr in ihre Räume zurück als zuvor. Und wenn nun doch...? Sein Herz weigerte sich, etwas Schlechtes von seiner Liebsten zu denken, doch sein Verstand...
Zu dieser Zeit begann der Prinz, seltener seine Frau zu besuchen. Nicht dass er nicht genauso aufmerksam zu ihr war wie zuvor. Er machte ihr auch noch genau so viele Geschenke und brachte ihr die gleiche Ehrerbietung entgegen. Doch spürte die arme Prinzessin den Zweifel in seinem Blick, eine Kälte, die er nie ganz verstecken konnte. Darunter litt die junge Frau mehr als unter allen bösen Blicken und garstigen Worten, die sie je getroffen hatten. Viele Wochen hindurch quälte sie sich so dahin, ohne auf einen Trost zu hoffen. Eines Tages dann, am ersten Tag des Frühlings, war sie verschwunden.
Wohin verschwunden? Das fragte sich auch der Prinz. Das fragten sich auch die Freunde des Prinzen. Das fragten sich nach einiger Zeit der König, seine Hofschranzen und das Gesinde. Eifrig zerrissen sie sich die Mäuler über dieses neueste Ereignis, doch ohne eine Lösung dafür zu finden. Ja, nach einigem Nachfragen musste man sogar gestehen: Niemand konnte sagen, an welchem Tag die Prinzengattin zuletzt gesehen worden war. Gestern? Vorgestern? Wer hatte ihr beim Ankleiden geholfen? Wer hatte ihr zu essen gebracht? Wer hatte sich mit ihr unterhalten? Nicht einmal der Prinz wusste genau die Stunde ihrer letzten Begegnung zu benennen. Beschämt grübelte er, wohin seine Frau geflohen sein konnte. Endlich sattelte er sein Pferd und ritt davon, zum einzigen Ort, an dem er sie zu finden hoffen konnte.
Die Sonne war bereits im Sinken, als der Prinz sein Pferd vor dem Berg zügelte, in dem er seine Liebste gefunden hatte. Im Morgengrauen war er aufgebrochen und hatte weder seinem Tier noch sich selbst eine Pause gegönnt. Auch hatte er zuvor gemeint, sich genau an den Weg erinnern zu können. Doch nach einigen Stunden stellte er fest, dass dort, wo der Pfad hätte entlang führen müssen, plötzlich unwegsames Gestrüpp alles versperrte. Wo er glaubte, nach rechts gehen zu müssen, führte ihn der Weg nach links. Deutliche Markpunkte, an denen er sich orientieren wollte, waren verschwunden oder tauchten an ganz anderen Stellen auf, als erwartet. Es war, als wolle ihn der Wald davon abhalten, sein Ziel zu erreichen. Und selbst jetzt, da er die Stelle gefunden hatte, konnte er noch nicht aufatmen. Hier, neben den zwei Eichen, wo Farn und Moos so üppig wuchsen – war da nicht der Eingang zur Höhle gewesen? Noch vor einer Minute hätte er es schwören können. Doch so sehr er auch mit müden Händen den Fels abklopfte, da war nichts als massives Gestein.
„Heda, jemand dort?“, rief der Prinz. „Lasst mich ein! Gebt mir meine Frau heraus! Hört ihr? Ich, der Prinz und künftige König, befehle es euch!“ Wütend hämmerte er gegen den Berg. Dann ging er weiter. Vielleicht hatte er sich ja doch geirrt? Sorgsam, Stück für Stück abtastend, ging er weiter, Schritt für Schritt, einmal um den ganzen Berg herum. Tief in der Nacht war es, als er wieder an dem Ort ankam, von dem er aufgebrochen war. Sein treues Pferd hatte sich müde auf dem feuchten Gras nieder gelegt. Ringsum war alles still. Kein Wolf, kein Fuchs, nicht einmal der Wind ließ sich hören. Da ließ sich der junge Mann erschöpft und zitternd zu Boden sinken. An den Berg gelehnt schloss er die Augen und weinte bitterlich.
Das dauerte – wie lange? Eine halbe Stunde vielleicht, vielleicht auch mehr, möglicherweise auch nur ein paar Minuten. Da hob der Hengst des Prinzen auf einmal erschrocken das Haupt. Es hatte ein Geräusch gehört. War das das Getrappel von leisen Schritten? Da, nicht weint entfernt: Was waren das für Lichter, die sich auf sie zu bewegten? Merkte denn sein Herr nichts davon? Verängstigt wiehrte das arme Tier. Endlich! Jetzt regte sich der Prinz. Ruckartig setzte er sich auf und starrte auf das Licht, das nun immer näher kam.
„Heda!“, rief er mit kratziger Stimme. „Freund oder Feind?“
„Das sage du uns!“, antwortete ein bäriges Brummen. Beruhigt legte sich das Pferd nieder. Diesen Klang kannte er. Das waren die sieben Gestalten, die sie hier im Wald schon einmal getroffen hatten. Den Prinzen schienen sie ja nicht besonders zu mögen. Jedenfalls starrten sie ihn so feindselig an, dass es einem das Blut gefrieren konnte. Einem wehrlosen Tier aber würden sie nichts antun, denn sie waren selbst den Tieren viel näher als jeder Mensch es sein konnte.
Der Prinz indessen setzte sich wachsam auf. „Ich bin euer Freund.“, entgegnete er den Zwergen.
„Ein Freund?“, höhnte Gamma, den schmutzigen Bart schüttelnd. „Vor wenigen Stunden wolltest du noch unser König sein und uns befehlen.“
„Eine Armee hättest du mitbringen sollen, wenn du deinen Willen haben willst.“, fügte Alpha hinzu. „Und auch damit wirst du wenig gegen uns ausrichten können.“
Der Prinz senkte beschämt den Blick. „Verzeiht mir meine vorschnellen Worte.“ Bittend wandte er sich an Omega, denn er wusste, dass sie die Wortführerin in dieser Familie war. Außerdem erhoffte er sich von einer Frau mehr Mitleid als von ihren Brüdern mit den versteinerten Gesichtern. „Ich suche meine Frau. Habt ihr sie nicht gesehen? Sie ging fort von meinem Schloss und außer bei euch weiß ich keinen Ort, zu dem sie geflohen sein könnte.“
„Welchen Grund hatte sie denn, zu fliehen?“, schoss die Zwergendame dagegen. „Hattest du nicht versprochen, sie stets zu lieben und in Ehren zu halten, als du sie damals aus unserer Obhut locktest?“
Die Nacht bedeckte gnädig die Röte im Gesicht des Prinzen, als er erwiderte: „Es gab wohl bösartige Gerüchte auf der Burg, die sie aufgeregt haben. Es ist aber nicht so schlimm wie es scheint und ich will sie zurück holen.“
„Was du willst, ist hier vollkommen unwichtig.“, kam die Antwort. „Bist du sicher, dass du uns die ganze Wahrheit erzählt hast?“
Der Prinz starrte sie an. Dann senkte er abermals voller Scham das Haupt und begann, mit leiser Stimme von den Ereignissen zu berichten. Endlich verstummte er. Eine Weile war es still. Dann erklärte die Zwergin: „Was du uns berichtet hast, war uns schon zuvor bekannt. Wir wissen es aus dem Munde unserer Freundin, die bereits vor einigen Nächten völlig verzweifelt zu uns kam und uns um Hilfe bat. Sie hat sie auch erhalten, obgleich unsere Herzen darüber schwer wurden. Weil du uns die Wahrheit bekannt und dich selbst nicht geschont hast, sollst du erfahren, was geschehen ist. Folge mir.“
Mit diesen Worten ging sie auf die Stelle im Fels zu, wo der Prinz den Eingang vermutet hatte. Dort machte sie sich eine Weile lang zu schaffen. Ein Klicken. Ein Schleifen. Da öffnete sich vor den Augen des Prinzen das Portal und gab den Blick auf den Gang frei. In einer feierlichen Prozession gingen die Zwerge hinein. Als letzter winkte Delta dem Prinzen, sich ihnen anzuschließen. Endlos, noch länger als beim ersten Mal, wirkte für den Prinzen der Weg durch den Tunnel. Nach einer Ewigkeit entdeckte er vor sich den Eingang zur Höhle. Und da, auf einem Lager auf dem Boden, lag eine Gestalt. Sofort rannte der Prinz auf seine Frau zu, denn um wen anders konnte es sich handeln? Wie er jedoch bei ihr ankam, fand er sie schlafend vor und so sehr er sich auch mühte, sie ließ sich nicht wecken.
„Es ist vergebens.“, flüsterte Omega. Verständnislos wandte der Prinz ihr das Gesicht zu. Seufzend erklärte die Zwergin: „Sie kam zu uns, ein Heilmittel für deinen Vater, den König zu finden, obwohl sie als Heilerin wusste, dass seine Krankheit unmittelbar zum Tode führen musste. Selbst sie kannte dagegen keinen Trank und keinen Zauber. Uns aber, die wir auf eine ältere Weisheit zurückblicken, kannten ein Mittel. Aufheben lässt sich die Krankheit nicht. Der einzige Weg, sie von einem Menschen zu nehmen ist, sie einem anderen aufzubürden. Das sagten wir unserer Freundin und fragten sie, ob sie jemanden kenne, dem sie das antun könnte. Sie dankt uns und ging; aber vor wenigen Tagen kam sie wieder. Wir wussten es wohl schon und spätestens an ihrem müden Gang hätten wir es gesehen. Natürlich hatte sie niemand anderem die Bürde der Krankheit auferlegt. Stattdessen hatte sie sie selbst auf sich genommen. Todkrank, erschöpft und von Trauer erfüllt – Trauer, dass sie auch die Liebe ihres Mannes verloren hatte, das einzige, was es ihr wert machte, zu leben – sank sie in unsere Arme. Seit vielen Tagen liegt sie dort und ist nicht mehr zu Bewusstsein gekommen. Sie wird es auch nicht mehr. So wie sie ist, kann sie noch viele Monate schlafen, doch dann wird sie sterben, friedlich und im Kreise ihrer Freunde.“
„Wie konntet ihr das zulassen?“, rief der Prinz entsetzt. „Warum habt ihr mich nicht gewarnt? Helft ihr doch! Erklärt mir, wie dieser Zauber wirkt! Lieber will ich die Krankheit auf mich nehmen, als sie leiden zu lassen.“
„Dein Ansinnen ist ehrenvoll, aber schlecht überlegt.“, antwortete Omega traurig. „Zum ersten bist du kein Zauberer und könntest darum nur mit Mühe genug Kraft aufbringen, um Magie zu wirken. Und selbst wenn du es schafftest: Glaubst du, deine Frau würde sich ihres Lebens freuen, wenn sie wüsste, dass sie es durch deinen Tod erkauft hat. Sie wäre gleich tot wie jetzt, nur auf eine andere Art und du hättest dich umsonst geopfert.“
Der Prinz starrte die Zwergin an. Dann betrachtete er seine Frau. Endlich sank er in sich zusammen. In diesem Moment erkannte er, dass es keine Hoffnung mehr gab. Lange kniete er dort und schwieg. Endlich flüsterte er: „So lasst mich hier bleiben und bei ihr wachen. Verschließt den Berg und mich mit ihm. Ich will die Welt und die Menschen dort draußen nicht wieder sehen, denn sie haben mich das Wertvollste gekostet.“
„Du hast wohl gesprochen, Prinz. Deinen Worten wollen wir folgen und uns mit hinein begreifen.“ Damit kehrten die Zwerge ein letztes Mal zum Eingang der Höhle zurück, um ihn zu versiegeln. Kein Mensch, kein Tier und kein anderes Wesen hat ihn seitdem gefunden. Der Prinz aber und die Zwerge wachen noch immer bei der schlafenden Frau. Kaum einer weiß noch, dass er überhaupt zu suchen ist. Wer wollte es auch versuchen, denn was könnte einer anderes dort finden als Trauer und Leid? So endet die Geschichte der Frau, die eine Hexe sein sollte. Und wenn sie nicht gestorben ist, dann schläft sie dort noch heute.
 



 
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