Endlich still

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walter

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Das ist jetzt schon eine ganze Zeit her. Seit diesem Tag habe ich nichts mehr von ihr gehört.
Vielleicht sollte ich froh sein, dass ich nun endlich nicht mehr dem Druck unterliege, es einem anderen Menschen recht zu machen und frei von ihrem Urteil bin. Doch gerade das ist es, was mich beunruhigt - glaube ich. Anstatt dem Urteil eines anderen bin ich nun meiner eigenen Wertung ausgesetzt und dem gerecht zu werden, scheint mir um einiges schwerer.
Es ist seltsam: Ich hatte nie das Gefühl meine Ruhe zu haben. Jetzt, da sie weg ist, scheint sich eine erdrückende Stille über mein ganzes Leben zu ziehen, die mich fast schon auffrisst.
Ich wollte nicht, dass sie geht, dass es still wird vielleicht - nein das auch nicht. Ich wollte meine Ruhe. \"Sei doch endlich einmal still!\", schrie ich sie an. Und nachdem die Worte der Stille erlagen, sagten wir beide nichts. Sie packte einfach nur ihre Sachen zusammen und ging. Ohne etwas zu sagen. Jetzt weiß ich, das war ihr letztes Geschenk an mich. Es war kein schönes Geschenk - oh nein es ist eine Plage. Sie sagte nichts und gerade durch diese vollkommene Stille nach meinem Geschrei geschah es, dass dieser Augenblick immer noch anhält. Es wurde kein Schlussstrich gezogen, kein Ende fest gemacht. Nicht einmal die Tür, die in die Angeln fiel schien ein Geräusch zu machen.
Alles, was mir jetzt noch geblieben ist, sind die Erinnerungen an ihr lautes Lachen, ihre lebendige Stimme und ihren Atem, dem ich so oft lauschte nachdem sie eingeschlafen war. Doch weil diese Dinge nicht mehr an mein Ohr dringen, scheint es so als wäre jegliches Geräusch in meinem Leben verloren gegangen. Nicht etwa als wäre ich taub ? es ist weitaus schlimmer: Ich glaube die Stille zu hören. Sie brummt in meinen Ohren und durch meinen ganzen Kopf, bis aus ihrer Monotonie eine Schwingung wird. Es schwingt immer lauter, formt sich dann allmählich zu einem Echo, das nicht aufhören möchte zu wiederholen: \"Sei doch endlich einmal still!\", immer und immer wieder.
Bis die Stille unterbrochen wird, von einem lauten Klopfen. Es scheint jemand an der Tür zu stehen, oder vielmehr hoffe ich es.
Nochmal Klopfen! Doch ich zögere noch immer. Ich bin davon überzeugt, dass es nur meine Einbildung ist und ich möchte mich nicht lächerlich machen, indem ich ein Opfer meiner sinnlosen Hoffnung werde.
Aber es hat keinen Sinn: Immer deutlicher und heftiger hämmert es an der Tür.
Schließlich rufe ich doch: \"Ist da jemand?\". Und im gleichen Augenblick verstehe ich wieder den Unterschied zwischen der Stille und einem Geräusch.
Wie dumm ich doch bin.
Mir wird klar, dass die Stille nun wieder übergangen wurde, dass ich kurze Zeit mein Leben wieder mit einem Laut versehen habe, leider auch, dass diese Unterbrechung nicht von Dauer sein wird. Und es wird wieder alles um mich herum zuerst leise, dann ruhig, endlich still.
Sie schenkte mir, was ich immer wollte.
 



 
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