Engelszorn

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joecec

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Engelszorn


Uriel hatte sich in Marie verliebt, kaum dass sie das Licht der Welt erblickt hatte. Ihr unbeholfener Gang, diese wehklagende, sanfte Stimme und überhaupt das ganze Wehrlose an ihr zogen ihn vollständig in ihren Bann. Sie zwischen all den Gittern zu sehen und mitzufühlen, wie sie geschubst und gedrängt wurde, schmerzte in den Flügelspitzen. Das Elend der wenigen Jahre, die ihr bevorstanden, ließ sich an den Älteren ablesen. Da war keine Freude in deren Augen, nur Tristesse, Mutlosigkeit und bisweilen Angst, wenn sie ahnten, dass sie bald an der Reihe waren.

Keine Frage, Bauer Ewald musste weg, Marie gehörte nicht in Gefangenschaft. Uriel entschied sich für den kürzesten aller Dienstwege und schritt selbst zur Tat. Er ließ all seinem Zorn auf Ewald freien Lauf und bereitete dessen Leben ein wuchtiges Ende, indem er ihm einen der sieben Zwerge ins Rektum steckte, weil er das für die angemessene Strafe hielt. Der Zwerg würde zetern, aber darum wollte er sich später kümmern. Es war ja nicht das erste Mal.

Die Frau des Bauern kreischte, als sie sah, wie sich ihr Mann im Kreis drehte und fortwährend „Raus da!“ schrie, während ihm zappelnde Beinchen aus dem nackten Hintern ragten. Wie sie erkannte, dass er das nicht überleben konnte, nicht insgesamt und auch nicht den Tag, stellte sie das Kreischen ein. Die Hände noch vor den Erstaunen formenden Mund gelegt, eilte sie in den Flur, griff zum Telefon und rief ihre Freundin an.
„Tilly, das mit dem Urlaub geht klar. Ja, du buchst, ich zahle. Und Tilly, mach vier Wochen draus, das können wir uns leisten.“

Der greise Dorfarzt stellte Tod durch Verstopfung fest, konnte aber keinen nachvollziehbaren Grund dafür finden. Er unterschrieb mit zittrigen Händen den Totenschein und der Dorfbulle gab den Leichnam für den Bestatter frei. Gott sah vorwurfsvoll auf den unschuldig dreinblickenden Erzengel.
„Dachtest du, das bliebe unentdeckt? Habe ich nicht immer ein offenes Ohr für dich und deine … außergewöhnlichen Ideen? Musstest du das hinter meinem Rücken machen?“
Uriel wirkte ertappt, aber nicht ernsthaft schuldbewusst. Der Zwerg stand vor ihm, die Hände in die Hüften gestemmt, seinen derangierten Bart und die gerümpfte Nase präsentierend.
„Wärst du wohl so freundlich?!“
Uriel strich über den Zwerg, ohne ihn zu berühren und stellte dessen makellosen Anblick wieder her. Der Zwerg roch wieder nach Zwerg, aus dem Mund vielleicht ein wenig nach Schneewittchen.

„Und? Ist es jetzt besser?“ Gott sah Uriel an wie einen Sohn, der dem Nachbarn Milch geklaut hatte.
„Für Marie ist es besser.“ Uriel sah auf Marie, die frisches, saftiges Gras kaute und auf die anderen Schafe, die auf der Wiese standen oder tobten. Ewald saß neben ihm, die kurzen Flügel noch etwas unbedarft schlagend und sie sahen auf Marie, die jederzeit zu ihrer Mutter laufen konnte, wenn ihr die Jungs zu wild wurden, weil sie ihnen die Zunge rausgestreckt hatte. Und sie fanden, dass es gut war.
„Ich könnte dir noch hunderte Betriebe zeigen, in denen es wie in meinem zugeht“, schlug Ewald vor.
„Untersteht euch!“, warnte Gott und drehte sich schnell ab, weil sie grinsen musste.
„Wir müssen dir einen anderen Namen suchen“, befand Uriel, „kein Engel heißt Ewald. Und dann zeigst du mir die anderen Betriebe.“
 

jon

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Teammitglied
Hübsche Idee(n); die Ausführung hat mir prima gefallen. Auch wenn es ein paar inhaltliche Unstimmigkeiten gibt. Die größte und entscheidende: Wieso sollte sich durch den bloßen Tod Ewalds das Schicksal Maries so drastisch ändern??
 

Marker

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eine wilde mixtur mit maerchenversatzstuecken und koestlichen einfaellen (der zwerg, der aus dem mund ein bisschen nach schneewittchen riecht ... gott, der eine goettin ist, was ich ja schon immer vermutete ...) die mir gesamthaft geschmeckt hat. und ich mag sowieso engel, die der allmaechtigen die stirn bieten.
lg, marker
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo joecec,

die Nummer ist wirklich cool! Ich leide mit Ewald und dem Zwerg und freue mich für Marie und Ewalds Frau... Ja, so mancher Großbauer wäre besser aufgehoben als Engel, im Sinne des Tierwohls jedenfalls.

Gerne gelesen!
 



 
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