Entfremdung

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Mistralgitter

Mitglied
„Ich stecke mir frisches Gelb ins Haar“, riefst du fröhlich vor unserem Aufbruch. Als wir dann durch die alten staubigen Straßenschluchten wanderten von düsteren Dohlen geleitet, trug ich mein Leben auf der Hand. Aber dein Haar glänzte.
„Früher gab es hier doch Nachtigallen“, sagtest du verwundert.
Jetzt eilte uns das Gekrächze der Dohlen voraus und folgte uns unerbittlich bis ans Ende des Weges, bis nahe an den Rand, bis es nur noch Tiefe gab und keinen Himmel.

Dort zogen die Vögel ihr fahles Federkleid aus, flatterten ungelenk mit ihren faltigen Schwingen und nickten mit ihren kahlen unverständigen Köpfen. Vergilbt war ihre Haut über die Jahre, feiner Wüstenstaub hatte sich in ihre Furchen gelegt. Vergeblich trippelten sie auf papiernen Füßen suchend umher. Sie konnten keinen Mutterboden und kein Vaterland mehr finden. Ihr Land war bis zur Unkenntlichkeit vertrocknet.

„Sie hatten keine andere Wahl“, sagtest du voller Mitleid, und ich war erschüttert. Wir legten ab, was wir mitgebracht hatten, dein frisches Gelb und mein Leben, und bedeckten die Tiefe damit. Du schautest nach den Wolken.
„Endlich ist der Himmel dunkel“, stelltest du zufrieden fest.
„Es wird bald regnen“, rief ich den federlosen Dohlen zu.
Wir überließen sie dem kommenden Regen und kehrten um. Erst später schauten wir zurück.
 



 
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