Entwicklungshilfe

4,50 Stern(e) 6 Bewertungen

Mazirian

Mitglied
Entwicklungshilfe

Daß die Jungs von der Air-Force damals ein echtes UFO geschnappt hatten, war ja an sich schon ein wahres Heldenstück. Aber daß sie sich den Burschen, der drinnen saß, lebendig greifen konnten, eröffnete der Erde und der sie bewohnenden Menschheit die schönsten Perspektiven.
Denn eines ist mal klar: Die Sache mit dem UFO passierte genau zum richtigen Zeitpunkt. Viel länger hätte die Menschheit nicht mehr auf ein solches Ereignis warten können. Es sah nämlich zu jener Zeit ziemlich schlimm aus mit der Erde: Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, Kriege, Energie- und Rohstoffknappheit, Klimakatastrophe...aber wem erzähle ich das? Wir waren schlicht am Ende!
Und in dieser ausweglosen Situation kam, wie ein rettender Engel, jenes UFO aus den unendlichen Weiten des Alls bei uns vorbei. Es näherte sich aus Richtung Sirius, hatte einen ziemlichen Zahn drauf und das nicht alltägliche Pech, daß zur gleichen Zeit der Halley'sche Komet im Sonnensystem unterwegs war - auf gleicher Ebene und auf einem perfekt getimten Kollisionskurs. Allerdings nicht besonders schnell und auch nicht mehr besonders groß, denn Halley war diesmal zu dicht an die Sonne geraten und explodiert. Was von ihm noch übrig war, war nicht größer als ein Kühlschrank, hatte aber immer noch einen recht imposanten Schweif.
Der Bursche in dem UFO mußte wohl irgendwie eingeschlafen sein, sonst hätte er dem Kometen sicher leicht ausweichen können. Aber so knallte es eben. Dem UFO wurden die Steuerdüsen weggerissen und es hatte noch Glück, daß es sich in der Nähe der Erde befand und an der Südgrenze von British-Columbia notlanden konnte, in einem 600 Quadratkilometer großen Sperrgebiet unweit eines Reaktorkomplexes, an den sich niemand mehr herantraute, seit man ihn vor 25 Jahren notabgeschaltet hatte.
Normalerweise hätte es dort in hundert Jahren niemand gefunden, aber die Air-Force und NORAD hatten es durch Zufall schon auf dem Radar, als es seinen Unfall hatte. Sie wußten auch gleich, was sie da vor sich hatten und wo es runterkommen würde. Also leitete die Regierung entsprechende Maßnahmen ein - großzügige Maßnahmen. Drei volle Divisionen Infanterie und etliche Spezialeinheiten wurden in Marsch gesetzt und sperrten das betreffende Gebiet weiträumig ab. Wenn das fremde Raumschiff den Kundschafter für eine spätere Invasion trug, sollte er gleich den richtigen Eindruck von der Wehrhaftigkeit der Erdbewohner bekommen. Allerdings waren es nur Bodentruppen, die eingesetzt wurden, denn auch die Air-Force mußte Energie sparen und flog nur noch zu besonderen Gelegenheiten. Zwei Hubschrauber stiftete das Oberkommando denn doch noch, da auch der Präsident und einige andere hohe Tiere nach British-Columbia wollten, um sich die Sache anzusehen.
Die Sache - das war ein Metallellipsoid mit vielleicht 20 Meter Länge, 10 Meter Durchmesser und einer Einstiegsluke an der Seite. Man brach sie auf und holte den völlig benommenen Piloten heraus: Ein hasenähnliches Wesen mit Knopfaugen, einem Schweinerüssel und einem drolligen Stummelschwanz, den es auf die dreifache Länge ausfahren konnte (was den Biologen später noch so manches Rätsel aufgeben sollte).
Da man der Ohnmacht des Fremden nicht recht traute, bekam er eine tüchtige Dosis Beruhigungsmittel injiziert, bevor man ihn in einen Sicherheitstrakt im Pentagon schaffte und die besten Wissenschaftler aus aller Welt zusammentrommelte, auf daß sie sich mit ihm beschäftigten. Der Fremde kam dort rasch wieder zu sich und man hätte sicher ganz vernünftig mit ihm reden können, hätte man nur seine Sprache beherrscht. Diese indes war nun nach Auskunft der zuständigen Wissenschaftler so komplex und fremdartig, daß man wahrscheinlich mehrere Jahrzehnte brauchen würde, um sie so weit zu entschlüsseln, daß man den Fremden zum Beispiel nach seinem Namen fragen konnte.
Gottseidank war der Fremde so clever, wie man es sich von Exoterrestriern immer vorstellt, so daß es ihm keine große Mühe bereitete, binnen sechs Wochen die 50 wichtigsten Erdsprachen zu erlernen (inclusive der Delphinsprache, die er sich beim Ansehen eines alten Kinderfilms aneignete). Nun, nachdem die Forschung so weit gediehen war, konnte man schließlich darangehen, den eigentlichen Kontakt zu knüpfen und den eventuellen Nutzen aus der Sache zu ziehen.
Wo er denn herkäme, wollten die Wissenschaftler als Erstes wissen, und ob man denn richtig läge, wenn man zum Beispiel 'Sirius' sage.
Jaja, Sirius sei schon in Ordnung, da lägen sie sogar verdammt richtig. Aber natürlich könne er nicht preisgeben, von welchem der 152 Siriusplaneten er genau komme.
Oh, natürlich; das sei auch gar nicht so wichtig. Man habe ja ohnehin keine Gelegenheit, dorthin zu kommen. Interresanter sei, ob er den Kapitalismus oder den Kommunismus für besser halte.
Mh, am Besten sei es, wenn jeder so viel Geld habe, wie er brauche.
Diplomatische Antwort... sei er vielleicht Diplomat?
Nein, nein, er sei bloß Entwicklungshelfer, auf dem Weg zu den primitiven Winselhasen von Wega IV, um denen zu zeigen, wie man Räder mit zentrierten Achsen baue. Er habe sich halt bloß verflogen.
Hoppla, Entwicklungshelfer? Da sei er ja wohl umfassend ausgebildet?
Klar! Er sei Ingenieur, Ökologe, Finanzfachmann...
Spitze! Da könne er ja auch gleich den Erdenmenschen ein wenig Know-How beibringen... wo er nun schon mal hier sei und auch nicht so schnell weg könne, weil sein Schiff doch ziemlich mitgenommen sei.
Ach, das habe er in ein paar Tagen repariert...
Sicher, wenn nur das Schiff nicht gerade bei einer Untersuchungskommission festhinge... für mindestens ein halbes Jahr...
Ah, wie dumm. Trotzdem habe er nicht den Eindruck, als ob er den Menschen noch viel beibringen könne. Außerdem habe man die Erde schon seit längerer Zeit beobachtet. Er habe ja ehrlich keine Ahnung wieso, aber es stünden schwere Strafen darauf, den Erdlingen technisches Wissen zu vermitteln. Man habe da so seine Bedenken...
Das sei ja nun schon weit weniger diplomatisch.
Schon möglich, aber so seien nun mal die Vorschriften und an die müsse er sich eben halten.
Ach ja? Und er könne es also ruhigen Gewissens verantworten, Frauen und unschuldige Kinder verkommen und verhungern zu sehen, zuzulassen, daß eine ganze Zivilisation in Elend und Not versinke... hilflos zusammenbreche?
Nun, schön sei daß natürlich nicht, aber er wisse...
Ob er denn wisse, was das für ein schwarzes Metallgerät sei, das der Chefanalytiker ihm da unter die Nase halte?
"Okay", sagte der Fremde und lenkte diskret den Pistolenlauf von seinem Nasenloch weg. "Ihr seid zähe Verhandler. Was wollt ihr also wissen? Eins sag'ich euch aber gleich: Ich gebe nur das Know-How weiter. Alles weitere müßt ihr selber machen... Geräte bauen, Infrastrukturen schaffen und so weiter..."
"Schon recht", nickte der Chefanalytiker. "Also als erstes..."
"Krebs!" hustete einer aus den hinteren Reihen. "Wir brauchen ein Mittel gegen Krebs!"
"Und eins gegen AIDS!" rief röchelte einer von weiter vorn.
"Und ich möchte endlich mal wieder richtig..."
"Kein Problem!" sagte der Fremde. "Im brasilianischen Bundesstaat Para, in der Sierra Dos Carajas entspringt ein Fluß mit dem Namen Rio Jacundá. An seinem Unteralauf wächst eine knollenbildende Pflanze mit roten Blüten. Sie bildet in ihren Knollen einen Wirkstoff, der gegen Krebs und AIDS gleichzeitig hilft und außerdem jegliche Form von Impotenz heilt"
"Prima!" riefen alle.
"Scheiße!" rief ein einzelner hinterher. Es war einer von den Ökologen und er beantwortete die fragenden Blicke seiner Kollegen umgehend: "Alles abgeholzt da unten. Schon vor 50 Jahren. Das Tal ist eine einzige Kaffeeplantage."
"Pech für euch", sagte der Fremde. "Das war die einzige Stelle in der ganzen Galaxis, wo das Zeug wächst. Und synthetisieren kann man es nicht. Aber falls euch das tröstet: Ihr habt die niedrigsten Kaffeepreise im ganzen Spiralarm..."
"Die Energiekrise!" krähte jemand dazwischen. "Wie beheben wir die Energiekrise?"
"Ihr müßt eure gesamte Wirtschaft auf eine wartungsfreie Silicium/Wasserstoff-Technologie umstellen. Sonnenenergie und Elektrolyse, wißt ihr." Die Antwort erzeugte lange Gesichter.
"Hey, das hätten wir auch selbst gewußt!"
"Warum handelt ihr dann nicht danach?"
"Mit so billigen Sachen wie Sand und Wasser läßt sich doch kein vernünftiger Schnitt machen..."
"Na gut", seufzte der Chefanalytiker. "Wasser und Sand haben wir zum Glück noch genug. Aber wie steht's mit dem Hungerproblem? Wie kriegen wir die Weltbevölkerung satt?"
"Ihr solltet weniger essen. Vor allem weniger Fleisch. Und außerdem seid ihr viel zu viele. Keine Rasse in der ganzen Galaxis leistet sich eine Planetenbevölkerung von zwölf Milliarden Köpfen."
"Ist der von der New-Age-Bewegung? Mit diesem Gewäsch können wir nichts anfangen!" Der Fremde zuckte die Achseln. "Schon möglich. Aber so machen's alle in der Galaxis. Einige einfache arithmetische Berechnungen und man weiß, was man tun darf."
"Blödsinn, so kommen wir nicht weiter. Was wir wollen ist High-Tech! Den Sternenantrieb brauchen wir. Dann helfen wir uns selbst."
"Den Sternenantrieb! Den Sternenantrieb!" scholl es ringsumher. Der Fremde zog mit dem Zeigefinger vielsagend sein unteres Augenlid nach unten.
"Damit ihr das ganze Weltall vor den Ofen fahrt, wie? Nichts zu machen Leute. Hier hat der Topf ein Loch!"
"Im Weltall ist Platz für alle. Wenn wir nicht von der Erde wegkommen, können wir uns beerdigen lassen... und du dich übrigens auch." Ein Pistolenhahn klickte peinlich laut.
"Okay," sagte der Fremde. "Ich seh' schon, euch steht das Wasser bis zum Hals. Also paßt auf Freunde: Es ist ein ganz einfaches Prinzip. Als erstes..." Hälse wurden gereckt, Ohren gespitzt und Cassettenrecorder angeschaltet. "...als erstes braucht ihr mal Benzin. Und zwar in rauhen Mengen!"
 

GabiSils

Mitglied
Hallo Mazirian,

willkommen in der Leselupe.

Aber falls euch das tröstet: Ihr habt die niedrigsten Kaffeepreise im ganzen Spiralarm...
Das ist mal wirklich boshaft. :D Die Story hat was von Robert Sheckley, so etwas gefällt mir immer. Prima!

Gruß
Gabi
 
Geht uuuuuunheimlich lahm und so richtig typisch durchschnittlich an, von Stil kaum eine Spur, dafür mehr von Klischees. ABER ab den Dialogen (in inderekter Rede, passt ausgezeichnet!) krachts richtig! Offensichtlich liegt dir diese Form mehr, bzw. am bloßen Erzählen ohne Rede solltest du noch arbeiten, denn der Humor im letzten Teil ist ganz weit vorn! Sorry, ist auch nur meine bescheidene Meinung. Neben den Kaffeepreisen und der ungeheuren Menge Benzin ist übrigens "Was von ihm noch übrig war, war nicht größer als ein Kühlschrank, hatte aber immer noch einen recht imposanten Schweif" mein absoluter Favorit. :)
 

Mazirian

Mitglied
Hallo Sunufatarungo (ups, ich brech mir die Finger ;), woher kenn ich das? Ist das aus einem Corben-Comic?

vielen Dank für die insgesamt wie ich finde recht positive Kritik. Wie du gesagt hast besteht die Geschichte aus 3 Abschnitten: einem lahmen (ich würde eher sagen "unverbindlichen") Anfang im Erzählton, einem Mittelabschnitt in indirekter Rede und einem Schluß in direkter Rede, mit stetig sich steigerndem Tempo. Es ist halt eine typische Plot-Geschichte, sie ist sehr kurz und der Plot ist eher einfach gestrickt. Der Gedanke dabei war, einen möglichst großen Gewinn an Dynamik vom Anfang bis zum Schluß zu kriegen. Deshalb hab ich den Beginn sehr flach und klischeehaft gehalten und nur die Gesamtsituation grob skizziert. Nicht mehr als man braucht damit der Plot funktioniert. Ein bißchen Stilmittel war's also schon.
Aber du hast natürlich Recht, ich hab wohl im ersten Drittel das Handwerkliche ein wenig vernachlässigt und das ganze zu flüchtig hingeworfen. Auch Klischees kann man sicher interessant einsetzen. Werd's mir zu Herzen nehmen für's nächste Mal.

In diesem Sinne
nochmals vielen Dank

Achim
 
Wenn du meinen Usernamen kennst, solltest du entweder Germanistik studieren oder spaßeshalber das Hildebrandtlied kennen. Sunufatarungo ist in der gesamten deutschen Sprachgeschichte einmaliges synthetisches Wort und bedeutet nichts anderes als "der Vater und der Sohn".:)

Wie gesagt, nimm dir trotz allem die Kritik nicht allzu sehr zu Herzen, denn der gute Teil wiegt eindeutig schwerer!!!
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Ich finde es klasse, wie es ist.

PS: Wie wär's, es für die Lupen-Anthologie 2002 anzubieten? (http://www.leselupe.de/anthologie.php)
 

Mazirian

Mitglied
Hallo Jon,

Vielen Dank für dein Lob. Etwas Befriedigenderes kann man einem Autor sicher nicht sagen :).
Ich nehm's mir genauso zu Herzen und werd nichts mehr dran ändern. Ich hoffe nur ich kann das "Niveau" halten.
Die Anthologiegeschichte hab ich mir mal angesehen. Find ich sehr interessant und werd auf alle Fälle drüber nachdenken. Soll das gedruckt werden? (wg. "...auch als Geschenk...").

schönen Gruß

Achim
 

nemo

Mitglied
Respekt !

Hat mir sehr gut gefallen !!
Ein sympathischer Ausserirdischer :)

Weiter so !!!

Schönen Gruß

Nemo
 



 
Oben Unten