Er hörte David Bowie

Dirk

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Er hörte David Bowie, trank Kaffee schwarz und rauchte am liebsten französische Zigaretten. Steven dachte immer er währe eigentlich ein normaler Mensch. Nie hatte er jemals eine Frau schräg angemacht – nie hatte er sich geschlagen – bis auf das eine mal – nie hatte er irgend etwas gemacht, was gegen das Gesetz verstößt – bis auf das eine mal als er etwas Gras geraucht hatte.

Steven war 20 und hatte noch nie mit einer Frau geschlafen, außerdem hatte er so seine Probleme Anschluß in der Gesellschaft zu finden. Mit einer Kippe zwischen seinem rechten Mundwinkel schlenderte er die Einkaufspassage entlang und wippte leicht mit dem Kopf zur Musik Bowie’s, die aus seinem Walkman dröhnte. „[...] this is sex – and the church – sex and the church – sex and the church [...]“, schallte Bowie’s verzerrte Stimme. In diesem Moment sah er eine junge Frau Anfang 20. Ihr Po war knackig in die enge Jeans gepreßt. Ihre Taille und ihre Brüste unter dem blauen Top formten eine atemberaubende, weibliche Silhouette. Der nächste Song stimmte in seinem Walkman ein und Bowie sang „Strangers when we meet“ Mit verträumten Augen verfolgte er dieser jungen Schönheit. Schüchtern riskierte er einen Blick in ihr Gesicht. Ihre hellen, grünen Augen, ihre prallen Lippen und ihre roten Haare wirkten lähmend auf seinen Verstand und er spürte nur noch ein tiefes Verlangen. Er spürte es in einer Stärke die er so oft schon kannte. Wie in Zeitlupe schien sie an ihn vorbei zu schlendern. Er dachte ein Lächeln gesehen zu haben. Er dachte es galt ihm. Dann drehte er seinen Kopf und sah wie sie strahlend auf eine Gruppe Menschen hinsteuerte. Herzhaft begrüßten sie sich einander und sie gab einen großen, muskulösen Typen einen tiefen Zungenkuß. Steven drehte sich wieder um. Er spürte keinen Schmerz. Er kannte diese Art der Situation zu oft. Steven träumte oft von Kino. Er stellte sich vor wie er seinen eigenen Film machen würde. Er währe der Regisseur – er währe der Produzent und niemand würde ihm ins Handwerk pfuschen. Zum ersten mal würde er den Ton angeben – zum ersten mal würden andere nach seiner Pfeife tanzen.

Wie in einem Hollywoodstreifen fand die Szene ein klägliches Ende als er im Tran eine junge Passantin anrempelte. Schüchtern versuchte er sich zu entschuldigen und half ihr die heruntergefallenen Einkaufstüten aufzuheben. Wie in einem miserablen Liebesdrama starrte er in ihre Augen. Sie blickte zuerst warm in sein Gesicht dann verzog sich jedoch ihre Miene und wirkte eher verärgert. Als sie ihm wieder die Tüten abgenommen hatte tippelte sie hastig davon. Die Absätze ihrer Schuhe klackten energisch auf dem Kopfsteinpflaster. Steven setzte die heraus gerutschten Kopfhörer wieder auf. Das Tape wechselte die Seite und Bowie krächzte „Cracked Actor“ in der Liveversion aus den Siebzigern. In seiner eigenen Welt versunken lief er über die Brücke an einem Touristen vorbei, der mit einer Videokamera den Straßenverkehr filmte. Als er direkt vor seiner Linse durchs Bild stiefelte drehte er sich um und fluchte einen unverständlichen Satz hinterher. Als Steven den Park erreicht hatte fläzte er Sich auf eine Bank, holte ein Bier aus seinem Rucksack, öffnete es entspannt und nahm ein paar große Schlucke. Dann steckte er sich genüßlich eine Gauloises an und lauschte der Musik Bowie’s aus seinem Walkman. „[...] Crack, baby, crack, show me you're real Smack, baby, smack, is that all that you feel [...]“ quäkte seine Stimme durch den Kopfhörer mit der Kombination krachender Gitarrenriffs. Steven kratzte sich an den Bartstoppeln seines Kinns, griff die Zigarette, zog sie aus dem Mund und inhalierte den Rauch. Er mochte so eine Phase. Eine Phase der Ruhe; er fühlte sich einzigartig und suchte seine Individualität. Als er den Kippenstummel weg schnippte donnerten die letzten Riffs des Songs durch den Kopfhörer. Nach einer kurzen Pause auf seinem Tape krachte der Song „the Pretty Things are goping to Hell“, los.

In diesem Moment setzte sich eine junge Frau neben ihm. Er blickte verlegen in ihr Profil und sah, daß es die Frau, welche er vor ein paar Minuten angerempelt hatte. Diesmal hatte sie nicht ihre Einkaufstüten dabei. Durch eine höre Macht gesteuert drückte er den Fastforwardbutton und Bowie sang nun „Wild is the wind“ Die langsamen und sanften Gitarrenklänge durchflossen sein Blut. „[...] Love me, love me, love me, say you do Let me fly away with you [...]“, begann die sanfte Stimme zu singen. Sie setzte eine Colaflasche an ihre Lippen an und trank langsam die kalte, braune Flüssigkeit. Ein Tropfen floß von ihrem Mundwinkel über ihren erotischen Hals hinunter. Steven wurde zunehmender heißer. Er nahm die Ohrstecker heraus und lies sie über sein T-Shirt baumeln. Es kam ihm wie in einem Liebesfilm vor – er dachte die Musik würde laut im Hintergrund weiter laufen. Steven rückte etwas näher an ihre Seite und blickte abermals in ihr Profil. Behutsam richtete sie ihr Gesicht in seine braunen Augen. Seine Dreadlocks flatterten im Wind. Ihr schulterlanges, rotes Haar amte die Bewegungen nach und suchten ihren Weg in dem Luftstrom. Steven spürte einen dicken Klos in seinem Hals. Verzweifelt suchte er nach Worten. Plötzlich griff sie sich eine seiner Dreadlocks zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann steckte sie ihre komplette Hand in seine Frisur und graulte seinen Kopf. Steven wirkte verlegen. Er wußte nicht recht wie er reagieren sollte. „Sorry – aber ich habe noch nie solche Haare angefaßt.“, sagte sie mit einem schüchternen Lächeln. Stevens Verstand lockerte sich etwas. „Und wie fühlen sie sich nun an?“, fragte er sie. Sie zog langsam wieder die Hand von seinem Kopf und nippte an ihrer Cola. Steven wußte nicht recht ihr Schweigen zu deuten. Was trieb sie für ein Spiel? Wer war sie Überhaupt? – Fragen plagten ihn – Fragen die ihm nicht mehr loslassen wollten. Sie hafteten in seinem Geist wie ein Dämon. Als sie schließlich ihre Coce ausgetrunken hatte und Bowie inzwischen wieder einmal am Ende des Tapes angelangt war, stand sie auf, schaute in sein verwirrtes Gesicht und verschwand wieder. Ihr Schritt war verführerisch und gefährlich. Erst jetzt bemerkte er richtig ihre weibliche Schönheit. Als sie aus seiner Blickweite verschwunden war klatschte er laut mit dem rechten Handteller gegen seine Stirn. „du Idiot!“, fluchte er laut zu sich selber und die anwesenden Passanten schauten verdutzt zu ihm hinüber., „Warum hast du sie nicht nach ner Telefonnummer gefragt?“

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