Erdbeerkuchen - und die Folgen (2)

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BeAngeled

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Warum nicht? Oder doch?

Mit meinen Telefonnummern und seiner Hoffnung auf ein erneutes Treffen am Wochenende hatte Ferry, eindrucksvoll die Reifen quietschen lassend, mich am Theodor-Heuss-Platz stehen lassen. Von hier kam ich ganz bequem – und ohne preiszugeben, wo ich denn nun genau wohnte - nach Hause. Zwar trennte mich noch ein kleiner Fußmarsch von meiner Bushaltestelle, aber so hatte ich wenigstens noch ein wenig Zeit, über das eben Erlebte nachzudenken; er war wie ein Wirbelsturm über mich hereingebrochen und ich war mehr als verwirrt.
Konnte das wahr sein? Er war eigentlich der Typ Mann, der mich überhaupt nicht interessierte; weder emotional noch intellektuell; ein Partymensch, laut, verrückt, mit wenig Interesse für das, was um ihn herum passierte – egozentrisch, selbstverliebt, rücksichtslos.
All das war mir schon jetzt klar und dennoch, irgend etwas zog mich magisch an – vielleicht waren es ja auch gerade diese „negativen“ Eigenschaften und ich hatte doch so langsam genug von weichgespültem und angepasstem Geseiere. Das musste ja auch irgendwann passieren. Meine letzten Beziehungen waren letztendlich alle an Langeweile zugrunde gegangen – es gab nichts mehr, was mich für diese Typen hätte begeistern können. Alles schon einmal da gewesen und nie lange genug geblieben.

Schließlich stand ich vor unserer Haustür, immer noch grübelnd drehte ich den Schlüssel im Schloss und fast gleichzeitig wurde von innen die Tür aufgerissen. Meine Mutter tauchte in der Öffnung auf und starrte mich unerklärlich fassungslos an.
„Hast du mal zur Uhr geschaut, Frollein?“
„Boah, nein Mama! Herrje, ich bin 23 und nur, weil ich mal wieder zu Hause wohne, musst du mich nicht so betutteln.“
„Und was ist mit deinem Handy los? Ich habe tausend Mal versucht, dich zu erreichen!“
Entnervt zog ich mein Telefon aus der Tasche und tatsächlich, es war ausgeschaltet. Ich hielt es meiner Mutter kommentarlos unter die Nase und schob mich an ihr vorbei in den engen Flur. Meine Tasche flog auf die untersten Treppenstufen und ich konnte schon fast den Protest meiner Mutter hören, als ich im Badezimmer verschwand. Und wirklich, ich hatte kaum die Tür hinter mir geschlossen, als die Litanei auch schon begann: „Meine Güte, bin ich euer Dienstbote? Deine Wäsche wartet auch im Keller auf den Trockner, und der kommt bestimmt nicht vorbei und holt sie ab! Dein Bruder hat mich heute auch schon wieder meinen letzten Nerv gekostet.“ Pause.
„Mina!?“
Ich seufzte leise und rief: „Ja Mama, ich bin gleich da. Lass uns einen Tee trinken und ich erzähle Dir, wie es gelaufen ist, ok?“
„Ist gut.“ Sie klang schon deutlich versöhnter, und auch wenn sie mir manchmal auf die Nerven ging, sah ich das Ganze differenzierter als mein kleiner Bruder. Wir wohnten immerhin beide noch zu Hause; er war noch in der Ausbildung und ich zwar damit fertig, aber seit dem immer mal wieder ohne Job, so dass das „Hotel Mama“ zwischenzeitlich meine einzige Alternative war. Ich sollte mir meine wählerische Art bezüglich meiner Arbeitgeber abgewöhnen und endlich unabhängig werden. Na ja, ich war auf dem besten Weg! Immerhin.

„So, und jetzt erzähl! Wie war’s?“ Klirrend rührte sie mit dem Löffel in der Tasse herum.
„Wenn Du durch bist, sag bescheid.“
„Sei nicht so frech, Kleine!“ Lachend versetzte sie mir unter dem Tisch einen leichten Stoß und sah mich weiter erwartungsvoll an.
„Es ist wirklich gut gelaufen. Kann sein, das ich überzeugend genug war.“
„Hab ich’s dir nicht gesagt? Männliche Chefs wollen selbstbewusste Frauen, die Zickchen sind out.“
Aha. Vor 25 Jahren hatte sie zuletzt einen Arbeitgeber, der nicht aus der Familie stammte oder das Familienunternehmen leitete – aber gut. In solchen Dingen verließ ich mich sowieso lieber auf mein Gefühl und meine Menschenkenntnis.
„Ja und? Was haben sie gesagt? Wann melden sie sich?“
„ER hat gesagt, er meldet sich auf jeden Fall bei mir.“
„Wie hat er das denn gemeint?“
„Spekulierst du auf einen studierten Schwiegersohn?“
„Wer hat dich eigentlich so schlecht erzogen?“
„Na, Paps sicher nicht, der war ja doch nie zu Hause.“
„Schon gut, lassen wir das lieber.“
„Macht er schon wieder Ärger?“
„Lassen wir das!“

Telefone haben die Angewohnheit, immer dann zu klingeln, wenn man es gar nicht gebrauchen kann. Aber heute kam es mir sehr gelegen – und meiner Mutter sicher auch.
Ich wollte schon aufspringen und in den Flur rennen, aber sie hatte sich das Schnurlose schon zurechtgelegt.

„Warum so hektisch?“ Ein süffisantes Grinsen.
„Capelli?“ Pause. „Hallo?!“ .... “Aufgelegt.”
„Der Feigling.”
„Dein zukünftiger Chef? Meinst du?“
„Doch nicht der. Nein, ich habe Jemanden kennen gelernt.“
„Wann das denn?! Und warum erzählst du so was nicht mehr?“
„Ach Mama, ist doch erst ein paar Stunden her.“
„Und?“
„Na ja, er ist 25, arbeitet in einer Bäckerei und sieht unverschämt gut aus.“
„Ich hätt’s mir denken können.“ Sie stellte ihrer Aussage ein langgezogenes Seufzen voran und ließ ihr ein noch längeres folgen.
„Herrje, wir haben uns nett unterhalten, Cappu getrunken und Kuchen gegessen – ganz wie alte Leute das eben machen. Er ist ja ganz niedlich, aber ich glaube nicht, dass er mich lange interessieren kann. Da sind wir doch zu verschieden. Du kannst also ganz beruhigt sein, da wird nichts draus.“
Skeptisch schaute sie mich an und man konnte förmlich die Einwände, die sie sich gerade zurechtlegte, an ihren Stirnfalten ablesen.

Hatte ich eigentlich mein Handy wieder eingeschaltet? Verflixt, natürlich nicht. Leise fluchend verschwand ich im Flur und kramte es aus meiner Tasche, die immer noch sehr malerisch die Treppenstufen zierte; gleich zwei auf einmal. Erinnerte mich sehr an Dalí – wie hingehaucht.
Mitten in diese Gedanken platze das Klingeln meines Telefons – unbekannter Teilnehmer. Der Ärmste. Hatte er die ganze Zeit versucht, mich zu erreichen?
Plötzlich schlug mir das Herz bis zum Hals – warum war ich bloß so nervös?
„Hallo?“
„Tach Mina.“
Woher kannte er meinen Kosenamen?
„Ähm ... hallo.“
„Sachma, kannst du mich abholn? Ich steh hier am Schloss – weißt ja, wie beschissen die Busverbindung nach Hause ist.“
„Verdammt! Kannst du nicht sagen, dass du das bist, Mio?“
„Wieso? Haste wen anders erwartet?“
„Vergiss es. Warum soll ich dich abholen? Kann Nathalie dich nicht fahren?“
„Nee.“ Nanu? So kurz angebunden? „Holst du mich?“ Pause. „Bitte.“ Oha. Er bittet mich. Das klingt ernst.
„Ja klar, ich fahr gleich los.“ Irgendwie war ich so verdattert, dass ich ohne Umschweife zusagte. Normaler Weise hätten wir beide noch ein wenig gezickt und schließlich wäre ich dann doch losgefahren – oder eben unsere Mutter.
Mein kleiner Bruder war zwar ein Macho – in dieser Hinsicht kam er ganz nach seinem Vater, pflegte Mama immer zu betonen – konnte aber auch unerhört charmant sein, wenn er etwas erreichen wollte.

„Na, war das dein Neuer?“
„Nein, Mio. Ich soll ihn abholen.“
„Das machst du doch nicht etwa, oder?“
„Wieso? Hat er dich geärgert?“
„Hörst du mir eigentlich NIE zu?! Ach Mina, deine alte Mutter ist wohl zu uninteressant, wenn dir ein neuer Mann im Kopf herumschwirrt, was?“
„Ha ha. Aber bei Mario und Nathalie stimmt was nicht, glaube ich.“
„Wie kommst du denn darauf? Kann ich mir nicht vorstellen.“
Ich war jedoch schon halb aus der Tür, froh über die Gelegenheit, in Ruhe nachdenken zu können. Ich griff meine Tasche und rief:
„Tschüß Ma, bis nachher!“
Bevor sie noch etwas hätte sagen können, war schon die Haustür hinter mir zugefallen und ich sprang in den altersschwachen Audi, dessen Benutzung ich mir mit meiner Mutter und meinen Bruder teilte. Schnell noch das Autoradio angestellt und los. Wildes Techno-Gezeter dröhnte aus den Lautsprechern um mich herum und fast panisch suchte ich blind, weil aufs Fahren konzentriert, nach dem Lautstärkeregler.
„Igitt Mio, irgendwann fliegt der Mist, den du Musik nennst noch zum Fenster raus – das ist ja nicht zum Aushalten!“
Ich schleuderte die CD unsanft auf die Rückbank und kramte in meiner Tasche nach etwas Hörbarem. Nebenbei zirkelte ich den Wagen durch den Berliner Feierabendverkehr und versuchte meine kreisenden Gedanken zu ordnen.
Er hatte also versucht, mich zu erreichen. Schön. Das war dann wohl der erste Schritt. Sicherlich hatte er nur wieder aufgelegt, weil ich Schaf vergessen hatte, ihm meinen Nachnamen zu nennen. Nie traute mir jemand zu, halbe Italienerin zu sein – blöde Klischees. Aber es gab eben doch untypische Italiener, mein rothaariger Paps war schließlich das lebende Beispiel.

„Du Blödmann!“ entfuhr es mir lautstark, als sich ein riesiger schwarzer Mercedes in die kleine Lücke vor mir an der Ampel drängelte, um ebenfalls links abzubiegen. „Hinter mir ist doch alles frei! Stupido!“ Siehste, doch Italienerin! Zumindest mein Temperament weist ab und zu darauf hin.
Leise vor mich hinfluchend kramte ich weiter, nur ein halbes Auge für die Straße erübrigend, hinter der schwarzen Nobelkarosse herzuckelnd. Einzeln zog ich die CD-Hüllen hervor, warf einen kurzen Blick darauf und schnippte sie wieder zurück in die Tasche.
„Oh, Enya! Dich schickt der Himmel!“
Surrend fraß der CD-Player die Scheibe und mit den ersten sanften Klängen, beruhigte sich auch mein langsam Gemüt wieder. Ich würde sicher ähnlich selbstmörderisch fahren wie mein Bruder, wenn ich auch nur ansatzweise solche Musik hörte wie er. Kaum zu glauben, wie leicht man sich durch sanfte oder laute Töne beeinflussen lassen kann.
Träumend starrte ich durch die Windschutzscheibe auf den breiten Kofferraum der Nobelkarosse, die immer noch vor mir durch die Nebenstraßen zwischen Kantstraße und Kaiserdamm schlich und mich am vorwärtskommen hinderte.
„Beweg dich, Dicker!“
Ich wurde nicht erhört, aber auch nicht vorbei gelassen – der Wagen beanspruchte die ganze Breite der Straße für sich.
Die CD begann zu springen und leicht genervt drückte ich auf dem Bedienelement herum, bis der Player sie auswarf. Prüfend hielt ich sie zwischen zwei Finger und untersuchte sie auf Kratzer, als ich aus den Augenwinkeln die roten Bremslichter der Karosse vor mir aufleuchten sah und reflexartig auf die Bremse stieg. Zwar fuhr ich nicht schnell, war aber leider auch nicht weit genug vom schwarzen Ungetüm entfernt. Mit einem dumpfen Schlag traf meine Stoßstange die schwarz lackierte Makellosigkeit direkt vor mir.
„Verflucht verdammt!“
Auf dem Armaturenbrett begann es wie wild zu blinken – ich hatte den Motor abgewürgt. Mit zitternden Fingern drehte ich den Zündschlüssel in Null-Position und zog ihn ab.
„So ein Mist!“
Warnblinker. Ich sollte den Warnblinker anstellen.
Ich drückte den roten Knopf auf der Lenksäule und schaute nach vorne, sicher, einen wütenden, schimpfenden älteren Mann vor meinem Auto stehen zu sehen, der den Schaden kopfschüttelnd betrachtete – aber nichts. Niemand war ausgestiegen. Unsicher griff ich zu meinem Handy, wollte irgend jemanden anrufen, der mit beistehen konnte, aber außer meiner besten Freundin Sophie, die in der Uni war und meiner Ma fiel mir niemand ein, der um diese Uhrzeit hätte herkommen können; meine Mutter saß ja ohne Auto zu Hause und wartete auf unsere Rückkehr. Mio! Verdammt, der wartete ja auch auf mich.

„Hi, ich bin’s. Ich komm ein bisschen später, mir ist was dazwischen gekommen, ok? ... Mio ... Mio, mach mal ne Pause, ja? Ich bin in einer halben Stunde da, klar? ... Gut, bis gleich.“ Was für ein Hektiker!
Die ganze Zeit über hatte ich den Wagen vor mir beobachtet, aber es rührte sich nichts. Hatte dieser Mensch etwa nicht einmal bemerkt, dass ich ihm hinten drauf gekracht war? Zögernd griff ich mit der einen Hand zum Türgriff und angelte mit der anderen in meiner Tasche nach dem Pfefferspray. Langsam stieg ich aus und näherte mich der Beifahrertür – das erschien mir sicherer. Das Surren des elektrischen Fensters ließ mich zusammenzucken, aber ich beugte mich trotzdem so weit hinunter, dass ich durch den Spalt ins Innere schauen konnte.
„Ähm, Entschuldigung, aber ich glaube, wir hatten einen kleinen Unfall.“
Im dämmrigen Inneren unterdrückte Jemand (der Fahrer?) glucksend und mühevoll sein Lachen. Ärgerlich stemmte ich die Hände in die Hüften, doch bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, öffnete sich die Fahrertür und ein mir wohlbekannter Blondschopf erschien mir gegenüber – Frederick!
„Sag mal, du hast wohl ein Rad am Wandern, oder?“
Quer über das mächtig hohe Autodach grinste er mich frech an, schüttete sich geradezu aus vor Lachen und steigerte meine Wut fast ins Unermessliche. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Und ich hatte mir noch Gedanken gemacht, ob er sich noch einmal melden würde! Pah! Einfacher Anruf wäre angenehmer gewesen!
„Sorry, Melina! Ich sah dich an der Ampel – was für ein Zufall! – und dachte, es wäre ganz nett, dich jetzt schon wieder zu sehen. Nicht böse sein, bitte.“
„Also du spinnst echt! Nicht böse sein? Mein Auto! Schau dir das mal an!“
Mit beiden Händen deutete ich auf den Stoßstangenknoten zwischen unseren beiden Autos und schaute dann wieder hoch zu ihm. Er stand immer noch auf der anderen Seite der Wagen und sah mich belustigt an.
„Wozu gibt’s Versicherungen?“
„Ja toll, dein Nobelhobel hat sicher Vollkasko, meiner aber nur Haftpflicht – ich bezahle den Schaden schön selbst.“
Konnte dieser Typ eigentlich auch was anderes als von einem Ohr zum anderen grinsen? Mittlerweile ging er mir ganz schön auf die Nerven. So etwas konnte doch nicht normal sein ...
„Mein Nobelhobel? Der gehört meinem Chef.“
„Noch besser. Toll. Danke. Sagst du dem denn auch, dass du den Unfall provoziert hast?“
„Provoziert? Du hast doch gepennt.“
„Also jetzt reicht’s mir, ich rufe die Polizei.“
Wütend stapfte ich zu meinem Wagen, riss die Beifahrertür auf und fischte mein Handy aus der Freisprecheinrichtung. Nach kurzem Zögern warf ich das Pfefferspray auf den Beifahrersitz – ich würde es diesmal zum Glück wohl nicht brauchen.
Plötzlich tauchte Ferry direkt neben mir auf und legte mir die Hand auf die Schulter.
„Herrje, musst du mich so erschrecken? Nimm deine Hand da weg!“
„Melina, bitte, reg dich doch nicht so auf, ich regle das schon. Wir brauchen keine Polizei.“
„Ach, du regelst das schon? Na wie denn, bitte schön? ICH hab doch gepennt!“ Heftig knallte ich mein Handy unverrichteter Dinge aufs Autodach, verschränkte die Arme schützend vor mir und sah ihn grimmig an.
„Sei nicht gleich eingeschnappt, ja? Ich hab dich halt beim Ausparken angerempelt – und die Karre hat wirklich Vollkasko, also was soll’s?“
„Warum machst du das alles? Ich glaub das einfach nicht!“
„Na, um dich wiederzusehen, warum sonst?“
„Gott Ferry, das klingt wie aus einem schlechten Film, ehrlich.“
„Das ist aber kein schlechter Film, ehrlich!“
„Und wenn ich dich nach dieser Aktion nicht wiedersehen will? Was dann? Brichst du dann nachts bei mir ein?“
„Wenn du mir deine Adresse gibst?!“
„Oh Mensch! So jetzt reichts endgültig! Ich verschwinde – lass mich gehen!“
„Melina bitte! Sei doch nicht so ... Ich entschuldige mich, es tut mir leid, wirklich.“
Seine Selbstsicherheit bröckelte. Nervös blinzelte er, den Kopf ein wenig gesenkt haltend, unter seinen sehr hellen Wimpern hervor. Einen zögerlichen Schritt in meine Richtung machend, mich mit seinem intensiven Blick fixierend, versuchte er mich in seinen Bann zu ziehen. Ich stand eingezwängt zwischen ihm, meinem Auto und der weit geöffneten Beifahrertür und überlegte noch, wie ich mich elegant und ohne allzu zickig zu wirken, aus der Affäre ziehen konnte, als er noch einen kleinen Schritt auf mich zu kam und federleicht seinen linken Arm um meine Taille legte. Ich zuckte zurück, als hätte ich mich verbrannt.
„Pst, keine Angst, bitte. Ich will doch nur nicht, dass du gehst.“
„Merkwürdige Art mir zu zeigen, dass ich keine Angst haben muss, wirklich. Lass mich los, oder ich fange an zu schreien!“
„Melina ... ich ... ich will ...“
Er stand inzwischen so dicht vor mir, dass ich gar nicht mehr anders konnte, als ihn anzustarren. Der Blick seiner hellen, sonst so kalten Augen war ungewohnt warm, intensiv, leuchtend.
„Was?!“
„Dich.“
Schweigen. Verblüfftes auf meiner Seite, Errötendes auf seiner. Fast als wäre er sich über seinen nächsten Schritt noch nicht im Klaren, hatte er den Blick von mir abgewandt, ließ ihn ziellos über mein Wagendach wandern, blieb an meinem Handy hängen und fixierte dann wieder mich, allerdings ohne mir in die Augen zu sehen.
„Willst du immer noch die Bullen holen?“
„Ich ... ich weiß nicht. Brauchen wir sie denn wirklich nicht?“
„Wir brauchen sie nicht, sagte ich doch. Regel ich alles über meinen Chef.“
„Ferry?“
„Hm?“ Endlich sah er mich direkt an.
„Was meintest du gerade damit?“
„Womit denn?“
„Stell dich nicht so an, du hast gerade gesagt, du willst ... mich. Wie hast du das gemeint?“
„Was kann man denn daran falsch verstehen?“ Da war es wieder, dieses überhebliche, freche Grinsen, das mich schon am Vormittag so an ihm gereizt hatte.
„Du weißt genau, was ich meine, verdammt!“
„Nein, weiß ich nicht, woher denn auch?“
Ich hasste es jetzt schon, mir ständig von ihm die Worte im Mund verdrehen zu lassen. Aber ich würde schon noch herausbekommen, was er damit zu überspielen versuchte. So schnell würde ich ihn wohl nicht mehr los – und bei diesem Gedanken musste ich zum ersten Mal seit dem „Unfall“ grinsen.
„Siehst du, du weißt es doch!“ Er beugte sich ein wenig herunter, um in mein zu Boden gerichtetes Gesicht sehen zu können. Dann legte er zwei Finger unter mein Kinn und meinen Kopf vorsichtig wieder auf seine Augenhöhe. Das überhebliche Grinsen war immer noch da, und anscheinend hatte er zu alter Selbstsicherheit zurückgefunden. Seine Stimme klang allerdings schmeichelnd und sanft, als er sagte:
„Du weißt genau, was ich damit meinte. Und du weißt auch, dass ich dich bekommen werde. Ich bekomme alles, was ich will.“
Seine Worte bekräftigend schoben sich seine Hände um mich; die eine, vorher unaufdringlich auf meiner Hüfte ruhend, wanderte zur Mitte meines Rückens, wobei ich fast unwillkürlich ein Hohlkreuz machte, unfähig, mich auf andere Art zu widersetzen; die andere schob sich von meinem Kinn, sanft meinen Hals mit den Fingerspitzen streifend entlang, bis sie in meinem Nacken zur Ruhe kam.
Ich hielt meine Arme wie einen Schild vor meiner Brust verschränkt, und war wie erstarrt, unschlüssig, wie ich mich verhalten sollte. Einerseits war ich überrascht, wie schnell und leicht er mich fast handlungsunfähig gemacht hatte, andererseits abgestoßen von der Art und Weise, wie er glaubte, über mich verfügen zu können. Mich erschreckten seine zwei Gesichter damals schon, auch wenn mir noch nicht bewusst war, wie extrem diese beiden Frederiks auseinander driften konnten, um doch immer noch ein und die selbe Person zu sein.
Ich wich wieder seinem Blick aus. Diesmal nicht.
„Frederik, würdest du mich bitte loslassen?“
Keine Antwort. Stattdessen verstärkte er den Druck seiner Hand in meinem Nacken und versuchte, meinen Kopf so wieder auf annähernd eine Höhe mit seinem zu zwingen.
Ich wollte keine Szene auf offener Straße, aber genauso wenig wollte ich ihn gewinnen lassen. Vielleicht zum ersten Mal wollte ich ihm zeigen, dass er eben nicht alles haben konnte.
„Melina ...“ Seine Stimme klang sanft, fast schmeichelnd, und auch wenn mir die Knie ein wenig weich wurden und ich kurz davor war, aufzugeben, es würde ihm nicht gelingen.
„Lass mich los!“
„Melina ... bitte, nur ein kleiner Moment für mich.“ Wieder dieses Schmeicheln, diesmal allerdings ein wenig rauer. Dabei löste er die Hand von meinem Nacken und legte sie wieder unter mein Kinn. Nachdrücklicher und nicht mehr ganz so sanft hob er meinen Kopf leicht an.
„Schau mich an. Mehr will ich doch gar nicht. Ich würde nie etwas tun, was du nicht willst, Melina. Was hast du nur für einen Eindruck von mir bekommen?“
„Einen Unberechenbaren!“
„Ich genieße deine Nähe, du weißt gar nicht wie sehr.“
Für jeden vorbeifahrenden Zuschauer mussten wir aussehen wie ein Liebespaar. Diese Vorstellung amüsierte mich schon ein wenig, hier, zwischen zwei verkeilten Autos am Rand einer kleinen Nebenstraße am Lietzensee.
„Na siehst du, es geht doch.“
In diesem Moment küsste er mich; nicht halb so fordernd, wie ich befürchtet hatte, im Gegenteil. Sanft berührten seine Lippen die meinen, so verführerisch zärtlich und unerwartet sanft, überrumpelte er mich damit vollkommen. Nach und nach brach mein Widerstand, aber ich entzog mich ihm mit Bestimmtheit. Ein wenig verdutzt sah er schon aus, anscheinend erlebte er es nicht oft, dass man ihm widerstehen konnte, aber er fing sich gewohnt schnell wieder und lächelte triumphierend.
„Na, war das nun so schlimm?“
„Ich habe nie gedacht, es könnte schlimm werden.“
„Was war es dann?“
„Du gerätst wohl nicht oft an Frauen, die sich nicht deinen Wünschen fügen, oder?“
Mit einer geschickten Drehung wand ich mich aus seiner lockerer werdenden Umarmung und tauchte unter seinem auf dem Autodach aufgestützten Ellenbogen hindurch.
„Wo willst du denn hin? Wollen wir nicht noch zu mir gehen? Ich habe doch jetzt frei.“
„Klar, damit du mich gleich am ersten Abend in die Kiste bekommen kannst?“
„Würde ich das denn schaffen?“ Sein breitestes, selbstsicheres Grinsen war wieder da.
„Nein mein Lieber, das würdest du nicht.“ Ich zwinkerte ihm zu und umrundete mein Auto.
„Wovor hast du denn dann Angst?“
„Wer sagt denn, dass ich Angst habe? Ich habe aber auch noch ab und zu etwas anderes vor.“ Ich konnte nicht widerstehen. „Heute Abend zum Beispiel bin ich verabredet.“ Bevor ich ins Auto stieg, schenkte ich ihm noch mein freundlichstes Lächeln und registrierte befriedigt seinen verdutzten Gesichtsausdruck.
Schwungvoll schmiss ich die Autotür hinter mir zu und beugte mich auf die Beifahrerseite hinüber, um auch diese Tür zu schließen. Von Ferry erwartete ich irgendwie keine Kooperation in dieser Hinsicht.
„Hey, geh mal zur Seite.“
Wie erwartet dachte er gar nicht daran, sondern ging in die Hocke.
„Du hast was vergessen.“ Breites Grinsen, wie eingemeißelt. Langsam fragte ich mich, ob das wirklich ein Gesicht war, oder eine zweiteilige Maske – die eine Seite von links nach rechts grinsend, die andere erstaunt.
„Was denn?“
„Was Wichtiges.“
„Ach?“
„Ja.“ Bekräftigend nickte er.
„Mach schon, ich habe keine Zeit mehr. Ich sagte doch, ich bin verabredet.“
„Jetzt schon? Ich dachte erst heute Abend?“
„Heute Abend und jetzt gleich auch.“
„Hui, sehr gefragt, die Dame.“
„Eifersüchtig?“
„Vielleicht?“
„Du spinnst echt!“
„Fahr doch.“
„Würde ich auch, wenn du nicht so dämlich in der offenen Tür sitzen würdest. Also, was ist?“
Wortlos hielt er mir mein Handy entgegen, das wohl sonst auf dem Autodach eine kleine Spazierfahrt bis zur nächsten Kurve mitgemacht hätte.
„Oh danke, ganz vergessen.“
„Kein Problem. Wann sehe ich dich wieder?“
Er fragte nicht, ‚Sehe ich dich wieder?’ oder ‚Darf ich dich wiedersehen?’ nein, er war sich immer noch sicher, ich würde ihn wiedersehen wollen. Na ja, im Grunde hatte er damit ja auch Recht. Irgend etwas an ihm faszinierte mich, reizte mich, interessierte mich. Außerdem liebte ich solche Machtspielchen – zumindest, so lange ich die Oberhand behielt.
„Ruf mich einfach an. Ach ja, und wenn sich wieder jemand mit ‚Capelli’ melden sollte, dann bist du schon ganz richtig.“
Ich startete den Motor und ihm blieb nichts anderes übrig, als sich mit einem Hechtsprung vor der mitsamt dem Auto einen Rückwärtssatz machenden Tür in Sicherheit zu bringen. Da saß er nun auf dem Hosenboden am Straßenrand und schaute mich verdutzt an. Lächelnd langte ich über den Beifahrersitz, zog die Tür vollends zu, schaute in den Rückspiegel und gab Gas.

© NZR
 

Fellmuthow

Mitglied
Hallo BeAngeled!

Also, dem zweiten Teil fehlt etwas von der Spritzigkeit des ersten.

Auch ein kleiner Hinweis...

Gleich im ersten Satz stimmt das Bild nicht. Ich verkürze den Satz mal:

[blue]"Mit quietschenden Reifen ... hat mich Ferry ... stehen lassen." [/blue]

Bei Mina quietschen die Reifen?

Trotzdem interessiert mich auch die Fortsetzung.

vG
Fellmuthow
 

BeAngeled

Mitglied
Hallo Fellmuthow,

die Geschichte nimmt ihren Lauf, da ist es gar nicht so leicht, nicht durch allzu lange Erklärungen zu unterbrechen - daher wohl auch dieser erste Satz:
Ich habe ihn schon zig Mal ändern wollen, aber irgendwie gefällt mir die Erklärerei nicht - kurz und knackig in einem Satz soll es sein, nur leider fehlt mir noch die Ideallösung :)

Hat jemand einen Vorschlag?

Gruß, N.
 

Fellmuthow

Mitglied
ein Vorschlag

Hallo Be...,

wie wärs mit:

"Reifen quietschen! Ferry hat mich, meine Telfonnummer in der Tasche, die Hoffnung auf ein erneutes Treffen am Wochenende im Herzen, auf dem Theodor-Heuss-Platz stehen lassen."

vG

Fellmuthow
 

BeAngeled

Mitglied
Das passt zeitlich nicht und in der Vergangenheitsform liest es sich auch wieder komisch ...

@anonymenBewerter
Deine 4 find ich schon ungemein konstruktiv *g*
"Dieses Werk ist unterdurchschnittlich." Aha. Inwiefern?
 

BeAngeled

Mitglied
Wie ist das?

Mit meinen Telefonnummern und seiner Hoffnung auf ein erneutes Treffen am Wochenende – und, muss ich es erst erwähnen: Quietschenden Reifen - hatte Ferry mich am Theodor-Heuss-Platz stehen gelassen, allerdings auf meinen Wunsch.

:)
 



 
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