Erinnerung aus der näheren Zukunft

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Alo Isius

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Seit einigen Monaten war jeder Freitag für eine bekannte deutsche Großbank ein ’schwarzer Freitag’ geworden. Bereits in zwölf Filialen hatte schrill, aufdringlich, alarmierend und nervtötend ein Telefon geklingelt, und es war jedes mal geschehen, dass die allmächtige Bank ohnmächtig einen gewaltig bescheidenen Verlust von zehntausend Euro zu verbuchen, bzw. ihrer Rückversicherung gegen Raub zu melden hatte.
So auch am Freitag, den 13. August 2010: schrill, aufdringlich, alarmierend und nervtötend klingelte in der Filiale 0813 ein Telefon, exakter: das inzwischen – dank Presse und anderer Aufklärungsmedien – zu einer gewissen Berühmtheit gelangte ’T-Handy’. Die aufgeklärten Angestellten und Kunden der Bankfiliale schauten sich erschrocken an, der unwissende Rest war nur genervt vom Lärm des modernen Kommunikationsgerätes, das zu allem Überfluss nicht nur auf Superlautstärke eingestellt zu sein schien, sondern immer lauter wurde. Nach einer Minute wurde es selbst einem schwerhörigen, älteren Herrn zu laut, und er schrie:
„Teeleefoon, geht da, verdammtundzugenäht, endlich mal einer ran?!!“
„Hey, Opi, das gehört doch keinem. Das liegt nur herrchen- oder weibchenlos dort auf dem Schreibtisch für Bankkunden herum und plärrt seine Einsamkeit in die Gegend.“
„Na, dann nimm Du das Gespräch doch an... ihr Jungen seid doch sonst so cool in contacts and comunications, stell Lärm ausnahmsweise mal ab statt immer nur an!“
„Ok, Alter, mach isch.“
Und gehorsamer als von dem – ziemlich punkisch (Irokesenfrisur) aussehenden – jungen Mann erwartet, schritt der zur Tat: griff sich den ’Stein des allgemeinen Anstoßes’, besonderen Ärgernisses und spezieller Befürchtungen und meldete sich:
„Hey, hier Irockee Tscheasy! Und wer bist Du... suchst wohl Dein Handy, ha?“
„Sieh da: ein Witzbold. Fein, und ich bin Derry, mit hartem ’T’ wie Terrorist.“
„Selber Witzbold. Was willst Du von mir?“
„Hör zu, Kleiner: Wenn Du und ein paar andere Schafsköpfe in der Bank noch nicht wisst, wer ich bin und was ich will, sag ich’s noch mal, aber nur einmal: Ich will nur Geld von der Bank, aber alle Anwesenden sind meine Geiseln. Und wenn Du nicht exakt das tust, was ich von Dir verlange, dann breche ich das Gespräch ab, und ihr seid in Sekunden alle mausetot. Das Handy ist mit zwei Flüssigkeitskapseln bestückt, die bei Gesprächsabbruch zusammengeführt werden und in Bruchteilen von Sekunden eine Menge Giftgas entwickeln, die ausreicht, im Umkreis von 30 Metern alles Leben auszulöschen. Und von Dir, Tscheasy, will ich gar nichts – vorläufig eigentlich nur, dass nicht Du das Gespräch abbrichst und damit den Tod unschuldiger Bankkunden verursachst. Also schön die Finger weglassen von der Handy-Tastatur. Haben das alle soweit mitgehört und verstanden? Ok, dann ruft alle – wie im Kasperletheater – so laut ihr könnt: JAAA...“ „..JAAAA... JAAAA... JAAAA...“ „Prima Kinder, und nun ruft den Filialleiter, den Unteroffizier der Räubergesellschaft. Aber n bissl flott soll der antanzen... ich hab nicht ewig Zeit... man weiß doch, wer sonst noch mithört und mich zu orten versucht.“
Allgemeines Schweigen zur Melodie des Lieds vom Tod, die aus dem Handy tönt. Der Filialleiter meldet sich zu Wort:
„Bitte, Herrschaften, beruhigen Sie sich. Die Bank wird selbstverständlich zunächst die Forderungen des terroristischen Räubers erfüllen...“
„OK, Herr Kollege, Sie wissen – vermutlich in einem Sonderseminar geschult – Bescheid, was zu tun ist?“
„Sicher! Das Übliche: Zehntausend in kleinen, gemischten und unmarkierten Scheinen aus der Tageskasse in ein offenes Kuvert und Taxi rufen. Darf ’s sonst noch was sein?“
„Nein danke, andere Bankprodukte interessieren mich nicht... nicht mehr: zu beschissen, die Papierchen. Ja, und nun noch mal zu Dir, Tscheasy. Du nimmst das gefüllte Kuvert und gehst mit dem Handy – hörst Du: Mit dem Handy zum Taxi, steigst ein und drückst am Handy den untersten linken Knopf der Tastatur – aber nicht verwechseln: den untersten linken auf der Tastatur! Sonst vergiftest Du nicht nur Dich, sondern auch den Taxifahrer – und möglicherweise ein paar unbeteiligte Straßenpassanten. Bis gleich, Kleiner.“

Und wieder ertönt die bekannte Melodie; wie zur Erinnerung an die Gefahr, in der man eigentlich immer schwebt, es nur nicht so genau weiß, wie etwa in Situationen mit einem besonderen Handy in der Hand.

Das Taxi kam und Tscheasy stieg in den Wagen, die Autotür klappte geräuschvol zu, offenbar mithörbar für Derry, denn er meldete sich wieder:
„Bravo, bravissimo, Kleiner. Und nun drück den Knopf. Zur Erinnerung: den untersten linken auf der Tastatur. Der löscht nur die Lautsprecherfunktion, ansonsten bleibt das Bömbchen in Deiner Hand scharf. Der Taxifahrer muss ja nicht alles wissen, nur, wo er Dich mit dem Geld und dem Handy hinbringen soll. Klar?“
„Klaro.“
„Also: Marienplatz, Kaufhof, Eingang Südseite. Dort angekommen, bezahlst Du das Taxi aus dem Kuvert. Sei nicht geizig und gib dem Fahrer ein ordentliches Trinkgeld. Ich bin’s auch nicht, und auch Du darfst Dir was aus der Tüte nehmen, aber bitte nicht mehr als Tausend Piepen... sozusagen ’als Lohn der Angst’... kennst Du den schönen alten Film mit Ives Montant noch? Bis Du am Ziel bist, können wir ja ein wenig plaudern... mehr zur Information und zur Beruhigung für die Mithörer vom staatlichen Sicherheitsdienst, die sollen auch wissen, dass das Bömbchen noch scharf ist, und die Gefahr für Leib und Leben einiger deutscher Staatsbürger noch nicht gebannt ist, und sie sicherheitshalber noch keinen Befehl zum ’Zugriff’ geben sollten. Leuchtet doch ein, oder?“
„Bin doch nicht blöd!“
„Da bin ich aber beruhigt. Aber zu meiner Sicherheit noch eine kleine Demon-stration, dass das T-Handy tatsächlich etwas ’verströmen’ kann.“
Ein leises ’Zisch’ und plötzlich stank ’s im Taxi fürchterlich, was den Fahrer naturgemäß fürchterlich aufregte:
„He, Du kleiner Penner, furz mich hier nicht den Wagen voll, sonst schmeiß ick Dir jleich raus.“
„He kleiner Tscheasy, nun entschuldige Dich gefälligst angemessen... wenn ’s geht, ohne den Saupreiß in unser gefährliches kleines Geheimnis einzuweihen, vastehst?“
„Bin doch nich doof.“ Und zum Taxi-Driver: „Entschuldigens bittschön, mir is oana auskemma, hätt aba schlimma komma kenna.“
„Hast Glück, Kleena, wir sind da. Macht fuchzehnfünfunsiebzsch!“
„Hier haste zwanzge, stimmt so. Auf Wiedersehen.“
„Liwa nich... naja... pekunia non olet...“
“War amal a richtig gebildeter Taxi-Driver”, meldete sich Derry wieder bei Tscheasy: „Gut gemacht, Kleiner!“
„Hör endlich auf, mich Kleiner zu nennen... ich bin knapp zwei Meter groß... und? Wie geht ’s nun weiter?“
„OK, großer Tscheasy, nun gehst Du in den Kaufhof und zum Lift, drückst die oberste Etage und meldest mir, ob Du alleine in der Kabine bist, wenn Du ganz oben angekommen bist. Wenn ja, stellst Du Dich so in die Fahrstuhltür, dass die nicht gleich wieder zugehen kann. Wiederhol nicht, dass Du nicht doof bist... bist Du nicht... und deshalb wirst Du dem ’Scheich’, der seine Hand ausstreckt, auch einfach das Kuvert und das T-Handy übergeben. Dann fährst Du wieder runter, ohne Dich um Weiteres zu kümmern. Mach’s gut, Großer. Noch ein Tipp, gratis: kauf Dir gleich hier drin noch etwas Wertvolles und Kleines, das man leicht verstecken oder noch leichter ’verlieren’ kann, sonst nehmen Dir die Bullen, die Dich früher oder später doch finden und vernehmen werden, den verdienten ’Lohn der Angst’ gleich wieder ab... halte die aber nicht für blöder als sie sind: irgendwann haben die auch herausgefunden, was Du gekauft hast, und dann muss es verschwunden sein! Aber solange die nicht wissen, wonach sie suchen sollen, können sie auch keine ’Beweise’ finden... und Du gewinnst Zeit, in der Du Dir etwas Gescheites einfallen lassen solltest... time is money! Host mi? Servus, großer Häuptling... Irockee Tscheasy.“
„OK, hab Di scho, pfüad Di.“

Und so geschah ’s. Exakt wie von Derry, (mit hartem ’T’ wie Terrorist) geplant und befohlen, übergab Tscheasy einem – Gesicht und Körper waren mit einem Bettlaken verhüllt – ’Scheich’ das Kuvert sowie das T-Handy und fuhr wieder nach unten. Der ’Scheich’ entledigte sich der Kostümierung, warf sie irgendwo in eine Ecke und meldete sich noch einmal am T-Handy:
„Hallo, ihr superschlauen Mithör- und Sicherheitsexperten: Wenn ihr schon wisst, wo ich bin, dann wisset auch, dass das Bömbchen noch scharf ist, und nebst mir nun ’nur’ noch einige hundert mich umgebende Menschen in Lebensgefahr sind... so, und nun haltet mich nicht für dämlicher als ihr selbst seid: ihr habt zwar das Handy, von dem ich telefoniere, ’lokalisiert’, zu einer Personenfeststellung meiner Wenigkeit hat’s aber wohl doch noch nicht gereicht. Sollte ich aber in der Masse, in der ich zu verschwinden gedenke, auch nur den geringsten, mich verfolgenden ’Schatten’ bemerken, unterbreche ich den Kontakt zum T-Handy. Dann macht ’s ’Zisch’... und unabschätzbar viele unschuldige Opfer (nebst einem schuldigen) können dann auch in Euerem ’Erfolgsbericht gegen den Terrorismus’ ihre letzte öffentliche Erwähnung und Würdigung als Märtyrer Eueres Sicherheitswahns finden. Amen.“


„... dank der Humanität und Besonnenheit unserer Sicherheitsorgane konnten am 13. August 2010 in München wieder einmal ungezählte Menschenopfer verhindert werden. Allein deshalb konnte der perfide terroristische Attentäter leider ein weiteres mal entkommen. Der Kampf gegen den Terrorismus muss deshalb konsequent mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, ggf. auch mit größerer Opferbereitschaft der Bevölkerung, weitergeführt werden...“¹
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¹ Zitat in einem Pressebericht der ’ABC’-Zeitung vom 14.08.2010... aus der Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums vom 15.08.2010.
 



 
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