Erlösung ?

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Andossi

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Der Kampf!


Mich zog es unwiderstehlich in den Park, ich wußte nicht wieso, doch wie so oft konnte ich meinem eigenen Drängen nichts entgegensetzen und begab mich noch schlaftrunken und im Nachtgewande hinaus auf die Veranda unseres Hauses, welches im Morgengrauen immer eine sehr morbide Wirkung auf mich auszuüben pflegte. Die Mauern dieses Hauses waren von Moos und gelben Efeu überwuchert, es war ein Belag, der jegliches Geräusch verschluckte, die von außen einzudringen versuchten und solche die es wagten, gar schamlos dieses ehrwürdige Gemäuer zu verlassen. Ich hatte manches mal das Gefühl, dieses Haus versuche jeden und alles, welches sich in seinem Inneren einmal aufgehalten hatte, nie wieder in die Freiheit der Welt treten zu lassen.
So stand ich da, den Kopf voller wirrer Gedanken im Nachthemd und in diesen indischen Sandalen, die mir mein Vater von einer Geschäftsreise aus Bombay mitbrachte, sie drückten und kitzelten zwischen den Zehen, doch sie hatten das Flair der großen Welt, deshalb trug ich sie wann immer ich konnte. Ich fühlte mich gleich wie einer dieser kleinen haarlosen Inder, so wie ich sie in unseren Lexika entdeckt hatte.

Der Park war ein ausgedehntes Areal, welches unser Haus umspannte so weit das Auge reichte, für mich war es jedoch ein ziemlich enger Raum, der mir nie das Gefühl von Freiheit vermitteln konnte, schon sein ganzes Aussehen diente nur dem einen Zweck, nämlich dem des Repräsentierens. Die gerechten Schotterwege führten an geometrisch angelegten Blumenbeeten vorüber, die ständig von einem Heer aus Gärtnern gepflegt und umsorgt wurden, eine Unzahl von fremden exotischen Pflanzen mußten ständig gehütet werden, um diese teuren Kleinode auch den Gästen zu präsentieren. Dieser Park ekelte mich an, er war zu sauber und zu schön, um wirklich echt zu sein. Die Luft war noch ganz feucht und rein, kleine Vögel schwirrten umher, das Frühstück für ihre Jungen zu jagen und es in ihre kleinen rosa Schnäbel zu stopfen. Ich ging durch den Garten, nicht auf dem Weg, sondern im feuchten Gras, um es zwischen meinen Zehen zu spüren, die Tautropfen, die langsam und kalt meine Beine benetzten und mir ein angenehmes Gefühl der Frische und Lebendigkeit vermittelten.

Mein Weg führte mich zu unserem Teich, er war wie so vieles in unserem Leben künstlich angelegt, auf einer kleinen Anhöhe in der hinteren Ecke gleich am Waldrand und fügte sich eigentlich sehr harmonisch in das Landschaftsbild. Die englischen Gärtner hatten wirklich ganze Arbeit geleistet. Das Gewässer war von hohen Föhren umringt, kleine Bänke standen darunter und luden zum Verweilen ein, der Teich war nichts anderes als ein großes Loch in diesem Hügel, er hatte steil abfallende Ufer, und als kleines Kind durfte ich nur unter Aufsicht dorthin, da es zu gefährlich war.

„Sollte ich hinein stürzen, würde ich unweigerlich ertrinken“, sagte meine Mutter. Was war schon nicht gefährlich! Ich hörte seltsame Geräusche, ein Plätschern und ein unmenschliches Schreien, das meine Schritte sofort beschleunigte und ich leicht außer Atem am Ufer auftauchte. Zuerst konnte ich nichts erkennen, mir kamen ertrinkende Kinder in den Sinn und das Grauen stieg in mir hoch. Doch plötzlich sah ich einen Schatten im Wasser, zuerst nur ganz leicht einer Schaumkrone gleich, doch dann immer stärker. Der Kopf eines Pferdes taucht aus der Tiefe des grün schimmernden Wassers auf, es schnaufte und zog Luft durch seine Nüstern, die Augen waren geweitet vor Panik und mit letzter Kraft versuchte es ans Ufer zu gelangen.

Ich blickte mich um, kein Mensch war zu sehen. Entweder das Pferd war alleine in den Teich gestürzt, oder sein Reiter war bereits ertrunken. Nach wenigen Schritten erreichte ich die Stelle, an der das verzweifelte Tier das Ufer zu erklimmen hoffte, doch seine Hufe gruben nur Löcher in die Böschung, und es rutschte immer weiter zurück ins Wasser. „Wie konnte ich ihm nur helfen“, schoß es mir durch den Kopf, eine Idee formte sich in meinem Geist und ich mußte handeln. Eine dieser Gartenscheren lag neben mir auf dem Boden, ich packte sie und sprang ohne zu zögern ins Wasser. Das Pferd hatte nun endgültig aufgegeben und hielt traurig seinen Kopf über die Oberfläche, mit zwei kräftigen Bewegungen war ich bei ihm und sprach einige beruhigende Worte. >>Du brauchst keine Furcht zu Empfinden, den du siehst das Ende nicht! <<

Nachdem ich diese Worte gesprochen hatte, bohrte ich einen Teil der Gartenschere bis zum Anschlag in das rechte Auge des Pferdes. Das Blut spritzte mit entgegen und kleine Teile von Fleisch und Gallert klebten an meinem Gesicht. Es schrie wie ein kleines Kind, dachte ich mir, um eine Weile inne zu halten und zu lauschen. Das Wasser des Teiches war nicht mehr grün, sondern hell Rosa und mir gefiel diese Farbe. Ich umrundete das Tier, um mein Werk zu vollenden und ihm auch das zweite Auge auszustechen, es war ganz einfach, doch jetzt ließ ich mir mehr Zeit und bohrte zuerst ganz leicht hinein, um es auslaufen zu sehen, doch ich konnte mich nicht halten, ich mußte diesem armen Tier ja helfen, und so stieß ich mit aller Kraft zu und drehte die Schere in der blutigen Augenhöhle mehrere Male um. Das schreien war schon fast unerträglich, und ich mußte mich in acht nehmen, um nicht von den Hufen des wild um sich schlagenden Tieres getroffen zu werden. Ich tauchte kurz unter, um meine Augen von dem Blut und Fleisch frei zu machen und diese Kreatur zu erlösen.

Diese Gartenschere war ein ideales Werkzeug für diesen Zweck, ich mußte mir das merken, denn ich erlöste auch viele andere Tiere von ihrem schweren Schicksal, wenngleich sie auch niemals so groß waren wie dieses Pferd. Der Stahl drang langsam in das Fleisch am Hals, und ich versuchte die Schlagader zu finden, es war nicht ganz einfach, doch nach einigem Stochern hatte ich sie getroffen und zog mit der letzten Kraft die Enden der Schere nach außen. Ein gewaltiger Blutstrom ergoß sich über mein Gesicht, und ich lachte laut auf vor Glück, das Pferd gab gurgelnde Laute von sich und versank in den Tiefen des Teiches. Ich hatte wieder ein Lebewesen von seinen Leiden erlöst, ein Glücksgefühl durchfloß meinen Körper, und ich hatte einen Orgasmus, den ich sogar unter Wasser noch feucht spüren konnte, es war schon lange her, seit ich mich so wohl gefühlt hatte.

Ich blieb noch eine Weile im Wasser, um mich zu reinigen und den Moment zu genießen, dann machte ich mich auf den Heimweg, um endlich mein Frühstück zu genießen.

ENDE
 



 
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