Erlösung

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Anastasia

Mitglied
19:30. Ich stehe. Der kühle Wind weht mir durch die Haare. Während in weiter Ferne die Sonnenkugel sich hinter den Horizont schleicht, wird sie von einem Heiligenschein aus zarten Rosatönen verfolgt. Vögel singen fröhliche Hymnen und kreisen über das Dickicht. Es ist unbequem. Bald wird es dunkel, dann wird es einfacher. Den Schlüssel des roten Pickups in dem ich hergefahren bin habe ich stecken gelassen - es wäre verschwenderisch ihn mitzunehmen.

Dass ich feige bin weiß ich, doch es ist mir egal. Du und all die anderen haben zugesehen und nichts getan. Und ich? Ich habe es zugelassen. Wer Schuld hat? Diese Frage stelle ich mir schon lange nicht mehr, die Liste wäre zu lang. Meine Freunde, meine Eltern und dann warst da noch du Jake.
Du warst reinstes Gift und ein Gegenmittel gab es nicht. Als ich verletzt am Boden lag hat sich niemand zu mir gelegt und gesagt „Hey, was eine scheiß Aussicht, lass uns wieder aufstehen“. Nein, ihr habt mich mit euren Sprüchen und Lästereien dazu verdammt am Grund eines Meeres voller Verachtung und Hass in Einsamkeit zu ertrinken. Besonders Emma und Kate, danke, danke, dass meine besten Freunde, meine Schwestern beschlossen haben mich zu verraten, als sich euch die Chance dazu bot. Und Mum und Dad? Ich liebe euch, auch wenn ihr durch eure Arbeit blind für mein Leid wart und auch sonst viel zu sehr mit sich selber beschäftigt, um zu merken, dass mit mir irgendwas nicht stimmt.

Die Gewässer sind heute besonders unruhig. Auf das fast pechschwarze Wasser fallen einige letzten Sonnenstrahlen und schimmern wie Blitze an der Oberfläche. Auch die Wärme auf meiner Haut hat nachgelassen. Ich fühle wie mein Körper abkühlt, gleichzeitig bin ich von Angstschweiß bedeckt. Unwillkürlich klammere ich mich ein wenig fester ans Geländer.

Ich habs versucht. Ich habe es wirklich versucht. Anfangs war er unscheinbar, aber dann wurde er stärker. Und schließlich war der Schmerz mein stetiger Begleiter. Innerlich habe ich geschrieen, immer öfter, immer lauter, doch niemand hat mich gehört. Gefangen in meiner persönlichen Hölle suchte ich vergeblich nach einem Ausweg. Und dann geschah es.
Meine Entrüstung, meine Wut und Machtlosigkeit flossen in Strömen und die Flut war nicht mehr zu stoppen. Das Fass war übergelaufen und als es sich geleert hatte, blieb nichts weiter als emotionslose Stille zurück. In mir war es dunkel und stumm. Meine Gedanken höre ich seitdem nur noch in weiter Entfernung, als seien es nicht meine eigenen.

Ich zittere. Mein Blick gleitet über die mir vertraute Umgebung. Die Tannen, die mir in meiner Kindheit als Riesen gekleidet in prachtvolle Kleider erschienen, sind zu Zwergen geschrumpft und haben ihre Nadeln verloren. Das Vogelgezwitscher ist verstummt, als wüssten selbst die Vögel, dass das Unheil naht.
Inzwischen ist die Sonne untergegangen und langsam wird der Wald in einen Mantel aus Dunkelheit gehüllt.

Seit Monaten lebe ich in Dunkelheit, eine Dunkelheit die sich unscheinbar und leise in deine Seele schleicht und sie erbarmungslos zerfrisst bis nichts mehr übrig bleibt. Sie lässt eine leere Hülle zurück, äußerlich makellos, doch der Schein trügt. Sie übernimmt dich und wenn du es merkst ist es längst zu spät und der Kampf ist verloren. Alles scheint ohne Sinn, doch es gibt eine Ausweg. Einen Ausweg die Dunkelheit zu besiegen und auf Ewigkeit mit dem Licht, der Seelenruhe vereint zu sein. Alles hat seinen Preis und dieser ist besonders hoch.
Doch ich werde ihn zahlen.


Ein letzter Blick auf die Uhr. 19:36. Auf Wiedersehen Welt.
Langsam lösen sich meine Finger aus dem festen Griff mit dem ich das kalte Metall umklammerte. Es folgt ein Gefühl der Schwerelosigkeit und zum ersten Mal seit langer Zeit fühle ich Frieden und Ruhe. Erlösung.
Ich lasse mich fallen bis die schmerzhafte Unendlichkeit endlich endet.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Anastasia, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von flammarion

Redakteur in diesem Forum
 
Willkommen, liebe Anastasia!

Willkommen, liebe Anastasia!

Zunächst ein herzliches Willkommen in unserer Schreibgemeinschaft. Vielen Dank für Deinen Einstand. Whow – was für ein Text!

Gleich im den ersten Absatz habe ich gefragt: „Sie wird doch wohl nicht …?“

Sehr einfühlsam geschrieben! Und es sind einige Passagen darin, die mir einfach unter die Haut gehen. So zum Beispiel :

Meine Entrüstung, meine Wut und Machtlosigkeit flossen in Strömen und die Flut war nicht mehr zu stoppen. Das Fass war übergelaufen und als es sich geleert hatte, blieb nichts weiter als emotionslose Stille zurück. In mir war es dunkel und stumm. Meine Gedanken höre ich seitdem nur noch in weiter Entfernung, als seien es nicht meine eigenen.
Noch einmal: Whow – was für ein Text! - Ich habe ihn mir heruntergeladen und kann ihn nur weiterempfehlen.

Doch nun zu einer Kleinigkeit, die mir aufgefallen ist. Ich bin zwar kein Grammatikexperte, doch darüber bin ich gestolpert.

Zum Thema Zeichensetzung bei wörtlicher Rede.

…. und gesagt „Hey, was eine scheiß Aussicht, lass uns wieder aufstehen“. Nein, ihr …
Im Duden heißt es dazu

Die wörtliche Wiedergabe kann einem Begleitsatz folgen. Dann erhält der Begleitsatz am Schluss einen Doppelpunkt und das wörtlich Wiedergegebene einen Punkt (bzw. ein Frage- oder Ausrufezeichen) vor dem schließenden.
Das würde für unseren Text also heißen:

… und gesagt: „Hey, was eine scheiß Aussicht. Lass uns wieder aufstehen.“ Nein , ..
Die zweite Sache, die über die ich gestolpert bin ist das Wort „ich habs“.

… Ich habs versucht. Ich habe es wirklich versucht. …
Wäre es nicht besser so:

… Ich habe es versucht. Ich habe es wirklich versucht. ...
Wie gesagt, ich bin kein Gramatikexperte und lerne immer noch dazu.

Liebe Anastasia bitte schreibe weiterhin solche Texte!

Dein Tintenkleckser
 

Paloma

Mitglied
Liebe Anastasia,

auch von mir ein herzliches Willkommen in der LeLu.

Deine erste Geschichte hat mir im Großen und Ganzen recht gut gefallen. Du hast interessante Bilder gemalt und schöne Vergleiche gestaltet.

Allerdings habe ich auch ein paar Anmerkungen. Die Perspektive deiner Protagonistin ist nicht so glücklich gewählt – denn Tote reden nun mal nicht.

Dann sind mir leider auch viel zu viele Beschreibungen drin, die mir nichts sagen.
Im Grund erfahre ich nicht einmal, warum die P. sterben will. Was man ihr denn wirklich angetan hat. Ich spüre auch keinerlei Verzweiflung – nur eine Menge Selbstmitleid und Ironie. Das ist schade und erweckt den Eindruck: Alle schlecht – nur ich bin gut, was die P. nun nicht gerade sympathisch macht.

Noch was:
Seit Monaten lebe ich in Dunkelheit, eine Dunkelheit die sich unscheinbar und leise in deine Seele schleicht und sie erbarmungslos zerfrisst bis nichts mehr übrig bleibt.
Diese Dunkelheit hat sich in die Seele der P. geschlichen – nicht in irgendeine andere. Hier den Leser persönlich anzusprechen ist nicht nötig.

Ich wünsche dir weiterhin viel Spaß beim Schreiben.

Liebe Grüße
Paloma
 



 
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