Es gab keinen Grund

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Lorenz

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Immer stärker war diese Sehnsucht geworden. Nach dem Nichts, dem völlig Unbekannten. Dem Tod, dem Ende seiner Existenz. Dann hätte er Ruhe, dann wäre Frieden. Es wäre vorbei, es würde endlich aufhören. Diese unendliche Sinnlosigkeit. Er hatte kein Ziel, keine Liebe in sich. Er war steckengeblieben in einer tiefen Gefühllosigkeit. Nichts schien ihn berühren zu können. Er berührte nichts mehr. Die Regungen anderer ließen ihn kalt zurück. Er war draußen. Anfangs waren da noch Verzweiflung, unvorstellbarer Schmerz, tiefe innere Qualen gewesen. Doch jetzt, ein erstarrter Klumpen, was einmal Mensch gewesen war. Ein Schatten lag auf seiner Seele, nein er war ein Schatten geworden. Es gab ihn schon nicht mehr. Er wollte nicht mehr, konnte sich nicht mehr wehren gegen diesen immer drängenderen Sog. Es wäre so einfach. Das Chaos und Leid, was er hinterlassen würde war im mittlerweile egal geworden. Es war die letzte Schranke gewesen.

Mehrere Abschiedsbriefe lagen wartend in einem Umschlag. Immer wieder ging er an die Stelle wo er dem Zug entgegen, sich zerreißen lassen wollte. Den Fahrplan kannte er auswendig. Die Szene seines eigenen Todes lief immer wieder durch seinen Kopf, wanderte durch seinen Traum. Es war dunkel, keiner würde ihn sehen, selbst der Lokführer erst im letzten Augenblick, kurz hinter einer leichten Biegung, wenn es kein zurück mehr geben würde. Die Geschwindigkeit an dieser Stelle war immer so hoch, dass er keine Chance haben würde zu überleben. Es war ein absolut sicherer Plan, todsicher. Alkohol würde ihm die letzte Hemmung nehmen.

Er spürte den dumpfen gewaltigen Schmerz des Aufpralls, hörte den stöhnenden Seufzer seiner Seele, fühlte wie der Atem aus ihm wich, sah seine blutigen, zerrißennen Gliedmaßen und Eingeweide über den Bahndamm verteilt. Die Knochen in unnatürlichem Winkel gebeugt. Kreischende Bremsen. Hörte die Schreie der Menschen die ihn liebten, ihr Warum, wenn er nicht mehr war. Und das alles war gut so. Ja, es gab keinen Grund zu bleiben. Als er sich sicher war, dass nichts schiefgehen konnte, war er ganz ruhig, ganz still. Totale Stille.

Doch irgendetwas regte sich in dieser glatten Leere. Was? Warum? Die Gründe, die er so mühsam aufs Papier gebracht hatte, sie machten ihn unzufrieden. Es erfasste noch nicht genau das, was war oder eher das was nicht mehr war. Er seufzte. Also nochmal. Die Worte mußte er bezwingen. Zeitweise hatte er sie verloren, konnte nicht mehr sprechen. Hatte vergessen wie man spricht, waren bedeutungslos. Doch diese Worte mußten aufs Papier. Waren der Grund den er hinterließ. Ohne Grund kein Abschied.

Wütend knüllte er es zusammen, schmiß es gegen die Wand und schrie. Es gab keinen Grund. Die Worte waren leere Hülsen. Fühlte sich betrogen. Fluchend kam er zurück. Wieder war er drinnen. Er konnte nicht gehen. Erleichtert legte der Schatten sich um ihn. Ohne Licht konnte auch er nicht lange leben. Es war noch nicht so weit. Zeit zum Leben...er liebte wieder. Es würde stärker werden, forderte seinen Raum. Voller Sehnsucht wollte er. Wieder war er durch den Tunnel gesogen, geflogen, ins Licht gestellt. Das Leben selbst, ist in sich der Grund...
 

Lillia

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Deine Idee finde ich gut und deinen Text mag ich auch. Allerdings wuerde ich das Ganze etwas straffen, das Beschriebene in einen zeitlichen Rahmen draengen, um den Leser naeher ran zu bringen.
Den Protagonisten also zum Beispiel gleich zu Beginn an einen Tisch setzen (den grossen leeren Tisch, durch dessen Beschreibung du alles szenischer machen koenntest), ihm einen Stift in die Hand druecken und ihn schreiben lassen. Ihn dann ueber seine Gefuehle nachdenken lassen und schliesslich zum Schluss an den Worten verzweifeln lassen.

Das koennte Deiner Geschichte etwas mehr "Show, don't tell!" geben, denke ich.

Einige Stellen, die ich ueberarbeiten wuerde:

"Das Chaos und Leid, was er hinterlassen würde war im mittlerweile egal geworden. Es war die letzte Schranke gewesen."

- Das klingt so, als ob etwas Bestimmtes vorgefallen waere.
Warum hat er diese Schranke ueberwunden? Ich wuerde das beantworten oder die Schranke weglassen.

"Ein Schatten lag auf seiner Seele, nein er war ein Schatten geworden."

- ich mag dieses "Selbstunterbrechen" nicht in einer so langsamen Geschichte. Ich wuerde mich fuer einen der beiden Ausdruecke entscheiden.


"Immer wieder ging er an die Stelle wo er dem Zug entgegen, sich zerreißen lassen wollte."

-wo er dem Zug entgegen was? Springen, stuerzen, fallen?

"Aufpralls, hörte den stöhnenden Seufzer seiner Seele, fühlte wie der Atem aus ihm wich, sah seine blutigen, zerrißennen Gliedmaßen und Eingeweide über den Bahndamm verteilt. Die Knochen in unnatürlichem Winkel gebeugt"

-Ich kenn mich da ja nicht so aus, aber malt man sich das tatsaechlich so eklig aus?? Ich nehme ja an, dass man diesen Teil lieber verdraengt und sich einfach einredet, dass alles ganz schnell geht und danach vorbei ist.

"Als er sich sicher war, dass nichts schiefgehen konnte, war er ganz ruhig, ganz still"

-Hat er vorher Geraeusche gemacht?

(("Doch irgendetwas regte sich in dieser glatten Leere. "
+++wunderschoener Satz, wie ich finde!))

"Fühlte sich betrogen."

-ER fuehlte sich betrogen.

"Fluchend kam er zurück. Wieder war er drinnen"

- Wo war er denn? Wahrscheinlich bei 'der Stelle', doch das kommt nicht richtig rueber. Ich wuerde ihn einfach da sitzen lassen und ihn die Strecke zu der Stelle, die er ja schon so oft gegangen ist, einfach nur gedanklich nochmal gehen lassen.

Die letzten paar Zeilen erscheinen mir etwas schnell runtergeschrieben.

"Erleichtert legte der Schatten sich um ihn"

-Der Schatten ist erleichtert??

"Ohne Licht konnte auch er nicht lange leben"

-versteh ich nicht.

"er liebte wieder. "

-so ploetzlich!? Das geht mir zu schnell.

Ich wuerde das Warum seiner Mitmenschen noch etwas ausbauen. Er erkennt, dass er keine Antwort hat. Also haengt er jetzt im Leeren, der Tod ist keine Loesung mehr. Aber das Leben erscheint doch dann nicht automatisch strahlend hell, oder?

"Es würde stärker werden, forderte seinen Raum. Voller Sehnsucht wollte er."

-Was wird straeker, was will er? Wohl leben, aber das geht mir zu schnell.

"Wieder war er durch den Tunnel gesogen, geflogen, ins Licht gestellt"

-Wieso "wieder" ?

"Das Leben selbst, ist in sich der Grund... "

-Diese Aussage wuerde ich dem Leser nicht so hinklatschen. Vom tiefsten Schwarz ins strahlend Helle?


Ich glaube, dass viel in Deiner Idee drinsteckt und wuerde den Text gerne nochmal ueberarbeitet lesen.

Viele gute Gedanken wuenscht

-lilli-
 

Lorenz

Mitglied
Grüß Dich Lillia,

Danke Dir für Deine lange, ausführliche Kritik. Ja, damit kann ich was anfangen. Ich muss gestehen, Du kennst meinen Text gerade besser als ich scheint mir. Es ist schon ewig her, dass ich ihn das letzte Mal überarbeitet habe. Ich stelle zur Zeit einige alte Texte ins Forum, weil ich Kritik haben möchte und sie zum x-ten Mal verändern will. Die meisten Deiner Ideen find ich gut. Ich werd ihn mir bei Gelegenheit mal vornehmen den "Grund". Aber die Zeit, ich hab da gerade eine Wettbewerbsgeschichte in Geburt, da kann ich gerade nicht stören...oder doch?

Was hast Du da mit Sünde und Gott? Willst Du das näher erklären?


Munterbleiben, weiterschreiben...buen camino...Lorenz
 



 
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