Hannes Nygaard
Mitglied
Ach, geht es mir gut. Ich bin mir bewusst, dass man eine solche Aussage nur ganz leise von sich geben darf, insbesondere in der heutigen Zeit.
Wesentlich mehr Jugendliche werden heute in den Schulen zum Abitur geführt, immer mehr Menschen absolvieren eine akademische Ausbildung. Das ist auch gut so. Wir brauchen eine bessere Bildung, wir müssen uns stets bemühen, dass Niveau zu heben. Und von diesem hohen Niveau aus lässt es sich dann viel besser jammern.
Ich stehe da allerdings außen vor. Für mich gibt es, selten genug, dass es jemand eingesteht, keinen Grund zur Klage. Mit geht es gut.
Daraus darf nun nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass ich ein geringeres Niveau meine Plattform nenne, nur weil ich nicht mitjammern möchte.
Es ist ein nasskalter Herbststag. Die Sonne hat sich hinter die dunkelgrauen Wolken verzogen, aus denen intervallartig das herausgeschüttet wird, was unsere Flüsse und Talsperren auffüllen sollte. Leider hat die Physik bisher versagt und noch keinen direkten Weg gefunden, sondern nutzt immer noch den Umweg über mein Haupt.
So sitze ich hier also durchnässt, habe kalte und feuchte Füße, bin aber sonst außengesprochen zufrieden. Das war nicht immer so.
Früher habe ich mich, wenn mich die Sehnsucht nach der Begegnung mit anderen Menschen packte, in den abendlichen Einkaufstrubel gestürzt. Am liebsten gefiel es mir in der Nähe der Kassenzone in neueröffneten Verbrauchermärkten, die mit günstigen Sonderangeboten lockten. Die ruhigere Variante war der Besuch im Cafehaus, dort konnte man von einem durchgesessenen, zerschlissenen Polsterstuhl aus die Leute beobachten, den Gesprächen an den Nachbartischen lauschen
Für das Studium der Büchermappe blieb allerdings nur der Gang zum Friseur, den ich aus praktischen Erwägungen ohne Voranmeldung antrete, um eine idealerweise ausgedehntere Wartezeit zu erreichen, in der ich mich mit einer voluminöseren Menge an Informationen zum Privatleben bedeutsamer Zeitgenossen bereichern kann, die ich den dort ausgelegten Illustrierten entnehme.
Hatte man hingegen das Bedürfnis, jene Neuigkeiten zu erfahren, die in keinem Medium zu eruieren sind, und die unmittelbare Nachbarschaft betreffen, gab es nur die Alternative, sich das komplette Wochenende in der Waschküche des Mehrfamilienhauses herumzudrücken und mit jedem, der Ansprüche auf die korrekt durch ihn eingetragene Nutzung der Gemeinschaftseinrichtung geltend machen wollte, einen Streit zu beginnen.
Bleiben natürlich noch Institutionen wie die Volkshochschule, Seminare verschiedenster Ausrichtung unterschiedlicher Anbieter oder Online-Kurse für die Weiterbildung in zahleichen mehr oder weniger bedeutsamen Themenkomplexen.
All diese vielschichtigen Möglichkeiten für die differenzierten Bedürfnisse habe ich konsolidiert. Ich setzte mich einfach in das Wartezimmer meines Hausarztes. Wohlgemerkt, es darf nicht die Praxis eines jener überregional anerkannten Spezialisten sein, der sich mit Sachverstand und dem Einsatz modernster Technik auf die Suche nach dem mich befallenden Ungemach begibt, sondern es muss der Doktor in der Nähe meiner Wohnung sein.
Mit etwas Glück betrete ich das Wartezimmer zu einem Zeitpunkt, an dem – bis auf einen – alle kunstlederbezogenen Stühle besetzt sind.
Ich lasse, einen leisen Gruß über die Lippen pressend und nicht wirklich eine Antwort erwartend, meinen Blick kreisen und stelle voller Freude fest, dass mir einige Gesichter von Stammgästen bekannt vorkommen. Insbesondere an reizvolle Vorerkrankungen und interessante Kombinationen verschiedener Krankheitsbilder erinnere ich mich bei diesem oder jenem Gesicht, die bei früheren Besuchen an diesem Ort vom jeweiligen Inhaber der gesundheitlichen Beeinträchtigung vorgetragen wurden.
Leider bin ich in diesem illustren Kreis noch nicht so gut eingeführt, dass ich meine mitleidenden Nachbarn direkt auf den zwischenzeitlichen Verlauf ihrer Gesundheitsschädigungen ansprechen kann. So bin ich auf die Initialisierung eines Gespräches durch andere angewiesen.
Über meinen Brillenrand, das Studium der Illustrierte nur vortäuschend, verfolge ich die Entwicklung unter den Wartenden. Zwischendurch registriere ich mit Freude, dass ein korpulenter Neuankömmling mit bösem Blick zornig feststellt, dass für ihn kein Sitzplatz mehr zu Verfügung steht.
Bei der Schwere seiner Erkrankung, so ist ihm deutlich anzumerken, gebührt ihm eigentlich ein Sitzplatz. Doch hier, im Wartezimmer des praktischen Arztes, gelten andere Maßstäbe als Lebensalter oder Körpergewicht. Hier kommen nur außergewöhnlich diffizile, schwierige, und letztlich vom Doktor in der Bedeutung nicht richtig eingeschätzte Vorerkrankungen zusammen.
Ich gestehe ja ein, dass ich mich in diesen Kreisen noch sehr amateurhaft bewege. Dieses wird auch von den anderen Patienten bemerkt. So lese ich noch in der ausliegenden medizinischen Wochenschrift. Anfänger! Signalisieren mir die Blicke der anderen Wartenden. Ich bin noch in der Ausbildung, ich muss mir meine Krankheitsbilder noch anlesen, die fachliche Fortbildung noch über die angebotene Literatur suchen. Die anderen sind schon weiter.
Oder werde ich womöglich gar verdächtigt, einer der subtilen Elemente zu sein, die den Arztbesuch im allgemeinen zu meiden suchen und den Medizinmann nur in Ausnahmefällen mit einer akuten Erkrankung behelligen?
Ich versuche diesen Eindruck dadurch zu zerstreuen, indem ich vorsichtig mit meinem Nachbarn ein medizinisches Fachgespräch aufnehme. Nach wenigen Sätzen stelle ich fest, dass ich einem semiprofessionellen Wartezimmerbewohner begegnet bin, der mir fachlich keine Chance lässt.
Mein vorsichtiger Versuch, das Gespräch auf allgemeine Themen wie Politik, Technik Sport oder das Wetter zu lenken, scheitert hoffnungslos. Ich werde schnell als Amateur demaskiert und von der weiteren Gesprächsrunde über Krankheiten ausgeschlossen. In meinem Innersten mache ich mir Sorgen, dass die Mitbewohner meines Stadtbezirkes mich eventuell gar als Simulant einstufen könnten, jemand der zum Arzt kommt, ohne seine Diagnose mitzubringen.
Der erregten Diskussion der anderen Leute entnehme ich, dass sich immer wieder Typen wie meine Person einzuschleichen versuchen, die dem Mediziner die kostbare Zeit stehlen und es dem Doktor überlassen wollen, herauszufinden, was dem Patienten fehlt. Würde sich jeder so verhalten, wäre dieses das Ende unseres ausgewogenen Gesundheitssystems.
Mit viel Toleranz könnte man, filtere ich aus dem aufgeregten Geschnatter der wahren Leidenden im Wartezimmer heraus, ja noch den Leuten begegnen, die dem Mann in Weiß bis zu drei Vorschläge unterbreiten, was ihnen wohl fehlen könnte. So bleibt dem Arzt immerhin noch die komplexe Aufgabe, aus diesem umfangeichen Angebot eine Diagnose auszuwählen.
Fortgeschrittene Wartezimmerbesucher berufen sogar ein Konsilium Gleichgesinnter ein, um sich fundiert dem Fachgespräch mit dem praktischen Arzt stellen zu können. Ich hingegen kann mit meinen medizinischen Minimalkenntnissen nicht einmal beim Zuhören dem hier im Wartezimmer versammelten Auditorium folgen.
Dabei geht es nicht nur um den krankheitspezifischen Erfahrungsaustausch, sondern auch periphere Bereiche wie die Gesundheitspolitik im allgemeinen werden gestreift.
So lerne ich, dass der häufige Arztbesuch – wohlgemerkt beim praktischen Arzt im engsten Wohnumfeld – durchaus auch volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Die hohe Frequenz der Konsultationen senkt bei der Abrechnung nach Pauschalen die Kosten des einzelnen Arztbesuches deutlich. Auch halten wir die Arbeitslosigkeit unter den jungen Leuten mit abgeschlossenem Medizinstudium gering. Es kommt uns zwar entgegen, wenn eine gewisse Anzahl von Taxifahrern über eine abgeschlossene medizinische Ausbildung verfügt, können sie doch fachkundig bei Entbindungen im Taxi erste Hilfe leisten. Aber der Forderung, dass jeder Taxichauffeur über eine akademische Ausbildung verfügen sollte, können sich meine Mitwartenden nicht anschließen.
Fairerweise muss ich anerkennen, dass man in dieser Runde schon Mitleid und Verständnis für jene Menschen aufbringt, die an einer ernsthaften Gesundheitsstörung leiden. Doch hier, an diesem Ort, werden eher molieresche Diagnosen gepflegt. Es gilt darauf zu achten, dass man außergewöhnliche und nur schwer nachzuweisende Krankheiten hat, mit denen man in diesem Umfeld auch im Gespräch brillieren kann.
Im Stillen überlege ich, ob ich nicht einmal versuchen sollte, eine Schwangerschaft ins Gespräch zu bringen. Das würde mir als Mann sicher viel Aufmerksamkeit und Zuwendung einbringen. Ich müsste mir nur noch etwas umfangreicheres Wissen darüber aneignen, dass ich im Erfahrungsaustausch hier im Wartezimmer, aber auch im Fachgespräch mit dem Doktor eine Weile bestehen kann.
Trotz der Missachtung, die mir in diesem Wartezimmer entgegen gebracht wird, stehe ich auf der sozialen Skala nur an vorletzter Stelle. Noch viel schlimmer hat es den jungen Mann getroffen, der von allen geschnitten wird. Man ist ganz deutlich auf Distanz zu ihm gegangen, schüttelt den Kopf und drückt offen das Unverständnis darüber aus, dass er sich hierher traut. Der arme Kerl sitzt ganz allein in einer Ecke des Wartezimmers, hustet und niest, hat einen wärmenden Schal um seiner erkrankten Hals gezogen und leidet offensichtlich unter Fieber und Kopfschmerzen.
Es herrscht Einigkeit unter den Patienten, dass eine solche Handlungsweise unverantwortlich ist. So darf man hier im Wartezimmer eines praktischen Arztes nicht erscheinen. Womöglich steckt er uns anderen noch alle an.....
Wesentlich mehr Jugendliche werden heute in den Schulen zum Abitur geführt, immer mehr Menschen absolvieren eine akademische Ausbildung. Das ist auch gut so. Wir brauchen eine bessere Bildung, wir müssen uns stets bemühen, dass Niveau zu heben. Und von diesem hohen Niveau aus lässt es sich dann viel besser jammern.
Ich stehe da allerdings außen vor. Für mich gibt es, selten genug, dass es jemand eingesteht, keinen Grund zur Klage. Mit geht es gut.
Daraus darf nun nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass ich ein geringeres Niveau meine Plattform nenne, nur weil ich nicht mitjammern möchte.
Es ist ein nasskalter Herbststag. Die Sonne hat sich hinter die dunkelgrauen Wolken verzogen, aus denen intervallartig das herausgeschüttet wird, was unsere Flüsse und Talsperren auffüllen sollte. Leider hat die Physik bisher versagt und noch keinen direkten Weg gefunden, sondern nutzt immer noch den Umweg über mein Haupt.
So sitze ich hier also durchnässt, habe kalte und feuchte Füße, bin aber sonst außengesprochen zufrieden. Das war nicht immer so.
Früher habe ich mich, wenn mich die Sehnsucht nach der Begegnung mit anderen Menschen packte, in den abendlichen Einkaufstrubel gestürzt. Am liebsten gefiel es mir in der Nähe der Kassenzone in neueröffneten Verbrauchermärkten, die mit günstigen Sonderangeboten lockten. Die ruhigere Variante war der Besuch im Cafehaus, dort konnte man von einem durchgesessenen, zerschlissenen Polsterstuhl aus die Leute beobachten, den Gesprächen an den Nachbartischen lauschen
Für das Studium der Büchermappe blieb allerdings nur der Gang zum Friseur, den ich aus praktischen Erwägungen ohne Voranmeldung antrete, um eine idealerweise ausgedehntere Wartezeit zu erreichen, in der ich mich mit einer voluminöseren Menge an Informationen zum Privatleben bedeutsamer Zeitgenossen bereichern kann, die ich den dort ausgelegten Illustrierten entnehme.
Hatte man hingegen das Bedürfnis, jene Neuigkeiten zu erfahren, die in keinem Medium zu eruieren sind, und die unmittelbare Nachbarschaft betreffen, gab es nur die Alternative, sich das komplette Wochenende in der Waschküche des Mehrfamilienhauses herumzudrücken und mit jedem, der Ansprüche auf die korrekt durch ihn eingetragene Nutzung der Gemeinschaftseinrichtung geltend machen wollte, einen Streit zu beginnen.
Bleiben natürlich noch Institutionen wie die Volkshochschule, Seminare verschiedenster Ausrichtung unterschiedlicher Anbieter oder Online-Kurse für die Weiterbildung in zahleichen mehr oder weniger bedeutsamen Themenkomplexen.
All diese vielschichtigen Möglichkeiten für die differenzierten Bedürfnisse habe ich konsolidiert. Ich setzte mich einfach in das Wartezimmer meines Hausarztes. Wohlgemerkt, es darf nicht die Praxis eines jener überregional anerkannten Spezialisten sein, der sich mit Sachverstand und dem Einsatz modernster Technik auf die Suche nach dem mich befallenden Ungemach begibt, sondern es muss der Doktor in der Nähe meiner Wohnung sein.
Mit etwas Glück betrete ich das Wartezimmer zu einem Zeitpunkt, an dem – bis auf einen – alle kunstlederbezogenen Stühle besetzt sind.
Ich lasse, einen leisen Gruß über die Lippen pressend und nicht wirklich eine Antwort erwartend, meinen Blick kreisen und stelle voller Freude fest, dass mir einige Gesichter von Stammgästen bekannt vorkommen. Insbesondere an reizvolle Vorerkrankungen und interessante Kombinationen verschiedener Krankheitsbilder erinnere ich mich bei diesem oder jenem Gesicht, die bei früheren Besuchen an diesem Ort vom jeweiligen Inhaber der gesundheitlichen Beeinträchtigung vorgetragen wurden.
Leider bin ich in diesem illustren Kreis noch nicht so gut eingeführt, dass ich meine mitleidenden Nachbarn direkt auf den zwischenzeitlichen Verlauf ihrer Gesundheitsschädigungen ansprechen kann. So bin ich auf die Initialisierung eines Gespräches durch andere angewiesen.
Über meinen Brillenrand, das Studium der Illustrierte nur vortäuschend, verfolge ich die Entwicklung unter den Wartenden. Zwischendurch registriere ich mit Freude, dass ein korpulenter Neuankömmling mit bösem Blick zornig feststellt, dass für ihn kein Sitzplatz mehr zu Verfügung steht.
Bei der Schwere seiner Erkrankung, so ist ihm deutlich anzumerken, gebührt ihm eigentlich ein Sitzplatz. Doch hier, im Wartezimmer des praktischen Arztes, gelten andere Maßstäbe als Lebensalter oder Körpergewicht. Hier kommen nur außergewöhnlich diffizile, schwierige, und letztlich vom Doktor in der Bedeutung nicht richtig eingeschätzte Vorerkrankungen zusammen.
Ich gestehe ja ein, dass ich mich in diesen Kreisen noch sehr amateurhaft bewege. Dieses wird auch von den anderen Patienten bemerkt. So lese ich noch in der ausliegenden medizinischen Wochenschrift. Anfänger! Signalisieren mir die Blicke der anderen Wartenden. Ich bin noch in der Ausbildung, ich muss mir meine Krankheitsbilder noch anlesen, die fachliche Fortbildung noch über die angebotene Literatur suchen. Die anderen sind schon weiter.
Oder werde ich womöglich gar verdächtigt, einer der subtilen Elemente zu sein, die den Arztbesuch im allgemeinen zu meiden suchen und den Medizinmann nur in Ausnahmefällen mit einer akuten Erkrankung behelligen?
Ich versuche diesen Eindruck dadurch zu zerstreuen, indem ich vorsichtig mit meinem Nachbarn ein medizinisches Fachgespräch aufnehme. Nach wenigen Sätzen stelle ich fest, dass ich einem semiprofessionellen Wartezimmerbewohner begegnet bin, der mir fachlich keine Chance lässt.
Mein vorsichtiger Versuch, das Gespräch auf allgemeine Themen wie Politik, Technik Sport oder das Wetter zu lenken, scheitert hoffnungslos. Ich werde schnell als Amateur demaskiert und von der weiteren Gesprächsrunde über Krankheiten ausgeschlossen. In meinem Innersten mache ich mir Sorgen, dass die Mitbewohner meines Stadtbezirkes mich eventuell gar als Simulant einstufen könnten, jemand der zum Arzt kommt, ohne seine Diagnose mitzubringen.
Der erregten Diskussion der anderen Leute entnehme ich, dass sich immer wieder Typen wie meine Person einzuschleichen versuchen, die dem Mediziner die kostbare Zeit stehlen und es dem Doktor überlassen wollen, herauszufinden, was dem Patienten fehlt. Würde sich jeder so verhalten, wäre dieses das Ende unseres ausgewogenen Gesundheitssystems.
Mit viel Toleranz könnte man, filtere ich aus dem aufgeregten Geschnatter der wahren Leidenden im Wartezimmer heraus, ja noch den Leuten begegnen, die dem Mann in Weiß bis zu drei Vorschläge unterbreiten, was ihnen wohl fehlen könnte. So bleibt dem Arzt immerhin noch die komplexe Aufgabe, aus diesem umfangeichen Angebot eine Diagnose auszuwählen.
Fortgeschrittene Wartezimmerbesucher berufen sogar ein Konsilium Gleichgesinnter ein, um sich fundiert dem Fachgespräch mit dem praktischen Arzt stellen zu können. Ich hingegen kann mit meinen medizinischen Minimalkenntnissen nicht einmal beim Zuhören dem hier im Wartezimmer versammelten Auditorium folgen.
Dabei geht es nicht nur um den krankheitspezifischen Erfahrungsaustausch, sondern auch periphere Bereiche wie die Gesundheitspolitik im allgemeinen werden gestreift.
So lerne ich, dass der häufige Arztbesuch – wohlgemerkt beim praktischen Arzt im engsten Wohnumfeld – durchaus auch volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Die hohe Frequenz der Konsultationen senkt bei der Abrechnung nach Pauschalen die Kosten des einzelnen Arztbesuches deutlich. Auch halten wir die Arbeitslosigkeit unter den jungen Leuten mit abgeschlossenem Medizinstudium gering. Es kommt uns zwar entgegen, wenn eine gewisse Anzahl von Taxifahrern über eine abgeschlossene medizinische Ausbildung verfügt, können sie doch fachkundig bei Entbindungen im Taxi erste Hilfe leisten. Aber der Forderung, dass jeder Taxichauffeur über eine akademische Ausbildung verfügen sollte, können sich meine Mitwartenden nicht anschließen.
Fairerweise muss ich anerkennen, dass man in dieser Runde schon Mitleid und Verständnis für jene Menschen aufbringt, die an einer ernsthaften Gesundheitsstörung leiden. Doch hier, an diesem Ort, werden eher molieresche Diagnosen gepflegt. Es gilt darauf zu achten, dass man außergewöhnliche und nur schwer nachzuweisende Krankheiten hat, mit denen man in diesem Umfeld auch im Gespräch brillieren kann.
Im Stillen überlege ich, ob ich nicht einmal versuchen sollte, eine Schwangerschaft ins Gespräch zu bringen. Das würde mir als Mann sicher viel Aufmerksamkeit und Zuwendung einbringen. Ich müsste mir nur noch etwas umfangreicheres Wissen darüber aneignen, dass ich im Erfahrungsaustausch hier im Wartezimmer, aber auch im Fachgespräch mit dem Doktor eine Weile bestehen kann.
Trotz der Missachtung, die mir in diesem Wartezimmer entgegen gebracht wird, stehe ich auf der sozialen Skala nur an vorletzter Stelle. Noch viel schlimmer hat es den jungen Mann getroffen, der von allen geschnitten wird. Man ist ganz deutlich auf Distanz zu ihm gegangen, schüttelt den Kopf und drückt offen das Unverständnis darüber aus, dass er sich hierher traut. Der arme Kerl sitzt ganz allein in einer Ecke des Wartezimmers, hustet und niest, hat einen wärmenden Schal um seiner erkrankten Hals gezogen und leidet offensichtlich unter Fieber und Kopfschmerzen.
Es herrscht Einigkeit unter den Patienten, dass eine solche Handlungsweise unverantwortlich ist. So darf man hier im Wartezimmer eines praktischen Arztes nicht erscheinen. Womöglich steckt er uns anderen noch alle an.....