Es ist Zeit

ledsgo

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Wie immer um diese Zeit steh' ich leicht wankend vorm Cafe Absurd. Am Gehsteig mein Tisch, am Tisch meine Gläser. Heut' ist wieder Wodka-Nacht, ein Schuss ein Euro. „Absolut“, grinst der Besitzer, wenn man ihn nach dem Fusel fragt, „Absurd“ schrei' ich ihm entgegen. Beide lachen wir, wie immer.
Gegenüber steht der Kepler auf seinem Balkon im zweiten Stock. Der Balkon schaut aus wie ein zu breiter, dafür aber auch zu kurzer Penis, der an einem zu quadratischen Mann hängt. Eigentlich also überhaupt nicht wie ein Penis, denk' ich mir und frag' mich, ob mich der absurde Fusel überall Schwänze sehen lässt, oder ob dafür mein krankes Hirn selbst Verantwortung trägt, weil eines ist klar: ich bin nicht schuld!
Der Kepler schreit Unverständliches vom Balkon herüber. Ich schrei' ihm zurück, dass er gefälligst herüber kommen soll. „Man muss wissen“, erzähl ich derweil dem absurden Barmenschen, der mir immer den Vodka macht, „dass der Kepler ein kauziger Typus ist. Der Kepler,“ sag' ich, „der Hund hat einen Vogel. Weil der Kepler immer die deppertsten Ideen hat. Schau' ihn dir an, sag ich zum Barmenschen, den Kepler, wie er da auf seinem Balkon steht, eine raucht er nach der anderen und sauft ein Wasser dazu.“
Der Barmensch will wissen, warum der Kepler heut nicht wie sonst auch im Absurd ist.
„Jaja“, sag ich. „Wollt ich e' grad loswerden. Also der Kepler, der Hund hat einfach die deppertsten Ideen. Der heißt eigentlich ja auch Kabaler, aber der ist auf einmal auf die Idee gekommen, dass er jetzt nach Linz muss. Zum Studieren. Einfach so. Auf einmal nach Linz“, sag' ich.
„Wir waren unterwegs“, erzähl ich. „Der Kepler, noch ein paar andere Leute von uns und eben ich, und auf einmal sagt der Kepler, er geht nächstes Semester nach Linz, an die Johannes Kepler Uni nach Linz wollte er auf einmal, der Kepler – damals haben wir noch Schiller zum Kepler gesagt, weil, e' scho' wissen, Kabaler und Liebe, quasi.“
Der Barmensch lacht, ich bestelle noch einen Vodka. Von Gegenüber schreit der Kepler irgendeinen Blödsinn herüber, ich sag' ihm, er soll sich nicht so anscheißen und endlich herüber kommen, aber der Kepler winkt ab.
„Auf jeden Fall“, sag' ich zum Barmenschen, „ist das ja eine absurde Idee, einfach so nach Linz zu wollen, weil Linz, die so genannte Stahlstadt, wer will denn schon nach Linz? Graz von mir aus“, sag ich, „Innsbruck, wenn's wer mag, aber Linz? Was soll man denn in Linz? Aber der Kepler ist beinhart nach Linz gegangen und hat zwei Semester lang an der Kepler Uni in Linz studiert, und dann ist er zurückgekommen aus Linz, der Kepler, und hat eingesehen, dass das eine ganz depperte Idee war, nach Linz zu gehen, hat ihn 2 Semester gekostet und einen Batzen Geld, und was hat er davon? Nix.“ „Einen neuen Spitznamen halt“, sagt der Barmensch. „Ja“, sag' ich.

„Und jetzt hat der Kepler halt schon wieder so eine sau-depperte Idee“, sag' ich, „weil sich der Kepler jetzt einbildet, dass er nix mehr saufen will. Einfach so. Ist dem einfach so aus dem Himmel heraus eingefallen wie damals die Sache mit Linz. Der Hund hat einen Vogel.“
Der Barmensch lacht. Wir beide trinken mittlerweile, weil außer dem Barmenschen und mir – und dem Kepler gegenüber – kaum Leute anwesend sind.
„Das Problem“, sag' ich dem Barmenschen, „ist, dass außer mir und dem Kepler keiner mehr übrig geblieben ist, von unserer Truppe. Nur noch ich und der Kepler“, sag' ich. Mittlerweile stürzen mir die Wörter wie von selbst aus dem Kopf heraus, „mit dem Saufen“ sag' ich, „verflüssigt sich der Sinn. Das hat nix mit Psychologie zu tun, Physik ist das!“
Flüssiges macht fließende Gedanken, aber der Barmensch versteht nicht.
Er, sagt er, habe nie studiert. Von Physik wisse er schon gar nichts.
„Macht nix,“ sag' ich, „der Kepler auch nicht. Zehn Jahre Uni“, sag' ich, „aber studiert hat der Hund nie! Ich auch nicht, studiert hab ich nie. Uni gehen Ja, studieren Nein“, sag' ich und trinke.
Irgendwann sagt der Barmensch, dass er jetzt schließen muss. Ich trinke noch einen Schnaps, weil der Vodka schon aus ist.
„Hast mich leer gesoffen“, grinst der Barmensch. „Sei froh“, sag' ich, „dass dir deinen Fusel einer wegsäuft, überbleiben darf der eh nicht, sonst sperren's dich noch ein, wenn das wer sieht, was du da verkaufst!“
Der Barmensch lacht und sperrt die Türe zu. Drüben am Balkon sitzt der Kepler noch immer. Ich schrei' ihm hinüber, aber er schläft schon. Werf' einen Zigarettenstummel nach ihm, da kratzt er sich am Kopf. „Kepler“, schrei' ich, „jetzt geh halt mit!“
Aber der Kepler schüttelt den Kopf. Er müsse morgen arbeiten, meint der Kepler. Er habe lang genug studiert. Ich sage ihm, dass er noch lange genug arbeiten werde, aber er meint es ernst.

Er hat mir unlängst auch gesagt, er habe ein Mädchen kennen gelernt, in der Arbeit. Da haben wir noch getrunken, aber nicht mehr viel, denke ich, nicht mehr so wie früher.
„Wie ist das jetzt“, frag' ich ihn mit lockerer Zunge, „mit dir und dieser Caro?“ Er sagt, sie sehen sich morgen, sind zum Essen verabredet.
„Aber Donnerstag“, sag' ich zum Kepler, „Donnerstag, das war doch Pub-Quiz Night! Seit Jahren, außer dem Linz-Intermezzo schon seit Jahren gehen wir donnerstags zum Pub Quiz, aber der Kepler meint es ernst. Es sei Zeit für ihn, sagt er.
Ich blicke auf den Balkon, der Kepler meint, er lege sich jetzt ins Bett. „Du hast ja auch immer die deppertsten Ideen“, schrei' ich zum Kepler hinauf, „Komm runter jetzt, ein schnelles noch im Anno!“ Aber der Kepler schüttelt wieder den Kopf und geht hinein.
Ich schaue auf die Uhr, sehe zu viele Zeiger und muss den nächsten Passanten fragen, weil ich das Ziffernblatt nicht mehr lesen kann.
„Kurz nach Mitternacht“, sagt der und geht weiter.
Gibt’s auch nur in Wien, denk ich mir, dass dir um Mitternacht noch einer stehen bleibt, anderswo gibt’s das nicht mehr. Kurz nach Mitternacht, denk' ich und gehe nachhause. Vielleicht ist es wirklich Zeit, sage ich mir: ja, vielleicht ist es Zeit.
 



 
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