Es ist nicht alles Gold was glänzt

sinaper

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Sonntagnachmittag. Der gleiche Ablauf wie immer, Rechnungen schreiben, Kostenvoranschläge machen, das mittlerweile lautlose Gemaule ihres Mannes ertragen.
Im Grunde hatte er ja recht. Ihre Ehe war langweilig geworden. Sie unternahmen nur noch selten etwas gemeinsam. Die Zeit reichte einfach nicht. Wenn sie mal zusammen ausgingen, so wie gestern ins Kino, setzte sie sich hinterher doch wieder noch an den PC, weil zu viele Dinge unerledigt waren. War es wirklich nur eine Frage der Arbeitsorganisation, wie Felix immer behauptete? Sie wusste einfach nicht, wie sie es anders zu machen wäre, ihre Firma, ihren Anteil an der Hausarbeit, an der Kindererziehung und eben ihre Ehe unter einen Hut zu bekommen.
Wenn sie auf den Winterurlaub und das zweite Auto verzichten würden, könnten sie mit Felix Gehalt und einem kleinen Zubrot durch die dann auf Sparflamme weiterlaufende Hauswirtschaftsfirma auskommen. Aber das wollte sie nicht. Nach den ganzen Schwierigkeiten, die sie seit Gründung ihrer Firma hatte überwinden müssen, lag sie ihr am Herzen. Michaela wollte nicht mehr auf ihren Erfolg verzichten. Sie mochte es, wenn sie Probleme lösen konnte, die andere Leute den Kopf in den Sand stecken ließen. Letztendlich war sogar Felix stolz darauf, eine so fähige Frau zu haben.

Gerade kam er mit den Kindern von einem Ausflug zurück. Michaela hatte die Pizza, die sie versprochen hatte rechtzeitig zur Rückkehr fertig zu haben, natürlich noch nicht mal im Ofen. Den Teig dafür hatte sie gleich nach dem Frühstück angesetzt, aber dann war ihr Arbeitseifer mit ihr durchgegangen und sie hatte die Fütterung der Familie wieder mal aus den Augen verloren. Felix sagte nichts. Er küsste ihren Nacken und lotste Jonathan und Annina aus dem Arbeitszimmer. Durch die geschlossene Tür hörte Michaela noch, wie sie sich über die Bestellliste der Pizzeria hermachten und unter viel Hin und Her ihre Wahl trafen. „Nimmst du wie immer eine Pizza al Mare?“ fragte Felix, den Kopf durch die Tür steckend, und wartete ihre Antwort nicht wirklich ab. „Ich ruf an!“ schrie Annina schon im Hintergrund.

Obwohl Michaela, so entlastet, nun Gelegenheit hatte weiter ihre Arbeiten zu erledigen, war sie doch abgelenkt und plagte sich mit einem schlechten Gewissen. Sie nahm sich zusammen und schrieb sowohl die Rechnung für das Hochzeitsbüfett letzte Woche als auch den Kostenvoranschlag für die Grundreinigung der Wohnung bei diesem unangenehmen Banker. Nicht ganz klar war ihr, wen sie dort hinschicken konnte. Marina war zwar schnell, aber sie konnte nur schlecht wirklich gründlich sauber machen. Simone arbeitete gründlich, aber bei diesem Haushalt wäre das der finanzielle Ruin aller Beteiligten gewesen. Sie würde nach einer neuen Arbeitskraft suchen müssen oder am Ende selbst Hand anlegen. Felix würde ihr den Hals umdrehen! Eine Erweiterung des Personalstands konnte sie sich leisten, die Firma lief wirklich gut. Aber es wären natürlich diverse Vorstellungsgespräche und vor allem auch eine Einarbeitung nötig.
Während Michaela so überlegte und vor sich hin sann, klingelte es an der Tür.
„Mama, die Pizza ist da. Komm jetzt!“

Felix hatte den Tisch gedeckt. Na ja, Besteck für jeden bereit gelegt und die Rolle Küchenkrepp auf den Tisch gestellt. Jonathan kam gerade mit Cola aus dem Keller und Annina stellte für jeden ein Glas auf den Tisch.
Es wurde eine lustige Mahlzeit. Die Kinder sprudelten über beim erzählen von den heutigen Ereignissen! Im Streichelzoo waren sie gewesen, auf dem Spielplatz und ein großes Eis hatten sie gegessen. Und mit der Annette war es so lustig gewesen! „Wer ist Annette?“, fragte Michaela während sie an ihrer Pizza herumstocherte. „Wir haben sie auf dem Spielplatz kennen gelernt! Sie hat auch zwei Kinder, aber die leben bei ihrem Papa und sie sind geschieden.“
„Sie war wohl sehr traurig, weil sie ihre Kinder nicht bei sich haben konnte. Sie hat sich uns angeschlossen.“ erklärte Felix.
„Es war lustig! Auf dem Karussell ist ihr richtig schlecht geworden. Aber sie hat trotzdem gelacht!“
„Die Arme!“, rief Michaela, „Für mich klingt das nicht besonders lustig!“
„Nächstes Wochenende sind ihre Kinder bei ihr zu Besuch. Wir haben verabredet, dass wir wieder was zusammen unternehmen. Vielleicht könnten wir ins Kino gehen?“
„Wirst du dir Zeit nehmen können?“, fragte Felix Michaela.
„Ja. Ja, ich denke schon.“

Michaela hatte am nächsten Wochenende keine Zeit. Sie war immer noch damit beschäftigt, eine geeignete Arbeitskraft zu finden, die die Vorzüge von Marina und Simone auf sich vereinigte. Ein sehr viel schwierigeres Unterfangen, als sie anfangs geglaubt hatte.
Sehnsuchtsvoll sah Michaela aus dem Fenster als Felix die Kinder und alles, was sie für ihren Ausflug brauchten im Auto verstaute. Aber sie wollte ihren Traum von der eigenen Firma nicht aufgeben. Andere schafften es schließlich auch, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. War vielleicht ihre Familie einfach sehr anspruchsvoll?
Sie war kurz davor, alles hinzuschmeißen und mit Felix und den Kindern mitzufahren.

Felix hoffte inständig, Michaela möge sich noch mal überlegen, ob sie nicht mitkäme. Wieder und wieder hatte er sie gebeten, sich auch mal Zeit für die Familie zu nehmen. Aber immer wieder war sie ihm ausgewichen, weil sie die Firmenangelegenheiten in Ordnung bringen wollte. Er verstand ja, dass sie ihre Erfolgserlebnisse braucht. Die sollte sie ja auch haben, aber sie hatten sich doch gemeinsam für die Kinder entschieden. Das konnte sie doch nicht einfach leugnen. Alles hing an ihm. Er brachte die Kinder zu Bett. Er hörte sich an, was sie nach der Schule zu erzählen hatten. Er ging mit zu Fußballspielen und Theateraufführungen. Michaela lebte in einer anderen Welt.
Wie anders war da Annette! Für sie schien jeder Moment mit den Kindern etwas Besonderes zu sein. Sie wusste alles über ihre Kinder, interessierte sich dafür wie die Talente ihrer Kinder optimal gefördert werden könnten. Sie kannte die Termine für die Basketballspiele ihres Sohnes und die Tanzaufführungen ihrer Tochter – und keinen dieser Termine hätte sie je verpasst!
„Wartet auf mich!“, rief Michaela, „Ich komme doch mit!“
Felix wusste nicht, wie ihm geschah. Eben hatte er sich noch gewünscht, seine Frau möge sie begleiten – und schon ging der Wunsch in Erfüllung!
Das gute Gefühl blieb aus. Die Kinder und er waren ein eingespieltes Team. Michaela stellte alles in Frage, was er mit den Kindern in mühevoller Kleinarbeit ausdiskutiert hatte. Die Begegnung mit Annette war eine Katastrophe! Ihre Kinder waren bei ihr und sie verwöhnte sie in allem nach Strich und Faden. Jedes Eis, jeder Kaugummi, jedes Würstchen, das sie haben wollten, bekamen sie. Sie brauchten nur den Wunsch danach zu äußern. Michaela fragte sich angesichts dieser Nachsicht und der zuvor gehörten Lobeshymnen auf Annette, was da wirklich im Busch sei. Aber bei jeder ihrer Äußerungen, die auch nur im Entferntesten kritisch klingen konnten, bügelten ihr Felix und auch die Kinder glatt über die Schnauze, so dass sie sich gänzlich zurückhielt. Die Stimmung war für diesen Tag natürlich verdorben.
Für was bin ich nun eigentlich mitgekommen, fragte sich Michaela.
Felix war genervt davon, dass zwischen Michaela und Annette solche Spannungen herrschten. Aber er musste Michaela recht geben, ihren eigenen Kindern hätten sie die Sonderwünsche, die Annettes Kinder äußerten, niemals durchgehen lassen.
Zum ersten Mal fragte er sich, ob ihr Leben nicht einfach nur richtig war, so wie es war.
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Hallo sinaper,

danke für deinen Beitrag! Die Schreibaufgabe ist allerdings schon beendet und die neue folgt Anfang dieser Woche.

Viele Grüße, Zeder
 



 
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