Es war eine bewusste Entscheidung

Corinne

Mitglied
Es war eine bewusste Entscheidung


Lange ist es her, wirklich lange, da bin ich mit meinem Mann und meinen Kindern spazieren gegangen.
Da hab ich sie dann das erste Mal gesehen. Diese Frau. Sie ist einfach nur auf einer Bank gesessen, hat in der Gegend herumgeschaut, die Sonne genossen, den Vögeln zugehört.

Ich bin mit meinem Mann spazieren gegangen. Er war schlecht gelaunt, meine Kinder müde. Sie haben gestritten, haben geschrien, haben sich gegenseitig gekratzt und gebissen. Ich hab auch geschrien, die Kinder angeschrien. So was hab ich eigentlich nie gemacht. Wirklich nicht. Nein, wirklich nicht! Ich hab meine Kinder nicht oft angeschrien. Aber sie waren nervig, mein Mann schlecht gelaunt und ich........ich hab geschrien. Früher hab ich das nie getan. Ich war ein ruhiger Mensch, gelassen. Wirklich gelassen. Aber ich hab mich verändert. Ich habe geschrien.

Kurz hab ich wieder zu dieser Frau geschaut. Zu dieser Frau auf der Bank. Sie ist immer noch dagesessen, hat uns nicht beachtet, hat nicht die Kinder beachtet die sich geschlagen und gebissen haben, hat nicht mich beachtet wie ich geschrien hab. Sie ist einfach nur dagesessen und hat in die Luft geschaut, den Vögeln zugehört, die Sonne genossen.

Plötzlich, ganz plötzlich, ohne Vorwarnung, ohne einen Grund hat sie zu lachen angefangen. Ganz laut hat sie gelacht. Immer weiter hat sie gelacht und gelacht und gelacht. Sie ist aufgestanden, hat angefangen zu tanzen und hat gelacht. Während sie zum Himmel hinaufgeschaut hat, die Hände gestreckt und herumgehüpft ist, hat sie gelacht, einfach nur gelacht. Und getanzt.

Meine Kinder haben Angst bekommen, mein Mann hat blöd geschaut. Hat uns gedrängt, dass wir doch endlich weitergehen sollen. Weg von dieser Verrückten, weg von dieser Irren.

Diese Frau war wirklich verrückt, wirklich irre. Das hab ich auch noch von anderen gehört. „Die ist verrückt“, hat es geheißen, „Die ist irre“.

Ich glaub da ist der Gedanke das erste mal aufgetaucht, einfach so. Aber ich weiß es nicht mehr so genau. Vielleicht war es auch ein anderes Mal.

Jedenfalls ist er dann immer wieder gekommen. Nicht mehr weggegangen. Dieser Gedanke.
Am Anfang, glaub ich, hab ich sogar noch über ihn gelacht. Gelacht, aber nicht unbedingt aus Belustigung. Nein, ich glaub das war eher Angst. Ja, Angst war es. Angst vor diesem Gedanken. Blöd, hab ich mir gedacht. So blöd. Was denkst du nur für Blödsinn? – Ja, so war es am Anfang.

Doch diesen Gedanken konnte ich irgendwie nicht wegbekommen. Er ist größer geworden, dieser Gedanke, und ist dann schließlich zur Idee geworden. Diese Idee tauchte dann immer wieder in meinem Kopf auf. Plötzlich war sie wieder da. Ich hab versucht gegen sie anzukämpfen. Ja das hab ich wirklich! Ich hab es versucht. Aber es ist mir nicht gelungen.

Am Anfang schon noch, doch. Ich hab sie immer wieder weggeschoben. Hab mit meiner kleinen Tochter gespielt. Ja, mit meiner Tochter hab ich gespielt, mit meinem Sohn natürlich auch, natürlich. Und während ich mit meinen Kindern gespielt hab, hab ich diese komische, blöde Idee immer wieder weggeschoben. Hab weiter mit meinen Kindern gespielt.

Doch Kinder sind schwierig. Ja, das ist so. Kinder streiten. Sie streiten und schreien und kratzen und beißen. Und ich kann sie nicht davon abhalten weiterzustreiten, weiterzuschreien, weiterzukratzen und weiterzubeißen. Und da ist sie aufeinmal wieder dagewesen. Plötzlich ist sie wieder zurückgekommen, diese Idee.
Ich hab immer noch gekämpft, ja wirklich, ich hab immer noch gekämpft, immer noch weggeschoben.

Dann ist sie wiedergekommen, diese Idee, wieder so plötzlich. Ich hab grad telefoniert, mit meinem Mann. Er kommt später, hat er gesagt. Er muss noch was erledigen, hat er gesagt. Und da war sie wieder da, diese Idee.

Ich bin spazieren gegangen, mit meinen Kindern. Wir haben eingekauft und sind dann zum Spielplatz gegangen. Sie haben gelacht. Ich hab, glaub ich, auch gelacht. Es war schön. Da ist der Gedanke dann mal weggeblieben. Aber nicht lang, nicht für immer.
Denn da war wieder diese Frau. Es war gleich wie bei der ersten Begegnung. Sie hat getanzt und gelacht und gelacht und getanzt und meine Kinder haben dann wieder gestritten und ich hab wieder geschrien. Das hab ich früher nicht gemacht, ganz früher. Da war ich ein ruhiger Mensch, ein gelassener Mensch.

Irgendwann hab ich mir die Idee mal länger angeschaut. Hab sie genommen und genau betrachtet. Bis zu dem Zeitpunkt ist sie immer so schnell gekommen und wieder verschwunden, weil ich sie geschoben hab. Doch jetzt wollte ich sie mal anschauen, genauer. Sie ist wieder in meinem Kopf herumgeschwirrt und ich hab sie gepackt. Hab zu ihr gesagt: Jetzt bleib mal stehen! Und da ist sie dann wirklich stehen geblieben. Und ich hab sie mir näher angeschaut. Sie hat mir gefallen, richtig gefallen. Plötzlich wollte ich sie nicht mehr wegschieben, nein, ich wollte sie behalten. Nur mal behalten, nicht gleich umsetzen, nein, aber behalten.

Da war sie dann. In meinem Kopf. Sie ist nicht mehr gegangen. Die Idee ist zur Überzeugung geworden.

Ich hab meine streitenden Kinder mit meinem schlecht gelaunten Mann daheim gelassen.

Es war eine bewusste Entscheidung.

Ja, wenn man verrückt ist, wenn man irre ist dann braucht man nichts zu tun. Man muss nicht den Kindern beim streiten zuhören, muss sie nicht trösten, muss nicht einkaufen gehen, muss nicht mit dem Mann telefonieren und hören, dass er später kommt. Man sitzt nur auf einer Bank und schaut in der Gegend herum, genießt die Sonne und lacht und tanzt und lacht und tanzt und lacht.

Es war eine bewusste Entscheidung.

Seitdem tanze ich auch, seitdem lache ich auch.
Ja ich bin verrückt, ja ich bin irre.
Das sagen alle: die Ärzte, die Leute, mein Mann. Ja sie haben recht, ich bin verrückt, ich bin irre.
Ich lache, ich tanze, ich lache und tanze weiter.

Es war eine bewusste Entscheidung.
 
K

kaffeehausintellektuelle

Gast
Liebe corinne

Zunächst mal. Die geschichte hat mir gefallen. Sie hat mich berührt.
Aber einiges an ihr hat mich auch gestört.

Es ist schon klar, dass du wiederholungen als stilmittel einsetzt, das mach ich auch gern. Aber ich hab das gefühl, das hast du ein bisschen übertrieben. Sechs mal geschrie(e)n in einem satz ist mir zu viel. Es erhöht einerseits das tempo, aber es macht einen beim lesen auch ganz hektisch und führt dazu, dass man nicht genau liest, weil man sich denkt, das wiederholt sich eh nur alles.
Etwas ähnliches ist es dann beim lachen. Ein bisschen zu viel einfach.
Ein bisschen ruhe täte der geschichte gut.

Ich hatte eigentlich die ganze zeit das gefühl, nicht die frau auf der bank, sondern die protagonistin ist verrückt. Psychotisch. Wirklich glücklich kam sie mir nicht vor. Auch nicht in der gegenwart, weil es fehlt ihr die ruhe, die vergangenheit mit ein bisschen distanz zu betrachten. Da wird man nämlich wie schon erwähnt, so hektisch durchgetrieben, durch die vergangenheit.

Erwähnen möchte ich vielleicht noch, dass ich mit psychisch kranken menschen arbeite, und sehr oft das gefühl hab, dass sie nicht nur nicht glücklich sind, sondern ganz im gegenteil einen massiven leidensdruck haben. Ich weiß nicht, ob es wirklich jemals eine bewusste entscheidung sein kann, verrückt zu werden. Es kann höchstens eine bewusste entscheidung sein, nicht mitzumachen bei diesem stress, dieser hektik, dieser normalität. Aber deshalb wird man nicht gleich verrückt.

Weißt du was ich meine? Ich meine, wir gesunde können „aussteigen“. Der unterschied ist, dass ich mich dann freiwillig an den rand bewege. Psychisch kranke „verrückte“ menschen sind dort nicht aus freien stücken. Du aber stellst verrückt sein als lösung dar. Tatsache ist, dass verrückt sein tausend probleme aufwirft. Sie weisen dich in die psychiatrie ein, weil du nicht mehr für die kinder sorgen kannst. Du verlierst deinen arbeitsplatz, wenn du noch einen hast. Kriegst finanzielle sorgen. Bist innerlich und äußerlich zerrissen.

Ja, dann hat mich noch gestört, dass du schreibst, die frau würde ohne grund lachen. Woher weißt du das? Du müsstest hier genauer formulieren. Nämlich für die protagonistin ohne sichtbaren grund. Wer weiß, woran die frau denkt, woran sie sich erinnert, woran sie sich erfreut. Vielleicht hat sie tausend gründe, zu lachen.

Ja, und die protagonistin kommt nicht wirklich stark rüber, nicht wie eine frau, die etwas für sich beschließt. Der beschluss, verrückt zu werden, so es ihn gibt, ist eine flucht. Aber nicht nach vorne, sondern nach innen. Mutig wäre es gewesen, ihr leben zu ändern. Den mann zu verlassen, der nur schlecht gelaunt ist oder ihr leben in die hand zu nehmen.

Warum haben kinder angst vor menschen, die herumspringen und sich freuen? Ich glaub eher, dass kinder von so menschen fasziniert und angezogen sind. Weil sie von natur aus noch gerne lachen und einen kindlichen übermut in sich haben.

Manche bilder fand ich sehr schön, nämlich das bild mit dem gedanken, der kommt und den sie aufhalten möchte. Aber auch hier. Ein bisschen too much. Ich glaub, die geschichte würde noch besser wirken, wenn du da ein bisschen wegnimmst von den massigen wiederholungen.


die k.
 

Corinne

Mitglied
Hallo!

Erstmal danke für deine Beurteilung.

Mit den Wiederholungen hast du eindeutig recht. Die waren immer schon mein Problem. Ich bin von ihrer Wirkung so begeistert, dass ich es einfach nicht lassen kann. :)
Aber ich werde mich bemühen mich zu bessern.

Ich verstehe deinen Einwand, dass du nicht glaubst, dass es eine bewusste Entscheidung sein kann verrückt zu sein.
Bei so gut wie allen psychisch Kranken war es auch sicher keine. Da geb ich dir vollkommen recht.
Nur hab ich mich in letzter Zeit sehr viel mit der Frage beschäftigt ob es nicht Menschen geben könnte für die Verrücktheit eine Lösung wäre. Sicher entstehen dadurch andere Probleme, aber könnte es nicht sein, dass diese Probleme dann kleiner und weniger schlimm wären wie die Probleme der Normalität?
Könnte es nicht sein, dass eine Einweisung in die Psychiatrie als gar nicht so schlimm angesehen wird weil man dort endlich seine Ruhe hat?
Dass eine Arbeitslosigkeit eine Erleichterung ist weil man mit der Arbeit sowieso nicht fertig geworden ist?

Ich hoff du verstehst mich da jetzt nicht falsch, ich bin mir da alles andere als sicher, mir ist es nur so durch den Kopf gegangen.

Zu den Kindern: Meistens ist es schon so, dass sie von fröhlichen, lachenden Menschen angezogen werden doch leider ist es auch so, dass sie sehr auf das Vorbild der Erwachsenen achten. Und wenn diese dann ärgerlich, vielleicht sogar ängstlich auf solche "Verrückte" reagieren kann es leicht sein, dass die Kinder dadurch auch Angst bekommen.
Aber das hab ich bei meiner Geschichte falsch ausgedrückt.

Jedenfalls danke noch mal für deine Mühe, ich werde mich noch mal dransetzen und überarbeiten.

Lg, Corinne
 

Peter Nageda

Mitglied
Hallo Corinne,

es ist exakt so, wie Du die Geschichte schreibst. Genau die Wiederholungen, genau die, rasen durch den Kopf. Wie soll man den Zustand anders darstellen ? Diese Wellen, die einen dabei überfluten, beim Gehen auf den Grad des Berges zwischen Normalität (Was ist das schon ?) und Irre sein, selbst zu entscheiden, ich laß mich nach dieser oder jener Seite fallen - oben, angekommen, auf dem Grad des Berges. Zu spüren und dann beim Blick in den Abgrund zu wissen, die Entscheidung ist endgültig, so oder so. Dieses Abwägen, aus der Verrücktheit komm ich nie mehr raus aber wird es mir je gelingen, von der "Normalität" nochmals auf den Berg, auf den Grad zu kommen?
Ja, da sind auch viele sachliche Überlegungen: Nie mehr selbst Auto fahren dürfen, keine eigenes Geld mehr haben zu dürfen, seine Hobbys, seine Sexualität nicht mehr so ausleben zu dürfen oder können und vieles mehr. ...
Es sind so ungeheuer viele Überlegungen, die in rasender Geschwindigkeit auf einen einströmen und sich hundertfach wiederholen. Abwägen, abwägen abwägen ... Diesen Zwischenzustand, diese Wanderung auf dem Grad des Berges, kann man nicht ewig aushalten. Man muß sich entscheiden.
Du hast es gut dargestellt, so ist es, ja. Auch der Weg bis auf den Gipfel, auf den Grad des Berges, ist gut nachvollziehbar. --- Das ist nicht nur Literatur, daß ist das Leben.
(Oh Gott, so viele Wiederholungen - auch nach dem Überlesen laß ich sie stehen - seht es mir nach.)

Peter Nageda
 

Corinne

Mitglied
Hallo Peter!

Danke für dein Kommentar! Es hat mich wirklich sehr gefreut zu hören, dass dich die Wiederholungen nicht stören.

Ich werd jetzt versuchen ein Mittelmaß zu finden. Nicht zu viele Wiederholungen damit man nicht zu schnell über den Text liest und dabei vielleicht einiges überliest aber auch nicht zu wenige.

Lg, Corinne
 



 
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