Esserinnerungen

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Wieso heißt es eigentlich immer, dass Vanille oder Kakao an die Kindheit erinnern?

Bei mir sind es die matschigen Tomaten. Ich habe schon als Kind Tomaten geliebt, am liebsten hätte ich mich nur von diesen roten Kugeln ernährt. Immer nur Tomaten. Außer wenn wir bei Oma waren. Da wurde der Tomatensalat schon morgens mit Essig und Öl überschüttet, damit bis mittags alles richtig durchziehen konnte.

Wenn meine Mutter mich dann von der Schule abgeholt hat und wir den langen Weg über die Schnellstraße bis zu meiner Oma gefahren sind, waren die Tomaten schon längst so durchweicht, dass sie beinahe auseinander fielen. Als mein Opa noch lebte, war es mit den Kartoffelklößen genauso. Einmal hat er die Klöße so lange gekocht, bis sie als Brei am Boden des Topfes klebten. Da haben wir eben Kartoffelbrei gegessen. Aber der Tomatensalat war einfach ungenießbar.

Nicht so wie zu Hause, wenn es noch richtig knackte im Mund, wenn man in die frischen Tomaten biss. Wenn man sich erst einmal mit den Zähnen durch die feste Haut der Tomate kämpfen musste, bis einem der Saft am Kinn heruntertropfte. Nein, bei Oma gab es immer matschigen Tomatensalat. Tomatenbrei zu Kartoffelklößchenbrei.

Dafür war der Schrank im Wohnzimmer viel interessanter. Die kleine Tür unten links. Dahinter verbarg sich ein ganzes Paradies an Süßigkeiten. Schokolade und Bonbons. Nimm zwei, denn die haben ganz viele Vitamine und der Zucker da drin ist auch bestimmt nicht so schädlich wie der in anderen Bonbons. Daran habe ich mich dann satt gegessen, wenn es beim Mittagessen wieder nicht geschmeckt hat.

Mama hat abends über Oma geschimpft. Sie solle doch nicht ständig so viele Süßigkeiten für mich kaufen. Ich fand die Sache mit den Tomaten viel schlimmer. Meine Mutter hat mir dann erklärt, dass man das nun mal früher so gegessen hätte und Oma den Salat schon immer so gemacht hätte.

Mittlerweile vermisse ich diese matschigen Tomaten und den Kartoffelbrei. Was Oma wohl dazu sagen würde, dass man heutzutage in Scheiben geschnittenen Käse, der in salzigem Wasser schwimmt, zu den Tomaten isst? Und die Tomaten auch nicht mehr in kleine Stücke schneidet, sondern passend zu dem Käse ebenfalls in Scheiben. Wahrscheinlich würde sie über diesen neumodischen Kram schimpfen und ihren Tomatensalat wieder drei Stunden ziehen lassen.

Meine Mutter fragt immer, was ich mir zu essen wünsche, wenn ich zu Besuch bin. Klöße, sage ich dann, aber die selbstgemachten. Wie bei Oma. In der letzten Zeit ist mir aufgefallen, dass sie die Klöße häufig ein wenig zu lange kocht. Bis sie schon fast ein bisschen matschig sind. Ob man das automatisch so macht, wenn man älter wird?

Nach dem Essen geht mein Vater jedes mal zum Wohnzimmerschrank, um mir etwas Schokolade anzubieten. Sein Haar ist mittlerweile genauso grau wie das Haar meiner Oma war.

Letztens habe ich versucht, selbst zu kochen. Oft mache ich das nicht. Meist reicht es nur für Tiefkühlkost aus der Mikrowelle. Aber diesmal sollte es etwas selbstgemachtes sein. Klöße mit Bratensauce. Nun ja, aus der Pappschachtel zugegebenermaßen. Aber auch das war eine Herausforderung, mit den Anweisungen auf der Verpackung fertig zu werden und die Klöße genau richtig zu kochen. Nicht zu fest und nicht zu weich. Zum Nachtisch gab es Tomatensalat. Wie nahezu jeden Tag. Nur diesmal hatte ich die Tomaten ein wenig zu lange ziehen lassen und sie schmeckten irgendwie nach Kindheit.
 



 
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