Ewige Suche nach des Lebens Schönheit

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Kinski

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Euthanasie, Sterbehilfe für unheilbar Kranke und Schwerverletzte, um sie von einer unheilbaren Krankheit oder einem unerträglichen Leiden zu erlösen. Von passiver Sterbehilfe spricht man bei der Unterlassung lebensverlängernden Maßnahmen; als aktive Sterbehilfe bezeichnet man eine vorsätzliche Handlung, um den Tod herbeizuführen.
Ein solches Vorgehen ist nach christlicher Auffassung verboten. In der Bundesrepublik Deutschland ist Euthanasie nach '216 StGB strafbar...



Glitzernde Perlen aus purem Schweiß kugeln in ihrem Nacken den Rücken herab. Entsandt von den feuchten Haarspitzen, die das Salz der Haut entlassen hat wie ein Baum honigfarbenes Harz.
Ihre Haltung ist unverändert. Wie ein Embryo liegt sie auf dem Bett, in die Ecke gedrängt, kein Raum für freie Bewegung. Sie will nichts kaputt machen. Die Ruhe ist so zerbrechlich. Sie darf es nicht zerstören. Es ist die letzte Möglichkeit auf Erden, seine Nähe zu spüren, gar zu riechen, gar zu schmecken.
Minuten zuvor verschenkte er seinen letzten Atemzug, schloß sanft und kindlich seine haselnußbraunen Augen und lockerte all die strengen Muskeln seines von Krankheit geschwächten Körpers. Entspannte seine Hand, die ihre bis zur letzten Sekunde fest umschloß und beide auf Ewigkeit miteinander verband.
Es war nicht das bittere Ende eines schon vor Unendlichkeiten verlorenen Kampfes, dessen Scheitern sie sich nicht eingestehen wollten und doch sich mit grober Naivität hingaben, um die Hoffnung auf Heilung nicht aufzugeben.
Die gab es nie. Therapie um Therapie verlor er das Bewußtsein um sich herum. Verwischte den Konflikt zwischen Gesundheit und Leben, bereitete seinen Schmerzen ein frommes Mahl.
Nun war es der Wille, emporgehoben von starkem Herzenswunsch auf schmerzfreie Aufgabe. Ein Entrinnen aus entkräftetem Martyrium - er hatte verdient, was der Himmel ihm noch schenkte.
Sein kahler Schädel liegt angelehnt an ihrer Hüfte. Das samtweiche Lacken wickelt sich um seinen Unterleib, verdeckt sein Glied und seine enthaarten Beine. Niemand würde eine Leiche entdecken. Es ist die Szene nach einem längeren Spiel zwischen Mann und Frau. Die Ernüchterung nach dem Verkehr der Geschlechter.
Und das war es auch. Die letzte Hingabe, ihn nochmals gespürt zu haben. Seine Kraft, seinen Geist. Die zerfressenen Gedanken zu lesen, unerreichte Wünsche für Sekunden auszuleben und sich gemeinsam von ihnen zu verabschieden. Er hatte es sich so sehnlichst gewünscht.
Wie die Injektion, welche noch immer in seiner Ellenbogenbeuge steckt, mittlerweile leer und trocken. Seitlich an ihr schiebt sich ein kleiner Bach geronnenes Blut herunter. Der Stich ist geschlossen, gab die Nadel nicht mehr frei.
Harte Worte des Paters liegen noch in ihren Ohren. Er bat sie zur Vorsicht und Gnade, bevor er ihnen das Elixier überließ. Es war kein Schritt der Kirche, dem Leidenden zum Ableben zu verhelfen. Ganz und gar nicht. Mit dogmatischer Kritik verurteilte er ihr Vorhaben. Es gäbe kein Argument, was den mutwilligen Tod rechtfertige.
Und wahrlich, den gab es einfach nicht. Aber sie wollte sich nicht auf die andere Seite des Zaunes stellen, mit verschlossenen Armen den Untergang einer herzhaften Liebe beobachten. Er wäre ihr wohl mit der selben Unterstützung begegnet, wie sie ihn mit Zuneigung und Verstand ins Jenseits entließ.
Behördengänge zerrten beide zu Boden. Überlegene Überzeugung steuerte auf die Verdammnis ihrer Umgebenen zu. Niemand wahrte seine Gedanken für sich. Die Justiz schon gar nicht. Ein Prozeß folgte dem nächsten. Seine Kraft verließ ihn von einem zum anderen. Bis er vor einem Monat ganz zusammenbrach.
Mit Entzündung in Atemwegen, Leber und Darm brachten sie ihn ins Hospiz. Wollten ihn festhalten, so unendlich lange. Die Natur sollte ihr übriges Werk vollziehen, sollte ihn dahinraffen. Nur die Flucht im Nebel ersann den Frieden, seine letzten Ruhe zu wahren, und ihm das Versprechen, ein glückliches Ableben zu geben.


Die schwere Holztür wird aufgezogen. Langsam eindringendes Sonnenlicht wirbelt alten Staub vom Boden und erhellt die Klosterzelle wie ein vor Jahren verschlossenes Grab nach der Wiederentdeckung.
Erst halb geöffnet und doch zwängen sich Gestalten zwischen Tür und Mauer hindurch. Schnell und rasch sind ihre Schritte. Doch nur kurz, denn nach ein paar Metern stehen sie nur noch Augenblicke von der Liege entfernt, auf der beide ruhen. Er ist tot; sie atmet schwer, doch immer eiliger je mehr Farbe ihre Vorstellung bekommt, welches Gesicht seine Mutter tragen würde, wie tief die verzehrten Falten des Paters sein mußten.
Läuten eiserner Klosterglocken kündigen die leisen Tränen der Mutter an, die schweigsam ein Schreiben in den Händen hält. Der Gottesdiener schreckt zurück, prallt gegen die kalte Zellenwand und reißt das um seinen Hals hängende Kreuz empor.
"Gott hab ihn selig!"
Seine Blicke durchbohren die weißgetünchte Decke, während er die Hände faltet.
Sie schließt die vor Helligkeit schmerzenden Augen. Öffnet unter zitterndem Körper die schmalen und rissigen Lippen. Ihre Lungen pumpen immer stärker. Sie gibt sich Mühe, den Ton zu kontrollieren und ihre Stimme mit den letzten Worten des Mutter´s Sohnes zu erfüllen.
"Das Geheimnis des Lebens liegt im Suchen nach der Schönheit... Mutter?... Ich habe sie gefunden... Durch Dich, durch Maria, durch Gottes angebetete Hand fand ich den Halt über Stock und Stein, hinüber zum Fuße seines Thrones... Und irgendwann, wenn im Herbst die Blätter fallen... werden wir gemeinsam am Ufer entlang schreiten... ich werde ihnen berichten, wie großartig das Leben war, wie traurig der Kampf um Frieden... jetzt oder nimmer mehr..."
Ihre Hand schwebt sanft über seinen kalten Kopf. Sie liebt ihn und er ließ sein Leben.
Seine Mutter nähert sich wankendem Fuße und läßt sich am Ende der Liege nieder. Sie wirft abermals einen Blick auf den Brief. Es ist einer dieser ewigen Blicke, dem manch lange Sekunden vorausgingen, in denen sie das Schreiben schon tausend mal gelesen hatte. Sie kennt es mittlerweile auswendig. Doch schreit das Herz nach Hoffnung und vielleicht hatten sich die Worte geändert, in den letzten Momenten der Nichtbeachtung.
Doch, dem ist nicht so. Das Urteil ist noch immer das Urteil. Die markzerreißenden Sätze noch die Sätze, die das Verbot der Sterbehilfe seit Eintreffen des Briefes einen Morgen zuvor verkündeten.
Nun sind es die eigenen Worte einer gebrochenen Mutter, deren Tränen sich nach und nach auf das Blatt Papier niederlassen und ihresgleichen suchen. Voller Wehmut, ganz gleich ob die Verzweiflung sich in der tränenverwischten Tinte in ihren Händen wiedergefunden hätte. Die Voraussicht auf Linderung wird nie eintreten. Solange niemand sich der Schreie annehmen wird.
"Und wenn wir uns noch so strecken, um nach den verbotenen Früchten zu angeln. Solange sie nicht selbst leiden, werden sie immer ihren eigenen Gesetzen folgen. Ist es nicht so?"
Sie schaut den Pater an. Sucht in seinen tiefen Augen nach allem, was ihr zuspricht.
"Sie wollten sich keinem Werteverlust hingeben, aber - können die Grenzen noch Grenzen sein, wenn sie über Erträglichkeit der Schmerzen anderer entscheiden?... Sie konnten es doch... oder nicht?"
 
Kinski, hallo

ich bin tief bewegt, vom stil, dem thema,sprich dem thema, deiner sprache, deinem einfühlungsvermögen und dem flüssigen schreibstil. wollte dich hier mit 10 punkten. leider funktioniert das in der letzten zeit nicht immer mit dempunktesystem bei mir. weiß der himmel warum.
nun schade drum. was abeer dein können zum glück keineswegs schmälert.
gruß heike
 

Kinski

Mitglied
liebe heike,

vielen dank für dein lob und deine mutmachenden worte!
das thema selbst begleitete mich über einige monate und ich halte es immer noch für ein ernst zu nehmendes erscheinungsbild unserer doch so offenen gesellschaft - so called openminded folk... anyway.

einen wunderbaren samstag und bis bald, florian
 



 
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