Fahrstuhljazz

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Ton-Palimpsest,

einziger Rest:

die länger gedehnten Vokale

in deiner bronzenen

wohlmodulierenden Stimme

- der alemannische Mundgrund.

Ach ja! Strahlende Augen,

dein Silberblau, dein Firmament.

Ich hab' noch nicht gewagt,

deinen Lippenschwung

mit sinkenden Blicken

zu streicheln.

Es gäbe die ideale Frau

- vielleicht? -

für mich?

Ein anderer mag

in Rilkes sanfte Gotteshände fallen,

ich will nur

in dir untergehen

-

und falle

-

-

dann.​
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo serge,

kommt stimmungsvoll rüber!
Sehr schön finde ich die Passage:



Ich hab' noch nicht gewagt,

deinen Lippenschwung

mit sinkenden Blicken

zu streicheln



lg wüstenrose
 

nisavi

Mitglied
hallo serge, ich finds klasse, mutig (rilke!) und innovativ, auch, wenn ich, wie ich bekennen muss, von "alemannischem" mundgeruch gelesen habe zunächst. aber selbst dann...

n.
 

ENachtigall

Mitglied
Die Rückkehr des verloren Geglaubten!

Wo magst Du das ausgegraben haben, lieber serge Robert.
Warum heißt es nicht mehr "another piece of fahrstuhljazz"?
Und ich sehe es noch in der alten Formatierung von 2006(?) vor mir.
Es war in seiner Rechtsbüngdigkeit kompakter; die Abwärtsbewegung funktionierte auch ohne visuelle Hilfe perfekt.

Ich hab' noch nicht gewagt,
Es spricht aus diesem Gedicht (an der zentralen Stelle) diese Demut und schenkt ihm die Schönheit.
Hattest Du es nicht dereinst nach "untergehen" enden lassen?

Es ist immer noch sehr stark, aber Du merkst, ich neige doch sehr zur Verklärung des Originals.

Danke sehr für´s Einstellen und Teilen.

Lieben Gruß,

Elke
 
fand einen Ausdruck in einer Schublade. Da war das "falle dann" schon dran. Der ursprüngliche Titel war mir zu Englisch. Versuche grad, die Sprachen zu entwirren. Formatierung war mittig. Allerdings fing es so an: "zarte Attacke, die erste ...".
"Noch nicht gewagt ...": Demut oder Schüchternheit. Aber Demut macht sich besser. Nein, im Ernst: es war beides. ,-)

lieben Gruß

sR
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo serge,

nur die ganz guten rufen rilkes geist in ihren stücken
an, um auf etwas ganz anderes als ihn selbst hinzuweisen.

„Ein anderer mag
in Rilkes sanfte Gotteshände fallen,
ich will nur
in dir untergehen“


ein stück „gedichtmusik“

wiedermal
well done

ralf
 
Rilke

mog an nedda so, dan Rilke, woasstas ralf.
aba wen i mog is d'Zwetajewa und die hod den gmocht.
Also mog I eam hoit aa.
Verstegts me scho?

,-)
 
Hallo Serge,

Wow!

Als Erstes ist mir der Ausdruck "deiner bronzenen wohlmodulierenden Stimme" aufgefallen. Ich mag diese Art der Lautmalerei, und du hast hier bei mir genau den richtigen Knopf gedrückt.
Das Bildnis von (nicht) gewagten Blicken auf den Lippen"schwung" ist ... kraftvoll, ein besserer Ausdruck fällt mir im Moment nicht ein.
Und dass du lieber in dieser Sie untergehst als in Rilkes sanfte Gotteshände zu fallen, ja, das kann ich nachvollziehen.

Mann, ist das schön geschrieben.
Und die Textoptik dazu finde ich klasse.

Meinen herzlichen Glückwunsch.
Liebe Grüße. Rhondaly.

P.S. Ach ja, Ton-Palimpsest: ich habe gegoogelt, und ich finde dazu Artikel über vereinte Toncollagen und Diaprojektionen als künstlerischen Ausdruck. Ich liebe die Kombination von Klang und Bildern. Klangfiguren ala Chladni gefallen mir immer wieder. Also, für mich passt dein Werk ganz genau.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
dieses dreizehn Jahre alte Werk des Monats ist ein Palimpsest

Ohne Gugln im direkten Verständnis: Palimpseste sind Texte, die ausradiert worden sind, damit das Pergament wieder neu beschrieben werden kann.
Es gibt dann Restspuren, die von Wissenschaftlern mit Neugier gelesen werden, oder man versuchsts zumindest.

"Ton-Palimpsest" - überträgt das in die akustische Ebene, etwa auf gelöschte und wiederbespielte Tonbänder, ein metaphorischer Neologismus.
 

Wittelsbach

Mitglied
Ton-Palimpsest

Mondnein: Obwohl gelernter TonIngenieur, ist mir der Begriff Ton-Palimpsest bisher nicht bekannt. Zum Glück sterben alte Tonbänder langsam aus, wobei die digitale Welt nicht nur ihre Vorteile hat. Aber immer besser wird, wenn ich an die analoge Wärme früherer Zeiten denke.
Palimpsest ist mir bekannt aus dem FilmGeschäft, ich durfte einmal einen Film des Avantgardisten Werner Gorissen vertonen. Da ging es um visuelle Zwischeninformationen zwischen den eigentlichen Bildern. Jeder kennt die Geschichte von eingeblendeten Coca Cola Bildern, die man bewusst nicht wahrnimmt, die aber zur Konsumierung im Kino anregen (sollen). Bei Gorissen waren es CAMEL-Zigaretten. Ob diese Art Palimpsest-Werbung irgendwie gewirkt hat, weiß ich nicht.

Interessant, diesen Begriff auch auf scheinbar verstümmelte Gedicht-Fragmente zu übertragen.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
"Wiederbeschriebenes", eigentlich aber: das vor der Wiederbeschreibung Ausradierte.

Der Begriff "Palimpsest" ist in der Philologie zuhause, in der Sprachwissenschaft, schon immer.
Auf andere Bereiche - Film usw. - ist er nur übertragen worden, zum Teil offensichtlich mit einer gewissen Bedeutungsverschiebung.

Deshalb ist der Begriff "Ton-Palimpsest" ein Neologismus.
Wie bereits gesagt (bzw. geschrieben).
Neologismen spielten bei Serge eine besondere Rolle, er setzte sie poetisch ein. Da ist es schon nicht unwichtig, in den Begriff einzutauchen und zu sehen, welche Bedeutungstiefe er hat.
Das hängt mit der Metaphorik der Wörter in der Dichtung zusammen.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
2006-Fassung (laut ENachtigall, aber mit Fragezeichen) - also 11 Jahre alt.
2013-Fassung - sieben Jahre nach der ältesten Version, inzwischen selbst vier Jahre alt.
 



 
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