Falscher Glaube - Sonett

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Walther

Mitglied
Falscher Glaube


Ich hatte falschem Glauben zugeraten:
Der Ausblick auf das Morgen ist Bedrohung.
Tief in der Seele wächst schon die Verrohung,
Im Boden eingebracht sind böse Saaten,

Sie regen sich und wachsen aus zu Taten.
Kein Platz für Innehalten, keine Schonung:
Die Frucht ist Folge und selbst die Entlohnung
Der Wünsche und des Wollens. Das Verraten

Vergisst nicht, sammelt an und fordert ein.
Es wird nie gut und kann nicht heilen, stirbt
Nicht einfach, es hat sieben lange Leben.

Der Götze Goldnes Kalb ist viel zu klein
Für einen Ausgleich: Wer etwas erwirbt,
Ums zu vermehren, dem wird nicht vergeben.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Eine Interpretationsmöglichkeit:
Es ist eine Metapher auf das Bankenwesen, auf das Finanzsystem, die Finanzkrise, mit biblischen Symbolen dargestellt.

Der falsche Glaube: ständige Vermehrung und Vergrößerung des Kapitals. Der Bankberater aber scheitert. Das Goldene Kalb scheitert, dargebracht als Ersatzreligion. Mammon scheitert.
Aber selbst das Christentum scheitert: "Dem wird nicht vergeben". Also scheitert auch die Vergebung, einer der wesentlichsten Neuerungen des Christentums.
 

Walther

Mitglied
Lb. Bernd,

Deine Lesart sagt mir durchaus zu. Sie verengt zwar die Aussage ein wenig, zeigt aber die Zielrichtung des Texts auf. Kapitalakkumulation ist in der Tat kein Wert an sich. Schon gar nicht ein solche ohne jede Rücksicht auf andere.

Vergebung, also das Annehmen mit allen Fehlern, kann nur erwarten, wer mehr als das Ich im Blick hat. Es gibt keine Liebe ohne Rücksichtnahme.

Danke für Deine tiefschürfenden Gedanken!

LG W.
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Walther,

ein beeindruckendes Sonett.

Noch raetsele ich zwar, wer und warum und welches Falsches zugeraten hat, aber das truebt nicht den Genuss an den folgenden Zeilen, zieht vielmehr als Raetsel hinein.

Die Interpretationsmoeglichkeiten sind vielfaeltig, was mir auch hier sehr gut gefaellt.

Liebe Gruesse

Herbert
 

Label

Mitglied
Lieber Walther,

ich bin mir nicht sicher ob ich den richtigen Schlüssel gefunden habe, gleichwohl empfinde ich diese Aussage als klar:

Die zugrunde liegende Motivation WARUM sich Reichtümer bei jemanden anhäufen ist ausschlaggebend.
Wer als Ziel den Reichtum als solchen hat, wird zwangsläufig um dorthin zu kommen Dinge tun, die einer Wiedergutmachung bedürfen, wofür dann der angesammelte Reichtum nicht ausreicht.


An einer Stelle empfinde ich die Aussage ein wenig von hinten durch die Brust ins Auge formuliert:
Die Frucht ist Folge und selbst die Entlohnung
Der Wünsche und des Wollens

klarer nachvollziebar erschiene mir etwas in der Art:
Denn diese Frucht wächst und wird zur Entlohnung
Der Wünsche und des Wollens

Hach Walther, bei deinen Gedichten reicht mir manchmal mein normaler "Arbeitsspeicher" nicht, da muss ich noch das Notstromaggregat zuschalten ;)
So auch bei diesem hier - aber mir gefällt das.

Liebe Grüße
Label
 
Lieber Walther

Wer etwas erwirbt,
Ums zu vermehren, dem wird nicht vergeben.
Das kann ich nicht nachvollziehen.

Du kennst doch sicher das Gleichnis von den Talenten.

Im Evangelium nach Matthäus, Kapitel 25, Verse 14-30 können wir das Gleichnis von den Talenten nachlesen.
Dort zeigt uns Jesus ganz deutlich, dass wir Frucht für ihn bringen sollen. Wir sollen sogar im Kleinsten fruchtbar sein, uns von ihm leiten lassen und ihm vertrauen und versuchen, das Beste aus den Gaben zu machen, die er uns gegeben hat; wir sollen sie nicht einfach ruhen lassen, sondern aktiv für den Herrn einsetzen und versuchen, mehr daraus zu machen.

Gruß
Marie-Luise
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Marie-Luise,

hoffentlich nimmt mir Walther nicht übel, dass ich hier vorgreife.

An das Gleichnis von den anvertraten Talenten hatte ich auch gedacht, aber Walther meint etwas Anderes. Hier geht es um den Tanz um das goldene Kalb.

Wer etwas besitzt und tut nichts besseres, als es für seine privatesten Zecke zu vermehren, beispielsweise an der Börse auf Kosten anderer..... (Ob dem irgendwann dann doch vergeben wird, weil er das einsieht und andren etwas abgibt, bleibt jetzt mal dahingestellt.)

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Walther

Mitglied
Lb. Marie-Luise,

natürlich steht das in der Bibel. Aber gemeint ist hier der Tanz ums Goldne Kalb.

Danke für Deinen klugen Hinweis.

Lb. Vera-Lena,

Du hast mir sozusagen die Argumente bereits vorweggenommen. Es geht in der Tat um das Raffen, nicht um das fruchtbare Vermehren des Gegebenen, des Geschenkten, aber zum Zweck der Mehrung des Wohlstands / Wohlseins aller.

Danke für Deine freundliche Unterstützung!

LG W.
 

Walther

Mitglied
Lb. Label,

klar wird das Bild, wenn Du einmal kurz Fruchtfolge liest. Das wurde evoziert. Dann wird ein Schuh draus. Letztlich ist die Drei- oder Vierfelderwirtschaft ein logisches, stimmiges Verfahren, eins folgt aufs andere, streng nach Ordnung. So auch hier: Wer nur rafft, kann und muß anderen Schaden zufügen.

In der Fruchtfolge ist die Folge selbst die Entlohnung. Erst nach dem Liegenlassen, dem Stickstoffanreicherer (Kleem, Lupinen) folgt der Zehrer, der, auf den alles ausgerichtet ist. Dann kann man einen weiteren Zehrer nachschieben, der aber schon weniger Ertrag bringt.

Du siehst, die alten Bilder tragen durchaus. Wenn man sich ihrer bewußt bleibt. Was ich beschrieben habe? Biologische Landwirtschaft! :D

Danke für tiefschürfende Gedanken und lobende Worte!

LG W.
 

Walther

Mitglied
Lb. Herbert,

das Ambivalente ist Stilmittel und Ziel. Der Text soll zum Nachdenken anregen. Hier hat das LyrIch zum falschen Glauben geraten. Das machen Vorgesetzte in Banken jeden Tag. So wird ein schlüssiges Bild daraus.

Jeder von uns hat seine Lehrer. Diese tragen Verantwortung. Immer und überall.

Danke fürs Lesen und kommentieren, besonders für das Lob, natürlich!

LG W.
 



 
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