Familienduell

4,00 Stern(e) 1 Stimme

jane-schubat

Mitglied
Familienduell

„Dieses Wochenende kommen uns die Dresdner besuchen.“teilte ich meinem Mann beiläufig mit,während ich unter Schränken und Kommoden nach Staub und irgendwann verlorengegangenen Sachen hangelte.
„Das weiß ich.“murmelte er nur,ohne dabei von seinem Buch aufzublicken.
„Woher weißt du das?“fragte ich verwirrt.
„Ich habe dich gestern gehört,als du unsere Tochter pausenlos zum Thema `lineare Argumentation`ausgehorcht hast.“
„Das hat nichts zu bedeuten.“winkte ich gelassen ab.
„Doch es gibt Männer,mit denen kann man sich unterhalten,und es gibt solche,mit denen man sich einfach nur streiten kann.Und zu Letzteren gehört leider mein werter Herr Bruder.Ich bin eine kluge und lebenserfahrene Frau,wie du zugeben wirst,weshalb ich einfach weiß,daß man die Welt nicht in irgendwelchen mathematischen Gleichungen erfassen kann.Ich habe Einsteins Relativitätstheorie studiert und mir ist schleierhaft,was sie mit den heutigen Realitäten zu tun haben soll.Schließlich bin ich ein Mensch und kann mich nicht urplötzlich in gebündelte Energie verwandeln,um als masseloser Lichtstrahl bei meinen Vorfahren zu erscheinen.Stell dir doch mal vor,“kicherte ich jetzt, „ich erschiene 9 Monate vor der Geburt meines Bruders bei unseren Eltern und bestände darauf ein Einzelkind zu sein.Wissenschaftlich betrachtet hätte ich damit meinen Bruder für immer und ewig ad absurdum geführt.“Ich strahlte zufrieden.
Am Sonnabend,pünktlich um zehn,klingelte es bei uns an der Wohnungstür.Nachdem meine Nichte,mein Neffe und meine Schwägerin hereingerauscht waren,blinzelte ich etwas verwirrt.
„Papa kommt später.“erklärte mir meine Nichte.
„Sein Computer ist abgestürzt,sein Auto nicht angesprungen,weswegen er den Zug verpaßt hat.“
„Aber er hat ein Fahrrad.“sagte ich enttäuscht.
„Warum hat er nicht das Fahrrad genommen?“Irgendetwas drohte schiefzulaufen.
Nachdem wir alle zu Mittag gegessen hatten,klingelte es erneut an der Wohnungstür.
„Mach deinem Onkel die Tür auf und sag ihm,daß das Essen nun kalt ist.“wandte ich mich an meine Tochter und verschwand zum Abwaschen in der Küche.
Der Nachmittag gestaltete sich dann ziemlich langweilig.Als ich mich lauthals darüber beklagte,daß wir alle Sklaven der Technik wären,denn meine Mikrowelle beispielsweise hätte mittags das Fleisch halb verkohlt statt es nur aufzuwärmen,hörte mein Bruder überhaupt nicht hin.Wahrscheinlich war das Thema Haushalt weit unter seinem Niveau.Die Kinder hatten sich in das Zimmer meiner Tochter zurückgezogen,und mein Mann und meine Schwägerin diskutierten über Erziehung.Frustriert rief ich also meine Mutter an,um mit ihr darüber zu plaudern,daß mein Bruder mal wieder zu spät gekommen sei und ich aber ansonsten alles im Griff hätte.Ich fände es furchtbar,daß sie nun wieder auf dem halbverkohlten Fleisch herumreiten würde.
Abends kamen wir dann zum gemütlichen Teil.Feierlich machte ich einige einleitenden Bemerkungen.Als ich an der Stelle angelangt war,die beweisen sollte,daß gesunder Menschenverstand noch immer höher einzuschätzen sei als irgendwelche mathematischen Spinnereien,verengten sich die Augen meines Bruders zu engen Schlitzen.Ich selbst könne ruhig mit Donnerkeil bewaffnet über immergrüne Wiesen laufen,das ginge ihn nichts an.Aber wenigstens den Kindern sollte ich doch eine etwas glücklichere Zukunft gönnen.
Das müsse er mir gerade vorwerfen,daß ich nicht an die Kinder dächte.Da er selbst doch am liebsten strammstehende Ordnungsfanatiker neben sich hätte,die blitzsauber ausgemessen ihre Sachen in ihre Schränke einzuräumen wüßten.Im übrigen glaubte ich an einen Gott.Jetzt flippte mein Bruder aus,wie ich mit Genugtuung zur Kenntnis nahm.Den erstaunten Blick meines Mannes ignorierte ich einfach.Meine Schwägerin,angeregt durch die Diskussion,warf meinem Bruder jetzt vor,wo er überall seine Socken hinschmeißen würde,während er die Kinder morgens darüber belehrte,daß ausgezogene Schlafanzüge nicht über die Sessellehnen im Wohnzimmer gehörten.Langsam tappte mein Bruder immer weiter in die aufgestellten Fallen.Und als er endlich mit der Faust auf den Tisch donnerte,hatte meine Stunde geschlagen.Genau das wäre es,ereiferte ich mich,immer diese seine Aggressionen,wenn er nicht Recht bekäme.Verwirrt und eingeschüchtert blickte er mich daraufhin einen Augenblick lang an.
„Und du hast mich immer bei unserer Mutter verpetzt.“hielt er dann trotzig dagegen.
„Und du hast immer Brotsuppe gekocht,wenn unsere Mutter abends später nach Hause kam,obwohl du genau wußtest,daß ich Brotsuppe haßte.“konterte ich.
Wütend begannen wir jetzt gegenseitig an unseren Weltanschauungen herumzukritteln.Mittlerweilen waren wir dazu übergegangen,uns mit Bleistift und Papier bewaffnet eifrig Notizen zu machen,bevor wir zu unseren Gegenargumenten ausholten.Langsam hatte sich der Kreis unserer Familie um uns herum aufgelöst.
„Soll ich noch eine Flasche Wein aufmachen?“fragte ich meinen Bruder einlenkend,der nun doch etwas erschöpft auszusehen begann.Eigentlich sei es doch unbestritten,daß ich eine kluge und lebenserfahrene Frau sei,erklärte ich selbstbewußt.Selbstverständlich,nickte mein Bruder nur und sah versonnen in sein Weinglas.Dann sprachen wir uns so richtig aus.Und als am nächsten Morgen unsere Familie den Frühstüpckstisch deckte,schlich mein Bruder ins Bett.Ich aber stand mittags halb ohnmächtig am Herd und dachte zufrieden,den hast du mal wieder anständig unter den Tisch gequatscht,deinen Bruder.
 
hallo jane

Hätte gerne noch die Disskusion zwischen Bruder und Schwester gelesen und mir fiel ein, dass ich damals, als ich gegen meinen älteren Bruder noch nicht ankam, ihm mit Holzklotschen gegen das Schienbein getreten habe, dass brauch ich heute nicht mehr *g. Nette Geschichte!
 

jane-schubat

Mitglied
Hallo Stephanie,

Danke für den Tip mit den Holzklotschen...Ich stürme morgen gleich zu Reno (sind doch Schuhe oder?).Ungeheuer wohltuend
eine hinsichtlich dieses Problems verwandte Seele zu finden.
Herzlichen Dank auch für Deine Meinung.

Jane
 



 
Oben Unten