Farbnuancen

Farbnuancen

Ein Freitag, herbstlich, wir wollen über dem Ort der Handlung die Sonne scheinen lassen. Kleinere Wolkenbildungen, obwohl aus dem Osten kommend, nehmen wir als gegeben hin. Das Dorf, morgens gegen sieben Uhr, liegt still, eingebettet in die ringsum liegenden Berge, die allmählich die Farbe des Übergangs annehmen, aufgrund der Jahreszeit zur Farbe braun hin tendierend. Offenbar aus Gründen der Sonneneinwirkung sind unterschiedliche Brauntöne zu konstatieren. Unerklärlicherweise sind die Farbunterschiede keinesfalls gleichmäßig verteilt; sieht man in einer Straße eingangs Büsche und Bäume, die, den offensichtlich vorherrschenden Gegebenheiten trotzend, eine frische, grüne Farbtönung zeigen, so schließen sich unmittelbar daran Gewächse an, die eine vollkommen andere Farbgebung vorzeigen: das Grün ist in irgendeiner Weise gebrochen, hat den frischen Eindruck verloren, sieht aus, als ob noch keine genaue Farbgebung vorgeschrieben wäre. Man könnte meinen, hier wird abgewartet, welche Farbe nun den längeren Atem hat.

Einige Augenblicke weiter sehen wir Pflanzen, für die diese kleinlichen Farbdifferenzierungen kein Problem mehr sind. Hier zeigen die Gewächse, hoch aufgeschossen, rank und schlank, Aufmerksamkeit heischend, und – wie ein weitschweifender Blick zeigt – dominierend, stolz eine tiefbraune Färbung, mit einem Gehabe, als sollte diese Farbe mindestens tausendjährig vorherrschen, alles bestimmen, alles überschatten, will sagen, alle anderen Farbschattierungen in den Schatten stellen.

Auch herrscht weitestgehend eine Farbgebung vor, die den Ausdruck Farbe überhaupt nicht verdient; allenthalben begegnen uns Gewächse, die vollkommen farblos sind, keinerlei Farbrichtung erkennen lassen, also so gesehen durchsichtig sind, ohne jedoch in ihrer Durchsichtigkeit Ausblick oder Durchblick zu gewähren. Im Grunde genommen sind diese Gewächse überhaupt nicht wahrnehmbar für das Auge des Betrachters. Bei längerem Hinsehen hat es den Anschein, als ob auch diese farblosen Gewächse irgendwie braun aussehen, ohne jedoch genau erkennen zu lassen, ob diese Farbe bereits aus ihrem eigenen Inneren hervorkommt oder ob es die Umgebung ist, die ihrer Farblosigkeit erste Farbnuancen verleiht.
 



 
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