Farbwechsel

3,00 Stern(e) 1 Stimme

Kim

Mitglied
Gina steckte die Kamera in die Tasche. Sie hatte eine Serie traumhafter Bilder vom Sonnenuntergang gemacht, der das Meer und die Wolken glühend rot gefärbt hatte. Morgen früh noch die Fotos von dem alten Leuchtturm, dann wäre der Bildband komplett. In zwei Tagen mussten die Fotos beim Verlag sein.
Sie hängte die Kameratasche über die Schulter, zog ihre Schuhe aus und ging barfuß durch Sand und Dünengras zurück zu ihrem Strandhaus. Der Himmel hatte sein Abendkleid in Dunkelgrau, Gold und Orange übergestreift. Gina liebte diese Stunden zwischen Tag und Nacht.
Auf der Matte vor der Haustür streifte sie den Sand unter ihren Füßen ab und ging gleich ins Arbeitszimmer. Sie fuhr den Computer hoch und betrachtete die Bilder auf dem Monitor. Die Mehrzahl der Fotos waren ihr gelungen. Aber was war das für ein Funkeln? Ein kleines Objekt leuchtete grün, dann rot und schließlich blau. Unmöglich, es waren Bilder und kein Film. Sie zoomte es näher heran. Da lag im Sand halb verbuddelt eine Flasche, die ihre Farbe ständig wechselte.
Gina stand auf und lief zurück an den Strand. Sie musste nicht lange suchen. Wo sie die letzten Bilder geschossen hatte, lag die Flasche. Grün war sie und die Farbe änderte sich nicht. Was hatte im Arbeitszimmer das Farbenspiel auf dem Foto hervorgerufen? Gina hob die Flasche hoch.
Sie war blickdicht und mit einem Korken verschlossen. Eine Flaschenpost? Gina säuberte sie in den Wellen. Man könnte die Flasche als Vase nutzen. Eine einzelne Rose würde sich gut darin machen. Gina ging nach Hause. In der Küche öffnete sie die Flasche. Sie war leer.
Gina schnupperte am Rand – der Geruch von abgestandener Luft drang in ihre Nase. Nur für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, ein warmer Wind streichle ihr Gesicht. Sie stellte die Flasche auf die Fensterbank, so würde die Sonne das Dunkelgrün zum Leuchten bringen. Dann ging sie zurück zum Computer. Das Funkeln auf dem Bild war verschwunden. Wahrscheinlich war es ein Lichtreflex gewesen. Sie grübelte nicht weiter darüber nach, sondern nahm sich Bild für Bild vor, suchte die besten aus und schickte sie per Emailanhang an den Verlag. Eine halbe Stunde später lag sie im Bett.

In der Nacht wachte sie von einem Geräusch auf. Es klang, als würden im Wohnzimmer Schränke geöffnet und geschlossen. Dann war es wieder still. Hatte sie geträumt? Nein, jetzt waren ganz deutlich Schritte zu hören. Gina saß kerzengerade im Bett. Einbrecher! Sie schlug die Decke zurück, nahm ihr Handy vom Nachttisch und schlich zur Tür. Der Mond beleuchtete den Flur. Sie ging in die Küche und nahm ein Brotmesser aus dem Ständer. Auf Zehenspitzen schlich sie zum Wohnzimmer und warf einen Blick durch die halb geöffnete Tür. Die Flasche strahlte jetzt in einem satten Rot und erhellte den Raum, so dass jeder Gegenstand gut zu sehen war.
Kein Einbrecher. Sie musste sich geirrt haben. Der Geruch nach Staub lag in der Luft. Merkwürdig, sie ließ am Tag Fenster und Türen weit offen stehen. Sie trat ans Fenster, sah den menschenleeren Strand und das Spiel der Wellen. In das Haus nebenan würde erst in zwei Wochen ein neuer Nachbar einziehen. Hinter sich hörte sie leises Lachen. Sie drehte sich um, niemand war zu sehen. Trieb jemand einen schlechten Scherz mit ihr?
>>Ich finde das gar nicht lustig<<, rief sie wütend. >>Schluss mit dem Versteckspiel! Komm her, wenn du dich traust.<<
Stille, nur das gleichmäßige Rauschen der Wellen war zu hören. Einige Augenblicke stand sie da und horchte. Alles blieb ruhig. Sie ging zum Schrank, öffnete die Türen, nichts war gestohlen worden. Hatte sie sich alles nur eingebildet? Das wäre nach dem Stress der letzten Wochen kein Wunder gewesen. Die viele Arbeit, der Streit mit Reiner, der sich zu einem Stalker entwickelt und von dem sie sich getrennt hatte. Sie fühlte sich müde, ging durchs Haus, sah in alle Zimmer, kein Mensch, kein Kichern. Im Schlafzimmer verrammelte sie ihre Tür mit einer Kommode und legte sich ins Bett. Ich sollte mir einen Hund aus dem Tierheim holen, grübelte sie.

Ausgeruht wachte sie am Morgen auf. Jetzt ein frisch gebrühter Kaffee, dachte sie, und reckte sich.
Aromatischer Duft stieg ihr in die Nase. Fing der Spuk schon wieder an? Das war absurd. Sie ging in die Küche und blieb mit offenem Mund stehen. Jemand hatte die Kaffeemaschine eingeschaltet, die Kanne war halb voll, so wie Gina es immer machte. Ein Landstreicher, der glaubte das Haus stehe leer? Unmöglich. Sie hatte gestern alle Zimmer abgesucht. Kein Mensch konnte sich in Luft auflösen, und Geheimtüren gab es keine. Sie strich sich gedankenverloren durch ihr kurzes, schwarzes Haar. In meiner Familie gibt es auch keine Anzeichen für Geistesverwirrtheit, dachte sie.
Sie goss sich eine Tasse Kaffee ein. War dies ein Hexenhaus? Brauchte sie nur einen Wunsch zu denken, prompt wurde er erfüllt? Ihr Galgenhumor meldete sich. Gut, dachte sie, dann will ich es mal versuchen. Ich wünsche mir jetzt das pinkfarbene Seidenkleid, das ich mir letzte Woche in der Amiga-Boutique angesehen habe. Natürlich passierte nichts. Gina grinste. Das wär’s gewesen.
Mit der Tasse in der Hand ging sie ins Wohnzimmer und sah aus dem Fenster. Die Sonne versteckte sich hinter Wolken. Ein Motorboot zog seine Kreise durch die Brandung. Gina setzte sich in den Sessel. Die Flasche hatte ihre ursprüngliche Farbe angenommen, aber durch die Sonnenstrahlen sah es aus, als schwebe etwas Goldenes darin. Gina konnte sich nicht satt daran sehen. Sie gab sich einen Ruck. Wenn sie sich jetzt nicht aufraffte, wurden die Bilder vom Leuchtturm nie fertig. Sie stellte die Tasse auf den Tisch und ging ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen.
Wieder stand sie da mit offenem Mund. Das Bett war gemacht, etwas Pinkfarbenes lag darauf. War sie reif für die Klapsmühle? Ihre Hand zitterte, als sie den Seidenstoff des Kleides berührte, das säuberlich ausgebreitet da lag.

Ihre Gedanken rasten im Kopf umher wie Windmühlenflügel im Sturm. Hatte sie einen heimlichen Verehrer, der ihr die Wünsche von den Augen ablas und sie damit überraschte? Ganz bestimmt nicht. Sie dachte an Reiner. Zum Schluss hatte er sogar Morddrohungen ausgestoßen. Wenn er sie nicht bekam, sollte auch niemand anderer sie bekommen. Es war die Hölle gewesen. War dies jetzt ebenfalls seinem kranken Hirn entstiegen? Hatte er sie heimlich beobachtet, wusste er, dass sie hierher gezogen war?
Gina kaute auf ihren Lippen. Sie verspürte nicht mehr den Wunsch, dieses Kleid zu tragen, knüllte es zusammen und öffnete die Tür des Kleiderschranks. Ein lauter Knall - sie ließ das Kleid auf den Boden fallen. Ginas Knie zitterten. Was war jetzt wieder passiert? Mit Beinen wie Gummi wankte sie ins Wohnzimmer. Sprachlos starrte sie auf die Bescherung. Die Tasse Kaffee war vom Tisch gefallen und hatte den Rest der Flüssigkeit auf den Teppich verteilt. Gut, dass es schwarzer Kaffee war, dann gab es keine Flecken. Trotzdem ärgerlich, und wie konnte das überhaupt passieren? Sie hatte die Tasse mitten auf den Tisch gestellt. Jemand spielte ihr einen Schabernack, aber wenn er glaubte, sie würde durchdrehen, hatte er sich geirrt.
Ganz ruhig stand sie da und überlegte, was sie tun sollte. Die Fotos mussten morgen beim Verlag sein, es fehlten nur noch die Bilder vom Leuchtturm. Gina riss sich zusammen, ging ins Schlafzimmer und warf sich ein leichtes Kleid über. Sie nahm die Kameras, steckte ihr Handy in die Tasche und verließ das Haus. Sollte sie die Haustür verschließen? Wer ihr einen Streich spielte, war ungeachtet der verschlossenen Tür ins Haus gekommen. Trotzdem drehte sie den Schlüssel zweimal um. Es lag auf der Hand, dass Reiner hinter allem steckte.
Aber wie sollte sie der Polizei erklären, dass es tatsächlich so war und sie nicht eine durchgeknallte Frau vor sich hatten? Wie konnte sie beweisen, dass sich jemand im Haus aufgehalten hatte? Die Beamten würden glauben, sie habe sich das Kleid selber gekauft. Und dass eine Tasse vom Tisch fiel, kam immer wieder einmal vor. Sie hatte nichts wirklich Greifbares. Eine Überwachungskamera, überlegte sie. Damit konnte sie alles aufzeichnen. Gina schüttelte den Kopf. Kümmere dich erst einmal um deine Arbeit, sagte sie sich.

Wenige Meter vor ihr stand der alte Leuchtturm. Er hatte ein frisches Farbenkleid in rotweiß bekommen und sah eindrucksvoll aus. Je näher Gina kam, umso kühler wurde es. Sie fröstelte, ihre Hände, die die Kamera hielten, waren eiskalt. Für einen Augenblick glaubte Gina, einen Schatten hinter den Glasscheiben des Turmes zu sehen.
Reiner? Sie beobachtete das Fenster, nichts rührte sich dahinter. Meine Phantasie spielt mir in letzter Zeit zuviel Streiche, dachte sie und gab sich einen innerlichen Ruck. Sie hob die Digitalkamera und fotografierte den Leuchtturm von allen Seiten. Wie immer, wenn sie an einem Auftrag arbeitete, vergaß sie alles andere und ließ sich auch von quälenden Gedanken nicht ablenken.
Plötzlich war deutlich ein Jammern, Winseln zu hören. Gina ließ die Kamera sinken. Das war keine Einbildung, da brauchte jemand Hilfe.
>>Hallo<<, rief sie. >>Ist da jemand?<<
Als keine Antwort kam, lief sie zum Eingang. Tiefe Dunkelheit lag über dem Treppenaufgang. Es roch feuchtkalt und moderig. Wieder hörte sie das Jammern. Diesmal ganz in der Nähe. Gina tastete nach einem Lichtschalter. Endlich hatte sie ihn gefunden, und eine Lampe an der Wand verbreitete Helligkeit. Unter der steinernen Wendeltreppe hockte ein Hund, ein Mischlingswelpe. Er zitterte am ganzen Körper. Gina ging auf ihn zu.
>>Hat dich jemand vergessen?<< Sie hielt ihm die Hand hin, damit er sie beschnuppern konnte. Wie war er nur in den Leuchtturm gekommen? War er ausgesetzt worden?
Der Hund wedelte mit dem Schwanz und leckte ihre Hand. Sicherlich hatte er Hunger und Durst. Das Beste war, sie nahm ihn mit nach Hause und rief dann das Tierheim an, damit die Besitzer des Hundes wussten, wo er abgeholt werden konnte. Sacht strich sie über sein Fell. Er legte sich auf den Rücken und genoss sichtlich die Streicheleinheiten.
>>Gut Hund, ich weiß zwar nicht wie du heißt, aber wenn ich die Fotos geschossen habe, nehme ich dich mit. Warte hier auf mich.<<
Sie stand auf, hielt die Kamera griffbereit und stieg die Wendeltreppe hinauf bis zum Turmkopf. In den Erkern war eine kleine Wohnung eingebaut. Das Haupt- und die Nebenfeuer waren längst nicht mehr funktionsfähig. Gina schoss ein Foto nach dem anderen. Aus den Panoramafenstern der Plattform konnte man auf der einen Seite das Inseldorf und auf der anderen das endlose Meer sehen.
Gina hatte genug Bilder. Unten stand der Hund und wedelte erwartungsvoll mit dem Schwanz.
>>Wir gehen jetzt.<<
Sie öffnete die schmale Eingangstür und trat ins Freie. Die frische Luft füllte ihre Lungen. Ausgelassen tobte der Rüde im Sand und genoss seine Freiheit. Raste von links nach rechts, kam zu ihr und rannte erneut los. Gina lächelte. Sie hatte sich in der vergangenen Nacht einen Hund gewünscht. Jetzt war er da. Sollte sich niemand melden, würde sie ihn behalten. Merkwürdig, ihr fiel auf, wann immer sie seit gestern einen Wunsch hatte, er wurde aus dem Nichts realisiert. Das Kleid, der Kaffee, der Hund. Natürlich hatte sie wie viele andere das Buch >>The Secret<< gelesen. Man sollte Wünsche ans Universum schicken und an deren Erfüllung glauben. Gina war da eher skeptisch gewesen. Möglicherweise steckte doch ein Körnchen Wahrheit darin. Egal. So lange es nicht Reiner war, ließ sie es sich gerne gefallen. Und dass sie zum Leuchtturm wollte, konnte er nun wirklich nicht ahnen. Mit besserer Laune ging sie zurück zu ihrem Strandhaus. Der Hund folgte ihr auf Schritt und Tritt. War er schon mehrere Meter vor ihr, sah er sich immer wieder nach ihr um.

Die Tür zum Strandhaus stand offen. Gina erschrak, sie wusste genau, dass sie die Tür abgeschlossen hatte. Niemand außer ihr hatte einen Schlüssel. Vorsichtig ging sie näher. Von innen war kein Geräusch zu hören. Sie schlich in den Flur, doch der Hund sauste an ihr vorbei und verschwand in der Küche. Ihr Atem ging kurz, und das Herz trommelte bis zum Hals. Lieber Gott, dachte sie. Lass es nicht Reiner sein, bitte nicht Reiner.
Vorsichtig legte sie die Kameras auf den Fußboden, zog ihre Schuhe aus und ging weiter ins Wohnzimmer. Hier war alles unverändert, nur die Flasche hatte abermals ihre Farbe geändert. Jetzt leuchtete sie hellblau. Gina fand keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Die Küchentür war halb geöffnet. Der Rüde stand vor einer Schale mit Wasser und trank. Daneben befand sich eine Schüssel mit Hundefutter.
Gina keuchte. Sie stand da wie angenagelt und konnte keinen Schritt weitergehen. Wo kamen die Sachen her? Niemand konnte wissen, dass sie einen Hund mitbringen würde. Was war hier los?
>>Meine Güte, bist du schwer von Begriff.<<
Gina zuckte zusammen. Sie kannte die Stimme nicht. Wer hatte da gesprochen? Niemand war zu sehen. Der Hund hatte nur kurz die Ohren gespitzt und fraß seelenruhig weiter.
>>Wer sind Sie – was machen Sie hier?<<
Ein kurzes Lachen war die Antwort. Unter normalen Umständen hätte Gina dieses Lachen sympathisch gefunden, genau wie die Stimme. Tief mit seidenweichem Timbre. Eine Stimme, die Flügel zu haben schien und durch den Raum schwebte. Jetzt aber war sie nur zornig.
>>Ist es zuviel verlangt, wenn Sie endlich hervorkommen, damit ich Ihnen in die Augen sehen kann.<<
>>Das geht nicht.<<
>>Was heißt das?<<
>>Ich bin nicht sichtbar.<<
Gina hatte das Gefühl, um sich schlagen zu müssen.
>>Lassen Sie Ihre Späße.<<
>>Du kannst mich duzen.<<
Gina verlor die Geduld. Mit steifen Beinen ging sie ins Wohnzimmer, ins Bad, ins Schlafzimmer. Vergebens. Keine Spur von einem Mann. Ihre Nerven begannen zu vibrieren. Ob sie die Stimme einfach ignorieren sollte? Möglicherweise gab er ja dann sein Versteckspiel auf.
>>Ich verstecke mich nicht.<<
Gedanken lesen konnte er also auch. Gina presste ihre Finger an die Schläfe. Allmählich dämmerte ihr, dass sie den Verstand verlor. Alles, was in den letzten Stunden passierte, hatte nur in ihrer Einbildung stattgefunden.
>>Nein.<< Die Stimme klang mitleidig. >>Aber wie ich schon sagte, du kapierst einfach nicht. Du hast mich doch selber hierher gebracht. In der Flasche.<<
Ginas Blick glitt zur Fensterbank. Dann fing sie an hysterisch zu kichern.
>>Also bist du ein Flaschengeist?<<
>>Endlich. Lange genug hat’s gedauert.<<
>>Du meinst das ernst?<<
>>Geisterehrenwort.<<
>>Aber so etwas gibt es doch gar nicht.<< Gina fühlte, während sie sprach, wie etwas ihr Haar berührte. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück. >>Lass das!<<
>>Aha, jetzt glaubst du, dass ich existiere.<<
>>Hast du mir alle Wünsche erfüllt?<<
>>Hm.<<
Gina setzte sich auf die Couch.
>>Ich fasse es nicht. Heißt das, wenn ich mir wünschen würde, George Clooney säße jetzt neben mir, dann würde es passieren?<<
>>Natürlich. Moment.<<
>>Untersteh dich!<<, rief sie schnell.
Das würde ihr in dem ganzen Durcheinander noch fehlen. Aber so langsam glaubte sie der Stimme. Warum sollte es im Zeitalter von geklonten Schafen, genmanipuliertem Mais und Satelliten im Weltraum nicht auch Flaschengeister geben? Auf jeden Fall war dieser Gedanke wesentlich sympathischer, als der, dass Reiner hinter all dem stecken könnte.
Der Hund hatte inzwischen die Wohnung inspiziert. Es schien ihm zu gefallen. Mit einem Satz sprang er auf die Couch, kuschelte sich an Gina und schloss die Augen.
>>Wo kommst du her?<<, setzte Gina das Gespräch weiter fort, nachdem sie für kurze Zeit abgelenkt gewesen war.
>>Ein Meistermagier der LASA aus New York hat Experimente mit Studenten durchgeführt. Ich bin einer dieser Studenten und war einverstanden damit. Eigentlich sollte er mich gleich nach Durchführung des Versuchs wieder zurückholen. Aber das hat nicht geklappt.<<
>>Und wie bist du hier am Strand gelandet?<<
Gina hörte einen tiefen Seufzer.
>>Eine Putzfrau hat mich und die Flasche aus dem Labor gestohlen, weil ihr die Form so gut gefiel. Als aber das Farbenspiel in ihrer Wohnung begann, glaubte sie, es wäre ein Alarm und die Polizei würde herausbekommen, dass sie mich mitgenommen hatte. Sie warf mich ins Meer. So landete ich nach einigen Stürmen hier bei dir am Strand.<<
>>Das ist schon so verrückt, dass ich dir einfach glauben muss.<<

In den nächsten Tagen gewöhnte sich Gina an ihren merkwürdigen Hausgast, den sie wegen der wechselnden Flaschenfarbe Colour nannte. Das Wechselspiel zeigte seine Gefühlsstimmungen an. Es war interessant, sich mit ihm zu unterhalten, er wusste viel. Nur, wenn sie ihn darauf ansprach, dass er sich in seiner menschlichen Gestalt zeigen sollte, wich er aus. Aber Gina brauchte nur einen Wunsch äußern, er wurde erfüllt.
Eines Morgens, Gina wurde gerade wach, spürte sie, wie jemand sie berührte. Im ersten Augenblick hatte sie Angst, die Augen zu öffnen, denn die Furcht vor Reiner war noch immer präsent. Erst als die Hand hinunter zu ihrem Bauch wanderte, wurde sie hellwach und riss die Augen auf. Niemand war zu sehen. Also konnte es nur Colour sein. Sie wurde wütend. Mit einem Ruck riss sie die Decke zurück und schwang ihre Beine aus dem Bett.
>>Verdammt! Was fällt dir ein. Mit welchem Recht … Verschwinde!<<
Sie spürte einen kühlen Luftzug. Dann schien er fort zu sein. Brummelnd legte Gina sich noch einmal ins Bett. Mit geöffneten Augen starrte sie an die Decke. War sie zu barsch gewesen? Nein. Was zu weit ging, ging zu weit. Sie mochte ihn wirklich. Ja. Sie liebte seine seidenweiche Stimme und konnte ihm stundenlang zuhören. Ja. Aber das …
Sie stand auf, der Hund lag auf einer Decke am Boden. Er hob den Kopf, gähnte und legte seine Schnauze zurück auf die Decke. Gina ging unter die Dusche und wollte wie jeden Morgen ihren Kaffee trinken. Entgeistert starrte sie auf die Maschine. Nichts. Colour hatte das erste Mal, seit er in ihrem Haus war, keinen Kaffee gemacht. Sie ging ins Wohnzimmer. Die Farbe der Flasche hatte einen grauschwarzen Ton angenommen. Ein Zeichen, das wusste sie, dass er zutiefst gekränkt war.

Draußen hörte sie einen Wagen vorfahren. Gina sah auf den Kalender. Richtig, sie hatte nicht mehr daran gedacht, dass heute ihr neuer Nachbar einzog.
Erneut wandte sie sich zur Flasche: >>Sei nicht eingeschnappt. Ich bin dir auch nicht mehr böse.<<
Keine Antwort. Kein Zeichen.
>>Hör zu, ich mag dich. Wirklich. Ich wünschte, ich könnte dich sehen, dann wäre alles viel einfacher.<<
>>Das kannst du doch, mein Schatz.<<
Gina versteinerte. Das war nicht Colour, das war Reiners Stimme. Sie löste sich aus ihrer Erstarrung und drehte sich langsam um.
>>Was machst du hier? Wie kommst du hier herein?<<
Reiner lächelte sie an, es sah aus, als fletsche er die Zähne. >>Du böses Mädchen. Läufst mir einfach davon.<< Er packte ihren Arm mit festem Griff.
Der Hund schien die fremde Stimme registriert zu haben. Er rannte auf Reiner zu und sprang freudig an seinen Hosenbeinen hoch. Gina schluckte. Von dem Welpen konnte sie keine Hilfe erwarten. Reiner drängte sie gegen die Couch.
>>Es hat gedauert, dich zu finden. Du musst einsehen, dass du eine Strafe verdienst.<<
Er betrachtete lüstern ihre nackten Schultern. Der Bademantel war verrutscht und verhüllte nur noch wenig von ihrem Körper.
Gina versuchte, unter seinen Arm hin durchzuschlüpfen, es gelang ihr nicht. Der Hund schien an ein neues Spiel zu glauben und umkreiste sie bellend. Er sprang auf den Sessel und warf dabei mit seinem Schwanz die Flasche vom Fensterbrett. Sie zerschellte in viele kleine Teile auf dem Boden. Colour!
>>Lass mich sofort los!<<
Ginas Gesicht war vor Anstrengung, sich zu befreien, hochrot geworden. Sie zitterte. Ihr Bademantel rutschte die Schulter hinunter.
Plötzlich klopfte es an der Eingangstür. Reiners Hand näherte sich ihrem Mund. Gina schrie, und Reiner hielt ihr brutal den Mund zu.
>>Sei still<<, zischte er in ihr Ohr.
Gina kämpfte verbissen.
>>Lassen Sie die Dame los.<<
Ein junger Mann stand in der Eingangstür.
>>Raus hier<<, schrie Reiner ihn an.
Der Fremde hob seinen muskulösen, braun gebrannten Arm und ließ seine Faust unter Reiners Kinn krachen, so dass dieser vor Schmerz zusammensackte. Gina raffte ihren Bademantel zusammen.
>>Danke. Sie sind zur rechten Zeit gekommen.<<
>>Es war mir ein Vergnügen. Ich bin übrigens Ihr neuer Nachbar.<<
Diese Stimme … Ginas Herz machte einen Sprung. Dieses seidenweiche Timbre...
 



 
Oben Unten