Fehlentscheidung?

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Lena One

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Irgendwann in dieser Nacht wachte ich auf. Das leise Geräusch der sich öffnenden Tür hatte mich aus meinen Träumen gerissen. Ich setzte mich im Bett auf und versuchte im Dunkeln etwas auszumachen. Umrisse einer Gestalt waren zu erkennen und mein Herz krampfte sich zusammen. Es war Paul, der langsam auf mich zukam. Ich wollte etwas sagen, doch er legte sacht seinen Zeigefinger auf meinen Mund.
„Lara, sag jetzt nichts. Ich will dich nur spüren und ich weiß, dass du das auch willst.“ Mit diesen Worten strichen seine Hände zärtlich meinen Körper entlang und wieder durchflutete dieses Gefühl von Geborgenheit und Wärme meinen Körper. Sacht berührten seine Lippen die meinen und all die Worte, mit denen er mich keine zwölf Stunden zuvor verletzt hatte, waren aus meinem Gedächtnis verbannt.
Nachdem wir uns geliebt hatten, lag ich in Pauls Armen und starrte in die Dunkelheit. Abermals machte sich Ernüchterung in mir breit und ich registrierte mit Verbitterung, welch leichtes Spiel Paul mit mir hatte. Obwohl er mich am Vortag mit seinem Verhalten gedemütigt hatte, ging er, mit einer Selbstverständlichkeit die kaum zu überbieten war, davon aus, dass ich ihm nicht widerstehen könne. Und was mich noch mehr verunsicherte, er hatte mit seiner Annahme recht behalten. Abermals schien Paul meine Gedanken zu erraten.
„Tut es dir jetzt leid?“
„Was meinst du? Dass ich mit dir geschlafen habe?“ Ich war etwas verwundert über seine Fragestellung.
„Ja. Du warst ziemlich sauer gestern, nachdem ich, das muss ich zugeben, nicht gerade zimperlich mit dir umgegangen bin.“ Seine Stimme klang ungewohnt nachdenklich und das irritierte mich.
„Soll das so etwas wie eine Entschuldigung sein?“
„Ich denke nicht, dass ich mich dafür entschuldigen muss, dass ich ehrlich zu dir war. Aber wenn dir mit der Wahrheit wehgetan habe, dann tut mir das natürlich leid.“
„Wahrheit – Ehrlichkeit!“ Mit verächtlicher Stimme wiederholte ich seine Worte. „Ich denke nicht, dass du ehrlich zu mir bist.“
„Okay. Wie siehst du mich dann? Frauen sollten ja bekanntlich eine bessere Menschenkenntnis haben als wir Männer!“ Paul drehte seinen Kopf in meine Richtung und wartete auf eine Antwort.
Ich überlegte kurz, suchte nach geeigneten Worten und beschloss dann, ihm unbeschönigt zu sagen, was ich über ihn dachte.
„Ich halte dich für ziemlich egoistisch, selbstgefällig und überheblich. Du bist so sehr von dir überzeugt, dass du überhaupt nicht wahrnimmst, wenn du andere durch dein Verhalten verletzt. Vielleicht ist dir bis jetzt alles in den Schoß gefallen und du warst noch nie in der Situation, um etwas kämpfen zu müssen. Für dich ist alles so selbstverständlich und wenn etwas nicht nach deinen Wünschen verläuft, dann reagierst du gekränkt und zerfließt vor Selbstmitleid.“
Ganz ruhig kamen diese Worte aus meinem Mund und ich war froh, dass im Raum kein Licht brannte, denn ich hätte seinem Blick nicht standhalten können. Die dunkle Nacht, die mich umhüllte, gab mir eine gewisse Sicherheit, und das war auch der Grund, warum ich seine Frage so direkt beantwortete.
Als ich meine Ausführungen beendet hatte, schwiegen wir lange Zeit. Ich hörte Pauls gleichmäßigen Atem nah an meinem Ohr und hätte gerne gewusst, was ihm durch den Kopf ging. Schließlich setzte er sich auf und lehnte seinen Oberkörper gegen den gepolsterten Kopfteil des Bettes.
„Eines musst du mir jetzt aber erklären, Lara! Wenn du so eine miese Meinung von mir hast, warum hast du dich dann auf die Sache eingelassen?“
„Das weiß ich auch nicht. Diese Frage habe ich mir die letzten zwei Tage schon unzählige Male gestellt, aber keine Antwort darauf gefunden. Vielleicht ist es die Art, wie du mich ansiehst. Du provozierst mich mit deinen Blicken und weckst etwas in mir, das ich bisher nicht gekannt habe.“
Paul wurde neugierig. „Das klingt, als ob du bis jetzt nur langweilige Beziehungen hattest?“
„Nicht unbedingt langweilig, aber ich hatte immer alles unter Kontrolle. Weißt du, ich mag keine Überraschungen. Ich will immer genau wissen, was auf mich zukommt und ich vertrage es nicht, wenn mir jemand vorschreiben will, wo es langgeht.“
Amüsiert lachte Paul auf. „Dann ist das ja die ideale Konstellation mit uns beiden. Für mich sind Frauen ein Horror, die einen Kontrolltick haben und über mich bestimmen wollen.“ Meine Befürchtung, dass Paul wegen meiner Worte verärgert sein könnte, hatte sich nicht bestätigt. Ganz im Gegenteil, er schien locker damit umzugehen und ich fühlte mich zum ersten Mal von ihm ernst genommen. Seine Hände spielten mit meinem Haar und ich wünschte mir, dass diese Nacht nie enden möge. Er küsste mich zärtlich und fragte: „Und wie denkst du, dass es mit uns jetzt weitergehen soll? Deine Erwartungen, die du an einen Mann stellst, werde ich nicht erfüllen können, das muss dir klar sein!“
„Ich habe keine Erwartungen an dich – nicht nach all dem was geschah! Ich möchte nur, dass du ehrlich zu mir bist, okay.“
„In Ordnung, Lara. Ich werde dich nicht verarschen. Das kannst du mir glauben.“ Wieder näherten sich seine Lippen den meinen und ich erwiderte seine Küsse und die Leidenschaft mit der wir uns liebten, ließ mich für kurze Zeit alles um mich vergessen. Auch in dieser Nacht lag ich lange wach, wirre Gedanken plagten mich und Fragen, auf die ich keine Antworten fand. War es nun richtig oder falsch, dass ich mich mit Paul eingelassen hatte? Ich wusste es nicht. Ich hatte die Möglichkeit, mich in der gegebenen Situation entweder für ein Ja oder ein Nein zu entscheiden und diese bereits getroffene Entscheidung ließ sich nicht rückgängig machen, um zu überprüfen, wie es gelaufen wäre, wenn ich eine andere Wahl getroffen hätte. Mir kam dieser Film in den Sinn „Und täglich grüßt das Murmeltier“ bei dem sich ein und derselbe Tag zigmal wiederholt und der Hauptdarsteller somit die Chance erhält, all seine Entscheidungen zu revidieren. Das war mir nicht möglich, und daher würde ich wohl nie erfahren, ob es richtig oder falsch war, meinen Gefühlen gehorcht zu haben.
 



 
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