Ferien auf La Gomera

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Nina Trebesi

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„Fünf Kilometer Reichweite hat dieses Miniding“. Rainer deutete stolz auf das Walky-Talky-Gerät, das zwischen Fischplatten und Salatschüsseln auf dem Tisch stand. Heike zog ein Fläschchen aus ihrer Handtasche und stellte es daneben. „Bach-Blüten-Tropfen“ sagte sie überzeugt in die Runde. „Das hilft gegen alles!! Als bei Valentin die Backenzähne gekommen
sind …“

Phillip seufzte, sah zum Fenster hinaus. Die Sonne ging gerade am Horizont unter, lies die Gischt noch ein letztes Mal aufblitzen. Junge Eltern waren wirklich das Nervigste, was einem über den Weg laufen konnte. Und hier auf La Gomera gab es nichts anderes. Jetzt saß er im romantischsten Hafenrestaurant aller Zeiten, umzingelt von den Eltern einer zweijährigen Nervensäge und von Monika, einer allein erziehenden Mutter, die ihr Baby stets um den Bauch gegurtet trug. Zum Glück war heute Abend wenigstens der zweijährige Tyrann Valentin nicht dabei, nur per Babyphon war er mit seinen durchgeknallten Eltern verbunden.

„Fünf Kilometer, das muss man sich mal überlegen“, wiederholte eben der junge Vater, auf das kleine Gerät zeigend. „Und was nützt dir das“, schaltete sich Phillip in die Konversation ein. „Wenn dein Kind anfängt zu brüllen, und du bist fünf Kilometer weit weg, was machst du dann?“ Heike starrte ihn entsetzt an. „Sag mal, Phillip, bist du noch bei Trost? Du glaubst doch nicht im Ernst, wir würden…“ „Nein“, unterbrach Rainer seine Frau, erklärte an Phillip gewandt – von Mann zu Mann: „Ich meine nur, es ist einfach beruhigend, wie zuverlässig das Ding ist. Echt der Mercedes unter den Babyphonen. First Quality. Wenn man weiß, dass es auf fünf Kilometer empfängt, dann kann man sich einfach voll drauf verlassen, dass …“

Phillip hörte schon nicht mehr zu. Seine Gedanken wanderten weit hinaus aufs Meer, wo er heute Nachmittag auf gigantischen Wogen in den Siebten Himmel geritten war, und wanderten wieder zurück zu seiner Tischnachbarin Monika. Eine irre Frau, genau sein Typ, dunkelhaarig, sexy, geistreich, wie gern würde er auch mit ihr in den Siebten Himmel… Nur war sie eben ganz und gar auf dem Muttertrip, hatte nur Augen für diesen kleinen Vampir, der von morgens bis abends an ihrer Brust hing, hatte nur Ohren für Heikes Öko-Tipps.

„Noch besser ist Olivenöl“, sagte Heike gerade. „du gibst einfach einen Schuss Olivenöl ins Baby-Bad, Du musst nur drauf achten, dass es kalt gepresst ist…“
Phillip seufzte wieder, wandte sich noch einmal seinem schon abgegessenen Fischskelett zu, stocherte lustlos darin herum. „Und was der Hit ist…“ Rainer drehte an einem der Knöpfe, und das kleine Gerät begann aufgeregt zu fiepen. Ein paar alte Fischer, die am Tresen lehnten, wandten sich zu ihnen hinüber. Rainer drehte den Knopf zurück, das Gerät verstummte, und die Fischer nahmen ihre Unterhaltung wieder auf. „Du bekommst auf jeden Fall mit“, fuhr Rainer fort, „wenn die Verbindung aus irgendeinem Grund unterbrochen wird. Dann ertönt dieses Warnsignal …“

Philipp spürte, wie sein Knie ungeduldig zu zucken begann. Er wollte keine Kinder. Hatte noch nie welche gewollt und jetzt erst recht nicht mehr. Er blickte zur Tür: Ein kräftiger Bursche betrat gerade das Lokal, über seiner Schulter hing ein überdimensionaler Fisch. „Schau mal Monika“, sagte Phillip mit schmeichelnder Stimme, doch auf Monikas Schoss war gerade das Baby aufgewacht und blinzelte verschlafen auf ihre wohl geformten Brüste. „Mein Butziditzimutzimitzi…“ sang Monika mit ekstatischer, unnatürlich hoher Stimme.

„Hier ist alles so authentisch“, schwärmte Rainer nun, auf den Burschen blickend. „Man muss sich keine Sorgen darüber machen, was man auf dem Teller hat, alles First Quality, frisch aus dem Meer …“ „Hier trau ich mich sogar, dem Valentin Fisch zu geben. Das Meer ist hier wirklich noch
sauber …“ schnatterte Heike im Duett mit ihrem Mann.

Wie so ein altes Paar, dachte Phillip. Ständig reden sie beide gleichzeitig, hören sich schon nicht mehr zu, wissen schon in und auswendig, was der andere sagen wird.
Das Baby begann leise zu quengeln, und Phillip beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Monika ihre Brust auspackte. Er stand auf, quetschte sich zwischen Stuhlrücken hindurch, bestellte sich am Tresen ein Bier, blickte in die wettergegerbten Gesichter der alten Fischer, lächelte verlegen, kramte ein paar Brocken Spanisch hervor, erntete einsilbige Antworten, fühlte sich auch hier fehl am Platz, kletterte zurück an seinen Touristentisch.

Dort drehte sich die Unterhaltung immer noch ums Authentische, Unverdorbene, Vertrauen erweckende. Einmal gab das Babyphon ein kindliches Gemurmel von sich und alle lauschten mit gespitzten Ohren. „Jetzt spricht er im Schlaf“, sagte Heike mit verliebter Stimme. Phillip wollte Monika vom Wellenreiten erzählen, von der großen Freiheit, vom Rausch, doch er wagte nicht recht, in ihre Richtung zu blicken, aus Angst vor ihrem deutlich sichtbaren Busen, an dem nun das Baby gierig saugte.

„Ich meine: das ist doch irre“, sagte Monika gerade. „Zu Hause schließe ich sogar die Wohnung ab, wenn ich nur eben in den Keller gehe. Hier lasse ich immer alles auf…“
„Hier brauchst du nichts abschließen“, bestätigte Rainer mit seiner Besserwisser-Stimme. „Ich komm hier seit 13 Jahren her, lasse alles rumliegen, meine Canon, meinen Notebook, meinen Camcorder …“
Ein Rumpeln unterbrach Rainers Monolog. Es kam aus dem Babyphon. Dann Männerstimmen, die näher zu kommen schienen. Plötzlich ein Knacken. Das Gerät begann hilflos zu fiepen.
„Scheiße, da ist jemand bei Valentin im Zimmer“, stieß Phillip hervor. Er stand abrupt auf, schob rücksichtslos die herumstehenden Kneipengäste beiseite, war schon zum Ausgang gestürzt, als Rainer noch gelähmt vor Schreck das fiepende Gerät anstarrte, als erwarte er von ihm Hilfe. Dann schob er mit zitternden Händen seinen Stuhl beiseite und rannte Phillip hinterher, gefolgt von seiner wachsbleichen Frau.

Nur Monika war so ruhig geblieben, wie das nur stillende Mütter können. Sie flüsterte ihrem Baby ins Ohr: „Der Phillip, der wäre bestimmt ein guter Papa, nicht? Der würde sein Kind nicht allein lassen.“ Und eher an sich selbst gerichtet fügte sie hinzu: „Wie kann dieser Rainer auch so hirnverbrannt sein? Zu glauben, diese gottverdammte Technik würde einen vor allen Gefahren schützen.“
 

Yoanna

Mitglied
Babys und böse Diebe

Hallo Nina,

deine Geschichte gefällt mir sehr gut, und ich wüsste kaum, was es da noch zu verbessern gäbe. Mal was Nettes und Optimistisches, uff, das tut einfach gut!

Liebe Grüße,

Yoanna
 

Nina Trebesi

Mitglied
Ja, Yoanna, ich hatte mal Lust auf etwas Positives: Kidnapping, Einbruch usw. Mal was anderes als immer diese Liebesgeschichten!
Freut mich jedenfalls riesig, dass Dir der Text gefällt!
Liebe Grüsse,
Nina
 



 
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