Fernsehen

muskl

Mitglied
Fernsehen


Er würde kein Fernsehen mehr gucken, er würde noch nicht mal das ausgeschaltete Gerät anschauen. Jede Annäherung an den schwarzen Kasten sollte möglichst Übelkeit auslösen, vielleicht sogar ein explosives Erbrechen. Wenn das nicht, dann zumindest die Krätze oder die Pest. Er würde nicht mehr auf das funkeln des Bildschirms achten, die verführerische Wärme und Geborgenheit der Ausstrahlung. Auch die handliche Fernbedienung, die sonst immer wie eine dritte Hand war, die ergonomisch geformt genau passte und es ihm möglich machte, Hand in Hand mit dem elektronischen Informationsterminal zu arbeiten. Der schwarze Bolide lockte und stieß ihn gleichzeitig ab.

Die Gedanken zu dieser Konsequenz bewegten ihn schon längere Zeit, eigentlich so lange er denken und wahrnehmen konnte. Von Anfang an war es das Missverhältnis zwischen gesagtem und gemachtem. Es war noch nicht einmal sein Missverhältnis, da ging es um ganz andere. Wenn er das Gerät eingeschaltet hatte und locker durch die Kanäle hüpfte, dabei lässig mit der Lautstärke spielend und Konventionen missachtend, hatte er das Gefühl es könnte ihm nichts mehr passieren. Die bunten Bilder gaben ihm den Mut und die Sicherheit, die er im täglichen Leben so nötig hatte. Nicht das er ein unbedingt hartes Leben hatte, es gab gutes Essen und regelmäßige Bekleidung, fast wie in einem Fernseh-Knast.

Die Erfahrung wie hart es im Leben zu gehen konnte, hatte er sich aus dem Fernsehen geholt, da ging es manchmal wirklich unfair zu, aber meistens gab es ein gutes Ende und alle waren wieder glücklich. Die Zufriedenheit über eine gelöste Situation machte ihn zufrieden, er war schließlich dabei, durch lautstarke Unterstützung und mithoffen. Wenn sein Held, oft war es einer, die Situation bereinigte, lief ihm ein frösteln über seinen schmalen Rücken und er wünschte sich auch so zu sein. Dann würde er sich auch gegen die Menschen durchsetzen, die ihn immer wieder vom Fernsehen abbringen wollten. Wie in einer Diktatur wurden fadenscheinige Argumente und Lügen verbreitet, nur um ihn nicht die Freiheit des Sehens zu lassen.

Dabei hatte er nichts zerstört, was schon mal vorkam, er hatte auch nichts verschüttet oder die Katze getreten. Er war an dem Tag weder laut noch leise, er war nicht krank, komplett angezogen, eben total unauffällig. So unauffällig, dass keiner bemerkte wie er sich in die Küche drückte. Eigentlich hatte er nur einen starken Durst verspürt und das Naheliegende war eben die Küche mit dem großen Kühlschrank. Dort befand sich alles drin was er schon aus dem Fernsehen kannte und uneingeschränktes Wohlgefühl versprach.

Die Luft in der Küche war verqualmt, es war fast wie ein Nebel, kaum zu durchdringen. Auf dem Küchentisch stand ein übervoller Aschenbecher, ein Teil der Asche lag daneben, auch Bierflaschen trübten nichts an diesem heimeligen Anblick. Am Tisch saßen zwei große Menschen, die unbedingt Vater und Mutter genannt werden wollten. Er hatte es auch schon wiederholt mit Karin und Peter versucht, wie es viele im Fernsehen auch machten, hatte aber auch wiederholt Ohrfeigen dafür kassiert. Wie konnte man bloß so empfindlich sein, die anderen Großen nannten sie doch auch nicht Mutter oder Vater. Dafür das er geschlagen wurde, fehlte jede Erklärung von den Erwachsenen, allerdings wusste er aus manchem Fernsehfilm, das es wohl zur Erziehung gehörte. Im Fernsehen wurde sich aber meistens entschuldigt und alle waren wieder glücklich und zufrieden. Aber erst letzte Woche hatte er auch gesehen, dass es für die Schläge eine späte Rache geben konnte, danach hatte er beschlossen, möglichst schnell Erwachsen zu werden. Nur kurz kam ihm der Gedanke, dass er auch so werden könnte wie die beiden.

Da saßen sie am Küchentisch, beide ziemlich dick und schwerfällig, sie hatten wirklich keine Ähnlichkeit mit den meisten Fernseheltern. Dabei müssten sie es doch besser wissen, sie verbrachten fast jede freie Minute vor der Glotze. Wenn nichts auf der großen Auswahl von Kanälen lief, ihre Lieblingsfilme waren seltsamerweise die Familienserien, hatten sie eine große Auswahl an Videofilmen. Die Auswahl über das Programm oder ein Video, waren wohl die einzigen Punkte, über die sich nicht stritten. Bei den Serien sahen sie dann auch sehr zufrieden aus, es kam manchmal sogar zum Händchen halten oder einem feuchten Kuss. Das der feucht und schleimig war, nach Nikotin und Bier schmeckte, wusste er aus Erfahrung. Bei guter Stimmung, meistens nachdem schon viele leere Bierflaschen auf dem Tisch standen, wurde er geherzt und geküsst. Allerdings nicht während des Fernsehens, obwohl dann auch Bier getrunken wurde, aber dann wurde er weggeschoben oder ins Bett geschickt.

Diesmal war es aber etwas anders in der Küche, seine Mutter weinte, der Vater guckte betreten, das war kein Streit. Alles andere war wie immer, der Rauch, die Kippen, volle und leere Bierflaschen. Seine Mutter sah auch nicht aus wie sonst, ihr fülliges Gesicht war noch dicker als sonst, ihr Gesicht hatte viele verschiedene Farbschattierungen von blau bis violett, ein Auge war sehr rot und fast geschlossen. Wenn nicht so eine gedrückte Atmosphäre herrschen würde, hätte er laut herausgelacht, sie sah aus wie ein Clown aus den Zirkussendungen, wie ein trauriger Clown. Beide sahen ratlos aus, so wie morgens, wenn sie aus dem Bett kamen, aber solange hatte die Ratlosigkeit noch nie angehalten. Normalerweise fingen sie schon früh an zu streiten, dann schien für sie die Welt wieder in Ordnung zu sein. Er hatte sich schon oft gefragt, wieso sie es nicht wie die im Fernsehen machten, wenn sie es schon täglich und gerne sahen. Wenn dort auch manchmal beim Frühstück gestritten wurde, es machte nie den ratlosen und traurigen Eindruck, wie bei ihnen der Fall war.

Einige Male schon hatten sie ihm das Fernsehen verboten, zum einen zur Strafe, zum anderen dann, wenn sie sich schlecht über das Fernsehen ausließen. Tagsüber schimpften sie oft darüber, über die ständige Werbung für Zigaretten und Alkohol, auch über die Dummheit der Serien und das sowieso alles gelogen war. Am meisten aber verurteilten sie die Gewalt im Fernsehen, vor allem die Zeichentrickfilme hatten es ihnen angetan. Er wusste dann, dass ein Verbot folgen würde, es hielt aber nie lange an. Vielleicht konnten sie seine Gedanken lesen, er fragte sich dann immer, wieso sie es dann schauten, wenn es so fürchterlich dumm und gefährlich war. Noch ungewöhnlicher war aber für ihn die Tatsache, dass sie es nicht anders machten, wenn ihnen das schon nicht gefiel. Oder warum sie ihm verboten was sie selbst machten, er konnte ja mit der Erklärung leben das die Erwachsenen es besser verstehen würden, aber warum machte es sie dann so unzufrieden und traurig.

Heute Morgen hatten sie ihm das Fernsehen verboten, es würde die Gewalt verherrlichen, Kinder könnten damit nicht umgehen. Seine Mutter schaute im dabei mit ihrem rot-grün-blauen Gesicht an, wie er sehen würde könnten Erwachsene nicht einmal damit umgehen. Dabei schauten sie kaum Filme mit Gewaltszenen, eher das Gegenteil, vor Harmonie triefende Endlosserien. Vielleicht hatten sie so sehr daran geglaubt was darin gezeigt wurde, dass sie die Realität vergessen hatten und davon überrascht wurden, dass sich ein Problem nicht von selbst löste. Ihre Erklärung dafür hatten sie wohl auch aus dem Fernsehen, denn dort wurde auch viel über Gewaltverherrlichung gesprochen und gezeigt. Auch dort war es so wie bei ihnen Zuhause, es wurde geschimpft und verurteilt, aber es wurde kurze Zeit danach so weitergemacht.

Er hatte es auf jeden Fall beschlossen, dass Fernsehen zu ächten und nie wieder anzuschauen. Ob es gut oder schlecht war was aus dem Fernsehen kam, war offenbar egal, es schien nie richtig zu sein, aber immer eine Entschuldigung für ein falsches Verhalten. Das er es durchhalten würde, traute er sich kaum zu, über was sollte er dann mit seinen Freunden reden? Und über was würden sie dann in der Familie streiten? Und wie würden sie ihn in Zukunft bestrafen, nur noch mit Schlägen, mit mehr Schlägen?

2001 / Michael
 

gladiator

Mitglied
Hallo muskl

Eigentlich fand ich Deine Geschichte ganz gut. Der Fernseher als Kristallisationspunkt und Motor gesellschaftlichen Zusammenlebens wird immer noch viel zu sehr unterschätzt.

Allerdings hätte ich mir bei der Beschreibung der mangelnden Reflexionsfähigkeit der Eltern bzw. der Diskrepanz zwischen ihrem Reden und Handeln etwas mehr Subtilität gewünscht. Teilweise fand ich es zu plakativ und ich sah ein paar mal die "Moralkeule" schwingen, was mich grundsätzlich abschreckt.

Gruß
Gladiator
 

muskl

Mitglied
hallo gladiator,

"Moralkeulen" schrecken mich nicht nur ab, ich finde sie abscheulich. Aber wie will man Menschen oder Situationen darstellen, die eine "Moralkeule" unter Einsatz aller Mittel (z.B. das Fernsehen) benutzen? Auf jeden Fall danke ich Dir für die Kritik, hilft mir vielleicht nicht selbst so sehr die "Moralkeule" einzusetzen.

Lieben Gruss
muskl
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
die

idee mit dem fernseher ist wirklich prima. aber mir ist die geschichte zu langatmig, hat einige wiederholungen. etwas straffen und die vielen tippfehler ausmerzen und die sache ist druckreif. ganz lieb grüßt
 



 
Oben Unten