Festeggiare

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Raniero

Textablader
Festeggiare


Sie war von kleiner Statur, ein mütterlicher Typ.
Nicht der Typ Frau, den man vor Augen hat, wenn man von rassigem südländischem Aussehen spricht. Auch war sie zu dem Zeitpunkt nicht mehr die Jüngste, vielmehr ging sie mit großen Schritten auf das Rentenalter zu.
Sie war der Reinigungskolonne zugeteilt, die seine Büroräume sauber hielt.
Eine niedere Tätigkeit mit ebensolcher Bezahlung.
Nichtsdestotrotz, wenn man sie bei ihrer Arbeit antraf, war sie stets gutgelaunt und machte einen fröhlichen Eindruck; nur konnte sie sich ihm nicht mitteilen, da sie die deutsche Sprache kaum beherrschte.

In dieser Zeit hatte er mit dem Erlernen der Italienischen Sprache begonnen.
Gleichwohl war er anfangs gehemmt, sie in ihrer Muttersprache anzusprechen. Warum eigentlich? Weil er sich noch sehr unsicher fühlte und seine frisch erworbenen Sprachkenntnisse für nicht ausreichend hielt?
In den Urlauben an den verschiedenen Ferienorten in Italien scheute er nicht die Mühe, die Leute sogar im Infinitiv in radebrechender Form anzusprechen, noch bevor er überhaupt einen Sprachkurs absolviert hatte.
Geschah das vielleicht aus dem Grunde, dass viele Italiener selbst die kleinsten sprachlichen Bemühungen der Fremden, sich in ihrer Sprache auszudrücken, oft mit einem „Parla bene!“ – Sie sprechen aber gut! - belohnt wurde?

Er vermag es im Nachhinein nicht zu beantworten, aber auf grund seiner Hemmungen dauerte es noch einige Zeit, bis er sich den Mut fasste, sie auf italienisch anzusprechen.
Sie gab sich sehr erstaunt, erstaunt über seine Sprachkenntnisse, aber auch darüber, dass er sie, die er sie doch täglich sah und praktisch an ihr vorbei lebte, erst so spät angesprochen hatte.
Auch sie lohnte seine Bemühungen spontan mit einem „Parla bene, signore“; im Gegensatz zu vielen ihrer Landsleute, die nur höflich sein wollten, meinte sie es ehrlich.
Von nun an unterhielten sie sich täglich ein wenig in ihrer Muttersprache, zu Anfang über banale Dinge und Gemeinplätze, später auch über private Dinge.
So vertraute sie ihm eines Tages an, dass sie im Hinblick auf ihre baldige Pensionierung, zur Ruhesetzung, wie es im schönen Amtsdeutsch heißt, viele Fragen habe und große Probleme darin sähe, im „Behördenland“ Deutschland alles richtig zu machen.
Diese Probleme konnte er gut nachvollziehen; ein solcher Formalismus, der in diesen Fällen zu bewältigen ist, lässt nicht wenige in der eigenen Landessprache schon nach einigen fehlgeschlagenen Anläufen schnell das Handtuch werfen, geschweige denn in einer fremden Sprache.
Sie fragte ihn schüchtern, ob er ihr hierbei ein wenig helfen könnte, zum mindest für die ersten Schritte, um die erforderlichen Anträge in Gang zu bringen.
Er bemühte sich, so gut er konnte, indem er sie in ihrem Anliegen bei den zuständigen Fachleuten über diese ersten notwendigen Schritte informierte und sich stichpunktartige Notizen dazu machte.
Sodann versuchte er, ihr diese Kenntnisse zu übermitteln und wollte sie bitten, sich hierzu ihrerseits die notwendigen Einzelheiten zu notieren, als er plötzlich inne hielt.
Wie verhielt es sich, wenn sie gar nicht lesen und schreiben konnte?
Warum sonst hatte sie ihn gebeten, diese Schritte zu erfragen, und sich selbst vorher keine Stichpunkte gemacht?
Es stand für ihn fest:
Sie konnte nicht lesen und nicht schreiben, man kannte dieses ja des schon von den ersten italienischen Gastarbeitern des deutschen Wirtschaftswunder, die oftmals aus entlegenen Bergdörfern, weit ab der Zivilisation, stammten.
Eine Analphabetin!
Sie tat ihm leid, unendlich leid.
Er erläuterte ihr alles, was er über das erforderliche Procedere ihres Rentenantrages in Erfahrung gebracht hatte, in mündlicher Form, langsam, mit mehrmaligen Wiederholungen.

Einige Tage später saß er an seinem Schreibtisch, sie reinigte das Büro.
Er war gerade im Begriff, einen kleinen schriftlichen Gruß, verbunden mit einer Einladung, an seine italienische Verwandtschaft aufzusetzen.
Da ihm im Moment der italienische Ausdruck für das Wort „feiern“ nicht vor Augen stand und er auch sein Wörterbuch nicht zur Hand hatte, fragte er sie in umschreibender Form nach diesem Verb.
Sie verstand ihn sofort und nannte ihm die entsprechende Vokabel:
festeggiare.
Frohgemut vollendete er seinen Brief.
Plötzlich trat sie auf ihn zu, beugte sich über seine Schulter und sagte zu ihm, in ihrer Sprache:
festeggiare schreibt man mit zwei g!
 
H

HFleiss

Gast
Lieber guter Raniero, fast möchte ich dir auch ein paar sprachliche Korrekturen anbieten. Die Geschichte ist hübsch, sie hat eine gute Pointe, du hast sie gut und überraschend aufgebaut, aber so ganz komme ich aus stilistischen Gründen damit noch nicht klar. Behördenland Deutschland machte man sagen, wenn man deinen Text liest: im Nachhinein, nichtsdestotrotz (übrigens: ein Spaßvogel hat das Wort erfunden) und und und.
Stilistisch überarbeitet wäre das Geschichtchen wirklich sehr hübsch.

Gruß
Hanna
 

Raniero

Textablader
Hallo Hanna,

diese Story stammt noch aus meiner Nichtsdestotrotzphase. :)
Nichtsdestoweniger:) variierte ich seinerzeit jedoch schon in längeren Erzählungen diesen Dir merkwürdig erscheinenden Ausdruck mit 'gleichwohl' oder eben mit 'nichtsdestoweniger'.
Hierbei möchte ich anmerken, dass es in der italienischen Sprache für 'nichtdestoweniger'eine analog wörtliche Übersetzung 'nondimeno'gibt.

Ansonsten, so glaube ich, passt gerade dieser Stil zu dem doch relativ verklemmten Verhältnis des Protagonisten zu der italienischen Putzfrau.

Gruß Raniero
 
H

HFleiss

Gast
Finde ich nicht, Raniero. Schüchternheit, Fremdheit - das hat doch nichts mit Bürokratendeutsch zu tun. Erzähl doch so, als ob du diese Geschichte einem Freund erzählen würdest, ohne dreimal gelecktes Kanzleideutsch.

Gruß
Hanna
 



 
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