Fleischbonbon

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Das Fleischbonbon

Lieber Werner Kreindl,

Erlaube mir einen persönlichen Brief. Ich muss dir zunächst Entschuldigendes schreiben, denn ich missbrauche einen Teil deines Abbildes zur Verdeutlichung pädagogischer Gegebenheiten. Warum schreibe ich gerade an dich? Du sahst genau so aus wie der Lehrer Zerberus! Fast jedenfalls. Es lag am Mund. Genauer gesagt an der scharf geschnittenen Oberlippe. Natürlich warst du nie so bösartig wie derjenige welcher, sondern ein harmloser Schwarzweiß-Polizist bei Soko 5113. Du hattest als Privatmann in Diana Körner eine wunderschöne Frau in die ich als kleiner Junge verstohlen verliebt war und nur so ein gequälter, schwarzer Zerberus-Charakter, wie ich ihn dir noch beschreiben werde, macht ein Gesicht, dessen Oberlippe deiner ähnelt, erst so abgrundtief hässlich. Du wirktest milde und sanft, lieber Werner Kreindl, und doch habe ich, auf die Ellenbogen gestützt bäuchlings am Boden liegend, bei Soko immer mit ein wenig Furcht darauf gewartet, dass du einen Wutanfall bekommst, aus der Glotze herausspringst und die Contenance genau so verlierst, wie dein Doppelgänger dies jeden Tag mit seinen bellend wiedergegebenen Verb-Paradigmata und anderen sprachlichen Phänomenen zu tun pflegte. Es ist zum Glück nie geschehen. Du warst doch nur ein deutscher Fernseh-Kommissar. Die dürfen sowas nicht.

Dein Lais.

Durch die Wandfarbe der Schule in der Kölnischen Straße kann man leider alle Jahre wieder den alten Schriftzug mit dem verblassenden Namen des am Ende amphetaminsüchtigen zitternden Wracks sehen - und zum durchscheinenden Braunauer passt Zerberus einfach wie die Faust aufs Auge: Studienrat, welches Teutonenwort und kaiserliche Institution zugleich, ein eigentümlich glatt gespannter, weiblicher und übertrieben kleiner Mund beherrscht das kinnlose untere Ende des feisten, glänzenden und kurzhalsigen Lehrerhauptes, ein saubohnenförmiges, starres Fleischstück, in das ein zu scharf gezeichneter Überlippenmund geschnitten ist. Eine Kopf, von einem Körper getragen, der sich mit beängstigend kurzen, gefährlich zielstrebigen und gleichmäßigen Schritten durch die nach Bohnerwachs stinkenden Gänge fortbewegt. Oberseitig bereits schütteres Haar wird mit einer rechts wachsenden Strähnenplatte hartgeölt überdeckelt, der Foetor et ore ist süßlich und erinnert an Karottenpüree. Wie ein Drachen an der Schnur zuckt die bedrohliche Fratze von links nach rechts und von oben nach unten vor der Tafelseite des Klassenzimmers herum. Das Fleischbonbon entspricht dem Brochschen Lehrerbild, nach dem der Pädagoge - auch wieder so ein Wort, aber immer noch besser als das französische, nach Landwirtschaft klingende Halbpebdant puéricultrice - nach dem Staatsexamen schon am Ende seiner intellektuellen Belastbarkeit angelangt, Wissen in Päckchen austeilt, auf deren Rückgabe er dann später beruflich dringt. Erfolgt die Paketrückgabe nicht ordnungsgemäß, reagiert der Lehrer beleidigt strafend.

Zerberus hat aus einsichtigen Gründen im Vergleich zu seinen unwissenden Schülern einen Wissensvorsprung. Doch das Vermitteln gehört nicht zu seinen Stärken. Die empörten idiot! und chameau! schnalzen regelmäßig als schmerzende Knötchen an der sich in der Art eines Eunuchen überschlagenden Stimmpeitsche des zuckenden Drachen heraus, deren Sätze wie vergiftete Vipernzungen durch den Klassenraum schießen. Die semantische Begründung und juristische Absicherung samt Aspektanalyse, einer detaillierten Darstellung und Gegenüberstellung von Bedeutungsinhalten durch rasterförmige Aufteilung in kleinste Sinneinheiten, liefert vorausschauend der Zerberus gleich mit: Das französische Kamel chameau sei ja nur böse, nicht dumm, grinst sich die Lehrperson ganz elegant ins kalte Fäustchen! So kann man jeden Schüler ungestraft mit dieser billigen semantischen Volte ein Kamel nennen, und als erfolgreicher Pädagoge erreicht der Möchtegernprofessor ein Unterrichtsziel, nachdem das vom unerkannten Genie schnarrend abgesonderte romanische Zeichensystem nicht als natürliche Sprache, sondern als Foltermittel zur Schülerqual empfunden wird. Schließlich ist das Französische als angebliches Spitzenmodell der rund fünfzehn romanischen Sprachen, nur einer Elite vorbehalten, und so höfisch verstiegen soll es auch gefälligst bleiben. Manchmal verstieg sich Zerberus in seiner absurden Selbstüberschätzung, wie mir Kerabré später glaubhaft berichten würde, Jahre später im Franzosentreff Amicale Française zu der Behauptung, alle Wörter den Französischen zu kennen, lediglich besondere Bezeichnungen von Deckenbalken in Kirchengebäuden entfielen ihm bedauerlicherweise bisweilen. Darauf verzeichnet das Protokoll allgemeine Gallierbelustigung und André Gide drehte sich im Grabe um, wo doch schon der noch handliche grüne Robert, da doch so petit, 2171 klein bedruckte Seiten umfasst, sich Simultandolmetscher auf jede Fachkonferenz gesondert vorbereiten müssen, und der große weise Anglist Peter Hansen an der Hochschule stets mit seinem kleinen Langenscheidt unter dem Jackettärmel den Seminarraum betrat. Heißt es nicht, der gute Übersetzer müsse alle Wörter nachschlagen, besonders diejenigen, welche er besonders gut zu kennen glaubt? Der Amicale-Franzose versicherte mir übrigens, Zerberus’ Niveau hätte knapp über Abitur gelegen. Wenn weiter nichts dahinter war - umso besser.

Bei Zerberus hatte ich die Note Mangelhaft fest gebucht. Doch an der Lebensspanne gemessen nur wenig später schloss ich, belle surprise, ein Diplom der Romanistik und zum Spaß auch noch Anglistik mit Sehr Gut ab. Dem bösen Dünnbrettbohrer wäre vor Schreck einer seiner Deckenbalken aus dem Himmel aufs Fleischbonbon gefallen, hätte er es erfahren. Hat er aber nicht. Woher auch? Wer sich für nichts wirklich interessiert hat, kann auch nichts wissen. Aber ich hatte Zuversicht und wusste, dass ich gut sein könnte, man muss nur wollen, und anderenfalls das Studium gar nicht erst begonnen.

Zu den guten Lehrern sage ich vorerst noch nicht viel. Die gab’s natürlich auch. Eigentlich waren die meisten sogar richtig in Ordnung. Doch die wenigen Schlimmen können einem alles vermasseln, dich mit Fünfen zuballern und dir den Kopf unmittelbar nach der fröhlichen Grundschulzeit so richtig in die Scheiße drücken, wie Physik-Scholz immer sagte, nachdem er den Schlüsselbund in die Menge geworfen hatte. Manchem vermiesen sie das ganze Leben. Man erinnert sich gern an alles Schlechte. Und folglich kommen auch bei mir erstmal die Drecksäcke auf der Kloake der Erinnerung nach oben geschwommen.



Machen wir schnell weiter mit einem weiteren Exemplar aus der Riege aufgeblasener Lehrer, diesmal einer Person mit weitem Kunstbegriff. Der Kollege Vodkaschena fiel durch den alkoholisch klingenden Namen und auch visuell doch ganz besonders auf, denn der Blender lackierte seine Lederschuhe fast jeden Tag in einer neuen Farbe und trug beispielsweise orangefarbene Krawatten zum lila Schuhwerk. Das war die Schutzhülle des aufgeklärt unkonventionellen Underground-Pädagogen, der er sicher gern gewesen wäre. Er hielt Vertretungsstunden mit Vorlesungscharakter, sein Sohn war in meiner Klasse. Und in der Umkleidekabine konnte man nach dem Sportunterricht regelmäßig die grünblauen Flecke und roten Striemen sehen, die sein prügelnder Pädagogenvater auf dem geschundenen Knabenleib hinterlassen hatte. Gehörte das wöchentliche Durchprügeln auch zur farbenfrohen freien Kunst? Bowie hat auf seinem erzählerischen Album Outside einen Künstler erfunden, der die Körper Ermordeter ausstellt. Dieser Ansatz hätte konzeptuell und vom Kunstbegriff her auch ganz gut zu Vodkaschena gepasst.

Der Junge Lais bekam ein Jugendzimmer in Buchenfurnier mit Bettkasten und nach unten spitz zulaufenden, schräg stehenden Beinen und lernte Gitarre mit LPs von Cat Stevens, als der noch seinen coolen Namen trug. Tom Sawyer und die Rote Zora fingen mit Rufen an: Tom! Branko! Branko! Den Sawyer las er hundertmal, und die Zora las er hundertmal. Und auf einmal ist er mit seiner Art, stets mehrere Bücher parallel zu lesen über den schlimmen Lokalhelden Hausmann und Dumas bei Poe angekommen und wohlige Schauer laufen beim roten Tod über seinen Rücken. Der Leser tritt ein in eine Parallelwelt, vergisst Dasein und Schicksal und bunkert die Bände im halben Dutzend unterm Bett.

Eine akustische Gitarre war also der Ausgangspunkt für die Musik gewesen. Die Klänge wurden mit der Zwölfsaitigen abwechsungsreicher. Wolfgang Woody Wagner aber, ein genialer Bastler, versah Besenstiele mit Drähten und Abnehmerspulen, baute Bass-Drum- Generatoren und zischende elektronische Hi Hats. Wir konnten nichts, aber das was wir zu spielen wagten war immer geil und laut, wir Marius sang, als er noch gut war. Wir, Erlebach, Wagner, Burger und Lais spielen im Heizungskeller. Deshalb ist auch der Ölbrenner auf jedem Aufnahmetape zu hören. Alles wurde aufgenommen, archiviert und betrunken gegengehört. Beim Spazieren und beim Nachschub-Gang zur Trinkhalle beatboxte der Drummer seine Rhythmen in die Sonne: dumdumdumdumdumdumdumdumzisch. Und sammelte alte Quelle-Kataloge. Der Damenunterwäschebilder wegen. Er mochte vor allem die Mädchen mit den kleinen Brüsten und sah sich selbst als stolzen Asi.
Als Bandname wäre einigen Die toten Barschels sehr angenehm gewesen, doch wir nannten uns dann bloß Eintagsfliege, ein Name, der im Siegeszug der New Wave dann zu ETF aktualisiert werden sollte.
 

Rafi

Mitglied
Wow – sehr, sehr sprachgewaltig! Ein meiner Meinung nach gelungener, moderner Text, in dem sich so mancher aus dieser Generation wiederfinden dürfte. Schmunzeln wird ausgelöst, Erinnerung und auch Empörung. Kreindl, Körner, Zerberus, SOKO und die obligatorische Kellerband – eine wundervolle Mischung. Ein bisschen Kritik jedoch sei erlaubt: Die Geschichte enthält mir fast zu viele Elemente, Namen und Begebenheiten. Das verwirrt, lenkt ab und lässt bisweilen die eigentliche Story, so sie denn im Sinne eines roten Fadens vorhanden ist, oft weit in den Hintergrund treten. Und prompt stellt sich die Frage: Ist dies eine Autobiographie, ein Teil davon vielleicht nur, gerafft und verdichtet? Oder ist es das Exposee zu einem autobiographischen Roman? Genau bei dieser Frage bleibe ich ein wenig in der Luft hängen, da ich keine Antwort finde …
Trotz allem jedoch noch einmal: Die „Schreibe“ finde ich ganz wunderbar. Dynamisch, kraftvoll, verschmitzt, wichtig. Das allein gefällt mir schon.

Lieben Gruß
Rafi
 
Das Fleischbonbon

Lieber Werner Kreindl,

Erlaube mir einen persönlichen Brief. Ich muss dir zunächst Entschuldigendes schreiben, denn ich missbrauche einen Teil deines Abbildes zur Verdeutlichung pädagogischer Gegebenheiten. Warum schreibe ich gerade an dich? Du sahst genau so aus wie der Lehrer Zerberus! Fast jedenfalls. Es lag am Mund. Genauer gesagt an der scharf geschnittenen Oberlippe. Natürlich warst du nie so bösartig wie derjenige welcher, sondern ein harmloser Schwarzweiß-Polizist bei Soko 5113. Du hattest als Privatmann in Diana Körner eine wunderschöne Frau in die ich als kleiner Junge verstohlen verliebt war und nur so ein gequälter, schwarzer Zerberus-Charakter, wie ich ihn dir noch beschreiben werde, macht ein Gesicht, dessen Oberlippe deiner ähnelt, erst so abgrundtief hässlich. Du wirktest milde und sanft, lieber Werner Kreindl, und doch habe ich, auf die Ellenbogen gestützt bäuchlings am Boden liegend, bei Soko immer mit ein wenig Furcht darauf gewartet, dass du einen Wutanfall bekommst, aus der Glotze herausspringst und die Contenance genau so verlierst, wie dein Doppelgänger dies jeden Tag mit seinen bellend wiedergegebenen Verb-Paradigmata und anderen sprachlichen Phänomenen zu tun pflegte. Es ist zum Glück nie geschehen. Du warst doch nur ein deutscher Fernseh-Kommissar. Die dürfen sowas nicht.

Dein Lais.

Durch die Wandfarbe der Schule in der Kölnischen Straße kann man leider alle Jahre wieder den alten Schriftzug mit dem verblassenden Namen des am Ende amphetaminsüchtigen zitternden Wracks sehen - und zum durchscheinenden Braunauer passt Zerberus einfach wie die Faust aufs Auge: Studienrat, welches Teutonenwort und kaiserliche Institution zugleich, ein eigentümlich glatt gespannter, weiblicher und übertrieben kleiner Mund beherrscht das kinnlose untere Ende des feisten, glänzenden und kurzhalsigen Lehrerhauptes, ein saubohnenförmiges, starres Fleischstück, in das ein zu scharf gezeichneter Überlippenmund geschnitten ist. Eine Kopf, von einem Körper getragen, der sich mit beängstigend kurzen, gefährlich zielstrebigen und gleichmäßigen Schritten durch die nach Bohnerwachs stinkenden Gänge fortbewegt. Oberseitig bereits schütteres Haar wird mit einer rechts wachsenden Strähnenplatte hartgeölt überdeckelt, der Foetor et ore ist süßlich und erinnert an Karottenpüree. Wie ein Drachen an der Schnur zuckt die bedrohliche Fratze von links nach rechts und von oben nach unten vor der Tafelseite des Klassenzimmers herum. Das Fleischbonbon entspricht dem Brochschen Lehrerbild, nach dem der Pädagoge - auch wieder so ein Wort, aber immer noch besser als das französische, nach Landwirtschaft klingende Halbpebdant puéricultrice - nach dem Staatsexamen schon am Ende seiner intellektuellen Belastbarkeit angelangt, Wissen in Päckchen austeilt, auf deren Rückgabe er dann später beruflich dringt. Erfolgt die Paketrückgabe nicht ordnungsgemäß, reagiert der Lehrer beleidigt strafend.

Zerberus hat aus einsichtigen Gründen im Vergleich zu seinen unwissenden Schülern einen Wissensvorsprung. Doch das Vermitteln gehört nicht zu seinen Stärken. Die empörten idiot! und chameau! schnalzen regelmäßig als schmerzende Knötchen an der sich in der Art eines Eunuchen überschlagenden Stimmpeitsche des zuckenden Drachen heraus, deren Sätze wie vergiftete Vipernzungen durch den Klassenraum schießen. Die semantische Begründung und juristische Absicherung samt Aspektanalyse, einer detaillierten Darstellung und Gegenüberstellung von Bedeutungsinhalten durch rasterförmige Aufteilung in kleinste Sinneinheiten, liefert vorausschauend der Zerberus gleich mit: Das französische Kamel chameau sei ja nur böse, nicht dumm, grinst sich die Lehrperson ganz elegant ins kalte Fäustchen! So kann man jeden Schüler ungestraft mit dieser billigen semantischen Volte ein Kamel nennen, und als erfolgreicher Pädagoge erreicht der Möchtegernprofessor ein Unterrichtsziel, nachdem das vom unerkannten Genie schnarrend abgesonderte romanische Zeichensystem nicht als natürliche Sprache, sondern als Foltermittel zur Schülerqual empfunden wird. Schließlich ist das Französische als angebliches Spitzenmodell der rund fünfzehn romanischen Sprachen, nur einer Elite vorbehalten, und so höfisch verstiegen soll es auch gefälligst bleiben. Manchmal verstieg sich Zerberus in seiner absurden Selbstüberschätzung, wie mir Kerabré später glaubhaft berichten würde, Jahre später im Franzosentreff Amicale Française zu der Behauptung, alle Wörter den Französischen zu kennen, lediglich besondere Bezeichnungen von Deckenbalken in Kirchengebäuden entfielen ihm bedauerlicherweise bisweilen. Darauf verzeichnet das Protokoll allgemeine Gallierbelustigung und André Gide drehte sich im Grabe um, wo doch schon der noch handliche grüne Robert, da doch so petit, 2171 klein bedruckte Seiten umfasst, sich Simultandolmetscher auf jede Fachkonferenz gesondert vorbereiten müssen, und der große weise Anglist Peter Hansen an der Hochschule stets mit seinem kleinen Langenscheidt unter dem Jackettärmel den Seminarraum betrat. Heißt es nicht, der gute Übersetzer müsse alle Wörter nachschlagen, besonders diejenigen, welche er besonders gut zu kennen glaubt? Der Amicale-Franzose versicherte mir übrigens, Zerberus’ Niveau hätte knapp über Abitur gelegen. Wenn weiter nichts dahinter war - umso besser.

Bei Zerberus hatte ich die Note Mangelhaft fest gebucht. Doch an der Lebensspanne gemessen nur wenig später schloss ich, belle surprise, ein Diplom der Romanistik und zum Spaß auch noch Anglistik mit Sehr Gut ab. Dem bösen Dünnbrettbohrer wäre vor Schreck einer seiner Deckenbalken aus dem Himmel aufs Fleischbonbon gefallen, hätte er es erfahren. Hat er aber nicht. Woher auch? Wer sich für nichts wirklich interessiert hat, kann auch nichts wissen. Aber ich hatte Zuversicht und wusste, dass ich gut sein könnte, man muss nur wollen, und anderenfalls das Studium gar nicht erst begonnen.

Zu den guten Lehrern sage ich vorerst noch nicht viel. Die gab’s natürlich auch. Eigentlich waren die meisten sogar richtig in Ordnung. Doch die wenigen Schlimmen können einem alles vermasseln, dich mit Fünfen zuballern und dir den Kopf unmittelbar nach der fröhlichen Grundschulzeit so richtig in die Scheiße drücken, wie Physik-Scholz, das andere Monster, immer sagte, nachdem es den Schlüsselbund in die Menge geworfen hatte. Manchem vermiesen sie das ganze Leben. Man erinnert sich gern an alles Schlechte. Und folglich kommen auch bei mir erstmal die Drecksäcke auf der Kloake der Erinnerung nach oben geschwommen.


Machen wir schnell weiter mit einem weiteren Exemplar aus der Riege aufgeblasener Lehrer, bevor wir zum nächsten Thema springen: Diesmal einer Person mit weitem Kunstbegriff. Vodkaschena fiel durch den alkoholisch klingenden Namen und auch visuell doch ganz besonders auf, denn der Blender lackierte seine Lederschuhe fast jeden Tag in einer neuen Farbe und trug beispielsweise orangefarbene Krawatten zum lila Schuhwerk. Das war die Schutzhülle des aufgeklärt unkonventionellen Underground-Pädagogen, der er sicher gern gewesen wäre. Er hielt Vertretungsstunden mit Vorlesungscharakter, sein Sohn war in meiner Klasse. Und in der Umkleidekabine konnte man nach dem Sportunterricht regelmäßig die grünblauen Flecke und roten Striemen sehen, die sein prügelnder Pädagogenvater auf dem geschundenen Knabenleib hinterlassen hatte. Gehörte das wöchentliche Durchprügeln auch zur farbenfrohen freien Kunst? Bowie hat auf seinem erzählerischen Album Outside einen Künstler erfunden, der die Körper Ermordeter ausstellt. Dieser Ansatz hätte konzeptuell und vom Kunstbegriff her auch ganz gut zu Vodkaschena gepasst.

Der Junge Lais bekam ein Jugendzimmer in Buchenfurnier mit Bettkasten und nach unten spitz zulaufenden, schräg stehenden Beinen und lernte Gitarre mit LPs von Cat Stevens, als der noch seinen coolen Namen trug. Tom Sawyer und die Rote Zora fingen mit Rufen an: Tom! Branko! Branko! Den Sawyer las er hundertmal, und die Zora las er hundertmal. Und auf einmal ist er mit seiner Art, stets mehrere Bücher parallel zu lesen über den schlimmen Lokalhelden Hausmann und Dumas bei Poe angekommen und wohlige Schauer laufen beim roten Tod über seinen Rücken. Der Leser tritt ein in eine Parallelwelt, vergisst Dasein und Schicksal und bunkert die Bände im halben Dutzend unterm Bett.

Eine akustische Gitarre war also der Ausgangspunkt für die Musik gewesen. Die Klänge waren mit der Zwölfsaitigen abwechsungsreicher geworden, Wolfgang Woody Wagner aber, ein genialer Bastler, versah Besenstiele mit Drähten und Abnehmerspulen, baute Bass-Drum- Generatoren und zischende elektronische Hi Hats. Wir konnten nichts, aber das was wir zu spielen wagten war immer geil und laut, wir Marius sang, als er noch gut war. Wir, Erlebach, Wagner, Burger und Lais spielen im Heizungskeller. Deshalb ist auch der Ölbrenner auf jedem Aufnahmetape zu hören. Alles wurde aufgenommen, archiviert und in der Lindenberg’schen Technik betrunken gegengehört. Beim Spazieren und beim Nachschub-Gang zur Trinkhalle beatboxte der Drummer seine Rhythmen in die Sonne:

dumdumdumdumdumdumdumdumzisch.

Und sammelte alte Quelle-Kataloge. Der Damenunterwäschebilder wegen. Er mochte vor allem die Mädchen mit den kleinen Brüsten und sah sich selbst als stolzen Asi, dessen Religion das Proletariat war. Als Bandname wäre einigen Die toten Barschels sehr angenehm gewesen, doch wir nannten uns dann bloß Eintagsfliege, ein Name, der im Siegeszug der New Wave dann zu ETF aktualisiert werden sollte.
 



 
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