Fliegenplage

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Lord Nelson

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Fliegenplage

Daniela blinzelte wohlig. Vereinzelte Sonnenstrahlen zauberten ein warmes Leuchten auf den hell gefliesten Boden der Veranda. Darin tanzten die Schatten einiger vom Dach herabbaumelnder Weinranken. Danielas Blick fiel auf die alte Wanduhr. Himmel, schon elf! In einer Stunde würde Johann zurück sein. Höchste Zeit, sich ums Mittagessen zu kümmern. Ein paar Mal wippte sie noch im Schaukelstuhl vor und zurück und ließ zufriedene Blicke über ihr persönliches Paradies schweifen. Die bunten Balkonblumen auf der von Johann gezimmerten hölzernen Brüstung leuchteten magisch im Gegenlicht. Sie behüteten die Intimität der Veranda vor allzu neugierigen Blicke der Außenwelt. Obwohl eigentlich kaum je ein Fremder in Blickweite des wild-romantisch eingewachsenen Anwesens kam. Jenseits des verwitterten Holzzauns setzte sich das Idyll mit weitgehend unberührter Natur fort. Aus hohen Wipfeln erscholl Vogelgezwitscher. Hierher, in die einsamen Gefilde entlang der schon ewig stillgelegten Bahngleise, verirrten sich nur selten Spaziergänger. Und wenn, so bemerkten sie das versteckt liegende Häuschen meist gar nicht.

Daniela stellte den Weidenkorb mit dem selbst gezogenen Gemüse auf den schiefen Holztisch, suchte einige Kartoffeln, Tomaten, Paprika und eine große Zwiebel heraus und machte sich daran, aus diesen Zutaten eine herzhafte Gemüsepfanne vorzubereiten. Johann würde, wie immer, etwas Fleisch dazu mitbringen. Genau so hatte sich Daniela ihren Ruhestand vorgestellt. Mit ihrer bescheidenen Rente und Johanns Minijob kamen sie wunderbar über die Runden - nicht zuletzt dank der lächerlich geringen Miete, die sie für dieses kleine, aber feine Domizil zu zahlen hatten. “Ein Geschenk des Himmels” pflegten sie ihr geliebtes Heim oft zu nennen. Das war natürlich Blödsinn. Um ein Geschenk handelte es sich keineswegs. Daniela erinnerte sich nur zu genau, wie schäbig das halb verfallene alte Bahnwärterhäuschen noch vor einigen Jahren ausgesehen hatte. Gemeinsam mit Johann hatte sie es schon vor ewigen Zeiten entdeckt und regelmäßig kleine Ausflüge zu dem verwunschenen Fleckchen Land unternommen. Wie winzig das Häuschen mit seinen gerade mal vier mal acht Metern Grundfläche war! Eines Tages erfuhr Johann zufällig, dass das abgelegene Anwesen Mike gehörte, dem Neffen der weißhaarigen Edeltraud. Dieser war vor langer Zeit ins Ausland abgewandert und hatte für das ererbte, kaum nutzbare Bauwerk keine rechte Verwendung. Mit Mike, der damals gerade wieder auf dem Sprung nach London war, trafen sie eine Vereinbarung. Mike überließ ihnen das abbruchreife Anwesen für eine äußerst faire Miete. Dafür, dass sie die kleine Ruine wieder bewohnbar machten, gewährte er ihnen bis ans Lebensende Wohnrecht. Die Männer besiegelten den Handel per Handschlag.

Johann war ein geschickter Handwerker und verwandelte das kleine Haus durch seine unermüdliche Arbeit in ein richtiges kleines Schmuckstück, während Daniela aus dem völlig zugewucherten Garten ein reich blühendes Paradies erschuf. Mit Arbeitskraft und gutem Willen allein war all das natürlich nicht zu bewerkstelligen. Nach und nach steckten sie ihre gesamten Ersparnisse in dichte Holzfenster, neue Böden, Baumaterialien für den Anbau der Veranda und dies und das für den Garten. Hätte doch bloß Mike das solchermaßen auf Hochglanz gebrachte Schmuckstück niemals zu Gesicht bekommen! Doch was nutzte der Wunsch. Daniela lachte bitter auf und verdrängte die Erinnerung an Mikes überraschenden Besuch gleich wieder. Sie und Johann sprachen seitdem nicht mehr über Mike. Sie taten so, als sei nichts geschehen. Das war das Beste.

Als Daniela ein Duett fröhlicher Fahrradklingeln vernahm, lag bereits der einladende Duft des fertig geschmorten Gemüses in der Luft. Johann hatte den Ferdl mitgebracht, der mit ihm in der Schlosserei arbeitete. Während die Männer den Grill anwarfen, deckte Daniela den schiefen Tisch. Bei einem kühlen Bierchen sah sich der Ferdl neugierig um. Wie immer, entging seinen scharfen Augen keine Neuerung. Diesmal lobte er den neu gemachten, fachmännisch gefliesten Boden der Veranda und bewunderte Johanns Fleiß und Geschick. Daniela schwieg diplomatisch lächelnd. Die alten, knarrenden Bohlen waren ihr lieber gewesen. Viel lieber! Doch das sagte sie natürlich nicht. Stattdessen fragte sie nur: “magst no a Bier?”

Es dauerte nicht lange, bis das Fleisch knusprig gebräunt war. Daniela servierte das heiße Gemüse in einer Terrine mit Deckel und stülpte die nagelneue bunte Gitterhaube über die Servierplatte mit dem Fleisch. Mit einer Hand versuchte sie eine Schar grünlich schillernder Fliegen zu verscheuchen, die um die verführerisch duftenden Speisen herumbrummten. Grauslig! Seit einigen Tagen ging das nun schon so. Es wurden von Tag zu Tag mehr. Sie musste mit Johann reden, dringend! Obwohl sie den Ferdl recht gern hatte, war sie diesmal froh, als er endlich ging. Sie mussten etwas unternehmen. Gleich heute. Niemand würde ihnen jetzt noch glauben, dass es nur ein Unfall gewesen war. So beschlossen sie also, sofort zu handeln. Während Johann im Licht der untergehenden Sonne kraftvoll mit dem Pickel hantierte, schaffte Daniela mit der Gartenschubkarre den Schutt auf die Seite. Gerade lud sie wieder eine Fuhre unter dem Flieder ab, als eine nahe Frauenstimme sie zu Tode erschreckte. Sie fuhr zu der Stimme herum. Schlohweißes Haar leuchtete gespenstisch im letzten Licht der Dämmerung. Daniela schrie auf. “Edeltraud!” Sie wischte sich die staubigen Hände fahrig an ihrer geblümten Gartenschürze ab. Mit Mühe fasste sie sich, rang um eine gelassene Miene und versuchte, das Beben in ihrer Stimme zu unterdrücken. “Was machst du denn hier?”

“Ich... ich wollte euch doch nur fragen, ob ihr dieses Jahr auch so eine entsetzliche Fliegenplage habt” stammelte Edeltraud mit bleichen Lippen. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten in unverhohlenem Grauen an Daniela vorbei auf die zerfledderte Hand, die im kalten Lichtkegel von Johanns Scheinwerfer anklagend aus den Betontrümmern ragte.
 

Blumenberg

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Hallo Lord Nelson,

schön mal wieder etwas Neues von dir zu lesen.

Mir gefällt die Idee hinter der Geschichte und ich finde, dass sie mit dem Erscheinen von Edeltraut und der Ambivalenz der Fliegenplage einen guten Twist hat, der es schafft den Leser zu überraschen, obwohl er gewissermaßen nur darauf wartet, dass die beiden sich verraten. So weit hat der Text das Zeug zu einer guten Geschichte.

Ich glaube aber, dass es trotzdem noch ein bisschen was zu tun gibt. Vielleicht helfen dir meine Leseeindrücke ja weiter.

Was ich auffällig fand, auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist: Fast jeder Absatz beginnt mit einem ähnlich gebauten Satz bzw. einem Namen.

Zunächst enthält der (ganze) Text sehr viele Adjektive. Etwas, das mir selbst auch immer wieder beim Schreiben passiert. Man hat ein Bild vor Augen und will es unbedingt so detailliert wie möglich schildern, um es dem Leser zu vermitteln. Ich glaube, wenn du davon ein paar weglässt kommt das der Lesbarkeit des Textes entgegen.

Der erste und der zweite Absatzkommt mir insgesamt ein wenig überfrachtet vor.

Es werden etliche Dinge (Das Kochen, der Garten und die Veranda, etc.) sehr ausführlich beschrieben, die für die Handlung und für die Ausarbeitung deiner Protagonisten nicht wirklich wichtig sind und sich teilweise sogar doppeln (Das Leuchten, die neugierigen Blicke, die wenigen Leute, die vorbeikommen, Das Handwerk und die Renovierung.). Vor allem der erste Abschnitt ist mir nicht recht klar, du beschreibst die Wichtigkeit der Privatsphäre (Blumen als Schutz) und betonst danach zweimal, dass eigentlich niemand vorbeikommt und das Grundstück weitläufig zu sein scheint. Auch die Rahmenstory (Mann kommt zum Mittagessen) und die Renovierung des Hauses sind sehr ausführlich beschrieben. Ich würde eventuell überlegen hier zu streichen und zu überlegen, wie sich stattdessen der gewonnene Platz, sofern er denn genutzt werden soll, für die Zeichnung der Figuren und der Beziehungen, die zwischen ihnen bestehen, nutzen ließe. Was hat sie denn gemacht für die Rente? Was für ein Minijob, etc.? Wie ist das Verhältnis zu ihrem Vermieter? (wenn der Vornamen aufgerufen wird und die Miete reduziert ist, muss es ja eine geben)?

Was ich eventuell auch noch einbauen würdesind ein wenig mehr Informationen zur „weißhaarigen Edeltraut“ Wohnt sie in der Nähe? Wie kommt es, dass sie dort plötzlich auftauchen kann? Wie ist die Beziehung der beiden zu ihr? Das würde ich für den Leser noch plausibilisieren.

Zuletzt noch ein subjektiver Eindruck: Ich finde ein paar sprachliche Wendungen etwas unglücklich, wie persönliches Paradies(ich glaube ein ihr reicht), oder lebten wie die Fürsten (in einem vier mal acht Quadratmeter Haus?)

Herrje, jetzt wirkt mein Beitrag wie viel Kritik, ist aber hilfreich gemeint. Ich glaube da lässt sich ein spannender Text draus machen.

Beste Grüße

Blumenberg
 

ahorn

Mitglied
Hallo Lord Nelson,
kann mich den Lobeshymnen von Blumenberg vollkommen anschließen.
Doch eins!
Für mich klinkt deine Geschichte eher wie ein Märchen als ein Krimi – Kommentar Adjektive etc.


Daher habe ich mir erlaubt, ein paar Ideen, bezogen auf deinen ersten Absatz zu artikulieren.


Daniela blinzelte wohlig.
Zeig mir, wie man wohlig blinzelt.

Darin tanzten die Schatten einiger vom Dach herabbaumelnder Weinranken.
In dem Schein tanzten die Schatten einiger [Strike] vom Dach[/Strike] herabbaumelnder Weinranken.

Danielas Blick fiel auf die alte Wanduhr.
In jeder zweiten Geschichte fallen am Anfang die Blicke. Wer mag die nur alle aufheben!
Daniela wandte ihren Blick auf die alte Wanduhr.
Daniela wandte ihr Gesicht auf die alte Wanduhr.
Daniela kehrte ihren Kopf der alten Wanduhr zu.

Himmel, schon elf!
Wörtliche Rede!
»Himmel, schon elf!«, murmelte, flüsterte, dachte sie.

In einer Stunde würde Johann zurück sein. Höchste Zeit, sich ums Mittagessen zu kümmern.
Warum passiv!
Sie erwartete Johann in einer Stunde zurück, Zeit sich ums Mittagessen zu kümmern.

Ein paar Mal wippte sie noch im Schaukelstuhl vor und zurück und ließ zufriedene Blicke über ihr persönliches Paradies schweifen.
Die Blicke schweifen über ihr persönliches Paradies.
Drei Mal wippte sie im Schaukelstuhl vor, zurück, betrachtete ihr Paradies.


Die bunten Balkonblumen auf der von Johann gezimmerten [Strike] hölzernen[/Strike] Brüstung leuchteten [Strike] magisch[/Strike] im Gegenlicht.
Gezimmerte hölzerne Brüstung – geschweißt oder gegossen wird er sie nicht haben!

Sie behüteten die Intimität der Veranda vor allzu neugierigen Blicke der Außenwelt.
Achtung Schmalz-Alarm!
Sie schützte vor neugierige / voyeuristische Blicke.

Obwohl eigentlich kaum je ein Fremder in Blickweite des wild-romantisch eingewachsenen Anwesens kam.
Kürzer ist oft besser! Heißt ja Kurzgeschichte :)
Obwohl kaum Fremde in die Nähe des versteckten Anwesens kammen.

Jenseits des verwitterten Holzzauns setzte sich [Strike] das[/Strike] ihr Idyll mit weit gehend unberührter Natur fort. [Strike]aus hohen Wipfeln erscholl Vogelgezwitscher.[/Strike] [Strike] Hierher, [/Strike] In [Strike] die einsamen[/Strike] ihre Gefilde entlang der [Strike] schon ewig [/Strike] stillgelegten Bahngleise, verirrten sich [Strike] nur[/Strike] selten Spaziergänger. [Strike] Und wenn, so bemerkten sie das versteckt liegende Häuschen meist gar nicht.[/Strike]
s.o.

Weiterhin freudige Schaffenslust

Ahorn
 

Lord Nelson

Mitglied
Hallo Blumenberg, hallo ahorn,

es freut mich sehr, dass ihr euch so aufmerksam mit meinem kurzen Text beschäftigt habt, vielen Dank dafür.

Das ist ja gleich eine ganze Schatztruhe wertvoller Anregungen. Auf den ersten Blick stimme ich alledem uneingeschränkt zu. "Überfrachtet" ist ein häufig zutreffender Kritikpunkt - bei anderen fällt es mir oft auf, doch beim eigenen Text fehlt es leider immer am kritischen Abstand. Eine Straffung würde sicherlich gut tun.

Eintöniger Satzbau und die Wiederholungen, das ist dagegen mal etwas Neues. Eure Vorschläge machen mir auf jeden Fall Lust, den Text gründlich zu überarbeiten.

Liebe Grüße
Lord Nelson
 

MicM

Mitglied
Hallo Lord Nelson,
der Text gefällt mir ebenfalls gut und - anders als bei "Heimkehr" - war ich hier von Anfang an "drin". Der Einstieg gelingt hier aus meiner Sicht besser.

Den Anmerkungen von Blumenberg und Ahorn schließe ich mich in gewisser Weise an, wobei mich weniger die etwas ausufernden Ausschmückungen und Beschreibungen des Rahmens stören, mir gerät der Hauptteil im Verhältnis etwas kurz. Es muss ja eine handfeste Auseinandersetzung mit Mike gegeben haben, oder? Auch stelle ich mir vor, dass der "Unfall" und die versteckte Leiche die (liebe?) Daniela (innerlich) mehr belastet als die paar Fliegen (wobei ich die Idee mit den Fliegen und der Twist am Ende durchaus gelungen finde.)

Einige spontane Ideen:
- Das Streitgespräch mit Mike (als Dialog) bei seinem Überraschungsbesuch einbauen statt:
Daniela lachte bitter auf und verdrängte die Erinnerung an Mikes überraschenden Besuch gleich wieder.
- Ein Gespräch von Daniela mit ihrem Mann über den Vorfall, die Leiche, ihre Emotionen o.ä. statt:
Niemand würde ihnen jetzt noch glauben, dass es nur ein Unfall gewesen war. So beschlossen sie also, sofort zu handeln.
Mit den vielen Charakteren und Beziehungen zueinander ist diese Kurzgeschichte ja Grundstock für deutlich mehr. Freue mich auf die Fortsetzung!

Auf bald
MicM
 

Lord Nelson

Mitglied
Hi MicM,

danke, dass du diesen alten Text wieder aus der Versenkung gezogen hast. Freut mich, dass er dir gefällt.

Mir fällt eben auf, dass ich nur selten an Schreibblockaden, dafür aber massiv an “Korrekturblockaden” leide. Auch wenn es mir im Moment unendlich mühsam erscheint, habe ich vor, eure hilfreichen Anregungen in nächster Zeit endlich mal einzuarbeiten.

Deine Kritikpunkte verstehe ich sehr gut. Allerdings war gerade bei dieser Geschichte meine Absicht, die eigentliche Krimihandlung möglichst nur unterschwellig anzudeuten. Der Fokus liegt auf der Ekelsituation mit den Fliegen, als Kontrast zu der vorgeblichen heilen Welt. Eher würde ich also das Gebrumm und Gekrabbel der Schmeissfliegen noch etwas weiter ausbauen wollen. :D

Viele Grüße
Lord Nelson
 

xavia

Mitglied
Hallo Lord Nelson,

diese Geschichte gefällt mir sehr gut! Ich kann mir die Idylle vorstellen, sehe sie vor mir, auch wenn einige Anregungen meiner Vorredner sicherlich noch zu Verbesserungen führen könnten.

Dass das eigentliche Desaster im Kopf der Leserin stattfindet, ist der Clou bei der Sache, ändere nur daran nichts! Gerade das Totschweigen der Sache mit Mike finde ich Unheil verkündend und es ließ mich nach dem beschaulichen Anfang am Ende doch sehr eilig lesen, weil ich wissen wollte, was es mit dem Unheil auf sich hat.

Ja, Edeltraud etwas mehr einzubinden in die Handlung (ist vielleicht ein Busch ein Geschenk von ihr gewesen, der an ihren letzten Besuch erinnert, als noch alles gut war?) kann nicht schaden, da hat mich die Erwähnung ihrer Haarfarbe (beim ersten Mal) irritiert: Was soll ich damit, wenn sie weiter keine Rolle spielt? Dass die Haare dann später leuchten, ist gut, aber dazwischen fehlt etwas, finde ich.

Vielleicht motiviert dich ja das erneute Aufleben dieses Threads, ich würde mich freuen :)

LG Xavia.
 

rag

Mitglied
Hallo Lord Nelson, ich finde Du hast eine gute Geschichte geschrieben. Ein paar Korrekturen wären schön - dann könnte man an einer Verbesserung des Textes teilhaben (eine Sache der Wertschätzung Deiner Kritiker sowieso).
 



 
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