Frank W. und der Schwarze Mann

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Walther

Mitglied
Frank W. und der Schwarze Mann


Der Novemberregen ist ein ungemütlicher Geselle. Die Tropfen stechen ins Gesicht wie Nadeln. Nicht einmal der Hut will so richtig helfen, wenn der Wind die Tropfen verwirbelt.

Es war rasch kälter geworden nach diesem warmen Oktober, der sich meist wie ein Altweibersommer angefühlt hatte. Die Blätter hatten sich zwar verfärbt, besonders den Albtrauf hinauf, aber sie waren an den Zweigen geblieben, immer wieder durchbrochen von ganzen grünen Segmenten. Welch ein schöner Oktober das gewesen war, voll fast unwirklich leichter Beschwingtheit, wie eine geschenkte zweite Jugend.

Plötzlich ist der Himmel aufgerissen, und der fahle Mond wirft diese harten Schatten, die an Scherenschnitte erinnern. Nur die Sonne im Süden, wenn man näher an den Äquator kommt, kann so scharfe Schatten schneiden, bei denen das Auge fast keine Chance hat, den Übergang zwischen gleißend hell und stockdunkel zu finden. Der Strich ist schmal und mitleidlos.

Frank W. geht seine tägliche Runde, die seine Unruhe, den Stress, in gelaufene Meter umsetzt. „Wie sehr der Mensch doch das Fluchttier aus der Savanne in sich trägt!“, murmelt er nachdenklich bei sich. Anspannung und Gefahr führen zu Ängsten und dem Drang, zum Davonzulaufen im wahrsten Sinne des Worts: Nächtliche Panikattacken als Antwort auf die Druckkulissen des Alltags, wer kennt sie nicht.

Nachdem seine Uhr, der Schweizer Chronometer, bereits 22:45 Uhr anzeigt, als er darauf schaut, weiß er, dass in Kürze die ersten Straßenlaternen ausgeschaltet werden. Punkt elf werden sie ausgehen. Dann wird das Terrain noch gespenstischer, als es durch den leisen Herbstregen, dessen Wolken Sterne und Mond verhüllen, schon geworden ist.

Die Tropfen schlagen sanft auf den Stoff des schwarzen Regenschirms, den er aufgespannt hat. Die Brille war benetzt worden, die Tröpfchen hatten an Mund, Ohren und Wangen gezupft. Er ist rasch aufgespannt gewesen. Da, Schlag 23:00 Uhr, gehen die Lampen aus, und die Schatten verändern sich abrupt.

Frank W. geht raschen wiegenden Schritts, den freien Arm zum Schwungholen bewegend. Plötzlich hat er das Gefühl, dass er hinter sich jemand hört. Ein graues Etwas streicht über seine Schultern und bildet sich auf den kahlen Strukturen der Büsche ab. Ein kalter Hauch streicht über die auf einmal mit einem Schweißfilm bedeckte Stirn. Schmatzende Gummisohlen tappen in kleine Pfützen.

Sein Schritt wird ausgreifender und der Atem flacher und schneller. Es bildet sich ein leichtes Drücken in der Magengrube. Die Augen versuchen das Gesehene nachzufahren, der Kopf pendelt wie ein Sucher hin und her, um so das Gesichtsfeld zu erweitern. Die Muskeln spannen sich an, die Gegend wird nach Deckung, die Sicherung, und nach Umrissen, die Gefahrenquelle bedeuten, abgescannt.

Frank W. bewegt sich wie Arnie Schwarzenegger in „Predator“. Es fehlt nur die Kriegsbemalung und die Bewaffnung. Als er um die Ecke biegt, scheint der graue Verfolger ihn zu überholen. Plötzlich, im Licht der nächsten Laterne, fällt der Doppelgänger in sich zusammen.

Die Ruhe kehrt zurück, ein tiefes, nachhaltiges Durchatmen schafft, mehrmalig ausgeführt, Abhilfe beim rasenden Herzschlag. Der Adrenalinausstoß lässt nach, das angespannte Blecken der Zähne wird wieder zum amüsierten Lächeln über sich selbst.

Frank W. lässt die vergangenen Tage Revue passieren. Das Leben war in schwere Wasser geraten. Sich in den Strudeln zurechtzufinden, war beinahe eine Unmöglichkeit. Hin- und Hergerissen zwischen Pflichten und Verpflichtungen, zwischen Ansprüchen und Erwartungen. Es war beinahe ein Rätsel, dass er noch am Stück war, aber das war er nur äußerlich.

Er stapft in den Hohlweg, als die zweite Serie der Laternen ausgeht. Es ist 23:30 Uhr, die Gemeinden sparen. Die Schlagschatten verändern sich aus dem Nichts, was ausgeleuchtet war, fällt ins Anthrazit, das Graue ins tiefe Schwarz. Knirschend hört er einen Fuß den Boden berühren, und wieder steigt die Angst aus den schwarzweißen Wallace-Filmen aus dem Boden die Beine empor.

Die Ängste vermischen sich, die aus der Seele mit denen aus der wirklichen Welt. Der Schwarze Mann wird zum Sinnbild einer Bedrohung, die so umfassend und körperlich spürbar wird, dass Frank W. in einen leichten Dauerlauf fällt. Zu sich findet er erst wieder, als er nach hastigem Schlüsselsuchen zitternd die Wohnungstür aufgesperrt und erleichtert hinter sich zugeworfen hat. Als er in der Küche vor einem Glas Wasser für den trockenen Gaumen auf den Stuhl sinkt, kann er sich nicht einmal erinnern, wo er die letzten Meter entlanggelaufen ist. Der Schweiß rinnt ihm in seine Pofalte, obwohl ein kalter Zug über sein Gesicht zeigt, dass der Herbst in den Winter kippt: In den nächsten Tagen wird er fallen, der erste Schnee.


Das Gedicht zu dieser Geschichte: http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=78761
 
N

nobody

Gast
Eine klassische "Short Story" - wäre da nicht die für meinen Geschmack ein wenig zu lange Herbststimmungs-Einleitung. Trotzdem, Frank W. wird für mich von Geschichte zu Geschichte interessanter - ein entwicklungsfähiger Protagonist.
Gruß Franz

Nachtrag: Wie ich gerade sehe, wurde meine guten Glaubens abgegebene Bewertung "8" heimtückischerweise von einem missgünstigen Programm in eine "fünfkommanochwas" abgeändert. So war das nicht gedacht: Ich bestehe auf der "8".
 

Walther

Mitglied
Hi Nobody,
mein Frank W. "entwickelt sich". Es ist ja erst der vierte Versuch einer Kurzgeschichte. Da hat man(n) noch Luft nach oben, hoffe ich.
Werde den ersten Teil einer Bearbeitung unterziehen und ihn straffen/schärfen. Danke für den Tip.
Gruß W.
 

MarenS

Mitglied
...hmpf...
"...das angespannte Blecken der Zähne wird wieder zum amüsierten Lächeln über sich selbst."
Wieso wieder? Er lächelte vorher nicht.

Zweimal diese Furcht vor dem niemand ist ein bißchen viel.

Ansonsten eine flüssige und sehr anschauliche Geschichte.

Grüße von Maren
 

Walther

Mitglied
Hi MarenS,

danke für Deine lobenden Worte.

Deinen Kritikpunkte verstehe ich nicht. Frank W. ist immer auch ein wenig distanziert zu sich, also Teil des Geschehens und gleichzeitig sich Betrachtender. Daher hat er schwankt zwischen Selbstmitleid, Furcht und Ironie.

Das "wieder" entstand aus diesem Bild.

Gruß W.
 

Walther

Mitglied
Frank W. und der Schwarze Mann


Der Novemberregen ist ein ungemütlicher Geselle. Die Tropfen stechen ins Gesicht wie Nadeln. Nicht einmal der Hut will so richtig helfen, wenn der Wind die Tropfen verwirbelt.

Es war rasch kälter geworden nach diesem warmen Oktober, der sich meist wie ein Altweibersommer angefühlt hatte. Die Blätter hatten sich zwar verfärbt, besonders den Albtrauf hinauf, aber sie waren an den Zweigen geblieben, immer wieder durchbrochen von ganzen grünen Segmenten. Welch ein schöner Oktober das gewesen war, voll fast unwirklich leichter Beschwingtheit, wie eine geschenkte zweite Jugend.

Plötzlich ist der Himmel aufgerissen, und der fahle Mond wirft diese harten Schatten, die an Scherenschnitte erinnern. Nur die Sonne im Süden, wenn man näher an den Äquator kommt, kann so scharfe Schatten schneiden, bei denen das Auge fast keine Chance hat, den Übergang zwischen gleißend hell und stockdunkel zu finden. Der Strich ist schmal und mitleidlos.

Frank W. geht seine tägliche Runde, die seine Unruhe, den Stress, in gelaufene Meter umsetzt. „Wie sehr der Mensch doch das Fluchttier aus der Savanne in sich trägt!“, murmelt er nachdenklich bei sich. Anspannung und Gefahr führen zu Ängsten und dem Drang, zum Davonzulaufen im wahrsten Sinne des Worts: Nächtliche Panikattacken als Antwort auf die Druckkulissen des Alltags, wer kennt sie nicht.

Nachdem seine Uhr, der Schweizer Chronometer, bereits 22:45 Uhr anzeigt, als er darauf schaut, weiß er, dass in Kürze die ersten Straßenlaternen ausgeschaltet werden. Punkt elf werden sie ausgehen. Dann wird das Terrain noch gespenstischer, als es durch den leisen Herbstregen, dessen Wolken Sterne und Mond verhüllen, schon geworden ist.

Die Tropfen schlagen sanft auf den Stoff des schwarzen Regenschirms, den er aufgespannt hat. Die Brille war benetzt worden, die Tröpfchen hatten an Mund, Ohren und Wangen gezupft. Er ist rasch aufgespannt gewesen. Da, Schlag 23:00 Uhr, gehen die Lampen aus, und die Schatten verändern sich abrupt.

Frank W. geht raschen wiegenden Schritts, den freien Arm zum Schwungholen bewegend. Plötzlich hat er das Gefühl, dass er hinter sich jemand hört. Ein graues Etwas streicht über seine Schultern und bildet sich auf den kahlen Strukturen der Büsche ab. Ein kalter Hauch streicht über die auf einmal mit einem Schweißfilm bedeckte Stirn. Schmatzende Gummisohlen tappen in kleine Pfützen.

Sein Schritt wird ausgreifender und der Atem flacher und schneller. Es bildet sich ein leichtes Drücken in der Magengrube. Die Augen versuchen das Gesehene nachzufahren, der Kopf pendelt wie ein Sucher hin und her, um so das Gesichtsfeld zu erweitern. Die Muskeln spannen sich an, die Gegend wird nach Deckung, die Sicherung, und nach Umrissen, die Gefahrenquelle bedeuten, abgescannt.

Frank W. bewegt sich wie Arnie Schwarzenegger in „Predator“. Es fehlt nur die Kriegsbemalung und die Bewaffnung. Als er um die Ecke biegt, scheint der graue Verfolger ihn zu überholen. Plötzlich, im Licht der nächsten Laterne, fällt der Doppelgänger in sich zusammen.

Die Ruhe kehrt zurück, ein tiefes, nachhaltiges Durchatmen schafft, mehrmalig ausgeführt, Abhilfe beim rasenden Herzschlag. Der Adrenalinausstoß lässt nach, das angespannte Blecken der Zähne wird wieder zum amüsierten Lächeln über sich selbst.

Frank W. lässt die vergangenen Tage Revue passieren. Das Leben war in schwere Wasser geraten. Sich in den Strudeln zurechtzufinden, war beinahe eine Unmöglichkeit. Hin- und Hergerissen zwischen Pflichten und Verpflichtungen, zwischen Ansprüchen und Erwartungen. Es war beinahe ein Rätsel, dass er noch am Stück war, aber das war er nur äußerlich.

Er stapft in den Hohlweg, als die zweite Serie der Laternen ausgeht. Es ist 23:30 Uhr, die Gemeinden sparen. Die Schlagschatten verändern sich aus dem Nichts, was ausgeleuchtet war, fällt ins Anthrazit, das Graue ins tiefe Schwarz. Knirschend hört er einen Fuß den Boden berühren, und wieder steigt die Angst aus den schwarzweißen Wallace-Filmen aus dem Boden die Beine empor.

Die Ängste vermischen sich, die aus der Seele mit denen aus der wirklichen Welt. Der Schwarze Mann wird zum Sinnbild einer Bedrohung, die so umfassend und körperlich spürbar wird, dass Frank W. in einen leichten Dauerlauf fällt. Zu sich findet er erst wieder, als er nach hastigem Schlüsselsuchen zitternd die Wohnungstür aufgesperrt und erleichtert hinter sich zugeworfen hat. Als er in der Küche vor einem Glas Wasser für den trockenen Gaumen auf den Stuhl sinkt, kann er sich nicht einmal erinnern, wo er die letzten Meter entlanggelaufen ist. Der Schweiß rinnt ihm in seine Pofalte, obwohl ein kalter Zug über sein Gesicht zeigt, dass der Herbst in den Winter kippt: In den nächsten Tagen wird er fallen, der erste Schnee.


Das Gedicht zu dieser Geschichte: Schattenwanderer
 



 
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