Frau am Fenster

Karinina

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Frau am Fenster

An einem Sommertag, ich würde sagen, es war der Sommertag schlechthin, was mich davon entbindet, ihn näher beschreiben zu müssen, ich meine also so einen Tag, der nicht zu heiß, sondern angenehm warm ist, wo ein sanftes Wehen nicht nur erträgliche Kühle auf der Haut, sondern jenes sachte Blätterrauschen unter den großblättrigen Bäumen hervorruft, das gelassen harmoniert mit würzigem Heugeruch, durchdrungen vom herben Duft des bittergelben Rainfarns, der zu dieser Zeit am Vergehen ist, aber noch nicht so, dass er alles beherrscht wie Wermut, sanft noch, leicht angedeutet nur, an einem solchen Sommertag also saß an einem weißen Gartentisch unter einer übermannshohen Hecke voller leuchtender Hagebutten ein Paar in eine halbrunde Gartenbank gelehnt.

Wenn Sie jetzt erwarten, dass die Frau vielleicht in einer Frauen- oder Modezeitschrift las, dass sie strickte oder einen neuen Kreuzstich ausprobierte, dass sie durch einen Feldstecher die gegenüberliegenden Bergrücken des Vorgebirges musterte oder einfach still dem bewegenden Spiel der Sonne im trägen Wasser der Elbe nachsann, dann muss ich sie enttäuschen. Die Frau tat nichts dergleichen, sie spielte Flöte.

Es war in dem Sinne auch nicht die Frau, die Sie vermuten , es war jenes junge Ding unbestimmbaren Alters, dass noch in Turnhosen und schlecht gefärbten Nickis herum läuft, barfuß natürlich.

Neben ihr an der Bank gelehnt stand ein etwas zerschlissener Rucksack mit einer verwaschenen Schlafdecke malerisch umwunden.

Wie Sie unschwer bemerken werden, habe ich etwas gegen diese Art von Rucksäcken und Schlafdecken. Ich möchte sogar sagen, dass ich etwas gegen diese Art junger Mädchen habe, obwohl ich durchaus nicht abgeneigt bin, ihnen ein gewisses Maß an Bescheidenheit und Intelligenz zuzubilligen, zumal ich, falls ich genauer darüber nachzudenken gezwungen bin, nicht umhin kann, zuzugeben, in meiner Jugend ähnliche Ambitionen an mir bemerkt zu haben.

Ganz sicher aber bin ich mir darin, dass ich zumindest eines nie an mir bemerkt habe: Das Flötespielen.

Wenden wir uns nun aber dem zweiten Teil des Paares zu. Auch hier ein Rucksack ähnlichen Formats, dazu ein Köter, beste Promenadenmischung, mit spitzen, aufgestellten Ohren und leichtem, aufmerksamen Rutenspiel. Er ließ sich gerade das Fell von den ebenfalls bloßen Zehen seines Herrschens kraulen und es war nicht uninteressant zu verfolgen, wie dieses pfiffige Köterchen schwankte zwischen genüsslicher Hingabe und äußerster Aufmerksamkeit- oder besser gesagt- auf dem Sprunge sein.

Das Herrschen schien allerdings tatsächlich zu schlafen, zumindest hatte es die Augen geschlossen und lehnte ziemlich entspannt in der Rundung zwischen Rücken- und Seitenlehne der Gartenbank.

Sein von Schweißflecken verziertes ärmelaufgekrempeltes Oberhemd war ansonsten nichtssagend, auch die graue Tuchhose ohne Bruch zeigte keinerlei Charakteristika, ich meine, an diesem schlafenden Mann lässt sich nichts ablesen, es sei denn, dass das abgekaute Pfeifenende, das aus einem am Gürtel baumelnden verblichenen Lederbeutelschen herausragte, für Sie zu einer entsprechenden Schlußfolgerung führt. Mir sagt es nichts, außer, dass Hundebesitz und Pfeifenrauchen meistens das Synonym für Gemütlichkeit bilden. Von der Richtigkeit habe ich mich noch nicht überzeugt, denn außer diesem Manne am Gartentisch ist mir bisher noch kein solcher Typ begegnet.

Ich gebe aber zu, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit darin liegt, denn Pfeiferauchen erscheint mir zumindest durch die langwierige Prozedur des Stopfens, zum Brennenbringens und danach wieder des Reinigens gemessen an der kurzen Zeit des Genusses, des eigentlichen Rauchens, tatsächlich eines außerordentlichen Charakters zu bedürfen, einer stoischen Ruhe, einer gewissen exzentrischen Gelassenheit möchte man fast sagen.

Ich habe keine Ahnung, ob solche Männer verheiratet sind und wie ihre Frauen darauf reagieren, aber, wenn ich ehrlich bin, wäre ich nicht abgeneigt, die Bekanntschaft eines solchen Herren zu machen. Aber ob er auch meine Bekanntschaft zu machen wünschen würde, sei dahin gestellt...

Ich fürchte, ich halte Sie länger bei diesem Thema auf, als gut für den Fortgang unserer Geschichte ist, die ja eigentlich noch gar nicht begonnen hat, wenn man davon absieht, dass zumindest zwei Menschen und ein Hund an einem Sommertag gemeinsam auf einer Gartenbank sitzen. Es muss also durchaus vorher etwas passiert sein, der diesen Umstand herbeigeführt hat, ja es kann durchaus so sein, dass wir im allerletzten Zehntel in die Geschichte eingestiegen sind, dass wir uns quasi am Ende befinden, was nicht ganz von der Hand zu weisen ist, wenn ich Ihnen sage, dass der Mann, schlafend aber mir bloßen Zehen seinen Hund kraulend, keineswegs, wie zu erwarten war, ein jungen Mann ist, sondern im Gegenteil sich in der Mitte des Lebens befindet, oder schon ein gut Teil darüber hinaus.

Sein Haar ist grau, die Haut um Augen und Nase zerknittert, unter dem Kinn faltig wie die Lappen eines geckenhaften Hahns, die Handrücken tragen die typischen braunen Flecken auf weißlichem Grund.

Übrigens machen die Hände des scheinbar schlafenden Mannes einen geradezu hilflosen Eindruck, sie scheinen „entseelt“ zu sein, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, und damit hätten wir zumindest festgestellt, dass , falls es nur ein vorgetäuschtes Schlafen ist, der Mann zumindest intensiven Gedankengängen nachhängt, die ihn- geistig gesehen- aus seinem Körper hinweggetragen haben.

Denn das dieses Flötenspiel Anlass zu tiefstem Kunstgenuss sein soll, wage ich energisch abzulehnen. Es macht eher den Eindruck von Stümperei, wenn ich auch nicht leugnen will, dass ich noch nie eine Vorliebe für dieses Instrument als Soli in der freien Natur hatte, aber das, was dieses junge Ding daraus machte, war tatsächlich alles andere als geeignet, Wohlempfinden zu erzeugen, obwohl sie es anscheinend anzunehmen schien, denn sie legte die Flöte sehr sorgfältig und andächtig neben das Etui auf den Tisch und begann unter halb gesenkten Lidern ihren schlafenden Nachbarn zu betrachten und, das sage ich mit Genugtuung, sie schien enttäuscht von der Wirkung ihres Spiels, denn die emphatische Versunkenheit wisch nicht von ihm, was eindeutig darauf schließen ließ, dass er gar nicht „bei der Sache“ gewesen war.

Hinter dem Hagebuttenbusch allerdings klatschte es, der Köter fuhr bellend auf und raste, mit einem tollen Sprung über einen grandiosen Feldstein setzend, am Gebüsch entlang.

„Hello“, tönte es hinter dem Gebüsch hervor., „biste Jahrgang 67?“
„Blödmann!“ sagte das Mädchen und setzte sich etwas gerade.
„Penne?“
Schweigen.
„He, biste 10te?“
„Lass das“, sagte es ärgerlich und steckte nun die Flöte ins Futteral und in eine Seitentasche des Rucksacks.

Der Hund kam, immer noch kläffend, wieder zurückgeschossen und bog vom anderen Ende her um das Gebüsch.

Die Hände des Mannes belebten sich, er wurde wach.

„Schöner Tag“, sagte er aufgeräumt und nestelte am Pfeifenbeutel, das junge Ding aber stand auf und griff nach dem Rucksack, es schmollte sichtlich, er merkte es sofort, stand ebenfalls auf, streckte sich genießerisch und pfiff nach dem Hund.

Inzwischen hatte sich die ruhige Landschaft belebt, ein Schäfer samt Herde und zwei Hunden kam aus der Flussbiegung herauf gezogen in Richtung Pfersch und Schäferkarren, der still und verlassen im Sonnenlichte mitten im saftigen Grase fast am Ufer des Flusses stand.

„Überleg es dir“, sagte der Mann, während er nun doch seine Pfeife ansteckte, „ich würde nochmal drüber nachdenken, du hast verdammt viel Zeit vor dir, meine Honigbiene..!“

„Lass das,“ sagte sie nun schon erbittert, sie huckte den Rucksack auf und marschierte los, aus der Gartentür heraus, der Schafherde entgegen, dem Flusse zu.

„Du Trottel, bissel gescheiter hättste es schon anstellen können“, schimpfte der Mann.

„Die will einfach nischt“, kam es aus dem Gebüsch, „die is harte verpackt, pass uff, die geht über Leichen.“

‚Ja, über meine’, dachte der Mann, spuckte aus, kaute wieder auf der Pfeife herum und ging, zwar zögernd, aber nun doch endlich der Jungfer hinter her...

„Ich liebe dich“, sagte das Mädchen ein Stück weiter am Fluss hinauf und schob ihre Hand in die des Mannes.

„Ach du Zuckerschnäuzchen!“ sagte er.
„Ich bin kein Zuckerschnäuzchen und nichts von den Dingen, die du kennst.“
„Vielleicht aber ein Holzbock?“

„Lass das“, sagte sie, „wo schlafen wir heute?“
„Auf der siebten Wolke gleich hinter der Cassiopaia“
„Du verwöhnst mich.“
„Das ist der Fluss. Und die Sonne. Und dieses Dings da, dass du Flöte nennst.“

So tendelnd gingen sie den Fluss weiter entlang, der Köter tollte im hohen Grase und scheuchte die Wildenten auf, der Wind wurde stiller und stiller, je weiter sich der Abend andeutete , und die Geräusche vom Fluss nahmen zu.

Manchmal kam ein Boot entlang getrieben, hin und wieder auch eines mit Motor und bunten Fähnchen am Verdeck, eine laue Abendkühle schien mit einem feinen Nebel vom Fluss in die Wiesen zu treiben, sacht, unaufdringlich, aber spürbar.

Irgendwo, dort, wo die Wasser des Flusses hinzutreiben schienen, träge zwar, aber stetig, stand eine Frau am Fenster ihrer Neubaustadtwohnung, Plüsch, Leder und neueste Möbel um sich, und blickte auf den Fluss hinaus. Der Verdruss, der sich in meinen Worten andeutet, ist Ihnen sofort verständlich, wenn ich Ihnen zu verstehen gebe, wer diese Frau ist, die da steht und wartet. Oder wie man diesen schwebenden Zustand einer zum Fenster hinaus blickenden Frau auch benennen soll, diese Frau nämlich, durchaus etabliert, schon allein der Kronleuchter mag seine 15.000 wert sein, von den Bildern und Büchern an den Wänden und dem Silber und Porzellan im Schrank ganz zu schweigen, diese Frau im Negligee, rosafarben lackierte Zehen- und Fingernägel, schwach getöntes Puder im Gesicht, rötliches Haar, ein paar mattschimmernde Runzeln um Augen und Nase, also gar nicht aufdringlich, sehr dezent, wenn Sie wissen, was ich meine, diese Frau also bin ich.

Und ich könnte nun fortfahren und Erklärungen abgeben, ob,und in welcher Beziehung mich die Geschichte des am Flusse entlang gehenden , anscheinend ineinander verliebten und so ungleichen Paares- oder besser Trios- falls Sie den Köter akzeptieren- was ich Ihnen durchaus in Anbetracht der Rolle, die er noch spielen wird- durchaus anraten würde- also ob und warum mich die Geschichte etwas angeht.

Da ich Sie aber besser kenne, als Sie zugeben wollen, spare ich mir das, denn Sie wissen längst, um was es sich handelt: entweder um Ehebruch- immerhin das Wahrscheinlichste- oder aber um Kindesentführung. Und damit hat meine Geschwätzigkeit ein Ende. Hier passe ich. Ich stecke auf oder so. Ich halte mich raus. Ich stehe so gut hinter meiner Plauener Klöppel-Spitzengardine, warum soll ich mich aufregen. Addios. Bis bald. Tschüß. Schlafen Sie gut, liegen Sie bequem....

Sie wollen es trotzdem wissen?

Mein Jugendtraum...Der Köter übrigens biss mich beim beginnenden Liebespiel ins Bein. Ich kam ins Krankenhaus und schließlich ins Bett meines Jugendzimmers im vertrauten Umkreis meiner Familie.
 



 
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