Frauenwelt

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Anonym

Gast
Als ich den Raum betrat, roch es erschreckend sauber, so dass ich schon fast instinktiv die Flucht ergreifen wollte. Hier sollten Kinder spielen können? Ich war immer der Meinung, Freiheit im Spiel könne sich nur dort entfalten, wo sich nicht diese von pedantischen Hausfrauen geforderte porentiefe Reinheit breit machte. Aber offensichtlich lag ich hier falsch. Das merkte ich gleich, als ich Anna betrachtete, wie ich sie mit schokoladeverschmiertem Mund und einem ebenso braunen T-Shirt, von der Hose ganz zu schweigen, neben ihrer Freundin Sophie, adrett im Rüschenkleidchen mit Biedermeierfrisur, sich um ein Bilderbuch streiten sah.
Die anwesenden Damen sahen mich etwas irritiert an. Ich hatte sie zuerst gar nicht bemerkt. Das Gespräch war abgebrochen. Ich grüßte leger mit „Hallo!“ und sah mich dezent nach Kollegen um. Der Raum war irre hoch und fast schon war ich dabei, die Fußbodenwachskonzentration in diesem Raumvolumen zu berechnen - der Geruch peinigte meine Nase. Rechts hinten befand sich eine Kaffeeküche - auch nicht schlecht, dachte ich, dann bemerkte ich nur noch Wände, erschreckend kahle Wände und weit und breit kein männliches erwachsenes Wesen. Auf dem Fußboden vor mir krabbelnde, kriechende, hopsende Kleinkinder, männlichen und weiblichen Geschlechts, aber ich stand allein auf weiter Flur. Da ich nicht der Typ bin, der gleich wieder den Rückzug antritt, setzte ich mich forsch auf den freien Stuhl am Tisch der Mütter, stellte mich vor.
„Hallo, ich bin der Wolf!“, erntete ein „Aha!“ und meinte, ganz leise ein gekichertes „Und wir die sieben Geißlein“ gehört zu haben, aber ich hatte mich wohl getäuscht, denn es blieb alles ruhig und in die Stille hinein tickte nur nervöses Nadelgeklapper. Eben dieses Geräusch machte mich fertig. Damit hatte ich nicht gerechnet. Es erinnerte mich in dem hier potenzierten Klacklack unangenehm an Mama und die nächsten Tage. Frauen schienen eine universelle Geheimsprache der Nervenzerrüttung zu beherrschen. Ich überlegte angestrengt, aber strickende Männer tauchten in meinem Bekanntenkreis nicht auf, nicht einmal im Büro fand sich ein Mann, der seine Pausen mit Nadelgeklapper verbringen würde. Ich versank in philosophischen Betrachtungen über den Sinn dieser Beschäftigung. Die meis-ten strickenden Frauen trugen selbst niemals Gestricktes. Was mochte der Grund sein? Bestrickten sie lediglich ihre Familienangehörigen? Ich wurde den dumpfen Verdacht nicht los, dass es sich dabei lediglich um eine Beschäftigung handelte, die den Hausfrauen eine gewisse Daseinsberechtigung gab, denn ein arbeitender Mensch hatte das Ergebnis seiner Arbeit jeden Tag auf der Hand und war aus diesem Grund nicht auf diese stupide Nadelklapperei angewiesen. Deshalb gab es keine strumpfstrickenden Direktoren oder topflappenhäkelnden Manager, alles klar.
„Ihre Frau ist in Urlaub gefahren, nicht wahr?“, riss mich schließlich eine langhaarige Schwarze aus den Gedanken und nahm das unterbrochene Gespräch wieder auf. Bevor ich in die Verlegenheit kam irgendetwas erklären zu müssen, meinte eine dicke Blonde:
„Und da haben Sie Ihre beiden Kleinen mal ganz für sich!“
Da dies unbestreitbar eine Tatsache war, fiel mir darauf auch nichts Neues ein und ich nickte, wollte gerade den Mund zu einem „Na ja“ auftun, als mir die Braungelockte ins Wort fiel und lächelte:
„Das ist sicher nicht einfach, oder wie kommen Sie mit zwei Kindern und dem Haushalt zurecht?“
Gute Frage, dachte ich.
„Also, mein Mann hat das nur einmal einen Tag lang machen müssen, weil ich einen dringenden Arzttermin hatte, aber man glaubt nicht, wie hinterher die Wohnung aussah!“, entband mich die Schwarz-haarige einer Antwort, während die Blonde kicherte, als hätte sie den besten Witz ihres Lebens gehört, und die Gelockte hinzufügte: „Tja, wenn man so völlig ahnungslos damit fertig werden muss, ich kann mir das nichtleicht vorstellen.“
„Keine ruhige Minute hätte ich da, wenn ich weg wäre“, fiel ihr die Blonde ins Wort.
„Männer haben halt keinen Draht für Kinder und Haushalt!“, meinte der bis dahin stummgebliebene Liza-Minelli-Verschnitt in der Ecke. Mein Blut kam in Wallung, hier hatte ich wohl keine Chance, einmal zu Wort zu kommen. Die Wortbälle flogen von einer Frau zur anderen, wurden geschickt auf-gefangen und sofort einer anderen Mitspielerin zugeworfen, über meinen Kopf hinweg, wie bei „Fang den Ball“, nur dass die Bälle so unverschämt schnell flogen, dass ich noch gar nicht begriffen hatte, in welche Richtung sie zielten. „Männer!“ verächtlich flog dieser Ball hoch über meinem Kopf. Jetzt wurde es mir aber zu bunt, und energisch setzte ich zu einem Konter an, griff mir im Vorbeischwirren den Wortball geschickt mit der Linken, drehte mein Handgelenk, um den Wurf in die Gegenrichtung zu lancieren.
„Was heißt hier Männer?“, versuchte ich mich einzuschalten, aber die Schwarzhaarige war bereits weiter, ein ungeahndetes Foul, sie kicherte, siegessicher. Dabei neigte sie den Oberkörper, als wollte sie hinter ihrem Kichern herhüpfen. Es war ihren Lippen entschlüpft, und sie warf ihre Haare nach hinten, die ihr bei ihrem unerlaubten Zugriff ins Gesicht fielen. Der Ball flog bereits wieder.
„Bei uns würde alles drunter und drüber gehen, mein Mann weiß ja noch nicht einmal, wo die Biergläser im Schrank stehen.“
Der Ball flog, jagte über die Aus-Grenze, erreichte das Zenit, wurde unfassbar, landete irgendwo für mich ungreifbar in weiter nebelhafter Ferne. Ich war sprachlos. In welchen Kreisen verkehrte denn meine Frau? Von ihren Schilderungen hatte ich bisher einen ganz anderen Eindruck von diesen Krabbelgruppenfrauen, oder hatte ich wesentliche Informationen nicht erhalten? Ich zerwurstelte mein Hirn nach verwertbaren Aussagen Evas, aber die Kluft blieb riesengroß. Ich fasste es nicht. Das sollten die gleichen Frauen sein, die sich so engagiert für den neuen Spielplatz hinter den Schlosswiesen eingesetzt hatten, die sich nicht scheuten, in aller Öffentlichkeit die Praktiken der Stadtverwaltung bloßzu-stellen, die klammheimlich ein als Spielplatz geplantes Grundstück als Baugrund einem finanzkräftigen Interessenten abtrat? Das waren die Frauen, die sich einsetzten für Gleichberechtigung, für die Gleichstellung des Hausfrauenberufs mit anderen Berufen? Diese Frauen forderten einen Hausfrauenlohn? Diese Frauen sollten diese als „Emanzen“ verschrieenen Aktivistinnen sein? Ich konnte das nicht glauben.
„Sie sind doch Frau Buholz?“
Sicher lag jetzt der Ball in meiner Hand und ganz ruhig warf ich ihn zu der Schwarzhaarigen, die, wie ich mich zu erinnern vermeinte, der intellektuelle Teil dieser Gruppe war. Eva hatte mir irgendwann mal von einer Frau erzählt, die auch schriftstellerisch tätig war und ihrer Beschreibung nach musste die Langhaarige das wohl sein.
Der Ball kam an.
„Ach, Sie kennen mich?“, richtete sie sich jetzt auf, neigte den Oberkörper nach vorne, die Haare folgten der Bewegung und sie sah mich an.
„Sicher aus der Zeitung!“, mutmaßte die Dicke, der ich jetzt wegen unerlaubten Ballbesitzes am liebsten einen Tritt gegen das Schienbein versetzt hätte. Sie musste es spüren, denn sie wandte sich sofort mir zu:
„Frau Buholz schreibt nämlich Gedichte!“
„Büttenreden lese ich nie!“ Geschickt flog der Ball ins gegnerische Tor, und ich handelte mir mindestens zwei giftige Blicke von Frau Buholz ein, die fortan auch kein Wort mehr mit mir wechselte. Anscheinend galten hier nicht die offiziellen Spielregeln, mein einwandfreier Schuss, der für den Ausgleich sorget, wurde nicht anerkannt. Kein Schiedsrichter, keine Beschwerden! Es war ein ungerechtes Spiel, die Damenmannschaft spielte einwandfrei mit Heimvorteil.
Das verurteilte mich zusehends zum Zuhören. Frau Buholz war die Gesprächsmacherin. Sie schnitt ein Thema an, spielte gezielt ab, umkreiste ihren Gegner und schnappte souverän den Ball vor dem gegnerischen Zugriff. Die Dicke, die Blonde und die Gelockte mühten sich hinterher, wurden ständig behindert, der Libero wollte seinen Ball, den er galant im Slalom zum anvisierten Ziel brachte. Mittlerweile lief das Spiel ohne mein Zutun. Ich saß auf der Strafbank und wartete auf meinen Einsatz, der gerech-terweise doch auch irgendwann einmal kommen musste. Das Gespräch kam jetzt, wie sollte es auch anders sein, auf das Thema Schwangerschaft und Geburt, wo ich nun schon rein biologisch in keinster Weise kompetent war. Ich empfand die drohende Niederlage, die Demütigung des Fußballspielers, der gegen eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit alleine steht und sich nun nicht mehr anders zu helfen weiß, als die totale Offensive anzugehen. Ich änderte also meine Taktik. Schließlich hatte ich auch eine Frau und zwei Kinder. Schwangerschaft und Geburt, das brauchten sich diese Frauen gar nicht einzubilden, war längst kein frauenspezifisches Thema mehr, beschloss ich, rutschte in meinem Stuhl etwas nach vorne auf die Kante, beugte den Oberkörper vor und signalisierte Gesprächsbereitschaft. Meine Körpersprache wirkte Wunder. Frau Buholz klappte gerade den Mund zu und die Dicke sah mich erwartungsvoll an. Mein Auftritt war gekommen. Ich beschrieb ausführlich die beiden von mir erlebten Schwangerschaften, mein Vater-Werden und die völlig neuen Erfahrungen bei der Geburt meiner beiden Töchter. Wie unabsichtlich ließ ich hier und da medizinische Begriffe fallen und streute wissenschaftliche Forschungsergebnisse in meine Schilderungen ein. Beim Übergang von der Eröff-nungs- zur Pressphase starrten mich vier Augenpaare an, als hätte ich soeben Landesverrat begangen und sei das abscheulichste Wesen, das es weit und breit gab. Die Stimmung war ausgesprochen feindlich.
Ich tat, als ob ich das alles nicht merkte. Das war jetzt mein Spiel, ich war mein Libero, Verteidiger, Stürmer, Schiedsrichter in einem. Leichthin lenkte ich das Gespräch von der Geburt über Nachgeburtsdepression hin zu erziehungsphilosophischen Fragen. Niemand unterbrach mich. Schließlich meinte Frau Buholz lediglich:
„Ist ja interessant.“
Eisern schwiegen die Frauen, klapperten verbissen mit ihren Stricknadeln, was mich jetzt irgendwie an Klapperschlangen erinnerte, während irgendwo im Raum die Kids kreischten.
Ich kam mir blöd vor und ich merkte auch, dass die Frauen es nicht mochten, wenn sich plötzlich ein Mann in eine Domäne drängte, die sie bisher unangefochten als ihre ureigenste betrachtet hatten.
Dabei war ich echt der letzte, der ihnen hier was wegnehmen wollte. Was sollte das Geschwätz von Emanzipation, wenn man, besser: frau nicht bereit war, im Gespräch Territorium abzutreten und die Männer auch mal was gelten zu lassen.
Mir waren Kochtöpfe schnuppe, aber diese Frauen betrachteten sie als ihren ureigensten heiligen Besitz, in den kein Mann seine Nase stecken durfte. Und was ich noch schlimmer fand, dieses Getue mit der Schwangerschaft und der Geburt. Warum sollte ich da nicht mitreden dürfen? Für mich bedeuteten diese Dinge auch Einschnitte im Leben und völlig neue Erfahrungen. Mit meiner Psyche hatet sich in dieser Zeit keiner befasst. Dabei war das gar nicht so einfach, plötzlich zu begreifen, dass da so ein kleines Bündel Etwas so viel zu melden hatte auf einmal.
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Anonymus,

die parallel laufende Sicht der Dinge aus der fußballerischen Perspektive finde ich sehr gelungen. Die Isolation und real empfundene Diskriminierung des Vaters lassen in meinen Augen die teils machohaft anmutenden Äußerungen gerade noch gelten, aber das Stricknadelgeklapper halte ich für absolut unrealistisch. In meinen drei Jahren Krabbelgruppenerfahrung tauchte keine einzige Mutter mit diesen vom Aussterben bedrohten Werkzeugen auf. Das macht es für mich irgendwie unglaubwürdig, überzogen.

Gruß

Elke
 

Anonym

Gast
Hallo Elke,
vielen Dank für deinen Beitrag. Ich dachte eigentlich, dass weder die strümpfestrickenden Frauen noch die machomäßigen Männer wirklich der Realität entsprechen. Manchmal gibt es solche und meistens sind ja eigentlich alle Menschen ganz nett. Das Stilmittel der Satire ist die Übertreibung. Ich nutze es gerne. Und noch was zum Stricken: das ist eine sehr ansteckende Beschäftigung – die schönen dicken Kuschelschals dieses Winters habe ich bei mehreren Frauen in Arbeit gesehen.
Grüße
 

ENachtigall

Mitglied
Satire und Stricken,

die Übertreibung als Stilmittel der Satire; ja, daran zu sparen wäre widersinnig. Die Fußballebene finde ich, in ihren Ausschweifungen und Details, auch wirklich zum Piepen. Nur die strickenden Mütter haben mich einfach nicht zum Lachen gereizt, was ich schade finde für den sonst so gelungenen Rest. Kein Zweifel: es gibt sie noch, "die mit den Nadeln klappern". Wahrscheinlich hatten sie gerade "Endlich Nichtraucher" gelesen, Deine Schalstrickerinnen!

Amüsiert grüßend

Elke
 

Anonym

Gast
wie schlecht?
kann bon das präzisieren? vielleicht an beispielen?
 
M

Melusine

Gast
Ich finde es gut geschrieben, aber anachronistisch. Lass es vor zwanzig Jahren spielen, A.

LG Mel
 

Anonym

Gast
Hallo melusine,
was meinst du mit "anachronistisch"? In welcher weise sollte ich was ändern?
 
M

Melusine

Gast
Die Zeit in der es spielt. Denn es scheint sich ja um die Gegenwart zu handeln. Die strickenden Emanzen passen besser in eine frühere Zeit, denke ich. 20 Jahre reicht eher nicht. Mach 30 draus.
 
M

Melusine

Gast
Nein, warte... stimmt nicht. Vor dreißig Jahren kriegten Emanzen keine Kinder. Na wie auch immer.
 

Anonym

Gast
hallo melusine,
ich habe mir den text nochmal angesehen. Ich finde es schwierig in irgendeiner weise anzudeuten, in welcher zeit die geschichte spielt. Die frage ist doch: muss diese information im text enthalten sein oder findet man dies nicht intuitiv, so wie du das ja eigentlich getan hast?
 

GabiSils

Mitglied
Hallo A.,

das Gefühl der Unstimmigkeit liegt wohl daran, daß der Text im Präsens geschrieben ist und sehr "nah" wirkt, damit assoziiere ich automatisch auch "zeitnah". Insofern wäre ein Hinweis nicht schlecht, zumal der Text m.E. anders wirkt, wenn er heute spielt und nicht in den "passenden" Siebzigern.

Gruß,
Gabi
 

Anonym

Gast
hallo gabi,
ich habe den text zeitlich angepasst - vielleicht liest es sich jetzt doch anders?
 

Anonym

Gast
danke, bixbit für den beitrag, ich habe mich bemüht die ironie nicht zu plakativ werden zu lassen.
 



 
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