Freiheit

sylvanamaria

Mitglied
Schiffe entführen mich in vergangene Zeiten: Bildern von Segelschiffen wie Schoner, Brigg, Bark; Zwei-, Drei-, Viermaster. Stolz geschwellte Segel, Schaumkronen vor dem Steven, knarrendes Holz, das Klatschen des Segeltuchs, das Rauschen des Windes in der Takelage und in den Tauen. Wellen tanzen vor dem Bug. Delphine und Wale begleiten kurzzeitig den Weg des Seglers. Andere Schiffstypen haben zweckmäßige Namen: Tanker, Frachter, Lastkahn, Dampfer, Kreuzschiff. Aber wenn ein Schiff gemeint ist, dann kann dies in meinen Augen nur ein Segler sein. Schiffe wie diese sind in unseren Zeiten selten geworden. Sie frönen dem Hobby und dem Vergnügen ,nicht mehr dem Broterwerb und dem Transport von Gütern, Lasten und Personen. Die Zeiten, in denen Wind und Wetter entscheidend über Transportwege und –länge bestimmten, sind weitestgehend vorbei.
Die Faszination ist geblieben Vieler und weniger Traum mit einem Segelschiff die Weiten der Meere zu erkunden und zu erobern. Das Gefühl von Freisein spüren –wenn auch nur kurz.
Aber hält diese Faszination dem Alltag stand ? Ein Segelschiff voran zu bringen bedeutet harte Arbeit. Kraft ist gefragt und Aufmerksamkeit –24 Stunden am Tag. Der Wind ist der Motor und kann nicht beeinflusst werden. Ein Schiff kann auf den Wellen reiten und fliegen oder mit schlaffen Segeln in der See vor sich hindümpeln. Stürme können die Takelage zerfetzen und die Masten brechen lassen. Und doch gibt es wohl kaum einen schöneren Anblick als ein unter vollen Segeln laufendes Schiff, dass über dem Wasser zu fliegen scheint. Teil dieses Bildes zu sein ist der Wunschtraum vieler junger Leute, die aber oft die Gefahr und die Härte der Arbeit unterschätzen. Segeln ist kein Spiel, sondern oft ein steter Kampf mit den Elementen, oft auch um Leben und Tod.
Ich hatte schon immer den Wunsch, eine Fahrt mitzuerleben und fuhr einen kurzen Segeltörn mit als Passagier.. Betreten hatte ich schon des öfteren ein Segelschiff. Von ihrem oft imposanten Äußeren durfte man sich nicht täuschen lassen, denn auf dem Schiff selbst herrschte oft eine entsetzliche Enge; die Privatsphäre auf ein Minimum beschränkt. Platz war knapp und kostbar in allen Lebenslagen wie persönliche Hygiene, Essen, Kochen, Schlafen. Arbeit bestimmte das Leben der Seeleute und das Wohl der Fracht stand oft genug über dem der Passagiere und der Mannschaft.
Faszinierend und atemberaubend waren die Bewegungen des Seglers auf den Wellenkämmen und in den Wellentälern. Wie auf dem Rücken eines riesigen Pferdes, das durch das Gelände
jagt und permanent Hindernisse überspringt. Nichts für schwache Mägen. Begleitet vom Knarren der Taue, der schnellen Segelkommandos und dem Knattern des straffgespannten Segeltuchs im Wind. Viele Hände waren nötig, um mit Muskelkraft die Segel zu reffen oder der Segelrichtung anzupassen. Höhenangst war fehl am Platze in der schwindelerregenden Höhe der Wanten. Handarbeit der alten Schule. Teamarbeit war gefragt. Ein Fehler konnte fatale Folgen in dem Gefüge der Rahen haben. Das Meer ist gefräßig und bei der Schnelligkeit eines guten Segelschiffes. Ist es fast unmöglich einen über Bord gegangenen Mann zu retten – besonders bei stürmischen Wetter. Ein Passagier selbst hat nur mit der entsetzlichen Enge des Schiffes zu kämpfen, sofern es sich nicht um einen Luxussegler handelt. Die harte Arbeit bleibt ihm erspart. In den Kabinen ist kaum Platz für zwei Kojen und einen Waschtisch. Die meisten Männer wuschen sich an Deck; für Damen war dieses Verfahren leider nicht möglich- bei längeren Überfahrten durchaus ein Problem. Nicht der Passagiertransport war der ursprüngliche Hauptzweck der Segler, sondern die Frachtgutverschiffung. Daher ist der meiste Raum den Gütern vorbestimmt, je mehr Fracht beim Einkauf, desto mehr Geld beim Verkauf. Oft genug ging dies zu Lasten der Sicherheit und des Platzes für die Menschen. Ich konnte dieses Gefühl spüren. In den Kabinen ließ es sich kaum aus halten. Die Luft war stickig. Die Rollbewegungen de Schiffes waren stärker als an Deck zu spüren. Der kleine Raum schwankte hin und her. Alles, was nicht fest verankert war, bewegte sich im Takt der Wellen. Es war fast dunkel, da die kleinen Bullaugen kaum Licht hinein ließen.
Mich zog es aufs Deck. Der Wind t sauste in den Ohren, Gischt spritzte bis über die Bordwände. Der Tag war sonnig und das Kreischen der Möwen begleitete uns noch weit bis wir die Landnähe verließen. Die Luft roch salzig und war erfrischend. Die Weite des Meeres vermittelte ein Gefühl von Freiheit und Freisein. Ich hätte vor Glück schreien und jubeln können. Ich war froh, eine andere Welt kennen zu lernen, die mich diese Gefühle lehrte. Die ursprünglichen Passagiere von Segelschiffen hatten wohl eher das Gefühl von Entbehrungen, Hunger, und Einsamkeit. Die Beweggründe ihrer Fahrten waren eher existentieller Art. Ich empfand nur Freude und Lust am Leben und an der Momentaufnahme. Das Leben setzt sich aus vielen Momenten zusammen, es liegt an uns selbst, wie wir diese empfinden.
Diese Fahrt war einfach nur schön und jeder einzelne Eindruck – das Meer, die Möwen, die Wellen, der Wind, die Luft, der Himmel, der Segler –hinterließ ein Glücksgefühl in mir. Ich liebte das Schiff, das sich unter mir wie ein großes Muttertier bewegte und seine Gerüche von
Holz, Teer, Segeltuch, Tang verströmte. Ich liebte die Geräusche und Laute auf und im
Schiff –Knattern, Knarren, Knallen, Ächzen –so laut manchmal, dass kein anderer Ton mehr in den Ohren Platz hatte. Ich liebte den Salzgeruch des Meeres, vermischt mit Tang und den Gerüchen, die der Wind brachte. Die kurzen knappen Kommandos des Maats und die schnellen präzisen Ausführungen der Mannschaft Hand in Hand arbeitend. Schnell und effizient, um den großen Riesen mit seinem eigenen Willen zu beherrschen. Fließende Schiffsbewegungen wechselten sich mit eckigen bockigen ab, wenn der Wind sich drehte. Es war faszinierend, wie ein derart großes Schiff von relativ wenigen erfahrenen Seeleuten gesteuert werden konnte – ein Kunststück abhängig von den Launen der Naturgewalten.
Drei Tage dauerte mein Törn. Ein ständiges Auf und Ab. Ein stolzes Gefühl erfüllte mich, ein Teil gewesen zu sein – wenn auch nur für kurze Zeit. Wieder an Land hatte ich Mühe, den Boden als Ganzes anzusehen und nicht immer die Rollbewegungen ausgleichen zu müssen. Braungebrannt, entspannt und befreit von vielen inneren Lasten kehrte ich heim mit der Erkenntnis der Gewaltigkeit von Wasser, Wind und Natur, der Kleinheit des Menschen dazu im Gegensatz und der Lebendigkeit des eigenen Seins.
 



 
Oben Unten