Freunde

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MIO

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Das Leuchten des vollen Mondes wirft einen kühlen Schatten auf das Ufer des gefrorenen Sees. Der Himmel streuselt winzige weiße Flocken über die kahlen Zweige der Bäume.
Die Gefahr witternd richtet sich der Hund auf, lauscht und kriecht tiefer ins Unterholz.
Diesmal sind es Vier. Das Johlen und Pfeifen gellt ihm in den Ohren. Wieder kommen sie nicht mit leeren Händen. Sie sind mit Stöcken, Steinen und Eisstückchen bewaffnet.
„Da ist die dreckige Töle“, schreit einer der Jungen.
Ein kantiger Eisbrocken trifft den Hund am Kopf. Er jault auf und blickt betäubt um sich. Winselnd stolpert er durch das dichte Brombeergestrüpp. Ein kräftiger Hieb trifft ihn am Hinterlauf. Er hinkt weiter, kommt ins taumeln, verliert die Balance und bleibt erschöpft liegen. Gnadenlos schlagen Danny, Rico, Finn und Marc auf ihn ein.
Irgendwann lassen sie von ihm ab, lachen, zünden sich eine Zigarette an und gehen in Richtung Ufer.
„Scheiße, ich hab meinen Schuh verloren“, flucht Rico.
„Ich hab ihn“, grölt Danny.
„Gib her du elende Sau.“
„Schnapp ihn dir.“ Danny tänzelt mit dem Schuh vor Rico herum. Dann holt er weit aus und wirft. Der Schuh fällt mit einem dumpfen Geräusch auf die Eisfläche.
„Bist du verrückt! Weißt du was der Schuh gekostet hat. Mein Vater bringt mich um, wenn ich ohne den Schuh nach Hause komme.“
Vorsichtig, ein Bein vor das andere schiebend, betritt Rico die Eisfläche. Etwa zwei Meter noch, dann hat er seinen schwarzen Puma wieder. Es knackt leise. Rico schreckt zusammen. Er hält den Atem an und schlittert weiter.
„Du musst dich hinlegen!“, schreit Danny.
„Halts Maul, du Assi.“
Ein unheilvolles Knacken schnellt über den See. Rico bückt sich und greift nach dem Schuh. Es knackt lauter. Nochmal und nochmal. Das Eis bricht. Rico gibt einen ohrenbetäubenden Schrei von sich und versinkt bis zur Schulter im eisigen Wasser. Hilflos rudert er mit den Armen. „Scheiße ist das kalt. Helft mir!“
„Lasst uns abhauen!“, brüllt Danny.
Wie von Sinnen rennen die Jungen davon, während Rico, in einer Hand den Schuh haltend, sich mit der anderen an den Eisrand klammert, der wieder und wieder zerbricht.
Der Hund hebt den Kopf. Mit der rauen Zunge leckt er sich das Blut von den Lippen.
Langsam geht er auf den mit glitzernden Flocken übersäten See zu. Er setzt seine Pfoten auf das Eis, tapst vorwärts, legt sich auf den Bauch und kriecht hechelnd zu Rico.
Seine warmen, vom Alter getrübten Augen blicken in die angstvollen, entsetzten Augen des Jungen, als wollten sie sagen; halt dich fest. Vertrau mir.
Rico zögert. Tränen laufen ihm die Wangen herunter. Stöhnend krallt er die blau gefrorenen Finger tief in das helle dichte Fell des Hundes. Seine Zähne schlagen laut klappernd aufeinander. Mit letzter Kraft schleift der Hund den Jungen ans steinige Ufer.
Rico umklammert zitternd den warmen Körper des sterbenden Tieres. Er streichelt das nasse Fell, spürt einen letzten Atemzug und flüstert kaum hörbar: „Danke… Freund …“
 

IDee

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So traurig, aber sehr schön bildhaft geschrieben. Flüssig lesbar. Habe ich gerne gelesen.
Beste Grüße
IDee
 



 
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