Fröhliche Weihnachten! - eine Weihnachtsgeschichte a' la Püttmann

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Fröhliche Weihnachten!

„Sach ma, Berta, fällt dieset Jahr Weihnachten eventuell früher? Dat iss doch nich normal, dat man schon Anfang September überall Christstollen, Spekulatius und Marzipankartöffelkes kaufen kann.
Die Raffkes können wohl nich früh genug dat Lied ‚Süßer die Kassen nie klingen’ schmettern! Inne Kaufhäuser stehn schon jetz so blödsinnig verkleidete Nikolausverschnitte rum und erschrecken die Blagen. Ein son ‚Nikolaus’ war gestern so sturzvoll, dat er torkelnd in sonne Plüschbärengruppe flog!“

Berta klärte mich auf: „Willi, dat geht doch schon seit Jahren so, nur jedet Jahr wird dat en paar Tage früher. Du kannz jetz auch früh genug m e i n Weihnachtsgeschenk planen. Dat hat den Vorteil, dat nich wieder son Panikkauf erst an Heiligabend stattfinden muss! Übrigens, willze nich ma son leckeret Stück Christstollen probieren? Vor Weihnachten schmeckt der besonders lecker. Spekulatius und Lebkuchen hab ich auch zum Einstimmen auf Advent mitgebracht.“
„Berta, dat hätt mich auch sehr gewundert, wenn Du nich als Erste inne Stadt geplästert wärs und hättes vorneweg diesen verdammten Konsumwahnsinn mitgemacht. Aus Protest rühr ich kein Stück von dem Zeug vor dem ersten Advent an!
Und von wegen Weihnachtsgeschenke, dat werden wir uns aus Vernunftgründen in diesem und inne folgende Jahre abschminken. Et gibt auch keine Geschenke für die Blagen und Enkel! Du hass ja hoffentlich noch nich vergessen, wat die Wohnung auf Ibiza gekostet hat! Dat iss Geschenk genug für den Rest des Lebens! Dat gilt auch für die Erben, also Kinder und Kindeskinder auf Lebenszeit, basta!“
„Wilhelm, im Grunde hasse ja Recht. Gesprochen haben wir ja schon öfter über den Kaufwahnsinn zu Weihnachten. Auch aus Solidarität mit die armen Menschen inne Welt iss dat sehr vernünftig!
Vielleicht denken unsere Kinder auch so gescheit darüber. Erinnersse Dich noch, Willi? Unser Sohnemann redete bereits letztet Jahr auch sehr kritisch über Konsumterror, Geschäftemacherei, Stress und totalem Unsinn, der mit dem Weihnachtsgedanken überhaupt nix mehr zu tun hätte.
Sie müssten dat ganze Jahr schwer schuften, und gerade zu Weihnachten, der angeblich besinnlichsten Zeit im Jahr, wären Se jedet Mal fix und foxi, allein von der Rennerei nach den passenden Geschenken für die Familie.
Ja, dann hätten sie auch noch jedet Jahr dat Haus voll Besuch! Wir kämen schon Heiligabend, um die Bescherung der Enkel mitzuerleben. Die Paten und Schwiegereltern gäben sich am ersten und zweiten Weihnachtstag die Türklinke inne Hand. Die beiden wären an den Festtagen nur noch für die Verwandtschaft gesprungen und hätten keine ruhige Minute gehabt.“
„Ja, Berta, dat ganze Spektakel spielte sich doch früher bei uns ab. Da war dat ja nur Deine Arbeit. Dat hat er wohl schon vergessen!
Traditionen zum Fest pflegen die auch nich mehr, dat iss leider allet Schnee von gestern. Weihnachtsgottesdienst kennen die, wenn überhaupt, nur noch vor der Glotze. Weihnachtslieder und Gedichte vor der Bescherung, dat war einmal!
Jetzt lachen die Enkel über die Weihnachtsgeschichte, die ich ihnen Jahr für Jahr vorgelesen hab!
Der Weihnachtsbaum steht bereits vierzehn Tage vor Christtag voll geschmückt im Wohnzimmer. Wat iss dat denn noch für ne Vorfreude auf den Tannenbaum in all seiner bunten oder auch schlichten Pracht?
Nee, Bertaken, dat iss allet nich mehr schön! Arbeit hatten unsere Mütter und Väter auch zum Fest. Et war aber allet irgendwie festlicher, fröhlicher und gemütlicher. Wie freuten wir Blagen uns auf den Besuch vonne Großeltern! Sie brachten immer en Hauch von Nostalgie und innige Wärme inne Weihnachtsstube.
Also, Berta, wenn wir schon gerade ma bei die Besinnung sind, sach ich Dir ma wat. Ich hab mir dat gut überlegt und bis jetz im Kopp aufgehoben.“
„Wat iss denn los, Wilhelm, Du biss ja so ernst, iss wat Schrecklichet passiert?“
„Nee, Berta, dat iss et nich, et iss nur wat zum Nachdenken: Ich möchte dieset Jahr Weihnachten mit Dir ganz allein verbringen! Wir haben fast dat ganze Jahr nix vonne Kinder und Enkel gehört. Kaum jemand ruft an und fragt ma, wie et uns geht oder hat ma Zeit für'n Schwätzken. Wenne anrufs, hasse immer dat Gefühl, da störsse nur.“
Berta ermahnte mich: „Wilhelm, Du kannz doch nich einfach sonne Besuchstradition brechen, denk doch ma an Deine Enkel.“
„Berta, dat hab ich längst. Meinze, dat mir dat allet so egal iss? Nee, glaub dat nur nich! Die lieben Enkel siehsse dat ganze Jahr nich, aber zum Fest, da besinnen se sich an uns und schicken Wunschzettel per E-Mail! Ich hab nix dazu gesacht, aber gedacht hab ich: Wat iss dat bloß fürn erbärmlichen Sittenverfall! Musse eigentlich so bekloppt sein und so wat mitmachen? Hasse bei die Überlieferung vonne Festtagstraditionen total versagt? Passt mein Weihnachtverständnis nich mehr inne Welt rein? Ich hätte heulen können!
Berta, so kann dat nich weitergehn, dat iss für mich keine Familienweihnacht mehr! Ich hab so richtig die Schnauze voll!“
„Also, Willi, wie Du mir dat jetz so allet erklärs, schmeckt mir der Christstollen auch nich mehr. Meinze wirklich, wir sollten ma ganz alleine feiern?“
„Ja, mein Bertaken, und zwar nich hier, nee, wir düsen ab nach Ibiza, in unsere Wohnung!“
„Willi, nein, so weit weg und ohne Schnee und Frost, dat iss doch kein Weihnachten!“
„Berta, die letzten vier Jahre hat et hier zum Fest nur geplästert, da konnze keinen Hund vor die Tür jagen! Auf Ibiza scheint die Sonne.
Den Weihnachtsbaum kannze bei LTU kostenlos mit in dat Flugzeug stecken, und wenne sofort buchen tus, kannze noch 200 Euro sparen! Wat meinze, wie gemütlich ich Dir die Wohnung schmücken tu. Wir gehn über die Tage schön lecker essen, Du hass überhaupt keinen Stress. Iss dat nich en tollet Weihnachtsgeschenk von Deinem Williken?“
Berta hatte immer noch Bedenken: „Dat iss mir allet viel zu schnell, Du biss doch sonst nich so flott bei so wichtigen Entscheidungen. Du biss ja wie ausgewechselt, Wilhelm.“
„Nee, Bertaken, dat wälz ich schon seit Monaten im Kopp hin und her.“
„Gut, Willi, wenne meinz, vielleicht hasse Recht. Ich flitz gleich in dat Reisebüro und mach den Flug klar.“

Am dritten Advent rief unser Herr Sohn nach sage und schreibe fünf Monaten an und fragte, ob seine Familie diesmal Weihnachten bis Silvester bei uns verbringen dürfte! Et wär doch immer so gemüüütlich bei uns. Wir hätten uns ja auch sooo lange nich mehr gesehn! Ma gut, dat ich zufällig anne Schmuseleine hing! Dat war jetz ma ne gute Gelegenheit, Tacheles zu reden!
„Junge, dat hasse Dir ja verdammt lange überlegt, genau fünf Monate und drei Tage. Dat iss nämlich im Kalender rot angekreuzt, wann Du zuletzt ma Deine Eltern angerufen hass! Weihnachten werdet Ihr diesmal ohne uns feiern! Wir feiern dat Fest auf Ibiza!
Dat ganze Jahr nix voneinander hören und sehen wollen, und dann soll einmal im Jahr unterm Weihnachtsbaum Friede, Freude, Eierkuchen herrschen, so läuft dat nich mit Deinen Eltern. Noch leben wir und haben Gefühle und hätten gerne en wenig mehr Nähe und Zuneigung von Euch über dat Jahr gespürt. Nich ein einziget Mal waren die Enkel bei uns oder haben bei uns angerufen. Wenn jemand angerufen hat, dann waren wir dat! Unsere Besuchswünsche wurden immer mit sehr fadenscheinigen Ausreden abgeschmettert. Nee, mein Sohn, dann brauchen wir Weihnachten auch nich zusammen feiern! Bisse noch am Apparat?“
„Ja, Papa.“
„Ja, dann grüß ma schön, gib den Enkeln nen dicken Schmatz und Euch allen gesegnete Weihnachten!“ Dann hab ich aufgelegt.

Mir war nach dem Gespräch kotzelend zumute! Ich hatte nen dicken Frosch im Hals. Berta rannen die Tränen übert Gesicht.

„Berta, ich will jetz doch wat vom Christstollen probieren. Et war son erleuchtendet, ehrlichet Gespräch, ja eigentlich mehr son Monolog, der war aber schon längst ma fällig!“

Am 18. Dezember fuhren wir völlig entspannt zum Flughafen Düsseldorf.
Hunderte Menschen marschierten mit Weihnachtsbäumen unterm Arm durch die Abflughallen. Alle waren froh gestimmt. Jeder quatschte mit jedem. So wat hasse hier sonst nie erlebt! Hier spürtesse son echten Hauch von vorweihnachtlicher Freude. Die Menschen ergriffen die Flucht und flogen in ihre Feriengebiete - bloß schnell und weit weg von dem dösigen Weihnachtsrummel!

Schon vier Stunden später stellte ich inne Ibiza-Wohnung den Weihnachtsbaum auf. Unsere Nachbarn aus Duisburg fragten, ob se für dat festliche Essen an Heiligabend zwei Plätze mehr reservieren sollten, wir wärn dann zusammen sechs Pärkes, dat gäb ne prima Stimmung.
„Jau“, sachte ich, „dat iss ne gute Idee, dann kommsse nich am Grübeln.“ Heiligabend war nämlich für Bertas Tränendrüsken immer ne besondere Strapaze!
Die Wohnung und dat Weihnachtsbäumken schmückte ich schön festlich und zündete am Baum die Kerzen - und mir ne dicke Zigarre an.

Nach dem Kaffeetrinken schnappte ich mein Bertaken und fuhren zur Nachmittags-Messe in eine kleine Wehrkirche. Wir verstanden kein Wort, doch die feierliche Stimmung und die Weihnachtslieder berührten uns tief.

Für zwanzig Uhr hatten die Nachbarn en Tisch in einem stilvollen Fincarestaurante reserviert. Ein langet Büfett vom Allerfeinsten stand inne Mitte vom Festsaal.
En Kinderchor trat nach dem Essen auf und trällerte internationale Weihnachtslieder und aus der Schar der Gäste sang en italienischer Tenor dat „Ave Maria“. Claro, dat war zu viel Seelenschmalz, wir wischten uns die Tränkes klammheimlich vonne Wangen. Unweigerlich kommen ja bei so wat die Gedanken an zu Hause: Wat machen die Kinder gerade, iss da jetz Bescherung? Ob uns da überhaupt jemand vermisst oder son bissken an uns denken tut?
Bertaken konnte Gedanken lesen. Sie nahm meine Hand und drückte sie, als müsste sie mich trösten.
Ja, dat war ja hier allet ganz toll, aber dat mit ohne Familie war mehr als gewöhnungsbedürftig! Wenne so ausse Provinz kommen tus, iss dat beim ersten Mal nich so ganz einfach. Mit zum Teil wildfremden Leuten international Weihnachten zu feiern, iss nich wat für Jeden. Alle verstanden aber eine Sprache: Prost, salud, cheers! Ich weiß nich mehr wie oft und mit wem ich am Abend angestoßen hab!
Um zwei Uhr kriegte mein Bertaken dat arme Dier, sie dachte zu sehr an zu Hause und schluchzte. Also, ab nach Hause – inne Heia.

Die neue Erfahrung, Weihnachten ohne den üblichen Stress zu begehn, kannze wirklich gute Seiten abgewinnen! Aber dat muss jeder für sich entscheiden, ob er fern vonne Heimat, so ganz ohne sein eigen Fleisch und Blut um sich rum, glücklich sein kann!

Am ersten Weihnachtstag kam immer noch kein Anruf vonne Blagen, kein „Fröhliche Weihnachten, Papa“ und auch kein Weihnachtslied durch dat Handy vonne Enkel! Ich quälte mich:
Warsse vielleicht doch zu hart am Telefon? Hasse jetz alle vergrämt? Die Gedanken piesackten mich schwer! Ich litt.
Nein, Willi, sachte ich mir dann, da musse durch, so geht dat nich weiter, dat musste doch ma ganz klar gesacht werden!

Am ersten Weihnachtstag bereitete ich en kleinet Sektfrühstück vor und legte en winziget Päcksken neben Bertas Gedeck. Bertaken erschien auch mit nem Geschenk und legte dat bedeutungsvoll auffen Tisch. „Fröhliche Weihnachten, Williken!“
„Frohet Fest, Berta, aber wat soll dat mit dem Paket? Wir wollten uns doch nix mehr schenken!“
„Willi, wer steht denn jedet Jahr wie en Kleinkind voller Erwartung vor dem Weihnachtsbaum? Und wat liegt da bei mir am Platz? Also, allet so wie jedet Jahr!“

Ehrlich, ich freute mich riesig über dat Präsent, obwohl ich noch nich ma reingekuckt hatte. Weihnachten ohne Geschenke, da würde mir echt wat fehlen.
Am zweiten Weihnachtstag läutete dat Telefon.
„Fröhliche Weihnachten, Papa, wir haben mehrfach versucht, Euch zu erreichen.“
Endlich, dachte ich, ganz vergessen sind wir also doch noch nich!
„Fröhliche Weihnachten“ hin und her, Berta war ganz aussem Häusken und nahm mir dat Handy ab. „Ach wie schön, wie habt Ihr denn gefeiert? Erzähl schon, haben sich die Kinder über die Geschenke gefreut?“ Dann war die Leitung plötzlich unterbrochen.
„Berta, wieso hörte ich da wat von Geschenke für die Blagen? Wir hatten doch vereinbart, denen nix mehr zu schenken!“
„Wilhelm, Kinder erwarten von den Großeltern eine Aufmerksamkeit, sonst iss dat kein richtiget Weihnachten für sie!“
Ich wollte gerade noch ma an unsere familiäre Absprache erinnern, da schellte et.
Ich machte die Tür auf, da schallte et aus fünf Kehlen: „Fröhliche Weihnachten!“
Sohnemann, Schwiegertochter und drei Enkel stürmten mit Paketen und Koffern inne Wohnung, umarmten und küssten, dat et mir schwindelig wurde!
Dat mit dem Telefonanruf war en geschicktet Ablenkungsmanöver!

Alle hätten über meine deutlichen Worte nachgedacht und wären zur Besinnung gekommen.
Herzenswärme und familiäre Verbundenheit sind gottlob noch nich aufe Strecke geblieben!
Jetzt kehrte bei mir tief innen drin wieder Frieden ein und ich hatte die Hoffnung, dat die Blagen jetz wissen, dat man sich nich nur zu Weihnachten anne Eltern erinnern tut.

Also, dann ma Euch allen en frohet und gesegnetet Weihnachtsfest und en guten Rutsch in dat neue Jahr rein!
 



 
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