Fröhlichen Entzug noch !!! (Teil1)

Vorwort oder so ähnlich

Die nachfolgenden Beiträge sind eine Sammlung von Postings im "Stern" - Nichtraucherforum. Dieses ist unter folgender URL zu erreichen: http://www.stern.de/mein-stern-de/forum/forum.jsp?forum=49 . Für den der es braucht, ist es sehr nützlich. Neue und alte Teilnehmer helfen sich gegenseitig, die Hürden des Nichtmehrrauchenwollens zu nehmen. Wenn man bedenkt, dass auch mit Hilfsmitteln wie Nikotinsubstitution, Hypnose, Akupunktur, Zyban usw. der Status des StaNiRa (Statistischer Nichtraucher, über ein Jahr clean) nur von etwa 5 Prozent aller Aufhörwilligen erreicht wird, kann es einem Angst und Bange werden. So stark ist das Suchtgift Nikotin. Aber Forum hülft, und wenn auch hier eine große Fluktuation stattfindet, so wird man doch immer geholfen und wieder aufgebaut... Es macht sogar den Eindruck, dass die Erfolgsquote hier höher liegt.
Ich bin im Januar 2002 dazugestoßen, nachdem ich am 15.11.2001 im Krankenhaus das Rauchen eingestellt habe. Mein Anliegen war und ist es, die Erfahrungen des Nichtmehrrauchenmüssens auch und gerade von der heiteren Seite zu betrachten. Es kommt diesem Gift überhaupt nicht zu, ihm nachzutrauern, das Gefühl zuzulassen, es wäre einem etwas genommen worden.
Die Beiträge sind nicht immer literarisch, ab und zu evtl. etwas derb und mögen manchmal etwas verworren klingen. Das liegt an mir, meiner autodidaktischen Schreibe und auch daran, dass sie sich evtl. auf etwas im Forum bezogen haben. Trotzdem hoffe ich, dass es vergnügliche Lektüre ist, die trotzdem eine ernste Botschaft verfolgt: Aufhören, zu rauchen ist immer richtig, darf aber auch durchaus Spaß bereiten (außer dem Finanzminister und der Tabakindustrie).
Deshalb FEN (Fröhlichen Entzug noch), FAN (Freude am Nichtrauchen) usw.
Genießt den Entzug, er ist kürzer, als Ihr denkt!



01 - Nochmal ganz von vorn.

Moin, heute ist mein Tag C64 (C=clean), es ist der 17.01.2002. Wie bereits angedroht, gebe ich mal meine Erfahrungen des derzeitigen Nikotinentzuges zum Besten. Bei meiner Vorstellung wiederhole ich wahrscheinlich einiges aus meinem ersten Posting von gestern. Das muss aber so sein, denn falls dieser Bericht ein Buch wird und dieses Buch ein Bestseller, dann wohl nur mit dem ersten Kapitel. Und immer dran denken: auch das ist Therapie (meine). Man kann natürlich auch im Wald schreien ...
Wenn ich mich dann mal vorstellen darf: Mein Name ist Mike, ich bin 46 Jahre alt und lebe in HH (für unsere Bergkettenraucher: Das ist Hamburg und liegt nördlich von Euch. Wenn Ihr in Eurer Karte den Bodensee seht, kommt etwas höher gleich nochmal viel Wasser - da ungefähr liegt es).
Ich verkörpere klassisch den sogenannten steifen Hanseaten - wenigstens teilweise.
Ich lebe getrennt von meiner Familie, 1 Tochter 13 Jahre, 1 Sohn 10 Jahre. Dazu noch meine ZEE (zukünftige ehemalige Ehefrau), Raucherin, mit der ich mich noch einigermaßen verstehe.
Beruflich bin ich bei einer Behörde im IT-Bereich tätig, deshalb kann ich mich auch immer schamlos am PC und Internet vergreifen.
Den letzten Anlauf zum NR hatte ich mit 40 jahren gemacht, mit Nikotinkaugummi und es ging grandios in die Hose. Viereinhalb Monate war ich pausenlos damit beschäftigt, nicht zu rauchen und jeden Tag wurde es schlimmer. Dann kapitulierte ich. Aber seitdem rauchte ich keine Zigarette mehr unbeschwert oder gar genüsslich. Gegen die üblen Nebenwirkungen der ersten Kippen des Tages (Unruhe, Herzklopfen) nahm ich jahrelang Betablocker und ich fragte mich dauernd, wie lange ich die 40 Stück am Tag wohl noch aushalten würde. 40 Zigaretten mal 30 Jahre mal ca. 15 Pfennig sind über 50.000 DM (Das heißt jetzt Euro. - Ach, nicht mehr Zigaretten ?).
Von meinen größeren und kleineren Gebrechen hatten die meisten sogar meiner Ansicht nach etwas mit dem Rauchen zu tun. Und als ich im Juli das erstemal nach einigen Jahren Ohrenprobleme bekam, war mir klar, dass ich hier mit Durchblutungsstörungen zu tun hatte. Und was macht evtl. Durchblutungsstörungen ? - Genau. Doch so weit wollte ich erstmal noch nicht denken, und so nahm ich die vom HNO-Arzt verordneten durchblutungsfördernden Medikamente ein und rauchte weiter. Zu einer dauerhaften Besserung verhalf mir die Medizin nicht. Alles ging über den Sommer mal so, mal so. Am 11.11.2001 wachte ich dann schließlich morgens auf und hatte eine schöne, große Glocke im Kopf - klarer Fall, nicht zum erstenmal, Hörsturz! Also ab ins Krankenhaus, die Therapie in diesem Falle besteht aus Infusionsbehandlungen und zehn Tagen stationärem Aufenthalt.
- Dort beginnt dann der nächste Teil! -



02 - Na dann !

Auf den Schreck, nun ins Krankenhaus zu müssen (und kaum etwas hören zu können) rauche ich natürlich erstmal die eine oder andere Zigarette. Dann packe ich meine Sachen zusammen, informiere meine ZEE, und lasse mich ins Krankenhaus in die HNO-Ambulanz fahren. Nach den notwendigen Untersuchungen wird mir dann auch ein Bett zugeteilt und die erste Infusion eingeträufelt.
Ich fasse mal kurz zusammen: Um ca. 09.00 Uhr stand ich auf, frühstückte und packte meine Sachen. Gegen 11.00 - 13.00 Uhr befand ich mich in der HNO-Ambulanz zur Untersuchung. Ca. 14.00 - 17.00 Uhr lag ich im Bett und erhielt eine Infusion. Gegen 22.30 Uhr ging ich zu Bett. Trotzdem schaffte ich es, an diesem Tag noch 20 Zigaretten zu rauchen und ich fand mich gut. Nur 20 Stück heute !
Aber irgendwie, denke ich beim Einschlafen, muss da wohl noch mehr passieren.
Am nächsten Morgen fühle ich mich wundergeheilt, kein Dröhnen mehr im Schädel! Aber der Hörtest bringt es an den Tag: Einbußen im hohen Frequenzbereich, hierbleiben und auf 9 langweilige Tage freuen. Was kann man da noch für sich tun? Zigarettenholen schon mal nicht, ich habe mir sechs Päckchen Aldi's - Rache mitgebracht, das reicht erstmal. Doch vielleicht anders einteilen? Ich nehme mir vor, heute nur noch jede Stunde eine zu rauchen, das ergibt von 07.30 Uhr bis 22.30 Uhr dann 16 Stück. Tatsächlich werden es 15 Stück und ich muss wieder überlegen, was am nächsten Tag werden soll.
Der nächste Tag, der dritte: Heute will ich eineinhalb Stunden Pause zwischen zwei Zigaretten legen, das wären dann 11 Stück. Das geht auch, also vierter Tag 2 Stunden Pause, macht 9 Stück.
- Wie das so geht, im nächsten Teil! -



03 - Drin - Ich bin drin!

Über den vierten Tag gibt es etwas mehr zu berichten. Zur Erinnerung, ich hatte mir vorgenommen, heute alle zwei Stunden eine zu rauchen, das wären dann 9 Stück.
Als ich nun erkennen muss, dass ich mit meiner Reduzierung auf einen Ausstieg zusteuere, fällt mir ein, dass ich bei einem Besuch bei meiner ZEE das Buch "Endlich Nichtraucher" von Allen Carr gesehen hatte und es einen bemerkenswert unbeachteten Eindruck machte. Ich rufe also ZEE an und bitte sie, mir diese erbauliche Lektüre mitzubringen. Außerdem sehe ich mich mal näher auf der HNO-Station um. Dass diese Raucher's Gruselkabinett sein kann, habe ich vor sechs Jahren schon einmal festgestellt. Damals war ich 40 Jahre alt, hatte meinen ersten Hörsturz und lernte interessante Menschen kennen, von denen heute kaum noch einer leben dürfte. Während damals aber diese Leute 10 und mehr Jahre älter waren als ich, sehe ich diesmal einen Mann, dem der Kehlkopf rausgenommen wurde und der vielleicht 3 Jahre älter ist als ich. Dazu gibt es noch einen, dem die gesamte Luft-/Speiseröhre entfernt wurde, der soll das komplett künstlich implantiert bekommen. An der Raucherurne (draußen vor der Tür) treffe ich außerdem den Flüsterer, zu dem komme ich aber später noch.
In unserem Zimmer sin wir zu dritt: Außer mir befinden sich dort noch Jan und Helmut.
Jan, Raucher und Mitte 30 wurde an diesem Tag unter Vollnarkose an der Nase operiert und liegt den ganzen Nachmittag und Frühabend ziemlich fertig in seinem Bett.
Helmut, Raucher und Anfang 50, von bemerkenswerter geistiger Schlichtheit, ist ganz nett und dreht sich seine Zigaretten selbst.
In dieser Umgebung greife ich nun zum Lesebuch und beginne, zu lesen.
- Mehr davon beim nächsten Mal ! -



04 - Die Genitalzündung

Während nun mein Zimmerkamerad Jan langsam wieder zu sich kommt und die frühe Herbstdämmerung in unser Krankenzimmer kriecht, ziehe ich mir das Buch von Allen Carr fast in einem Rutsch rein.
Ich gehe mal davon aus, dass dieses Buch in Aufhörkreisen fast Pflichtlektüre ist und gehe nicht weiter auf den Inhalt ein. Kurz gesagt: In dem Buch ist nicht von Lungenkrebs und Raucherbein die Rede, sondern es wird einem vom Autor mitgeteilt, dass man eigentlich ziemlich blöd sei, aber deshalb nicht ihm böse sein solle. Außerdem werden gut nachvollziehbar gewisse Mechanismen beim Rauchen und die sog. Gehirnwäsche erklärt. Die etwas selbstgefällige, autoritäre Art des Autors hat schon öfters, auch in Steinhoffs Tagebuch (im Sternforum), Anstoß erregt. Ich finde jedoch, der Erfolg ist wichtig, und dem Ertrinkenden kann letztlich die Farbe des ihm zugeworfenen Rettungsringes egal sein. Ich bin jedenfalls gebannt bei der Sache und höre erst kurz vor Schluss des Buches zu lesen auf.
Zum Abschluss des Tages gehe ich dann mit Jan für die letzte Zigarette zur Raucherurne. Es ist übrigens meine 8. Zigarette. Jan will eigentlich gar keine rauchen, lässt sich dann aber doch eine vom geheimnisvollen Flüsterer (von diesem aber später mehr) andrehen. Nach der Zigarette ist er fix und foxi, ich muss ihn die Treppe nach oben stützen, und er sagt, dass dieses seine letzte Zigarette gewesen sei. Ich bin nach der Buchlektüre auch schon innerlich begeistert von der Idee, den ekligen Dingern abzuschwören und dem kleinen Nikotinbiest die Stirn zu bieten. Nur bin ich dermaßen mit diesen Gedanken beschäftigt, dass ich nicht einschlafen kann. So gehe ich gegen halb zwei Uhr nachts mit einer Kippe aufs Klo und rauche. Und da stehe ich nun, mit runtergelassener Hose im luftigen Zug (let him swing) und genieße den Geschmack von Aldi und Abenteuer. Man kann auch sagen, ich komme mir ganz schön bescheuert vor.
Für den nächsten Tag stehen nun Pausen von zweieinhalb Stunden an, 7 Stück für den Tag dann noch. Ich weiß nicht, ob ich sie überhaupt noch will, als ich mit meinem nach Qualm stinkenden Schlafanzug wieder im Bett liege.
- Und Ihr wisst es auch erst beim nächsten Bericht !



05 - Den Seinen gibts der Carr im Schlaf

Als ich nun am nächsten Morgen aufwache (Donnerstag, 5. Tag Krankenhaus), geht erstmal alles drunter und drüber. Untersuchung ja, oder doch nein, oder mal sehen, oder doch erstmal an die Infusion - arrrgh, wat denn nun? Also nach einer längeren Bedenkzeit doch erstmal Infusion, die schöne Untersuchung nachher, auf die können Sie sich dann noch ein wenig freuen, das wird ganz was Tolles !!!
Komisch, wenn einer außer mir hier grinst, werde ich immer misstrauisch. Naja, die vergangene Nacht brachte wenig Schlaf, also ab in die Heia und mit Tropf am Arm noch etwas schlafen. Vielleicht könnte ich ja auch die restlichen Seiten Carr lesen, jetzt wird ja irgendwann die Aufforderung kommen, nicht mehr zu rauchen.
Ein Seitenblick auf Stubenkamerad Jan, nein, der macht auch keine Anstalten, sich für eine Zigarette draußen anzuziehen. Helmut ist schon mal losgegangen, eine dampfen und so.
Als ich wieder aufwache, ist es kurz nach halb zwölf und draußen klappern sie mit dem Mittagsgeschirr. Den kompletten Vormittag verpennt ! Nun aber ab in den Jogginganzug und ran an die Mahlzeit. Dafür muss ich aber erstmal den Schlauch von der leeren Flasche abmontiert bekommen. Also geklingelt und: "Schwester, könnten Sie mal auf meinen Ständer schauen, da läuft nix mehr." - Diese Blicke immer vom Pflegepersonal! Die gucken auch immer völlig abgenervt, wenn Jan oder ich zum Hörtest bestellt werden. Nach einer solchen Aufforderung kommt von uns nämlich immer ein langgezogenes "Häääääääh?" - Naja, sollen wir den Spaß haben oder die ?
Nach dem Mittagessen stellen Jan und ich dann fest, dass wir schon den halben Tag ohne zu rauchen verbracht haben und es Blödsinn wäre, jetzt noch loszulegen. Helmut geht derweil mal eine dampfen und so, ich richte Grüße an den geheimnisvollen Kippenflüsterer aus (aber von dem später vielleicht mehr).
Nun kann ich mich als Verdauungslektüre auch auf die restlichen paar Seiten des Allen Carr Buches stürzen und siehe da, nach einigen Seiten soll ich tatsächlich meine letzte Zigarette rauchen. Ich soll sie mir bewusst anzünden, tief inhalieren (hört auf zu sabbern, Ihr Forums-Frischlinge !!!) und mir anschließend vorstellen, wie der Dreck überall in mir kursiert. Dann endlich soll ich sie ausdrücken (seht Ihr, Frischlinge, Märchen gehen nicht immer gut aus!) und das soll es dann gewesen sein.
Nur, ich habe keine Lust aufzustehen, und ich habe schon gar keine Lust, eine zu rauchen.
Bin ich schon ein Nichtraucher? Was ist mit dem geheimnisvollen Kippenflüsterer los? Oder ist es nur der, der sich den Wolf raucht? Was für eine tolle Untersuchung kommt da auf mich zu? WOHER SOLL ICH DENN DAS WISSEN !
- Nächstemal, lieste weider !



06 - Kleine Erfrischung gefällig?

Irgendwann am Nachmittag werde ich dann wieder mal ins HNO-Behandlungszentrum in den Keller gebeten.
Da treiben zwei junge Mädels ihr Unwesen, mit freundlichem Grinsen (ihr wisst schon, was ich davon halte) bitten sie einen an ihre diversen Folterapparate. Zum Anfang gab es z. B. erst kühles, dann sehr warmes Wasser in die Ohren, mit der Frage: "Wird Ihnen jetzt schwindelig?" Wurde es nicht, und so wurde ich im Sitzen und im Liegen auf einem Stuhl gedreht, die dachten wohl, irgendwie werden sie mich schon klein kriegen. Nach irgendwelchen Druckprüfungen usw. dann wieder die freundliche Frage, ob mir denn jetzt schwindelig sei. Nein, jetzt erst recht nicht. Die hätten mal fragen sollen, ob ich sauer bin, oder ob mein Pullover nass ist, dann hätten sie auch mal positive Antworten bekommen.
Gestern dann musste ich eine Brühe trinken, die so süß war, dass ich dachte, nun brauche ich auch eine neue Speiseröhre, und danach dann jede Stunde Hörtest. - "Häääääh?"
Na, mal sehen, was sie sich heute ausgedacht haben. Das freundliche Grinsen jedenfalls verheißt nichts Gutes. "Ach, das wird heute noch mal eine kleine Ohrenspülung." - Nur? - "Aber mit Eiswasser, 45 Sekunden in jedes Ohr." Ich versuche, der Dame klar zu machen, dass ich nur ein Ohr habe, nützt nix. Aber die Untersuchung - toll. Endlich kann ich auf die Frage: "Schwindelig?" ein entkräftetes "Ja" hauchen und wanke von dannen. Für heute ist hoffentlich Feierabend, und rauchen will ich schon gar nicht.
So paradox es klingt, die Pause von zweieinhalb Stunden zwischen zwei Zigaretten wäre mir auch viel zu lange, das würde ich kaum aushalten. Dann lieber gar nicht mehr rauchen. Auch später kamen mir eigentlich alle Pausenintervalle, z. B. die eine Stunde bei täglich 15 Stück, viel zu lang vor. Da rauche ich wirklich lieber gar nicht, als immer abzuwarten.
Nach dem Abendessen gehen wir zusammen in Richtung Raucherurne, Helmut dampft dann auch erstmal eine und so, während mich Jan zu einem Verdauungsspaziergang auf dem Klinikgelände animiert. Dabei erzähle ich ihm einiges von dem Carr-Buch und er meint, das müsse er sich auch besorgen. Als wir wieder an der Raucherurne eintreffen, sind ziemlich alle da, Helmut dampft erstmal eine und so, und im Halbschatten bei den Büschen sehe ich auch den Kippenflüsterer (also von dem müsste ich auch gelegentlich berichten, vielleicht später mal).
An diesem Tag gehe ich ziemlich früh zu Bett und bin 1 TAG RAUCHFREI !!!
- Fortsetzung folgt!



07 - Ein brandneuer Tag? - Ein brandneues Leben!

07.00 Uhr, Krankenhausalltag. Wecken, Waschen, Frühstückfassen. Doch heute läuft alles irgendwie ganz anders. Ich bin gestern nach einem rauchfreien Tag zu Bett gegangen und habe heute nacht, als alles schlief, 24 Stunden herum gehabt. Kurz gesagt, ich bin ein völlig anderer Mensch geworden. Stubenkamerad Jan sieht heute auch irgendwie entrückt aus. Helmut, nein, der ist nicht eine dampfen und so, der wird heute operiert und liegt im Bett. Eigentlich sieht heute nur Helmut Scheiße aus, finde ich.
Nach dem Frühstück gibt es die Infusion, und da ich am Freitag keine bösen Überraschungen aus Fu Man Chu's Folterkeller erwarte, lege ich mich entspannt auf die Koje und resümiere mal das Gelesene:
Ich habe dem kleinen und dem großen Biest den Fehdehandschuh hingeworfen. Das kleine Biest ist der körperliche Entzug. Mit dem muss ich rechnen, und ich freue mich schon drauf, ihn klein zu bekommen. Wie ein Saufkater, eine Krankheit, die stündlich besser wird.
Das große Biest ist die eigene psychische Abhängigkeit, und dieses Biest ist wirklich riesig. Nach jahrzehntelanger Rauchkarriere haben sich Verhaltensmuster und Rituale gebildet, die sich durch den ganzen Tag, die ganze Woche, usw. ziehen. Da kömmt wat auf mich zu !!!
Während man als Gewohnheitstrinker (nicht Vollabhängiger !) nur ungefähr die Hälfte seines Feierabends umstricken muss, ist hier jede Stunde, ja jede Minute des Tages ab sofort anders zu handeln. - Ich hoffe, in dieser Umgebung keine Angst vor dem kleinen Biest zu entwickeln, da ich mit jeder körperlichen Unregelmäßigkeit sofort in medizinische Behandlung starten kann. Das ist ein unschätzbarer Vorteil gegen Zuhause.
Allerdings kann man hier natürlich auch wieder auf sehr rustikale Gesprächspartner treffen. Motto: "Herr Doktor, mein Herz schlägt so schnell!!" - "Das ist nicht schlimm. Kommen Sie nochmal wieder, wenn es nicht mehr schlägt." - Ich lege mir also eine Taktik zurecht, die mir helfen soll, meinen Zustand einzuschätzen. Dabei unterscheide ich zwischen Entzugserscheinungen, die ich schon kenne, so z. B. die taubwerdenden Hautzonen im Gesicht oder an den Händen.
Dazu bewerte ich die als harmlos, die Mr. Carr nennt, wie etwa Veränderungen beim Sehen usw. .
Sollten dramatischere Dinge auftreten, wie Schweißausbrüche (außer an den Füßen), Herzgalopp oder -stolpern, ernsthafte Bewusstseinsveränderungen usw., soll erstmal die folgende Technik angewendet werden:
Fühle ich mich: a. ernsthaft bedroht, oder b. eher belästigt? - Bei b.: Keine Panik und erstmal aussitzen.
Bei dramatischeren Geschichten: Ist es nicht merkwürdig, wenn Infarkte und Schlaganfälle eintreten, wenn man mal nicht geraucht hat? - Auch hier: Panik vermeiden und erstmal aussitzen, bzw. zur Entlastung herumrülpsen und alle Finger usw. durchprobieren, um zu sehen, was der Schlaganfall noch übrig gelassen hat. Dann feststellen:
1. Es ist Entzug. - Weiter aussitzen.
2. Der Fall X ist eingetreten, Lebensgefahr. - Sich klar machen, dass kein Arzt der Welt als Medizin jetzt Zigaretten verabreichen würde, nicht rauchen, auf die Suche nach der Intensivstation machen. - Oder erstmal aussitzen und schaun mer mal machen.
Über diesen Überlegungen muss ich irgendwie eingenickt sein, und wer schläft, schreibt nicht. Als Helmut zur OP abgeholt wurde, sah ich übrigens auf dem Gang den Kippenflüsterer umhergeistern, von dem müsste ich eigentlich auch mal berichten.
Bis später !



08 - Das kleine Biest

Nachdem ich wieder aufgewacht bin, halte ich mit Jan erstmal Kriegsrat. Ich muss ihm natürlich auch immer Mr. Carr's Weisheiten mitteilen, da er das Buch nicht kennt.
Die Geschichte mit dem kleinen und dem großen Biest leuchtet ihm sofort ein. Er umschreibt das kleine Biest mit: "Dem Affen Zucker geben". Das bringt uns ins Brainstorming, wie das kleine Biest aussehen mag und was es so für Eigenschaften hat. - Meine Güte, sowas wäre früher gut für eine durchzechte Nacht in der (verqualmten) Kneipe gewesen.
Am Ende haben wir einen vorläufigen Steckbrief erstellt.
Aussehen:
Hier unterscheiden sich unsere Meinungen. Jan bleibt beim kleinen, bissigen Affen. Ich hingegen habe mal etwas aus Kunststoff gesehen, kugelförmig aber total stachelig. Ich weiß nicht, ob es Kindershampoo oder so enthielt. So stelle ich mir das Biest vor: Ein etwa 10cm im Durchmesser messender Seeigel, rot und wenn man ihn berührt, schmerzt es. Je nach Entzug werden unsere jeweiligen Biester kleiner oder wieder größer.
Wenn der körperliche Entzug durch ist, ist das Biest nicht mehr zu sehen. Das heißt aber nicht, dass es weg ist. Es ist vielmehr wie mit Pflanzensporen: Mikroskopisch klein vorhanden, derzeit wirkungslos, aber gieße mal Wasser drauf!!! Dann wächst es und gedeiht (und ernährt sich vom Boden, laugt diesen völlig aus). - Metaphernmike was here !!!-
Wohnort:
Das kleine Biest hält sich auf der linken Schulter auf.
Charakter:
Das kleine Biest hat eigentlich keinen Charakter. Es ist auch nicht etwa bösartig. Es lebt eben nur für seine Bedürfnisse. Um diese erfüllt zu bekommen, flüstert es einem immer zu: "Ich möchte bitte noch eine Zigarette. Die Nächste !". Das geht normalerweise ganz stereotyp ab, wird bei Bedarf aber auch drängender und bei Entzug natürlich viel öfter wiederholt, da das Bedürfnis ja nicht befriedigt wird. Das kleine Biest lebt von seinem Nährboden, und es ist ihm völlig scheißegal, ob es diesen auslaugt, bis er kaputt ist. Ratet mal, wer dieser Nährboden ist.
Das kleine Biest ist bloß eins auf keinen Fall: N I E D L I C H !!!! Das sollte man wissen, wenn man es plattmachen will.
Soweit für heute, das war erstmal alles über das kleine Biest. Wenn ich da an den Kippenflüsterer denke, sieht es schon ganz anders aus. Ich glaube, von dem erzähle ich später auch mal was!



09 - Der Kippenflüsterer

Kurz vor dem Mittagessen wird Helmut aus dem OP zurückgebracht. Die OP-Pfleger schieben also sein Bett durch die Tür - und da sehe ich draußen verstohlen den Kippenflüsterer davonschleichen. Den suche ich schon seit Stunden, ich will endlich wissen, wie es mit ihm weitergeht. Ich stürze also Richtung Tür, da aber machen sich die Pfleger mit Helmut in seinem Bett breit. Ich setze ein oberdringendes +weg-da-ich-muss-mal-ganz-nötig-pinkeln+ Gesicht auf und versuche auf den Gang zu kommen. Das bekommen die OP-Pfleger natürlich mit, und nun wollen sie wohl auch mal ihren Spaß haben. Das Bett rührt sich nicht vor und nicht zurück, natürlich incl. Helmut. Der Pfleger, der unerreichbar für mich im Gang steht, erzählt irgendetwas von Panne, Plattfuß usw.. Sein Kollege nickt bedeutungsschwer dazu - Plattfuß bei einem Krankenhausbett !! Ich überlege also, ob ich mit dem derzeitigen Schwung einfach bäuchlings unter dem Bett durchrutschen soll, sehe aber noch im letzten Moment die herunterhängende WC-Ente. - Vollbremsung !!! - Aber ich muss den Kippenflüsterer ... -
Als ich wieder zu mir komme, beugt sich der eine OP-Pfleger mitfühlend über mich und sagt, dass der Stau jetzt beseitigt sei und falls ich immer noch zum WC wolle, jetzt ginge es. Weit hinten, in Indien, also am Ende des Ganges, klappt eine Tür. Das wars, nun hat er sich wieder in Luft aufgelöst, der Kippenflüsterer! Trotzig gehe ich aufs Klo. - Hier hat einer geraucht !!!!! - Meine seit ca. 30 Stunden rauchfreie Nase registriert es sofort. Ein erster Erfolg des Nichtrauchens ist eingetreten! In den folgenden Stunden, Tagen merke ich immer, wenn ich zum Klo gehe oder nur daran vorbeikomme, dass dort einer geraucht hat. Das war mit Sicherheit schon vorher so, nur jetzt kann ich es riechen.
Über dieser Erkenntnis wird das eben noch so wichtige Problem mit dem Kippenflüsterer ganz klein und unbedeutend und ich ziehe mir erstmal eine volle Nase kalten Rauch tief rein. So stinkt das also . . .
Werde ich jemals erfahren, wie es mit dem Kippenflüsterer weitergeht? Werdet Ihr jemals erfahren, was es mit ihm auf sich hat? Ist Helmut beim Bettencrash verletzt worden? Soviele Fragen, die muss ich wohl irgendwann beantworten ...



10 - Besuch hier, Besuch da

Das Mittagessen verläuft soweit ziemlich ereignislos, außer dass Jan auf einmal in der Reihe der Mitpatienten, die ihr Essen holen, nach links schaut und ziemlich laut "Geh' mir nicht auf den Sack!" sagt. Der Patient, der dort am nächsten steht, guckt ziemlich irritiert drein. Das ändert sich allerdings auch nicht, nachdem ihm Jan erklärt, dass nicht er gemeint sei, sondern der Affe auf seiner Schulter.
Helmut ist übrigens beim Bettencrash unverletzt geblieben, hat das Ganze eigentlich auch gar nicht so mitgekriegt. Mittagessen hat er auch nicht gekriegt, wg. Narkose. Aber er will gerne wieder aufstehen, mal eine dampfen gehen und so.
Jan zieht sich nach dem Mittagessen seine Jacke an und sagt, er würde jetzt nach Hause gehen und dort den Nachmittag verbringen. Jan wohnt mit seiner Frau und kleinen Tochter (5 Jahre) in unmittelbarer Nähe mitten in der Innenstadt.
Dann bekomme ich Besuch von ZEE. Ich bin nun schon soweit, dass ich Zigaretten nur noch mit Sucht, Krankheit und Sklaverei gleichsetze (Prima Gehirnwäsche, Mr. Carr!). Deshalb fange ich zögerlich an: "Hast Du eigentlich Dein Buch von Carr gelesen?" Antwort von ZEE: "Ja, habe ich." - "Aber hast Du es auch zuende gelesen?" - "Nein, zum Ende sagt er ja irgendwann, dass man nun aufhören soll zu rauchen, da habe ich immer rechtzeitig Schluss gemacht!" - "Ja", sage ich, "ist ja logisch. Sonst würdest Du ja nicht mehr rauchen. Ich jedenfalls rauche nicht mehr, schon seit gestern früh."
Kommt jetzt eimerweise warmes Lob ? - Nein, die kalte Dusche ! "Abwarten, ob es denn was wird", bekomme ich von ZEE serviert. Da hat sie aber den Carr in mir noch nicht kennengelernt: "Wie abwarten, wenn ich nicht mehr rauchen will, kann ich ja wohl nichts anderes tun, als keine Zigaretten mehr zu rauchen. Und wenn ich mir die Dinger nicht in den Hals ramme, kann es ja wohl keiner tun, und in einem freien Land leben wir auch und überhaupt!" So, nun bin ich erschöpft, ich bin ja schließlich krank und nicht zum Spaß hier. Trotzdem kommt mein vernichtender Gegenschlag: Ich sage, dass noch vier Schachteln zu je 19 Schuss Aldi's Rache aus der Nachttischschublade auf mich gerichtet seien. Ich wäre allerdings schon so weit vom Rauchen weg, dass ich es niemandem antun könnte, sie ihm zu geben. --- Nach einem knappen "Her damit!" bin ich der Gefahr entledigt und habe ein Problem gelöst.
Mein Besuch geht, Helmut's Besuch kommt. Seine Freundin verfügt über eine Ritter-Sport-Figur: Quadratisch, praktisch, gut. Nach gegenseitiger Vorstellung (ich weiß bis heute nicht, wie sie heißt), erzählt sie mir, dass sie schon 20 Hörstürze hinter sich hätte. Ins Krankenhaus wäre sie aber nie gegangen und mit Übergewicht hätte das schon gar nix zu tun. Ich frage. ob sie denn rauchen würde. Ja, sagt sie, mäßig und eigentlich könnte sie jetzt mal mit Helmut eine dampfen gehen und so. - Abgang der beiden. - Ich verdöse erschöpft den Rest des Nachmittages und der Kippenflüsterer, an den denke ich noch nicht einmal dabei!


----- Ende von Teil Eins --- Kommentare, Gratulationen und Ovationen gerne an: Moinmoinmike@gmx.de
 



 
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